TOUR OF CALIFORNIA ETAPPE 7: DIE SEELE DES RENNENS Ich habe die ganze Woche nach der Seele der Kalifornien-Rundfahrt gesucht. Vielleicht habe ich sie an den letzten beiden Tagen des Rennens, am Mount Baldy und in Pasadena, Los Angeles, gefunden. Ich hatte am Mount Baldy mit Exprofi Jens Voigt gesprochen. Voigt liebte es, Rennen in den USA zu fahren, und seinen letzten Sieg als Profi holte er bei der Kalifornien-Rundfahrt 2013 in Avila Beach. „Die Seele?“, fragt Voigt, bevor er ein paar Sekunden nachdenkt. „Ich glaube, es ist eine tolle Beziehung zu den Fans. Das Rennen ist wirklich schwer, aber es ist ein bisschen entspannter. Die Teams sind ansprechbar, jeder kann kommen, an die Tür klopfen und sagen: ‚Hey, kann ich ein Autogramm haben?‘“ Voigt weist darauf hin, dass sie wegen der lockeren Atmosphäre bei den Fahrern genauso beliebt ist. „Die Teams reisen früh an, um den Jetlag zu überwinden, und so haben die Fahrer ein bisschen Zeit zum Shoppen, das Hotel zu verlassen und zu In-N-Out Burger zu gehen. Wenn sie beim Trainingslager im Dezember fragen, wer an der Kalifornien- Rundfahrt teilnehmen möchte, gehen 20 Arme für die sieben Plätze hoch.“ Das Rennen ist eine Postkarte von Kalifornien. Die Landschaft des Golden State ist umwerfend schön. Der Nachteil ist, dass es in den USA weniger Straßen gibt und sie mehr auf Autos zugeschnitten sind als in Europa, was die eigenartige Wirkung hat, das Rennen zu verflachen. Besser für Autos gebaut heißt breitere Fahrspuren und weitere Kurven, daher ist das Fahren im Peloton technisch weniger anspruchsvoll. Die spannenden Momente sind meist kurz und intensiv und getrennt durch lange, ruhige Abschnitte, wo das einzig Betrachtenswerte die Landschaft ist. Aber die Fans, insbesondere am Baldy und am Rose Bowl-Stadion in Pasadena, sind zahlreich und die Atmosphäre ist gigantisch. In Pasadena ist dem Rennen ein großer Bereich vorbehalten und die Fans können die Männer- und Frauenrennen sehen, die den abschließenden Rundkurs mehrmals absolvieren. Es ist laut, warm und voll. Brad Sohner, der Sprecher des Rennens, sagte mir, das sei das Alleinstellungsmerkmal des amerikanischen Radsports. „Er ist energiegeladen, laut und hat eine Partystimmung, und das steht für Rennen in den USA. Da rennt einer als Papst verkleidet neben den Fahrern her. Das Rennen ermutigt auf jeden Fall dazu.“ In Pasadena denkt Jonathan Vaughters, Manager von EF Education First, für das Sergio Higuita Zweiter wurde, über seine lange Verbundenheit mit dem Rennen nach. „Ich glaube, wir sind die Seele des Rennens“, scherzt er. „Wir waren jetzt zehn Jahre in Folge Zweiter. Unglaublich.“ Dorothy Parker schrieb einst, Los Angeles seien „88 Vororte, die eine Stadt suchen“. Mitten in der Kalifornien-Rundfahrt <strong>2019</strong> fragte ich mich, ob das Rennen sieben Etappen waren, die ein Rennen suchten. Die Kulisse war atemberaubend, schöner als jedes andere Rennen, bei dem ich war. Aber es war an den meisten Tagen leicht, das Rennen auf eine Überschrift zu verdichten, auch wenn die Etappe nach South Lake Tahoe und der Sturz von van Garderen zwei Tage später den Fans viel Gesprächsstoff lieferte. Aber Baldy und Pasadena waren spannende Spektakel, die die großen Geschichten des Rennens hervortreten ließen: die Ankunft einer neuen Generation und die Bestätigung des Baldy als emblematischer Anstieg der Kalifornien-Rundfahrt. Wenn es irgendeinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Giro d’Italia gibt, ist das nichts, worüber sich das Rennen Sorgen zu machen scheint. 68 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
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