PC_08_2019_FINAL_X1
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DAS LETZTE WORT<br />
JENS VOIGT<br />
Der Verlust großer Namen für die Tour lässt Jens fragen, wer Gelb gewinnen wird.<br />
© Getty Images<br />
Der Monat Juni hat bei mir<br />
mehr Fragen als Antworten<br />
über das große Rennen aufgeworfen,<br />
das ihr gerade alle anschauen<br />
werdet – die Tour de France.<br />
Ich war ein wenig verwirrt von der<br />
Abwesenheit so vieler großer Namen<br />
der Sprinter. Marcel Kittel befindet<br />
sich im selbst gewählten Exil, und<br />
wer weiß, was seine Zukunft bringt?<br />
André Greipel ist zwar dabei, scheint<br />
seine Beine für sein neues Team in<br />
dieser Saison aber noch nicht gefunden<br />
zu haben, und Mark Cavendish<br />
befindet sich nach der Überwindung<br />
des Epstein-Barr-Virus nicht im Aufgebot<br />
seines Teams.<br />
Ich weiß, dass die Genannten bereits<br />
als die alte Garde angesehen<br />
werden, aber bei diesen drei Fahrern<br />
sprechen wir von über 55 Etappensiegen<br />
in den letzten Jahren und<br />
über aufregende Schlachten.<br />
Die Helden meiner Jugend (darf<br />
ich das in meinem Alter sagen?)<br />
beginnen zu gehen und ich bin ein<br />
wenig traurig darüber. Natürlich<br />
gewinnt Peter Sagan immer noch,<br />
aber ich habe ihn noch nie als reinen<br />
Sprinter gesehen. Er ist einfach ein<br />
Weltklasse-Radfahrer. Obwohl er in<br />
diesem Jahr bisher nicht das letzte<br />
Prozent hatte, um ihn zu dem perfekten<br />
und spektakulären Fahrer zu<br />
machen, der er in den letzten fünf<br />
oder sechs Jahren war. Das ist normal<br />
und menschlich – nach so vielen<br />
Jahren auf höchstem Level verlangsamen<br />
sich Körper und Geist ein<br />
wenig. Vielleicht braucht er etwas<br />
mehr Konzentration, aber dieser<br />
Etappensieg bei der Tour de Suisse<br />
hat mir gezeigt, dass er vielleicht das<br />
Engagement und die Motivation finden<br />
kann, auch weiterhin ein Superstar<br />
zu sein. Wer weiß? Vielleicht<br />
hat er das bei der Tour schon gezeigt,<br />
wenn ihr das hier lest.<br />
Wir hatten eine ähnliche Situation<br />
bei den Klassementfahrern. Alle,<br />
die im Giro heftig gekämpft haben,<br />
ruhen sich jetzt aus, außer Vincenzo<br />
Nibali, der gesagt hat, dass diese<br />
Tour für Etappensiege und das Bergtrikot<br />
anstelle des Klassements<br />
stünde. Chris Froome stürzte beim<br />
Critérium du Dauphiné, und Tom<br />
Dumoulin zog sich mit seiner anhaltenden<br />
Knieverletzung von der Tour<br />
zurück. Selbst der Titelverteidiger<br />
Geraint Thomas zeigte bisher nicht<br />
die nötige Form.<br />
Was ist mit den Gewinnern?<br />
Als ich sah, wie Egan Bernal in der<br />
Schweiz gewann, war ich überzeugt,<br />
dass er auch die Tour leicht gewinnen<br />
könnte. Er ist jung und die ersten<br />
Vier der letztjährigen Tour sind<br />
entweder nicht beim Rennen oder<br />
nicht in Topform.<br />
Bei der Dauphiné öffnete sich<br />
die Tür für meinen alten Freund<br />
und Teamkollegen Jakob Fuglsang,<br />
der das Rennen zum zweiten Mal<br />
ICH ERINNERE MICH, ALS JAKOB ENDE<br />
20<strong>08</strong> NACH DEM SIEG BEI DER DÄNEMARK-<br />
RUNDFAHRT ZU MEINEM TEAM CSC KAM.<br />
ER BESASS UNGESCHLIFFENES TALENT<br />
UND EINEN MUTIGEN RENNSTIL.<br />
gewann. Was für ein tolles Jahr er<br />
hat. Er erreichte die Podien bei allen<br />
Ardennenklassikern, gekrönt<br />
durch den Sieg in Lüttich–Bastogne–Lüttich<br />
und eben nun auch die<br />
Dauphiné.<br />
Ich erinnere mich, als Jakob Ende<br />
20<strong>08</strong> nach dem Sieg bei der Dänemark-Rundfahrt<br />
zu meinem Team<br />
CSC kam. Er besaß ungeschliffenes<br />
Talent und einen mutigen Rennstil.<br />
Er zeigte nie Angst vor großen Namen<br />
und hatte immer ein kleines<br />
Lächeln auf den Lippen. Und er ist<br />
ein starker Fahrer in den Bergen und<br />
beim Zeitfahren.<br />
Nachdem er die Dauphiné gewonnen<br />
hat, wurde er natürlich zu einem<br />
Jens’ ehemaliger Teamkollege<br />
Fuglsang holte sich seinen zweiten<br />
Gesamtsieg bei der Dauphiné.<br />
Favoriten für die Tour. Bisher schien<br />
bei ihm bei der großen Schleife in<br />
Frankreich immer etwas schief zu<br />
gehen – entweder im Kopf oder in<br />
den Beinen –, aber ich drücke ihm<br />
die Daumen für dieses Jahr.<br />
Jens Voigt beendete seine Profi -<br />
karriere 2014 nach 18 Jahren.<br />
Der Berliner war einer der angriffslustigsten<br />
und beliebtesten Fahrer<br />
im Peloton. Unter anderem hielt er<br />
für 42 Tage den Stundenweltrekord.<br />
98 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>