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4. ETAPPE<br />
13.6.<strong>2019</strong><br />
WARWICK ><br />
BURTON DASSETT<br />
M<br />
it 158,9 Kilometer ist die 4. Etappe die<br />
längste des Rennens und der Tag, an<br />
dem der Kampf um die Gesamtwertung<br />
ausbrechen wird. Burton Dassett ist die erste Hügelankunft<br />
in der Geschichte der Women’s Tour;<br />
die Fahrerinnen fahren drei Runden durch den<br />
Park und über den 1,2 Kilometer langen Anstieg<br />
zur Linie. Es ist eine perfekte Etappe für Canyons<br />
Gesamtführende und Kletterin Kasia Niewiadoma.<br />
Ich sitze im Auto mit Lauke, einem der erfahrensten<br />
Manager im Frauen-Peloton. Als Fahrer<br />
war er Bahn-Weltmeister, hat es aber auf der Straße<br />
nach seinen eigenen Worten nicht weit gebracht<br />
und seine Karriere 2004 beendet. Er ging<br />
ins Management beim Frauen-Team von HTC-<br />
Columbia, bevor HTC zu Velocio-Sram fusionierte.<br />
Als das Team 2015 aufgelöst wurde, gründete er<br />
Canyon-Sram.<br />
Die Hälfte von Canyons 15-köpfigem Kader ist<br />
unter 25, darunter Alice Barnes und die Amstel-<br />
Gold-Siegerin Niewiadoma. Das Ziel des Teams<br />
ist es, Rennen zu gewinnen, aber Lauke betont,<br />
dass die Entwicklung für ihn wichtiger ist als Resultate.<br />
„Für mich ist das Schönste, wenn ich jemanden<br />
mit Potenzial finde und ihm helfe, es zu<br />
entfalten. Das Ideal ist, Fahrerinnen zu finden und<br />
sie an einen Punkt zu bringen, wo alle sie unter<br />
Vertrag nehmen wollen, aber ein so schönes Umfeld<br />
zu haben, dass sie nicht gehen wollen“, sagt er.<br />
Schon früh ruft Radio Tour Canyon zum Peloton.<br />
Alice lässt sich zurückfallen, um ihre Jacke<br />
abzugeben, klingt aber nicht optimistisch. „Ich<br />
habe zu kämpfen, meine Beine und meine Atmung“,<br />
sagt sie durch das Fenster.<br />
„Versuch dich reinzuhängen“, entgegnet Lauke.<br />
„An einem langen Tag kann sich das ändern. Du<br />
kannst es schaffen.“<br />
Eine dreiköpfige Gruppe setzt sich ab, und da<br />
niemand scharf auf die Nachführarbeit ist, wächst<br />
der Abstand auf mehr als sieben Minuten an. Es<br />
ist ein ungewöhnliches Szenario für ein Frauen-<br />
Peloton, und die mangelnde Action macht die<br />
Fahrerinnen unruhig. „Lisa kann nicht langsam<br />
fahren“, sagt Cromwell. „Niemand macht etwas.“<br />
Lauke weist sie an, erst einmal weiter mitzurollen.<br />
„Jetzt müssen wir zocken“, erklärt er. Lauke hofft,<br />
dass ein anderes Team zuerst die Nerven verliert<br />
und anfängt, Tempo zu machen, sodass seine<br />
Frauen im Finale frischer sind.<br />
„Die Regel ist, dass du zehn Kilometer brauchst,<br />
um eine Minute zuzufahren“, sagt er. Die Ausreißergruppe<br />
hat noch acht Minuten bei 80 verbleibenden<br />
Kilometern, sie wird arbeiten. Bis dahin<br />
müssen seine Fahrerinnen warten, weiß Lauke.<br />
Der Ausblick aus dem Begleitwagen ist seltsam.<br />
Man sieht nichts vom Rennen selbst. Wir sehen<br />
nur das Ende des Pelotons, als wir an die Spitze<br />
des Konvois gerufen werden, um einer der Fahrerinnen<br />
zu helfen. Die einzige Information, die wir<br />
haben, kommt durch unregelmäßiges Knistern<br />
über Funk. „Oft sind wir nur Autofahrer“, sagt<br />
Lauke achselzuckend. Da das Ziel des Teams morgens<br />
bei der Besprechung festgelegt wurde, kann<br />
Lauke von hier aus nur Mut zusprechen und darauf<br />
vertrauen, dass die Fahrerinnen die richtigen<br />
Entscheidungen treffen. Lernen und Fortschritt<br />
sind die Botschaften, die er wiederholt. Obendrein<br />
versucht er, das Gute in der Leistung des Teams zu<br />
sehen. Nach dem zwölften Platz auf der 1. Etappe<br />
hat Cecchinis vierter Platz auf der 2. Etappe Lauke<br />
Grund zum Lächeln gegeben. „Sie waren besser,<br />
das Resultat war besser, und darauf können wir<br />
aufbauen“, sagt er. Selbst als Cecchini stürzte und<br />
aufgeben musste, war Lauke optimistisch. Wie er<br />
es sah, war der Sturz reines Pech.<br />
Am Abend vor der 4. Etappe gab Niewiadoma<br />
zu, dass sie vor ihrem Sieg beim Amstel Gold in<br />
Hannah Barnes freut sich über den Sieg<br />
ihrer Teamgefährtin auf der 4. Etappe.<br />
diesem Jahr bei den Rennen eine Selbstbewusstseinskrise<br />
hatte. Und als das Rennen den Rundkurs<br />
von Burton Dassett erreicht und Niewiadoma<br />
attackiert, schickt Lauke ihr einfach wiederholte<br />
Ermutigungen.<br />
„Los, Kasia, weiter so, weiter so, weiter so“,<br />
sagt er. „Geh und hol es dir, geh, geh, geh …<br />
weiter so.“<br />
Als wir den Anstieg zur Ziellinie das letzte Mal<br />
hochfahren, aktualisiert Lauke Twitter. Der UCI-<br />
Account zeigt, dass Niewiadoma gewonnen hat.<br />
„Heiliger Scheiß, das ist spitze“, sagt er mit einem<br />
großen Lächeln, während Lamade ihn vom Rücksitz<br />
aus an der Schulter packt. „Wow, wow, wow“,<br />
Lauke greift sich das Funkgerät. „Ich bin stolz auf<br />
euch und wie ihr gefahren seid.“<br />
RENNVERLAUF<br />
Niewiadoma attackiert mit Elisa Longo Bor -<br />
ghini und Liane Lippert zu Beginn des Burton-<br />
Dassett-Rundkurses 20 Kilometer vor dem<br />
Ziel. Das Trio wird zehn Kilometer vor der<br />
Linie von einem dezimierten Peloton gestellt,<br />
aber als es in den Schlussanstieg geht,<br />
beschleunigt Niewiadoma erneut. Sie gewinnt<br />
den Bergaufsprint und schiebt sich auf den<br />
zweiten Platz in der Gesamtwertung vor,<br />
zeitgleich mit Lippert, während Lizzie Deignan<br />
drei Sekunden zurückliegt.<br />
ERGEBNISSE 4. ETAPPE<br />
1 K. Niewiadoma Canyon-Sram 4:18.29<br />
2 Liane Lippert Team Sunweb + 0:00<br />
3 Lizzie Deignan Trek-Segafredo + 0:07<br />
Gesamtführende: Liane Lippert<br />
© Velofocus<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 57