PC_08_2019_FINAL_X1
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CANYON-SRAM<br />
3. ETAPPE<br />
12.6.<strong>2019</strong><br />
HENLEY ON THAMES ><br />
BLENHEIM PALACE<br />
© Velofocus<br />
A<br />
uf der 3. Etappe fahre ich im zweiten<br />
Mannschaftswagen mit Alessandra<br />
Borchi, einer der beiden Physiotherapeuten<br />
des Teams, zur Verpflegungszone vo raus.<br />
Borchi fuhr früher Bahn- und Straßenrennen –<br />
ihre letzte Saison bei Alé-Cipollini, wie das Team<br />
heute heißt, bevor sie eine Ausbildung zur Physiotherapeutin<br />
machte. Sie kam vor vier Jahren zu<br />
Canyon und bringt viel italienisches Temperament<br />
mit – sie singt und summt im Auto, flucht in ihrer<br />
Muttersprache, bevor sie sich mehrmals für ihren<br />
Fahrstil entschuldigt.<br />
„Ich bin sehr leidenschaftlich“, sagt sie. Man<br />
würde mit einem Zusammenprall der Kulturen<br />
rechnen in einem Team, das vor allem deutsche<br />
Mitarbeiter hat, aber weit gefehlt. Borchi und<br />
Lars Schiffner, der andere Physiotherapeut des<br />
Teams, machen fast die ganze Woche Witze wie<br />
Geschwister.<br />
Das Duo arbeitet bei den meisten Rennen auf<br />
dem Kalender. Es ist ein anspruchsvolles Programm<br />
und die Mitarbeiter sind – genau wie die<br />
Fahrerinnen – fast 200 Tage im Jahr von zu Hause<br />
weg, aber Lauke mag die Vertrautheit und Kontinuität,<br />
die daraus resultiert, von den gleichen<br />
Gesichtern umgeben zu sein, statt abwechselnd<br />
Mitarbeiter aus einem größeren Pool einzusetzen.<br />
„Ronny mag es, wenn es wie eine Familie ist“,<br />
sagt Borchi.<br />
Borchi fällt ihr Job leicht – sie weiß, was die<br />
Fahrerinnen brauchen, ohne dass diese fragen<br />
müssen. Wenn eine Fahrerin sagt, dass sie ihre<br />
Sachen im Wohnmobil vergessen hat, hat Borchi<br />
sie schon für sie ins Auto gelegt. Wenn eine Fahrerin<br />
sagt, dass sie etwas zu essen haben möchte,<br />
hat die Betreuerin Reiswaffeln für sie.<br />
Aber man muss das richtige Maß finden und<br />
sehen, wann die Fahrerinnen Unterstützung<br />
brauchen und wann sie alleine klarkommen.<br />
Borchi hat in ihrer Karriere vor zehn Jahren ganz<br />
andere Erfahrungen gemacht, erzählt sie. Für sie<br />
wurde die Anreise zu einem Rennen nie organisiert,<br />
stattdessen fuhr sie mit dem Auto durch<br />
Europa und musste sich zurechtfinden – mit einer<br />
Landkarte.<br />
„Sie lernen noch, verglichen mit Mitchelton-<br />
Scott, die viele abgehärtete und erfahrene Fahrerinnen<br />
haben“, sagt sie. „Wir haben schon sehr<br />
talentierte Fahrerinnen, aber die jüngeren sind ein<br />
bisschen verrückter. Es ist wirklich der Geist von<br />
Peter Pan.“<br />
Die Etappen sind so kurz, dass die Fahrerinnen<br />
während des Rennens kaum etwas essen. Statt-<br />
dessen bereitet Borchi Flaschen vor, an denen sie<br />
mit einem Gummiband und etwas Klebeband ein<br />
Energiegel befestigt. Wir aktualisieren Twitter,<br />
suchen nach neuen Infos über das Rennen, bevor<br />
eine Nachricht von Lauke eintrifft. Borchi flucht.<br />
Es hat einen Sturz gegeben und das Rennen wurde<br />
neutralisiert. Hannah und Alice gehören zu<br />
den Betroffenen. Es heißt, ihre Räder seien beschädigt,<br />
aber sie haben sich nur Schnittwunden<br />
und Prellungen geholt.<br />
Als die Fahrer zurück am Wohnmobil im Ziel<br />
am Blenheim Palace sind, sind Alices Shorts<br />
zerrissen und Hannahs Arm bandagiert. Es<br />
kommt ein „Ah, shit!“ von Cromwell, als sie ihr<br />
Rad in den Ständer stellt. Nach dem ersten Sturz<br />
des Tages wurde Cecchini vier Kilometer vor dem<br />
Ziel, als Canyon sich an die Spitze setzte und einen<br />
Sprintzug für die Italienerin organisierte, von<br />
der Straße gedrängt und stürzte in einen Grünstreifen.<br />
Laut erstem Befund hat sie sich das<br />
Handgelenk gebrochen und ist bereits auf dem<br />
Weg ins Krankenhaus. Im Ziel ist die Enttäuschung<br />
des Teams mit Händen zu greifen.<br />
Um acht Uhr abends ist Cecchini immer noch<br />
nicht aus dem Krankenhaus zurück. Auch Hannah<br />
fehlt beim Abendessen, als Borchi und<br />
Schiffner mit tropfenden Mänteln hereinkommen,<br />
um sich zu vergewissern, dass die verbleibenden<br />
vier Fahrerinnen alles haben, was sie brauchen.<br />
Es dauert noch eine Weile, bevor einer der beiden<br />
selbst zum Abendessen kommt.<br />
Borchi und Schiffner haben Spaß vor<br />
dem Start l. o.); gefüllte Trinkflaschen stehen<br />
parat (r. o.); Hannah Barnes wird am<br />
Berg Tag für Tag stärker (r. u.); Kapitänin<br />
Cromwell zieht sich kurz vor dem Start die<br />
Armlinge zurecht (l. u.).<br />
RENNVERLAUF<br />
Ein Massensturz bei Didcot auf halber Strecke<br />
schickt eine Flutwelle durch das Peloton und<br />
macht eine vorübergehende Neutralisierung<br />
notwendig. Unter den neun Fahrerinnen, die<br />
das Rennen aufgeben, ist Spitzenreiterin Vos.<br />
Als sich das Peloton auf einen Sprint am<br />
Blenheim Palace vorbereitet, wird Cecchini<br />
vier Kilometer vor dem Ziel von der Straße<br />
gedrängt und stürzt, als Canyon vor ihr einen<br />
Sprintzug organisiert.<br />
ERGEBNISSE 3. ETAPPE<br />
1 Jolien D’Hoore Boels-Dolmans 3:46:04<br />
2 Lisa Brennauer WNT Rotor + 0:00<br />
3 Demi Vollering Parkhotel Valkenburg + 0:00<br />
Gesamtführende: Lisa Brennauer<br />
56 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>