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13<br />
Die Straßen sind sauber, die<br />
Vorgärten gepflegt, das Dröhnen<br />
der Stadt ist weit weg.<br />
Seit acht Uhr steht Katrin<br />
Schlabe hinter dem Tresen ihres<br />
Ladens. Ob sie gern hier lebt?<br />
„Klar. Ich hab„ nichts zu meckern.“<br />
Ein Mann tritt zu ihr<br />
heran, es ist elf Uhr, seine Augen<br />
sind glasig, er nimmt sich einen<br />
Schnaps. Sie kassiert wortlos.<br />
In der DDR war Katrin Schlabe<br />
Verkäuferin, vor 27 Jahren eröffnete<br />
sie ihren Laden. Ihre<br />
Stammkunden sind jetzt alle gestorben.<br />
Die jungen Leute<br />
fahren lieber mit dem Auto<br />
nach Müllrose in den Supermarkt.<br />
Sie sagt, der Tag,<br />
an dem sie ihren Laden<br />
schließen muss, wird<br />
kommen, das wusste sie<br />
immer. Und dann?<br />
„Wenn der Laden nicht<br />
da wäre, wäre es auch<br />
nicht so schlimm.“<br />
Der alte Trinker<br />
sagt: „Du musst noch<br />
so lange weitermachen,<br />
bis ich unter<br />
der Erde bin.“<br />
Draußen am<br />
Stehtisch erzählt<br />
der Mann, dass er<br />
früher im Eisenbahn-<br />
Stellwerk in Müllrose<br />
gearbeitet hat. Das ist<br />
längst zu. Zuletzt<br />
arbeitete er für<br />
Noch gibt es hier Lebensmittel.<br />
Aber junge Leute fahren lieber in<br />
den Supermarkt nach Müllrose.<br />
den DB-Sicherheitsdienst am<br />
Alexanderplatz, pendelte jeden<br />
Tag insgesamt knapp vier Stunden.<br />
So was kann einen zermürben.<br />
„Schade“, sagt er, „schade<br />
um Ostdeutschland.“<br />
Die Straßen sind still, der Ort<br />
wirkt wie die Kulisse für einen<br />
Film über das Leben auf dem<br />
Land, kurz bevor die Filmcrew<br />
kommt. Die Menschen sind es<br />
gewohnt, sich um sich selbst zu<br />
kümmern, weil sie wissen, dass<br />
sich für sie nuretwas verbessert,<br />
wenn sie es selbst in die Hand<br />
nehmen.<br />
Was hält das Dorf am Leben?<br />
„Die Feste, das Miteinander“,<br />
sagt Michaela Stenzel. Ein alter<br />
Mann fährt seinen Trecker vorbei,<br />
sie winken sich zu, fast jeder<br />
kennt Stenzel, Justizangestellte,<br />
Vize-Vorsitzende des Bürgervereins,<br />
der Feste organisiert –<br />
Erntefeste, Osterfeuer. Seit Mai<br />
ist sie auch Ortsvorsteherin.<br />
Was will sie in der Politik erreichen?<br />
Stenzel winkt ab: „Ich<br />
glaube nicht, dass das politisch<br />
ist, ich finde, ich habe das Dorf<br />
zu vertreten mit seinen Interessen.“<br />
Aber es gibt vieles, was ihr<br />
dabei im Weg steht. „Es dauert<br />
alles so lange“, sagt sie, „sei es<br />
nur, dass es um ein fehlendes<br />
Straßenschild geht oder den<br />
Wasseranschluss auf dem Friedhof.<br />
Das frustriert die Leute so.“<br />
Siehdichum ist wie ein Vexierbild:<br />
Wüstenei ohne Netzempfang,<br />
grünes Idyll, intaktes Dorf<br />
mit Vereinen, Zivilgesellschaft<br />
und Gemeinsinn, wie man es<br />
dreht und wendet, ergibt sich<br />
immer ein anderes Bild.<br />
Wenn man Jörg Klofski<br />
fragt, geht es um touristische<br />
Kennziffern,<br />
um die zwölf Arbeitsplätze,<br />
die er geschaffen hat, die<br />
steigende Nachfrage nach seinen<br />
Zeltplätzen und Bungalows,<br />
den Fachkräftemangel. Er stapft<br />
an der Rezeption vorbei in sein<br />
Büro, ein Mann mit grauem Igelschnitt<br />
und lauter Stimme; er<br />
kommt gerade von einer Tagung<br />
des Tourismus-Ausschusses der<br />
IHK Ost. „Der Tourismus ist eines<br />
der wichtigsten Themen<br />
hier“, sagt er. 20000 Übernachtungen<br />
verbucht sein Platz im<br />
Jahr, „da geht eine richtige<br />
Wertschöpfung durch die Region“.<br />
Vor der Wende war der Platz<br />
von der Gemeinde betrieben, danach<br />
stand er vor der Schließung.<br />
Dann kam Klofski. Er ist<br />
stolz auf das, was er geschaffen<br />
hat: „Wir haben aus einem<br />
Schrottplatz einen Vier-Sterne-<br />
Platz gemacht.“ Er würde den<br />
Platz gerne weiter ausbauen,<br />
stößt aber an Grenzen. In der<br />
Region findet er kaum Bewerber.<br />
Er wäre auf Zuwanderung<br />
angewiesen.<br />
Um den Zeltplatz dehnen sich<br />
die Wälder aus. Ein leichter<br />
Wind schraffiert den See. Im<br />
Sommer ist es richtig voll hier,<br />
mit Familien, kleinen Kindern.<br />
Aber die Saison ist vorbei, viele<br />
Leute sind nicht da.<br />
Es ist so schön ruhig.<br />
Gabriela Keller<br />
Zum Wohle<br />
im Forsthaus.<br />
Gemeinsinn ist<br />
ein hohes Gut auf<br />
dem Land, auch<br />
in Siehdichum.