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Berliner Kurier 15.09.2019

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13<br />

Die Straßen sind sauber, die<br />

Vorgärten gepflegt, das Dröhnen<br />

der Stadt ist weit weg.<br />

Seit acht Uhr steht Katrin<br />

Schlabe hinter dem Tresen ihres<br />

Ladens. Ob sie gern hier lebt?<br />

„Klar. Ich hab„ nichts zu meckern.“<br />

Ein Mann tritt zu ihr<br />

heran, es ist elf Uhr, seine Augen<br />

sind glasig, er nimmt sich einen<br />

Schnaps. Sie kassiert wortlos.<br />

In der DDR war Katrin Schlabe<br />

Verkäuferin, vor 27 Jahren eröffnete<br />

sie ihren Laden. Ihre<br />

Stammkunden sind jetzt alle gestorben.<br />

Die jungen Leute<br />

fahren lieber mit dem Auto<br />

nach Müllrose in den Supermarkt.<br />

Sie sagt, der Tag,<br />

an dem sie ihren Laden<br />

schließen muss, wird<br />

kommen, das wusste sie<br />

immer. Und dann?<br />

„Wenn der Laden nicht<br />

da wäre, wäre es auch<br />

nicht so schlimm.“<br />

Der alte Trinker<br />

sagt: „Du musst noch<br />

so lange weitermachen,<br />

bis ich unter<br />

der Erde bin.“<br />

Draußen am<br />

Stehtisch erzählt<br />

der Mann, dass er<br />

früher im Eisenbahn-<br />

Stellwerk in Müllrose<br />

gearbeitet hat. Das ist<br />

längst zu. Zuletzt<br />

arbeitete er für<br />

Noch gibt es hier Lebensmittel.<br />

Aber junge Leute fahren lieber in<br />

den Supermarkt nach Müllrose.<br />

den DB-Sicherheitsdienst am<br />

Alexanderplatz, pendelte jeden<br />

Tag insgesamt knapp vier Stunden.<br />

So was kann einen zermürben.<br />

„Schade“, sagt er, „schade<br />

um Ostdeutschland.“<br />

Die Straßen sind still, der Ort<br />

wirkt wie die Kulisse für einen<br />

Film über das Leben auf dem<br />

Land, kurz bevor die Filmcrew<br />

kommt. Die Menschen sind es<br />

gewohnt, sich um sich selbst zu<br />

kümmern, weil sie wissen, dass<br />

sich für sie nuretwas verbessert,<br />

wenn sie es selbst in die Hand<br />

nehmen.<br />

Was hält das Dorf am Leben?<br />

„Die Feste, das Miteinander“,<br />

sagt Michaela Stenzel. Ein alter<br />

Mann fährt seinen Trecker vorbei,<br />

sie winken sich zu, fast jeder<br />

kennt Stenzel, Justizangestellte,<br />

Vize-Vorsitzende des Bürgervereins,<br />

der Feste organisiert –<br />

Erntefeste, Osterfeuer. Seit Mai<br />

ist sie auch Ortsvorsteherin.<br />

Was will sie in der Politik erreichen?<br />

Stenzel winkt ab: „Ich<br />

glaube nicht, dass das politisch<br />

ist, ich finde, ich habe das Dorf<br />

zu vertreten mit seinen Interessen.“<br />

Aber es gibt vieles, was ihr<br />

dabei im Weg steht. „Es dauert<br />

alles so lange“, sagt sie, „sei es<br />

nur, dass es um ein fehlendes<br />

Straßenschild geht oder den<br />

Wasseranschluss auf dem Friedhof.<br />

Das frustriert die Leute so.“<br />

Siehdichum ist wie ein Vexierbild:<br />

Wüstenei ohne Netzempfang,<br />

grünes Idyll, intaktes Dorf<br />

mit Vereinen, Zivilgesellschaft<br />

und Gemeinsinn, wie man es<br />

dreht und wendet, ergibt sich<br />

immer ein anderes Bild.<br />

Wenn man Jörg Klofski<br />

fragt, geht es um touristische<br />

Kennziffern,<br />

um die zwölf Arbeitsplätze,<br />

die er geschaffen hat, die<br />

steigende Nachfrage nach seinen<br />

Zeltplätzen und Bungalows,<br />

den Fachkräftemangel. Er stapft<br />

an der Rezeption vorbei in sein<br />

Büro, ein Mann mit grauem Igelschnitt<br />

und lauter Stimme; er<br />

kommt gerade von einer Tagung<br />

des Tourismus-Ausschusses der<br />

IHK Ost. „Der Tourismus ist eines<br />

der wichtigsten Themen<br />

hier“, sagt er. 20000 Übernachtungen<br />

verbucht sein Platz im<br />

Jahr, „da geht eine richtige<br />

Wertschöpfung durch die Region“.<br />

Vor der Wende war der Platz<br />

von der Gemeinde betrieben, danach<br />

stand er vor der Schließung.<br />

Dann kam Klofski. Er ist<br />

stolz auf das, was er geschaffen<br />

hat: „Wir haben aus einem<br />

Schrottplatz einen Vier-Sterne-<br />

Platz gemacht.“ Er würde den<br />

Platz gerne weiter ausbauen,<br />

stößt aber an Grenzen. In der<br />

Region findet er kaum Bewerber.<br />

Er wäre auf Zuwanderung<br />

angewiesen.<br />

Um den Zeltplatz dehnen sich<br />

die Wälder aus. Ein leichter<br />

Wind schraffiert den See. Im<br />

Sommer ist es richtig voll hier,<br />

mit Familien, kleinen Kindern.<br />

Aber die Saison ist vorbei, viele<br />

Leute sind nicht da.<br />

Es ist so schön ruhig.<br />

Gabriela Keller<br />

Zum Wohle<br />

im Forsthaus.<br />

Gemeinsinn ist<br />

ein hohes Gut auf<br />

dem Land, auch<br />

in Siehdichum.

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