Berliner Kurier 17.09.2019
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REPORT<br />
Fotos: Benjamin Pritzkuleit<br />
KURIER-Reporterin<br />
Melanie Reinsch beim<br />
schwungvollen<br />
Abgang am Balken.<br />
Nach 30 Jahren zurück in der Turnhalle<br />
Flickflack in die<br />
Wiedamals, nur ganz anders: UnsereReporterin probiertsich an Schwebebalken, Pferd und Stufenbarren<br />
Eine Dunstwolke aus<br />
Schweiß, stickiger<br />
Luft und Staub dringt<br />
mir in die Nase, als ich<br />
die Schulturnhalle der Hermann-von-Helmholtz-Schule<br />
öffne. Statt auf dem Absatz<br />
kehrtzumachen und mir mein<br />
Freitagabend-30-Grad-Feierabendradler<br />
zu gönnen, passiert<br />
etwas Merkwürdiges.<br />
Mein Herz macht einen kleinen<br />
Sprung, mein Kopf kramt in Erinnerungen,<br />
sendet Signale:<br />
Guter Geruch, da war doch mal<br />
was, rein da ...<br />
Der Geruch, ich kenne ihn<br />
gut. Fast 30 Jahre ist es her,<br />
dass ich als Kind mehrmals die<br />
Woche in meine Turnhalle der<br />
Grundschule fuhr, um am Stufenbarren,<br />
am Pferd, am<br />
Schwebebalken oder am Boden<br />
zu trainieren. Flickflack, Bogengang,<br />
Mühlenumschwung,<br />
Pferdchenhüpfer, Rolle rückwärts<br />
in den Handstand. Ich<br />
habe diese Worte seitdem nie<br />
wieder gehört, gesprochen<br />
oder gar geschrieben. Fast drei<br />
Jahrzehnte später will ich es<br />
noch mal wissen.<br />
Trainer Andreas Schewerda<br />
begrüßt mich. „Wäre Turnen<br />
einfach, hieße es Fußball“,<br />
steht auf seinem T-Shirt. Und<br />
ich fühle mich sofort zu Hause.<br />
Weil gerade noch Ferien sind,<br />
sieht die Halle aus, als ob hier<br />
für Olympia trainiert wird.<br />
Denn weil keine Schüler da<br />
sind, können alle Geräte über<br />
die Sommerpause aufgebaut<br />
bleiben. Es wirkt eindrucksvoll.<br />
Sport für jedermann –damit<br />
wirbt der TSC Berlin 1983, der<br />
neben Geräteturnen auch Badminton,<br />
Basketball, Handball,<br />
Schwimmen oder Leichtathletik<br />
anbietet. Aber ich bin ja heute<br />
hier zum Turnen. Fast möchte<br />
ich nur zuschauen.<br />
„Machste gleich mit?“, ruft<br />
mir jedoch Trainer Andreas zu.<br />
Ich zögere. Barfuß auf dem<br />
Schwebebalken fühlt es sich<br />
dann aber plötzlich gut an. Normalerweise<br />
ist der Schwebebalken<br />
das Gerät, das zu den spektakulärsten<br />
gehört. Neben Flexibilität,<br />
Konzentration und<br />
Rhythmus spielt auch der Ausdruck<br />
der Turnerin am Schwebebalken<br />
eine wesentliche Rolle.<br />
Mir reichen vorerst ein paar<br />
Hopser und ein Rad als Abgang<br />
vom Balken. „Mehr abdrücken“,<br />
ruft mir Andreas zu, als<br />
ich lande.<br />
Hier in der Schulturnhalle<br />
trainieren vorrangig Kinder –<br />
rund 20 Jungen und 50 Mädchen.<br />
Und das offensichtlich<br />
mit so viel Begeisterung, dass<br />
einige inzwischen ihre Eltern<br />
vom unprätentiösen Geräteturnen<br />
überzeugt haben. Freitagabend<br />
turnt hier seit einiger<br />
Zeit auch eine Erwachsenen-<br />
Gruppe. So wie auch Viola<br />
Krah, die durch ihre Töchter<br />
ans Turnen gekommen ist, die<br />
ebenfalls durch die Halle wirbeln.<br />
Wieder, muss man dazu<br />
sagen, denn auch Viola hat<br />
schon als Jugendliche geturnt.<br />
Auch sie wollte mal wissen,<br />
„was noch geht“ nach so einer<br />
langen Abstinenz –und ist geblieben.<br />
„Am Anfang tat mir alles<br />
weh“, gibt sie zu, „jetzt geht<br />
es aber.“ Als Viola mir das erzählt,<br />
ahne ich nicht, dass auch<br />
mich das gesamte Wochenende<br />
ein heftiger Muskelkater quälen<br />
wird. Das weiß ich da aber<br />
noch nicht. Und ich fühle mich<br />
eh gerade wie mit zehn Jahren<br />
kurz vor den Kreismeisterschaften,<br />
so viel Adrenalin<br />
pumpt sich durch den Körper.<br />
„Guck mal da oben, da sitzt jemand,<br />
den du retten muss“, ruft<br />
mir Trainer Andreas zu, als<br />
mich das Trampolin hochkatapultiert.<br />
Dort,woder imaginäre<br />
Freund sitzen soll, muss ich<br />
hinschauen und so tun, als ob<br />
ich bis dort oben springen<br />
möchte. Hilft ein bisschen, aber