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18 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 217 · M ittwoch, 18. September 2019<br />
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Sport<br />
Ein Kaiserreich für das Ei<br />
Am Freitag beginnt in Japan die Rugby-WM. Das Turnier gilt als Soundcheck für Olympia 2020, soll zudem zur kulturellen Öffnung des Landes beitragen<br />
VonFelix Lill, Tokio<br />
Es gebe riesige Erwartungen<br />
an uns, sagte Jamie Joseph<br />
Ende August in Tokio vor<br />
der versammelten Presse<br />
des Landes. Gerade hatte seine<br />
Truppe den mäßig wichtigen Pacific<br />
Nations Cupgewonnen. Demgebürtigen<br />
Neuseeländer Joseph aber, der<br />
seit drei Jahren die japanische Nationalmannschaft<br />
betreut, machte das<br />
Resultat Mut:„Bei derWM wollen wir<br />
jetzt das Viertelfinale erreichen.“<br />
Und was für die vergleichsweise<br />
junge Rugbynation ein historischer<br />
Erfolg wäre, schätzt der Trainer,wird<br />
vom heimischen Publikum mittlerweile<br />
fast erwartet. „Wir verstehen,<br />
welche Verantwortung wir als Gastgeber<br />
tragen“, sagte Joseph noch.<br />
Dabei ist es eine Verantwortung<br />
auf mehreren Ebenen. MitderWM im<br />
Rugby steigt vom 20. September bis<br />
zum 2. November eine der größten<br />
Sportveranstaltungen der Welt. Der<br />
Dachverband World Rugby versucht<br />
das Turnier seit mehreren Jahren als<br />
global drittgrößtes Event hinter den<br />
Olympischen Spielen und der Fußball-WM<br />
zu vermarkten. Unddadies<br />
höchstens durch eine kreative Zählkombination<br />
aus teilnehmenden<br />
Ländern, verkauften Tickets und TV-<br />
Zuschauern zutrifft, stehen die Veranstalter<br />
gegenüber ihren Sponsoren<br />
unter Druck. Die Rugby-WM, die<br />
Werbung für ihren Sportmachen soll,<br />
muss beeindruckende Momente liefern,<br />
emotionale Geschichten und<br />
packendenWettkampf.<br />
Spiele fast ausverkauft<br />
Dem Gastgeber kommt dabei eine<br />
besondere Rolle zu. Einerseits wird<br />
vonJapan ein reibungsloser Ablauf in<br />
neuen Stadien erwartet, der Fans vor<br />
Ortund am Bildschirmfür den Sport<br />
begeistert. Für die Organisatoren ist<br />
die WM auch ein Soundcheck für die<br />
Olympischen Spiele 2020, die ein<br />
knappes Dreivierteljahr später in Tokio<br />
beginnen. Undbisher deutet alles<br />
auf Spektakel hin: Fast alle der 1,8 Millionen<br />
Stadiontickets für 48 Begegnungen<br />
sind verkauft, in den 16 über<br />
das Land verteilten Public-Viewing-<br />
Zonen wird eine weitere Million Zuschauer<br />
erwartet. An den Straßen<br />
hängen schon seit letztem Jahr Plakate,die<br />
das Turnier bewerben.<br />
Rugby boomt in Japan. Zwar<br />
wurde das rustikale Spiel schon um<br />
die Wende zum 20. Jahrhundert an<br />
Universitäten betrieben, als sich Japan<br />
nach einer 250 Jahrelangen Isolationsperiode<br />
gerade derWelt geöffnet<br />
hatte. Aber große mediale Aufmerksamkeit<br />
kam erst vor vier Jahren.<br />
Bei der WM 2015 in England<br />
In Japan wird in den nächsten sieben Wochen nicht nur in den Einkaufscenterndas Rugby-Fieber ausbrechen.<br />
hatte der Underdog Japan, der in seinerWM-Historie<br />
bis dato nur einmal<br />
1991 gegen Simbabwe gewonnen<br />
hatte, den Turniermitfavoriten Südafrika<br />
mit 34:32 besiegt. Die Tageszeitung<br />
Nikkei jubelte das Ergebnis<br />
zu „einer der größten Überraschungen<br />
der Geschichte“ herauf. Obwohl<br />
Japan einige Tage später trotz zwei<br />
weiterer Siege in der Gruppenphase<br />
ausschied, überschlugen sich Erfolgsmeldungen.<br />
Mit der Aussicht,<br />
dass 2019 die WM ins eigene Land<br />
kommen würde, wurde die Öffentlichkeit<br />
hellhörig.<br />
Zumal die „Brave Blossoms“, wie<br />
sich die Nationalmannschaft nennt,<br />
sogar als Symbol für ein modernes,<br />
weltoffenes Japan herhalten können.<br />
DasLand hat sich bisher als vorallem<br />
homogene Gesellschaft begriffen, in<br />
der alle gleich seien. Angesichts eines<br />
Ausländeranteils vonkaum zwei Prozent<br />
und strenger Immigrationspolitik<br />
hat dies auch rassistische Vorurteile<br />
manifestiert. Fremd aussehenden<br />
Personen, die keine Touristen<br />
sind, begegnet man häufig mit Interesse,aber<br />
auch Skepsis.<br />
Japans WM-Kader im Rugby wird<br />
nicht nur von einem gebürtigen<br />
Neuseeländer beaufsichtigt. Er zählt<br />
Fukuoka<br />
Kumamoto<br />
Oita<br />
100 km<br />
BLZ/GALANTY<br />
Kobe<br />
Higashiosaka<br />
Austragungsorte<br />
der Rugby-WM<br />
Toyota<br />
Fukuroi<br />
Pazifik<br />
Sapporo<br />
JAPAN<br />
Kumagaya<br />
Chofu<br />
Yokohama<br />
Hokkaido<br />
Kamaishi<br />
AFP/KAZUHIRO NOGI<br />
unter den 31 Spielern auch 15,<br />
die ausländische Elternteile<br />
haben oder selbst im Ausland<br />
geboren wurden. Führungsspieler<br />
Ayumu Goromaru twitterte deshalb<br />
schon nach dem Überraschungssieg<br />
über Südafrika: „Diese<br />
Spieler haben sich dafür entschieden,<br />
für Japan zu spielen und nicht<br />
für ein anderes Land. Sie sind die<br />
besten Freunde, die wir haben.“ Mit<br />
einiger Erwartung werden diese Athleten,<br />
die Ursprünge in Tonga, Neuseeland,<br />
Südafrika, Korea oder Australien<br />
haben, derzeit tatsächlich<br />
weitgehend als Freunde Japans gehandelt.<br />
So trägt Rugbyzur kulturellen Öffnung<br />
eines Landes bei: Es sind solche<br />
Geschichten, die der Weltverband<br />
World Rugbysucht, um im globalen<br />
Wettrennen mit Fußball, Tennis<br />
oder Cricket um Beliebtheit und<br />
Sponsorengeldern mitzuhalten. Das<br />
macht Japan zu einem Schlüsselland<br />
im Sport. Wirklich beliebt ist Rugby<br />
nämlich bisher, neben einigen Ausnahmen,<br />
nur in den britisch geprägten<br />
Ländern des Commonwealth.<br />
Mit positiven Bildern aus Ostasien<br />
soll nun ein ganzer Kontinent weiter<br />
erschlossen werden. „Die erste<br />
Rugby-WM in Asien wird Rekorde<br />
brechen“, erwartet der World Rugby-<br />
Vorsitzende Bill Beaumont. In Japans<br />
Bevölkerung etwa wüssten laut<br />
Umfragen schon drei Viertel der Bevölkerung,<br />
also fast 100 Millionen<br />
Menschen, über das Turnier Bescheid.<br />
Es ist diese enorme Aufmerksamkeit<br />
im Land, die dem Gastgeber<br />
auch Einfluss über die Kultur des<br />
Spiels an sich gibt, und damit einer<br />
allzu weiten Öffnung Japans etwas<br />
entgegenwirkt. Auf eine Weise fremdelt<br />
die japanische Gesellschaft mit<br />
diesem vermeintlich derben Sport<br />
nämlich doch. Während Tätowierungen<br />
weltweit unter Spielern und<br />
Fans im Rugby fast schon die Norm<br />
sind, gelten sie in Japan traditionell<br />
als Kennzeichen der Yakuza, der japanischen<br />
Mafia. Und weil so ein<br />
Einblick japanische Zuschauer in<br />
Unruhe versetzen könnte, hat der<br />
Weltverband eingewilligt, sowohl die<br />
Athleten als auch das Publikum dringend<br />
darum zu bitten, sich ihreTattoos<br />
abzukleben.<br />
Sumo klagt über Nachwuchsmangel<br />
Bei den rund 400 000 aus dem Ausland<br />
anreisenden Zuschauern dürfte<br />
die Sache für Irritationen sorgen.<br />
Dem weiteren Wachstum des Sports<br />
in Japan aber, dem Rugby-LeuchtturminAsien,wirdsie<br />
wohl behilflich<br />
sein. Das wiederum könnte anderen<br />
DisziplinenimLand zu schaffen machen,<br />
so etwa der Traditionssportart<br />
Sumo. Seit Jahren klagen die Sumoställe,indenen<br />
Athleten unter strenger<br />
Leitung wohnen und trainieren, über<br />
Nachwuchsmangel. Die Kinder von<br />
heute,sobedauertman in der Szene,<br />
finden Sumo eher altmodisch als<br />
cool. Immer seltener wollen sie so<br />
aussehen wie die wuchtigen, halbnackten<br />
Ringer. Anden Wänden der<br />
Kinderzimmer hängen immer häufiger<br />
Poster von Fußballern und Baseballspielern.<br />
Um sich in diesen zwei beliebtesten<br />
Sportarten des Landes durchzusetzen,<br />
fehlt kräftig gebauten Kindern<br />
häufig die körperlichen Eigenschaften.<br />
Rugby aber, in dem vor allem<br />
schwer bepackte Athleten Erfolg haben,<br />
wäre bei entsprechendem Training<br />
eine neumodische Alternative.<br />
Damit sich viele Kinder vom<br />
Rugby-Sport angesprochen fühlen,<br />
schätzt auch Nationaltrainer Jamie<br />
Joseph, wäre eine Wiederholung des<br />
japanischen Überraschungserfolgs<br />
von 2015 hilfreich. Allerdings ging<br />
die Generalprobe ordentlich schief.<br />
Im letzten Vorbereitungsspiel trat Japan,<br />
wohl mit der Sensation der letzten<br />
WM im Hinterkopf, gegen Südafrika<br />
an. Undverlormit 7:41.<br />
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