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advantage Nr 1 März 2019

Vorteil in Wirtschaft und Leben

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66 <strong>advantage</strong><br />

——— #alternativefacts ———<br />

Der Geist der Aufklärung ist erloschen, die Behauptung rückt an die Stelle der<br />

Tatsache: Postfaktische Diskussionen überwinden die engstirnige Einordnung in richtig<br />

oder falsch. Dabei entstehen zeitgleich alternative, oft auch gegensätzliche Realitäten,<br />

dank sozialer Medien immer und überall kommentier- und vervielfältigbar.<br />

Willkommen in der wundervollen Welt der wirren Wahrheiten. Von Peter Schöndorfer<br />

Das Ende der<br />

Leistungsgesellschaft?<br />

Früher einmal war das Leben einfach.<br />

Wer in der Zeit des sogenannten<br />

Wirtschaftswunders eine vernünftige<br />

Ausbildung hatte, einen geraden Rücken<br />

und eine gewisse Zielstrebigkeit, der konnte<br />

darauf vertrauen, dass es ihm einmal materiell<br />

deutlich bessergehen würde als seinen<br />

Eltern – was diese auch oft und offen als<br />

Hoffnung zum Ausdruck brachten. Es war<br />

die hohe Zeit des Mittelstandes: Dazu<br />

gehörte, wer sich ein schmuckes Häuschen<br />

im Grünen leisten konnte und alle drei<br />

Jahre ein neues Auto kaufte. Es waren viele:<br />

Nicht nur hohe Angestellte, auch Arbeiter<br />

genossen einen nie gekannten Wohlstand,<br />

ließen die Kinder studieren und verbrachten<br />

den Sommerurlaub am Meer. Zu fünft im<br />

VW Käfer von Berlin an die Adria war<br />

damals keine Horrorvorstellung, sondern<br />

ein Lebensziel.<br />

Von einem solchen Aufstieg können die<br />

„Millennials“ – junge Menschen, die um das<br />

Jahr 2000 herum Teenager waren – heute<br />

nur träumen. „In Deutschland stirbt der<br />

Traum vom Eigenheim“, titelte schon vor<br />

mehr als einem Jahr „Die Welt“. Laut einer<br />

Umfrage sind 56 Prozent der Deutschen<br />

überzeugt, sie würden niemals ein Eigenheim<br />

besitzen. Verdammt zur Miete, lebenslang.<br />

Der Grund dafür sind nicht nur die<br />

hohen Immobilienpreise, sondern auch die<br />

Nebenkosten wie Makler, Notar und Grunderwerbssteuer<br />

von durchschnittlich 50.000<br />

Euro. Zumindest die sollte man auf der<br />

hohen Kante haben – für viele Fehlanzeige.<br />

Auch in Österreich.<br />

Der aktuelle Einkommensbericht des<br />

Rechnungshofs (Lohnsteuerdaten 2017)<br />

erlaubt einen Blick auf die möglichen Ur ­<br />

sachen. Der KURIER berichtet: „Unselbstständig<br />

Erwerbstätige (ohne Lehrlinge)<br />

erzielten demnach ein mittleres Bruttojahreseinkommen<br />

(Median) von 27.545<br />

Euro. … Inflations bereinigt bedeutet dies<br />

im Langzeitvergleich seit 1998 eine Stagnation.<br />

… Vergleicht man die inflationsbereinigte<br />

Entwicklung der Bruttojahreseinkommen<br />

aller unselbstständig Erwerbstätigen,<br />

ergibt sich ein Einkommensverlust von drei<br />

Prozent, heißt es im Einkommensbericht.“<br />

Besonders hart hat die Entwicklung die<br />

Arbeiter getroffen: 2017 erreichte ihr Bruttomedianeinkommen<br />

nur 87 Prozent des<br />

mittleren Einkommens des Jahres 1998. Im<br />

Gegensatz dazu stiegen die Bruttomedianeinkommen<br />

der Angestellten seit 1998 um<br />

drei Prozent, jene der Beamten hingegen<br />

um 26 Prozent (!). Das Bruttoinlandsprodukt<br />

– eine Kennzahl für die gesamtwirtschaftliche<br />

Leistung – wuchs im gleichen<br />

Zeitraum von 196 auf 369 Milliarden Euro.<br />

Ohne viel volkswirtschaftlichen Scharfsinn<br />

lässt sich feststellen: Irgendjemand hat in<br />

diesen 20 Jahren ordentlich zugelegt, und<br />

die unselbstständig Erwerbstätigen waren es<br />

nicht; die Ein-Personen-Unternehmen<br />

(EPU, die mittlerweile 56 Prozent aller<br />

Betriebe in Österreich ausmachen) und die<br />

kleinen und mittleren Unternehmen<br />

(KMU) auch nicht.<br />

Bleiben vom Traum vom besseren Leben<br />

nichts als alternative facts? Wie sieht die<br />

Navigation für ein Leben aus, das nicht<br />

nach dem olympischen Ideal schneller,<br />

höher, stärker ausgerichtet ist? Was kommt<br />

nach der Leistungsgesellschaft?<br />

Eine Antwort gibt vielleicht „Die Zeit“<br />

kürzlich in einer „Zukunftsanalyse“. Sie<br />

hat die Arbeiten von Jane Loevinger, einer<br />

mittlerweile verstorbenen US-Entwicklungspsychologin,<br />

ausgegraben, die nach<br />

tausenden von persönlichen Interviews<br />

glaubte, eine Gesetzmäßigkeit in der Persönlichkeitsentwicklung<br />

gefunden zu haben. Sie<br />

vermutete, dass jedes Ich einer festgelegten<br />

Reihe von Entwicklungsstufen folgt. E5 ist<br />

autoritätsgläubig, moralisch, konservativ; E6<br />

sind die Prototypen der Leistungsbereiten.<br />

Doch danach kommt mit E7 die große Veränderung:<br />

Die „Individualisten oder Pluralisten“<br />

hinterfragen Regeln des sozialen<br />

Zusammenlebens, Werte, Normen, Maxime<br />

und Rollenidentitäten. Sie pfeifen auf Leistung,<br />

ignorieren die Nationalität und sind<br />

Verfechter von Diversität: „Sie unterstützen<br />

die Gleichwertigkeit aller Geschlechter,<br />

sexueller Orientierungen, Ethnien, sozialer<br />

Schichten, Beziehungs- und Lebenskonzepte<br />

bis hin zum bedingungslosen<br />

Grundeinkommen und zur Polyamorie“,<br />

schreibt „Die Zeit“.<br />

Sehr alternative jedenfalls. |<br />

Weitere alternative Fakten lesen Sie<br />

in Peter Schöndorfers wunderbarer<br />

Welt der wirren Wahrheiten auf<br />

www.alternative-facts.at

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