06.12.2019 Aufrufe

RCKSTR Mag. #173

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

«Ich habe keine Depressionen bekommen oder so. Trotzdem<br />

aber hat es mich geschüttelt, mein Körper war nach der Geburt<br />

Gemüse, und ich fühlte mich fremdbestimmt. Ich dachte<br />

immer, dass ich als Mutter in der Lage wäre, mein eigenes<br />

Kind zu beruhigen. Doch die Realität hat mich schlichtweg<br />

ein wenig überfordert. Vielleicht war ich im Vorfeld ein wenig<br />

zu euphorisch.»<br />

Heute ist Anna 30, studiert seit zwei Jahren im Master an der<br />

Zürcher Hochschule der Künste und hat im Mai 2019 ihren<br />

zweiten Sohn Max* auf die Welt gebracht. «Ich finde das Mamisein<br />

einfach grossartig. Du steckst zwar deine ganze Energie<br />

hinein und gibst so viel, aber es kommt auch so enorm viel<br />

Schönes zurück.» Deshalb glaubt sie auch, dass die Gründe,<br />

um sich gegen das Mami-Dasein zu entscheiden, sehr tief gehen.<br />

«Ich persönlich bin der Auffassung, dass dies ein Prozess<br />

ist, mit dem man sich aktiv auseinandersetzt. Leider bin ich<br />

noch nie mit einer Frau ins Gespräch gekommen, die sich keine<br />

Kinder wünscht. Ich glaube auch nicht, dass das falsch ist,<br />

genauso wenig wie ich glaube, dass an meiner Entscheidung<br />

etwas Verwerfliches ist. Aber mich würde ihre Haltung sehr<br />

interessieren.»<br />

Mehr Toleranz und Akzeptanz<br />

Gegen das Muttersein an sich hat Arianne nichts einzuwenden.<br />

«Es kann auch sehr schön sein und ich habe mich auch<br />

schon gefragt, ob ich vielleicht etwas verpasse – so eine<br />

bedingungslose Liebe erlebt man sonst wohl nicht.» Als leidenschaftliche<br />

Tante pflege sie aber eine enge Beziehung<br />

zu ihren Nichten, was für sie mehr als genug sei.Auf die Frage<br />

hin, ob sie sich aufgrund ihrer Entscheidung auch schon<br />

missverstanden oder falsch behandelt gefühlt hätte, verneint<br />

sie. «Ich bin zum Glück erst selten für meine Entscheidung<br />

kritisiert worden.» Sie wisse aber auch, dass es vielen anders<br />

geht. «Ich erinnere mich an eine Diskussion mit einer Frau,<br />

die ebenfalls keine Kinder hat. Sie hat sich beklagt, wie oft<br />

sie deswegen Vorwürfe höre und auch, dass ihre Eltern sie<br />

unter Druck gesetzt hätten.»<br />

<strong>#173</strong> | DEZ ’19 & JAN ’20<br />

15<br />

es ist passiert», erzählt Anna.<br />

Diese Haltung kommt nicht von ungefähr. Mit 16 Jahren wurde<br />

Anna das erste Mal schwanger, hat sich damals jedoch für<br />

eine Abtreibung entschieden. «Ich habe diesen Moment oft<br />

bereut, doch das liegt jetzt hinter mir. Ich wusste nur, dass<br />

ich so etwas niemals wieder tun möchte, vor allem nicht,<br />

wenn ich 25 bin», sagt sie. «Als der Test positiv wurde, bin<br />

ich erst einmal durchgedreht. Einen halben Tag später war<br />

ich jedoch bereits Mami.» Bei Till habe das ein wenig mehr<br />

Zeit gebraucht. Voll eingefahren ist es jedoch beiden, als sie<br />

während der Schwangerschaft dachten, dass sie Emil verlieren<br />

würden. «Das hat auch Till sehr getroffen. Spätestens ab<br />

diesem Zeitpunkt war für uns klar, wie sehr wir uns auf Emil<br />

freuten und wie wichtig er für uns schon geworden ist.»<br />

Diese Freude, beziehungsweise ihren immer grösser werdenden<br />

Bauch hat Anna auch gerne gezeigt. Allgemein war sie<br />

sehr gerne schwanger und hat diese Zeit auch äusserst positiv<br />

wahrgenommen. Das änderte sich jedoch mit der Geburt.<br />

Während die Entscheidung für Arianne eher von persönlicher<br />

Natur war und sich erst mit der Zeit entwickelte, gibt<br />

es für andere auch übergeordnete Gründe, die sie zu einem<br />

kinderlosen Leben bewegen. Mit dem Buch «Kinderfrei statt<br />

kinderlos: ein Manifest» sorgte etwa die deutsche feministische<br />

Autorin Verena Brunschweiger im vergangenen Jahr<br />

für Diskussionen. Sie führt den Umweltschutz als schwerwiegendstes<br />

Argument gegen das Kinderkriegen auf. In<br />

England wurde gar eine Bewegung namens «Birthstrike» ins<br />

Leben gerufen, um die Dringlichkeit der Klimakrise zu unterstreichen.<br />

Obwohl sich Arianne nicht mit diesen Bewegungen<br />

identifiziert, seien ihr auch schon verwandte Gedanken durch<br />

den Kopf gegangen. «Ich denke mir manchmal schon auch,<br />

dass mich viele Dinge, die auf der Welt schieflaufen, komplett<br />

fertig machen würden beim Gedanken daran, dass ich<br />

da Nachkommen hinterlasse.»<br />

Wenn es um die gesellschaftliche Stellung von Müttern geht,<br />

findet Arianne, dass Frauen nach wie vor stark zurückliegen.<br />

«Neben einer grösseren Auswahl an Betreuungsmöglichkeiten<br />

und der Vereinbarkeit von Karriere und Kind glaube ich,<br />

dass dringend ein Paradigmenwechsel nötig ist», sagt sie.<br />

Auch wenn es um Dinge wie die Haushaltsarbeit geht, schienen<br />

Frauen noch immer viel mehr zu leisten als Männer (vgl.<br />

Grafik). «Immerhin hat man das Gefühl, dass da jetzt ein Wandel<br />

stattfindet und sich jüngere Paare die Betreuung immer<br />

mehr aufteilen.»<br />

Anna und Till sind ein solches Paar. Doch wenn Anna von<br />

ihrem Freund, ihrer Familie und ihrem Arbeitgeber erzählt,<br />

verwendet sie immer das Wort Glück. Wie viel Glück sie doch

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!