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RCKSTR Mag. #173

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Als hätte sie die «Muppet Babies»-Version eines Wes Anderson Films gedreht: «K-12», der 90-minütige<br />

Film zum gleichnamigen zweiten Album von Melanie Martinez, ist eine zuckerwattenbunte<br />

Schmucktruhe aus fantasievoll und behutsam komponierten Bildern. Die opulenten Sets und<br />

Kostüme erinnern an die berauschende Version von Sofia Coppolas «Marie Antoinette», die stets leicht<br />

entrückt scheinenden Charaktere würden sich auch gut im nächsten Werk von Tim Burton machen.<br />

Keine schlechten Vorbilder also, die Melanie für ihr bislang ambitioniertestes Projekt zitiert hat. Drehbuch<br />

und Regie hat die 24-Jährige selber übernommen, war an vorderster Front bei der Ausstattung,<br />

dem Casting und selbst beim Scouting für die Hauptlocation – das prächtige Schloss Esterházy im<br />

ungarischen Fertőd.<br />

Und dann sind da natürlich ihre Songs, die sich wie ein rosa Faden durch die Handlung ziehen:<br />

Widerwillig macht sich Protagonistin Cry Baby (gespielt von Melanie Martinez, of course) auf zum<br />

ersten Schultag an einem schrulligen Internat und muss sich dort durch allerhand Drama und Ungerechtigkeiten<br />

navigieren. Es geht – wie so oft in der Musik der gebürtigen New Yorkerin – um den<br />

Stolz aufs Anderssein; wenn andere dich in Schubladen einteilen wollen, dann zerschlage die ganze<br />

verdammte Kommode. Es ist eine aufbauende Message, die durch das barocke Pop-Musical manchmal<br />

etwas gar plakativ, aber stets mit sehr viel Charme und Witz durch den Bildschirm leuchtet. «K-12»<br />

feierte Premiere in einigen ausgewählten US-Kinos sowie auf YouTube – wo er bereits nach sieben<br />

Stunden über eine Million Views verzeichnen konnte. Inzwischen lässt sich der Streifen unter anderem<br />

auf iTunes downloaden.<br />

Und der pastellige Fiebertraum soll noch kein Ende haben: Mindestens zwei weitere Langspielfilme<br />

hat Melanie Martinez geplant, die gemeinsam mit YouTube Music im November ihre neue<br />

Show «Arts & Crafts» für die Videoplattform lanciert hat und dabei Einblick in ihren kreativen<br />

Prozess gewährt. Dabei begann sie die Reise zu ihrem audiovisuellen Gesamtkunstwerk<br />

einst auf dem Friedhof der musikalischen Kreativität: einer Castingshow. Dort wo die immer<br />

gleichen Lieder anderer brav nachgeträllert werden und Fernsehproduzenten «echten<br />

Emotionen» hinterherhecheln. In der dritten Staffel von «The Voice» trat Melanie vor<br />

sieben Jahren zum ersten Mal ins Rampenlicht der breiten Öffentlichkeit, fiel schon<br />

dort schnell aus dem Rahmen – und in der Top-6-Runde schliesslich auch aus dem<br />

Wettbewerb.<br />

Doch liessen sich da bereits schon genügend Fans von den enigmatischen<br />

Auftritten der Sängerin verzaubern und so folgten diese Melanie auf ihrem<br />

Pfad, den sie sich seither stets immer knapp neben dem Mainstream geebnet<br />

hat: 2014 erschien ihre erste Single «Dollhouse», das begleitende Musikvideo<br />

wurde durch ein Crowdfunding ermöglicht, die Dreharbeiten übernahmen<br />

Melanie und einige ihrer Freunde – inzwischen verzeichnet die Indie-Produktion<br />

auf YouTube über 244 Millionen Klicks. Ein Jahr später folgte<br />

das Debütalbum «Cry Baby», welches Platz 1 der Top Alternative Billboard<br />

Charts erreichte und unter anderem so ungewöhnlichen offiziellen<br />

Merchandise wie die «Cry Baby Perfume Milk» nach sich zog<br />

– ein süssliches Parfüm, verpackt in einer Schoppenflasche.<br />

<strong>#173</strong> | DEZ ’19 & JAN ’20<br />

53<br />

Sucht man nach den Duftnoten in Melanie Martinez’ Musik, so landet<br />

man dabei schnell bei ihren Jugendheldinnen wie Björk oder Coco-<br />

Rosie, gepaart mit dem eingängigen und reflektierten Pop-Bombast<br />

einer Lorde, Sia oder Charli XCX. «Wie ein Kuchen», beschreibt Melanie<br />

dagegen vorzugsweise ihr Œuvre – und zwar einer, der für manche<br />

Geschmäcker womöglich etwas gar zu süss und überkandidelt<br />

daherkommen mag. Doch wer einen Zuckerschock nicht fürchtet, hat<br />

demnächst auch in der Schweiz die Gelegenheit, vollends ins Schlaraffenland<br />

von «K-12» einzutauchen: Im Januar wird die Halle 622<br />

in Zürich zum Tollhaus, äh, Dollhouse, wenn Melanie Martinez<br />

Film, Musik und Tanzchoreographien zu einem umfassenden<br />

Bühnenspektakel spinnt. Denn wie sagte schon (nicht) Marie<br />

Antoinette: Let them hear cake! w

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