Berliner Zeitung 14.01.2020
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10 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 11 · D ienstag, 14. Januar 2020<br />
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Berlin<br />
So wie zum Beispiel 2002 soll es wieder aussehen: Der <strong>Berliner</strong> Kult-DJ Dr.Motte will die Menschen wieder an der Straße des 17. Juni tanzen lassen. Dafür sammelt er Spenden auf ungewöhnliche Weise.<br />
BERLINER ZEITUNG/LAUTENSCHLÄGER<br />
Dr.Motte will wieder raven<br />
Der Loveparade-Erfinder will das Technofest nach Berlin zurückholen –und elektronische Tanzmusik unter den Schutz der Unesco stellen lassen<br />
VonMelanie Reinsch<br />
Dr. Motte meint es ernst:<br />
Der legendäre Techno-<br />
DJ und Loveparade-Erfinder<br />
will die bunte<br />
Techno-Straßen-Parade, die einst in<br />
Berlin gegründet wurde, zurück in<br />
die deutsche Hauptstadt holen.<br />
„Seit Jahren häufen sich die Fragen<br />
an mich, wann die Loveparade<br />
zurück nach Berlin kommt“, so Dr.<br />
Motte,der mit bürgerlichem Namen<br />
Matthias Roeingh heißt. Die Sehnsucht<br />
nach der Loveparade scheine<br />
riesig zu sein. „Und ganz ehrlich.<br />
Wann, wenn nicht jetzt?“, so der 59-<br />
Jährige. „Wir stellen die Frage: Wollt<br />
ihr eine neue Loveparade?“ Die Antwortdarauf<br />
könne nur „Ja“ sein.<br />
Dr. Motte und das Team der gemeinnützigen<br />
GmbH Rave the Planet<br />
wollen Spenden sammeln, um<br />
ihren Techno-Traum wiederzubeleben.<br />
Dazu haben die Initiatoren ein<br />
besonderes Spendensammel-Modell<br />
entwickelt, das sie „Fundraving“<br />
nennen – angelehnt ist das<br />
Wortspiel an den Begriff „Fundraising“,<br />
also die Beschaffung vonGeldern.<br />
Seit Montag steht im ehemaligen<br />
Garten des ersten Tresor Clubs in der<br />
Mall Berlin in der Leipziger Straße<br />
ein Modell der Straße des 17. Juni bereit<br />
–hier lief damals auch die Loveparade<br />
entlang. Mankennt die Fotos<br />
der tanzenden Menschen an der Siegessäule.Auf<br />
einer Gesamtlänge von<br />
48 Metern imMaßstab 1:87 ist die<br />
Straße vom Ernst-Reuter-Platz über<br />
die Siegessäule bis hin zum Brandenburger<br />
Tor nachgebaut. Über<br />
den Onlineshop (shop.ravetheplanet.com)<br />
oder direkt vor Ort kann<br />
man eine kleine Figur für fünf Euro<br />
erwerben, die man selbst auf die Modellstraße<br />
kleben kann.<br />
VonTech Mombis Dirty Dora<br />
Es gibt Miniraver in unterschiedlichster<br />
Gestaltung. Sie nennen sich<br />
Parade Pitt, House Hector, Trance<br />
Gender,Tech Mom, Raving Rosi oder<br />
Dirty Dora –einige sind schon ausverkauft.<br />
Am Montagabend hatten sich<br />
schon 2273 Menschen an der Aktion<br />
beteiligt und eine Figur erworben.<br />
Ziel soll es sein, insgesamt 1,5 Millionen<br />
Figuren zu verkaufen. 80 Prozent<br />
des Betrags fließen in gemeinnützige<br />
Zwecke, darunter auch die<br />
neue Parade. Laut Rave the Planet<br />
soll dieses Modell eine Art Stimmungsbarometer<br />
sein, inwieweit die<br />
Initiatoren mit ihrer Idee den Nerv<br />
der Öffentlichkeit treffen. Mit dem<br />
DJ: Dr.Motte heißt mit bürgerlichem<br />
Namen eigentlich<br />
Matthias Roeingh. Er ist am<br />
9. Juli 1960 in Spandau geboren<br />
und ist Musiker sowie<br />
Labelbetreiber.Bekannt<br />
wurde er als Mitbegründer<br />
und Organisator der Musikund<br />
Tanzveranstaltung Loveparade<br />
in Berlin.<br />
Geld, so Motte, könne man eine unabhängige<br />
Finanzierung der Projekte<br />
garantieren. Denn längst geht<br />
es den Machern nicht nur um die<br />
Loveparade. Die Ziele sind deutlich<br />
höher gesteckt. Die Initiatoren, bestehend<br />
aus Künstlern, Ravern und<br />
Unternehmern, wollen erreichen,<br />
dass elektronische Tanzmusikkultur<br />
als Immaterielles Kulturerbe unter<br />
den Schutz der Unesco gestellt wird.<br />
Noch in diesem Jahr soll der Antrag<br />
dafür gestellt werden.<br />
Außerdem soll ein offiziell anerkannter<br />
„Feiertag der elektronischen<br />
DR. MOTTE<br />
Loveparade-Erfinder<br />
Dr.Motte BLZ/ENGELSMANN<br />
Loveparade: Er war bis<br />
2006 Miteigentümer der<br />
Loveparade Berlin GmbH,<br />
deren Geschäftszweck es<br />
war,den in mehreren Länderngeschützten<br />
Markennamen<br />
Loveparade zu vermarkten.<br />
Im Jahr 1985 war<br />
Roeingh erstmals als Diskjockey<br />
tätig.<br />
Tanzmusikkultur“ initiiert und etabliert<br />
werden –gefeiert werden soll<br />
natürlich an diesem Tag auf der<br />
Loveparade in Berlin. Rave the planet<br />
will mit diesen Aktionen für<br />
mehr Akzeptanz der Club- und Festivalkultur<br />
sorgen und sie als gleichwertige<br />
Kulturformschützen.<br />
Dr.Motte erinnertsich an die Anfänge<br />
der Technozeit in Berlin, das<br />
habe unser Leben verändert, sagt er.<br />
„Stillstehen konnte keiner. Was für<br />
ein Erlebnis.“ Im Tanz sei man frei<br />
und glücklich. Liebe, Vielfalt, Lebensfreude,<br />
Tanz und Respekt, das<br />
sei zur Kultur und zur Lebenseinstellung<br />
geworden, so Dr. Motte. Das<br />
könne man in den Clubs und bei den<br />
vielen Festivals in der Stadt immer<br />
noch spüren. „Aber 30 Jahre später<br />
stellen wir in Berlin und auf der ganzenWelt<br />
fest, dass Behörden, Investoren,<br />
Politiker und Polizei noch immer<br />
nicht verstehen, welche besondere<br />
Kraft die elektronische Musikkultur<br />
entfaltet und was sie für die<br />
positiveEntwicklung für eine Gesellschaft<br />
beitragen kann“, kritisierte<br />
der DJ und übte zugleich Kritik an<br />
der Politik und Behörden.<br />
„Investoren gefährden Clubs“<br />
Immer wieder gebe es überzogene<br />
Forderungen, wie man beim Fusion-<br />
Festival in Mecklenburg-Vorpommern<br />
im vergangenen Jahr sehen<br />
konnte. Wochenlang wurde 2019<br />
über das Sicherheitskonzept gestritten.<br />
Die Polizei wollte auf dem Gelände<br />
auf Streife gehen und eine<br />
feste Polizeiwache installieren, obwohl<br />
das Musik- und Kunstfestival<br />
seit Jahrzehnten störungsfrei verläuft.<br />
„Da wurde eindeutig eine rote<br />
Linie überschritten. Denn Kunst,<br />
Kultur und Musik müssen frei sein“,<br />
betonte Dr. Motte. Investoren würden<br />
die Existenz von Clubs gefährden,<br />
indem sie die Mieten verdoppelten<br />
und stattdessen lieber Shopping<br />
Malls und teure Wohnungen<br />
bauten. Der Musiker forderte Parteien<br />
und Behörden auf, hier endlich<br />
Lösungen zu finden.<br />
Der Techno-Umzug fand von<br />
1989 bis 2006 in Berlin und ab 2007<br />
bis 2010 an wechselnden Orten im<br />
Ruhrgebiet statt. 2004, 2005 und<br />
2009 gab es keine Loveparade. Als<br />
sie das erste Mal am1.Juli 1989 anlässlich<br />
des Geburtstags von Dr.<br />
Motte unter dem Motto „Friede,<br />
Freude, Eierkuchen“ stattfand, war<br />
sie noch als politische Demonstration<br />
angemeldet. Rund 150 Menschen<br />
nahmen teil. Es wurden immer<br />
mehr. ImJahr 1999 tanzten 1,5<br />
Millionen Menschen zu Technobeats<br />
auf der Straße.<br />
Seit 2015 gibt es in Berlin eine<br />
neue Technoparade: Der „Zug der<br />
Liebe“, der sich allerdings nicht als<br />
Loveparade-Nachfolger begreift.<br />
Seit dem Unglück im Jahr 2010<br />
hat die Loveparade nicht mehr stattgefunden.<br />
Am 24. Juli kam es in Duisburg<br />
bei dem Techno-Großevent zu<br />
einer Katastrophe: Aufdem Gelände<br />
des ehemaligen Güterbahnhofes<br />
kam es zu einem Massengedränge<br />
an den Ein- und Ausgängen. 21 Menschen<br />
starben bei dem Unglück, 500<br />
wurden verletzt, davon 40 schwer.<br />
In Zukunft anders<br />
Wernach vielen Jahren seine Arbeit verliert, hat es inzwischen schwerer,eine neue Anstellung zu bekommen<br />
VonMelanie Reinsch<br />
Berlin weist in Sachen Beschäftigungsentwicklung<br />
ein Alleinstellungsmerkmal<br />
auf: Im Oktober<br />
2019 waren nach den Zahlen der<br />
Bundesagentur für Arbeit 53 500<br />
Menschen mehr in einem sozialversicherungspflichtigen<br />
Beschäftigungsverhältnis<br />
als im Vergleichsmonat<br />
im Jahr 2018 –insgesamt waren<br />
es1564 600 Personen. „Das ist<br />
ein erfreulicher Zuwachs von etwa<br />
3,5 Prozent und damit deutlich mehr<br />
als im Bundesdurchschnitt“, sagte<br />
Bernd Becking, Chef der Arbeitsagentur<br />
für Berlin und Brandenburg<br />
am Montag in Berlin. Er geht davon<br />
aus, dass sich dieser Trend auch in<br />
diesem Jahr fortsetzt – allerdings<br />
deutlich abgeschwächt. Seit Jahren<br />
bewegt sich diese Zahl in der Hauptstadt<br />
in einem Plusbereich zwischen<br />
3,4 und 3,7 Prozent.<br />
Vergleicht man die WerteimBundesdurchschnitt,<br />
kommt man hier<br />
nur auf einen Zuwachs von insgesamt<br />
1,6 Prozent im vergangenen<br />
Jahr. Esgibt auch Bundesländer wie<br />
zum Beispiel Thüringen, in denen<br />
die Zahl sinkend ist (- 0,7 Prozent).<br />
15 000 Menschen aus Drittstaaten<br />
45 Prozent dieser Einstellungen in<br />
Berlin sind Teilzeit-Beschäftigungen<br />
und bei 39 Prozent der neuen Tätigkeiten<br />
sind Frauen eingestellt worden.<br />
22 500 Ausländer konnten von<br />
dem Anstieg profitieren –43Prozent.<br />
17 600 der sozialversicherungspflichtigen<br />
Beschäftigungen sind<br />
Menschen zwischen 55 und 65 Jahren.<br />
„Ältere sind oft noch so fit, dass<br />
sie bis zur Rente voll arbeiten können.<br />
Manche müssen auch danach<br />
noch weiter arbeiten“, sagte Becking.<br />
Bei den Beschäftigungen, bei denen<br />
Ausländer eingestellt wurden,<br />
kamen 15 000 aus Drittstaaten. 7500<br />
kommen aus Ländern der Europäischen<br />
Union. „Die Integration Geflüchteter<br />
gelingt weiter“, sagte Becking.<br />
Jeden Monat würden rund<br />
300 Menschen aus diesem Bereich<br />
eine sozialversicherungspflichtige<br />
Mehr Menschen hatten 2019 in Berlin Jobs als noch im Jahr zuvor.<br />
Anstellung antreten. Im Mai 2019<br />
waren es insgesamt 15 000 Menschen,<br />
im Juni im Jahr zuvor 11 000.<br />
16 Prozent kommen im Gastgewerbe<br />
unter, 15Prozent im Wachund<br />
Sicherheitsdienst und 10 Prozent<br />
im Handel. „Gleichzeitig ist es<br />
aber schwer, Neuankömmlinge zügig<br />
in Jobs zu integrieren“, so Be-<br />
DPA<br />
cking. Das liege vor allem an der<br />
Sprachbarriere.<br />
Insgesamt sind 16 Prozent aller<br />
Beschäftigten in Berlin Ausländer:<br />
240 000. Im Jahr zuvor lag diese Zahl<br />
bei 225 000. Berlin liegt damit aktuell<br />
über dem Bundestrend und ist damit<br />
internationaler aufgestellt. In<br />
Deutschland kommen im Schnitt 12<br />
Prozent der Angestellten aus dem<br />
Ausland.<br />
Becking gab aber auch zu bedenken,<br />
dass jedes Jahr rund 330 000 Arbeitnehmer<br />
bundesweit aus der Erwerbstätigkeit<br />
in Rente gingen –die<br />
sogenannten Babyboomer aus den<br />
Jahren 1955 bis 1969. Zudem stelle<br />
man laut Bundesagentur für Arbeit<br />
fest, dass die Unternehmen mehr<br />
Menschen entließen, als sie neue Beschäftigte<br />
einstellten.<br />
Die Zahl derer, die lange angestellt<br />
gewesen sind und ihren Job<br />
verloren haben, ist gestiegen. Und<br />
das hat Folgen, denn die Arbeitswelt<br />
verändert sich schnell. „Wer heute<br />
Arbeit verliert, kann nicht damit<br />
rechnen, automatisch sofort wieder<br />
in Arbeit zu kommen“, stellte Becking<br />
fest. Das liege daran, dass sich<br />
Anforderungen an die Arbeitsplätze<br />
zur Zeit so schnell änderten. Kompetenzen<br />
und Kenntnisse tragen zumeist<br />
nicht dauerhaft. „Wer lange<br />
Zeit bei einem Arbeitgeber gearbeitet<br />
hat und dann gehen muss, wie<br />
zum Beispiel im aktuellen Fall bei<br />
Philip Morris,dem gelingt der Wechsel<br />
oft nicht so schnell“, sagte der<br />
Chef der Arbeitsagentur. Daher<br />
müsse man Menschen schnell in<br />
nützliche Qualifikationen vermitteln.<br />
In Berlin sind etwa 13 000 Menschen<br />
jeden Monat in beruflichen<br />
Qualifizierungsmaßnahmen. „Dort<br />
lernt man und wird für den neuen<br />
Arbeitsmarkt fit gemacht“, erklärte<br />
Becking weiter.<br />
Mehr Männer arbeiten Teilzeit<br />
Und noch ein Trend ist in Berlin zu<br />
verzeichnen: Die Teilzeitbeschäftigung<br />
bei Männern ist auf dem Vormarsch<br />
und steigt langsam aber<br />
kontinuierlich. So waren im Jahr<br />
2015 insgesamt 32 Prozent der Teilzeitbeschäftigten<br />
Männer. Im vergangenen<br />
Jahr waren es 34 Prozent.<br />
„Das ist eine folgerichtige Entwicklung,<br />
wenn man bedenkt, dass<br />
Frauen die besseren Bildungsabschlüsse<br />
haben“, betonte Becking.<br />
Dasbedeute,dass man die Angebote<br />
bei der Kinderbetreuung weiter ausbauen<br />
müsse,forderte Becking.