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Berliner Kurier 21.01.2020

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LEUTE<br />

BERLINER KURIER, Dienstag, 21. Januar 2020<br />

Der wilde Meese<br />

Bei Mutti wird<br />

er ganz zahm<br />

Der umstrittene, aber vielseitige<br />

Künstler wird 50 Jahrealt<br />

Jonathan Meese mit<br />

seiner Mutter Brigitte.<br />

Die 90-Jährige begleitet<br />

ihn noch immer<br />

durch sein Leben.<br />

Den Kampf gegen Zensur und<br />

für die Freiheit der Kunst spickt<br />

Künstler Jonathan Meese in seinen<br />

Arbeiten auch mit NS-Symbolen,<br />

bei Performances mit<br />

dem verbotenen Hitler-Gruß.<br />

Mehrere juristische Verfahrenmusste<br />

er deshalb durchlaufen,<br />

oft wurde er kritisiert. Jetzt<br />

wird Meese 50 Jahre alt –und<br />

blickt zurück.<br />

„Mami!“, schallt der Ruf durch die<br />

Atelierhallen eines alten Pumpwerks<br />

im Osten Berlins. Jonathan<br />

Meese ist im Gewirr der Kunstwerke<br />

auf der Suche nach Mutter Brigitte.<br />

Die 90-Jährige begleitet ihn eng<br />

durch privates wie künstlerisches<br />

Leben.Obwohlsie es ist, an der sein<br />

Künstlerleben hätte scheitern können,<br />

damals in Hamburg. „Meine<br />

Mutter fragte: Was möchtestduzum<br />

Geburtstag haben? Eswar mein 22.<br />

Ich sagte aus der hohlen Hand: einen<br />

Block und ein paar Pastellstifte“, erzählt<br />

Meese. Abdem Tag sei der<br />

Dammgebrochen gewesen. „Ich hab<br />

nur noch Kunst gemacht. Ich will<br />

nur noch Kunstmachen. Ich will nur<br />

mit Kunst umgeben sein, mich der<br />

Kunst verpflichten.“<br />

Die Kindheit inAhrensburg und<br />

das Kunststudium in Hamburg beschreibt<br />

Meese als schöne Zeiten.<br />

Zwar lebt er schon längermit Mutter<br />

Brigitte und seiner Lebensgefährtin,<br />

der isländischen Künstlerin Gudny<br />

Gudmundsdottir, in Berlin. Doch etwa<br />

wöchentlich zieht es ihn zurück<br />

in den Norden.„In der Wohnungin<br />

Ahrensburg werde ich nicht belästigt.<br />

Da kann ich auftanken.“ Hier<br />

frönt der in Tokio geborene Meese<br />

per Restaurantbesuch den Wurzeln<br />

seiner ersten Jahre. „Ich liebedas Japanische,<br />

diese Disziplin und diese<br />

Liebe zum Essen und zu allen Dingen,<br />

dieses sehr starke Gefühl, mit<br />

der Natur verbunden zu sein.“ Was<br />

heißt dasfür die Arbeit? „Ich bin ein<br />

totaler Samurai der Kunst. Ich habe<br />

meinSchwert,das ist der Pinsel.“<br />

Damit wären wir bei Meeses<br />

Blick auf sein Metier. „So sehe ich<br />

das auch in der Kunst: Kein Gruppenzwang,<br />

kein Herdentrieb, keine<br />

Gruppenbildung, keine ideologischen<br />

Zusammenrottungen. Alleine<br />

stehen, seinen Mann stehen und<br />

das tun, was notwendig ist. Das ist<br />

für mich Kunst.“ Meese sieht sich<br />

von Sanktionen umgeben. „Die<br />

Zensur kommt von den Künstlern<br />

selber. Künstler sagen, dass man<br />

bestimmte Sachen nicht mehr malen<br />

darf: Keine nackten Menschen.<br />

Ich muss in meiner Hautfarbe bleiben.<br />

Ich darf als Mann keine Frau<br />

mehr malen. Dann darf ich aber<br />

auch keinen Tisch malen, ich bin ja<br />

kein Tisch.“ Er sei gegen jede Zensur.<br />

„Ich bin für die absoluteste<br />

Freiheit der Kunst. Vollkommen.<br />

Wenn etwas nach Zensur riecht,<br />

bin ich weg.“ Denn: „Der Kunst<br />

muss alles erlaubt sein“<br />

Meese hat seit Jahrzehnten internationalen<br />

Erfolg, Arbeiten wie die<br />

großformatigen, schnell gemalten<br />

Bilder hängen in wichtigen Kunsthäusern.<br />

Und doch bleibt er umstritten.<br />

„Ich muss eine unfassbare<br />

Reizfigur sein.“ Seine Installationen<br />

etwa von Schaufensterpuppen,<br />

Red-Bull-Dosen, Plakaten lassen<br />

sich sehen als Labyrinthe der Gedanken.<br />

Seine Gegner sprechen<br />

von Gerümpel oder Müllhalden.<br />

Das kratzt nicht am Selbstbewusstsein.<br />

„Ich bin schon ein Fels in der<br />

Brandung. Mir ans Bein zu pinkeln,<br />

ist ganz schwierig.“<br />

In der Zukunftwill Messe „weiter<br />

der Kunstdienen, am Gesamtkunstwerk<br />

Deutschland arbeiten“. Konkret:<br />

im Atelier sitzen, nicht gestört<br />

werden, Skulpturen und Collagen<br />

machen, malen. „Ich habe so vielBilder<br />

im Kopf,die müssen raus.“ Oder<br />

aber: Opern inszenieren. Bayreuth<br />

hat die Zusammenarbeit für „Parsifal“<br />

aus Kostengründen 2014 beendet,was<br />

Meese schmerzt. Jetztwürde<br />

er gern „Chef sein von dem Laden“,<br />

alles selbst machen. Gerd Roth<br />

Foto: dpa

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