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Berliner Kurier 07.02.2020

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REPORT<br />

Hatun Sürücü<br />

(†23) wareine<br />

selbstbestimmte<br />

Frau. Dasgefiel<br />

ihrer türkischen<br />

Familie nicht.<br />

An dieser Stelle an der Bushaltestelle Oberlandstraße<br />

(Tempelhof)wurde die junge Frau ermordet.<br />

Alpaslan Sürücü, einer der Brüder (Mitte), wurde<br />

aus Mangel an Beweisen freigesprochen.<br />

Die<br />

Erinnerung<br />

stirbtnie<br />

Heute vor 15 Jahren wurde Hatun Sürücü (23)<br />

erschossen –eswar ein Ehrenmord. Auf den<br />

Spuren einer Frau, die starb, weil sie mit den<br />

Regeln ihrer Familie brach und frei sein wollte<br />

Von<br />

KATRIN BISCHOFF<br />

Die Mitarbeiterin der<br />

Friedhofsverwaltung<br />

weiß sofort, um wen<br />

es sich handelt. Der<br />

Name sei bekannt, sagt sie. Sie<br />

holt in ihrem Büro einen Plan<br />

heraus und bietet an, das Grab<br />

auf dem Landschaftsfriedhof<br />

Gatow zu zeigen. Das gesuchte<br />

Grab ist ordentlich mit Tanne<br />

abgedeckt.<br />

Sabine Schiechel hat Rosen dabei.<br />

Sie stelltden Strauß in eine<br />

Vase, schaut dann versonnen<br />

hinunter. Auf die letzte Ruhestätte<br />

von Hatun Sürücü. Der<br />

Frau, die genau vor 15 Jahren<br />

sterben musste, weil sie mit ihrem<br />

westlichen Lebensstil die<br />

Ehre ihres kurdischen Clans in<br />

Berlin verletzt haben soll. Der<br />

Frau, die von ihrem eigenen<br />

Bruder mit drei Schüssen in den<br />

Kopf getötet wurde. Sie wurde<br />

nur 23 Jahre alt.<br />

Sabine Schiechel kannte Hatun<br />

Sürücü. Am Grab sei ihrdie<br />

absolute Sinnlosigkeit des Verbrechens<br />

noch einmal bewusst<br />

geworden, sagt sie wenig später.<br />

Schiechel ist 58 Jahre alt. Sie<br />

war von 2001 bis zum Tod Hatuns<br />

im Jugendamt von Kreuz-<br />

Hatun Sürücü<br />

hatte sich gegen<br />

die Regeln<br />

ihrer Familie<br />

aufgelehnt<br />

berg als Sozialarbeiterin die Ansprechpartnerin<br />

der jungen<br />

Frau.<br />

Ihre Vorgängerin sei es gewesen,<br />

die in der Behördealles für<br />

Hatun Sürücü und deren kleinen<br />

Sohn Can eingefädelt habe,<br />

sagt Sabine Schiechel. Hatun habe<br />

eine eigene Wohnung bekommen.<br />

Und einen Ausbildungsplatz.<br />

Sie habe Elektroinstallateurin<br />

werden wollen.<br />

„Das hat uns näher gebracht,<br />

denn auch ich habe zunächst<br />

Elektromonteur gelernt“, sagt<br />

Sabine Schiechel. Beide hätten<br />

sie damals über diese Gemeinsamkeit<br />

lachen müssen.<br />

Hatun Sürücü hatte sich gegen<br />

die strengen Regeln und Ehrvorstellungen<br />

ihrer Familie aufgelehnt.<br />

In Berlin aufgewachsen,<br />

war sie in jungen Jahren mit einem<br />

Cousin in der Türkei verheiratet<br />

worden. Sie lebte dort<br />

wie eine Magd, bekam ihren<br />

Sohn Can.<br />

Doch sie wollte weg von diesem<br />

Sklavenleben. Weg von ihrem<br />

Mann, den sie nicht liebte.<br />

Weg aus dem Land, das ihr<br />

fremd war. Hatun kehrte nach<br />

Berlin zurück. Sie lebte zunächst<br />

wieder bei ihrer Familie.<br />

Dort, wo sichFrauen verstecken<br />

mussten, wenn Fremde kamen.<br />

Doch Hatun Sürücü lehnte<br />

sich auf. Sie legte das Kopftuch<br />

ab. Sie kleidete sich modern, sie<br />

brach so aus aus ihrem familiären<br />

Gefängnis aus. Hatun Sürücü<br />

zeigte, dass sie eine Frau war.<br />

Eine selbstbewusste Mutter. Sie<br />

wollte ihr Leben selbst bestimmen,<br />

wurde in den Augen ihrer<br />

Familie zur Schande. Der 18-<br />

jährige Bruder Ayhan, mit dem<br />

sich Hatun gut zu verstehen<br />

glaubte, erschoss die junge Frau<br />

am 7. Februar 2005 an einer Bushaltestelle<br />

in Tempelhof. Im Namen<br />

der Familienehre, wie er<br />

später sagte. Eine Ehre, die er<br />

nie wirklich erklären konnte.<br />

„Ich habe nie gedacht, dass so<br />

etwas geschehen konnte“ erinnert<br />

sich Sabine Schiechel. Hatun<br />

sei eine so offene und lebensfrohe<br />

Frau gewesen. Die<br />

junge Mutter habe Can über alles<br />

geliebt, ihn allein großziehen<br />

wollen. Niemals habe sie gewollt,<br />

dass der Junge in der altüberholten<br />

Tradition ihrer Familie<br />

groß werden müsse. Um<br />

dann das zu werden, was ihre

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