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REPORT<br />
Hatun Sürücü<br />
(†23) wareine<br />
selbstbestimmte<br />
Frau. Dasgefiel<br />
ihrer türkischen<br />
Familie nicht.<br />
An dieser Stelle an der Bushaltestelle Oberlandstraße<br />
(Tempelhof)wurde die junge Frau ermordet.<br />
Alpaslan Sürücü, einer der Brüder (Mitte), wurde<br />
aus Mangel an Beweisen freigesprochen.<br />
Die<br />
Erinnerung<br />
stirbtnie<br />
Heute vor 15 Jahren wurde Hatun Sürücü (23)<br />
erschossen –eswar ein Ehrenmord. Auf den<br />
Spuren einer Frau, die starb, weil sie mit den<br />
Regeln ihrer Familie brach und frei sein wollte<br />
Von<br />
KATRIN BISCHOFF<br />
Die Mitarbeiterin der<br />
Friedhofsverwaltung<br />
weiß sofort, um wen<br />
es sich handelt. Der<br />
Name sei bekannt, sagt sie. Sie<br />
holt in ihrem Büro einen Plan<br />
heraus und bietet an, das Grab<br />
auf dem Landschaftsfriedhof<br />
Gatow zu zeigen. Das gesuchte<br />
Grab ist ordentlich mit Tanne<br />
abgedeckt.<br />
Sabine Schiechel hat Rosen dabei.<br />
Sie stelltden Strauß in eine<br />
Vase, schaut dann versonnen<br />
hinunter. Auf die letzte Ruhestätte<br />
von Hatun Sürücü. Der<br />
Frau, die genau vor 15 Jahren<br />
sterben musste, weil sie mit ihrem<br />
westlichen Lebensstil die<br />
Ehre ihres kurdischen Clans in<br />
Berlin verletzt haben soll. Der<br />
Frau, die von ihrem eigenen<br />
Bruder mit drei Schüssen in den<br />
Kopf getötet wurde. Sie wurde<br />
nur 23 Jahre alt.<br />
Sabine Schiechel kannte Hatun<br />
Sürücü. Am Grab sei ihrdie<br />
absolute Sinnlosigkeit des Verbrechens<br />
noch einmal bewusst<br />
geworden, sagt sie wenig später.<br />
Schiechel ist 58 Jahre alt. Sie<br />
war von 2001 bis zum Tod Hatuns<br />
im Jugendamt von Kreuz-<br />
Hatun Sürücü<br />
hatte sich gegen<br />
die Regeln<br />
ihrer Familie<br />
aufgelehnt<br />
berg als Sozialarbeiterin die Ansprechpartnerin<br />
der jungen<br />
Frau.<br />
Ihre Vorgängerin sei es gewesen,<br />
die in der Behördealles für<br />
Hatun Sürücü und deren kleinen<br />
Sohn Can eingefädelt habe,<br />
sagt Sabine Schiechel. Hatun habe<br />
eine eigene Wohnung bekommen.<br />
Und einen Ausbildungsplatz.<br />
Sie habe Elektroinstallateurin<br />
werden wollen.<br />
„Das hat uns näher gebracht,<br />
denn auch ich habe zunächst<br />
Elektromonteur gelernt“, sagt<br />
Sabine Schiechel. Beide hätten<br />
sie damals über diese Gemeinsamkeit<br />
lachen müssen.<br />
Hatun Sürücü hatte sich gegen<br />
die strengen Regeln und Ehrvorstellungen<br />
ihrer Familie aufgelehnt.<br />
In Berlin aufgewachsen,<br />
war sie in jungen Jahren mit einem<br />
Cousin in der Türkei verheiratet<br />
worden. Sie lebte dort<br />
wie eine Magd, bekam ihren<br />
Sohn Can.<br />
Doch sie wollte weg von diesem<br />
Sklavenleben. Weg von ihrem<br />
Mann, den sie nicht liebte.<br />
Weg aus dem Land, das ihr<br />
fremd war. Hatun kehrte nach<br />
Berlin zurück. Sie lebte zunächst<br />
wieder bei ihrer Familie.<br />
Dort, wo sichFrauen verstecken<br />
mussten, wenn Fremde kamen.<br />
Doch Hatun Sürücü lehnte<br />
sich auf. Sie legte das Kopftuch<br />
ab. Sie kleidete sich modern, sie<br />
brach so aus aus ihrem familiären<br />
Gefängnis aus. Hatun Sürücü<br />
zeigte, dass sie eine Frau war.<br />
Eine selbstbewusste Mutter. Sie<br />
wollte ihr Leben selbst bestimmen,<br />
wurde in den Augen ihrer<br />
Familie zur Schande. Der 18-<br />
jährige Bruder Ayhan, mit dem<br />
sich Hatun gut zu verstehen<br />
glaubte, erschoss die junge Frau<br />
am 7. Februar 2005 an einer Bushaltestelle<br />
in Tempelhof. Im Namen<br />
der Familienehre, wie er<br />
später sagte. Eine Ehre, die er<br />
nie wirklich erklären konnte.<br />
„Ich habe nie gedacht, dass so<br />
etwas geschehen konnte“ erinnert<br />
sich Sabine Schiechel. Hatun<br />
sei eine so offene und lebensfrohe<br />
Frau gewesen. Die<br />
junge Mutter habe Can über alles<br />
geliebt, ihn allein großziehen<br />
wollen. Niemals habe sie gewollt,<br />
dass der Junge in der altüberholten<br />
Tradition ihrer Familie<br />
groß werden müsse. Um<br />
dann das zu werden, was ihre