28.05.2020 Aufrufe

GAB Juni 2020

gab – seit 1996 das queere Magazin für Hessen und Baden-Württemberg.

gab – seit 1996 das queere Magazin für Hessen und Baden-Württemberg.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

MUSIK<br />

NACHGEFRAGT<br />

Austra: „Der ewige Kreis“<br />

Als wir das letzte Mal mit<br />

Austra sprachen, stellte sie<br />

sich mit ihrem Album „Future<br />

Politics“ als Visionärin heraus,<br />

die die Entwicklungen und Wahlen von<br />

2016 vorhergespürt und in Musik gepackt<br />

hat. Man darf sich also nicht wundern,<br />

dass sie danach von solchen Themen die<br />

Nase voll hatte, doch auf „HiRUDiN“ wirft<br />

sie nicht nur deswegen einen tiefen Blick<br />

ins Innere, in ihr Selbst – sie hatte keine<br />

andere Wahl.<br />

Denn in den letzten Jahren lernte sie, wie<br />

wichtig es ist, sich genau um dieses Selbst<br />

zu kümmern, es zu heilen, wenn es leidet,<br />

toxische Beziehungen zu beenden und<br />

die Kraft zum Neuanfang zu finden. „Es<br />

war nichts, was ich mir ausgesucht habe,<br />

die Songs sind so aus mir gekommen“,<br />

beschreibt sie diese Zeit dann auch. „Bei<br />

,All I Wanted‘ habe ich am Piano gejammt,<br />

wie so oft, und die Worte kamen einfach<br />

… und erst, als ich die Aufnahme anhörte,<br />

merkte ich, wie intensiv das Lied geworden<br />

ist. Das kam direkt aus dem Unterbewussten,<br />

und ich war mir auch lange nicht<br />

sicher, ob ich es veröffentlichen kann.“<br />

Doch dann spielte sie es ihren Freunden<br />

vor und die überzeugten sie schnell, dass<br />

genau solche Stücke auf das Album<br />

müssen.<br />

Als sich abzeichnete, dass sich diese<br />

Intensität durch alle Lieder ziehen würde,<br />

begann sie, diese auch als Konzept zu<br />

umarmen. „Menschen hören aus so<br />

vielen Gründen Musik: Sie hören, um zu<br />

entspannen oder um zu flüchten oder um<br />

sich mit anderen Menschen zu verbinden.<br />

Indem ich etwas sehr Verwundbares<br />

gemacht habe, wollte ich mit anderen eine<br />

emotionale Verbindung herstellen, um sie<br />

an ihre eigene Menschlichkeit zu erinnern.<br />

Damit wir Kontakte herstellen, die nicht<br />

auf dem Internet basieren.“<br />

Erst mithilfe dieser Kontakte kann man<br />

sich so verwundbar zeigen wie Astra. So<br />

spricht sie zum Beispiel auch über etwas,<br />

das sie noch immer nicht loslässt und<br />

das sie mit „Queer Shame“ umschreibt.<br />

„Ich glaube, viele queere Menschen<br />

haben dieses tief verwurzelte Gefühl, das<br />

sie nie verlässt. Ich bin zum Beispiel im<br />

liberalsten Haus aufgewachsen, das man<br />

sich vorstellen kann, in einer sehr offenen<br />

Stadt und Community, aber trotzdem<br />

sind so viele Dinge für mich beängstigend,<br />

vor allem im alltäglichen Leben. Letztlich<br />

hat man ständig neue Coming-outs vor<br />

neuen Menschen, immer und immer<br />

wieder. ,Hast du einen Freund?‘ – ,Nein,<br />

ich bin lesbisch!‘ Und diese tiefen Gefühle<br />

spielen auch in unsere Beziehungen hinein<br />

und verursachen Probleme, wenn man all<br />

diese kleinen wiederkehrenden Momente<br />

erlebt, sie mit nach Hause nimmt und es<br />

vielleicht nicht einmal merkt, dass sich<br />

da etwas anstaut. Das bleibt schwierig,<br />

immer.“<br />

Ihre Heilung findet Austra dabei nicht<br />

einmal zwangsläufig beim Schreiben von<br />

Songs, es geht vielmehr um den schon<br />

angesprochenen Kontakt mit anderen<br />

Menschen – man muss sich mit Leuten<br />

umgeben, die einen unterstützen wollen<br />

und können. „Und um das zu erreichen,<br />

habe ich jetzt viele Veränderungen<br />

umgesetzt. Ich habe mich von meinen<br />

alten Kollaborateuren getrennt, meiner<br />

damaligen Partnerin, meinem Management.<br />

Mein Leben war auf einmal wie eine<br />

leere Leinwand, was sehr beängstigend<br />

war. Aber ich beschloss, diese Leere jetzt<br />

mit Menschen zu füllen, mit denen mein<br />

Verhältnis viel ausgeglichener ist.“ Künstler<br />

hin oder her, am Ende sind wir alle nur<br />

Menschen, die diesen Zusammenhalt<br />

brauchen, erklärt sie. „Dann kannst du<br />

auch die Kunst machen, die du machen<br />

möchtest.“ Aber sie weiß, dass auch mit<br />

den neuen Beziehungen kein Endpunkt<br />

erreicht ist. „Es wird immer wieder enden<br />

und neu anfangen. Es ist ein Kreis und es<br />

wird immer einer sein.“ *fis<br />

FOTO: VIRGINIE-KHATEEB

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!