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MQ Sommer 2020

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Das Artland-Magazin.

Von März bis November setzt sich jeden

Tag eine regelrechte Karawane von

Wattwagen von Duhnen nach Neuwerk

und umgekehrt in Bewegung. Zehn

Kilometer sind im Wattwagen zu bewältigen

und die Fahrt dauert ungefähr

1,5 Stunden.

Gebucht habe ich den Ausflug telefonisch

über eines der Hotels von Duhnen.

Die nette Dame an der Rezeption

hat mir einen Platz auf dem Kutschbock

reserviert. Den Wagen besteige

ich über eine Leiter. Ich freue mich,

denn mein Platz neben der Kutscherin

ermöglicht mir eine freie Sicht. Rasch

erreichen wir das Wattenmeer, fahren

vorbei an Wattwanderern, die sich per

pedes auf den Weg gemacht haben.

„Lassen Sie Ihre Fototasche mal nicht

auf den Boden stehen, sonst wird die

nass, wenn nachher das Wasser durch

den Wagen schwappt“, sagt unsere

Wattwagenfahrerin Sabine von Bargen.

Ich lächle sie an und denke, sie will

wohl mir und den anderen Kurgästen

im Wagen ein bisschen Angst einjagen.

Dann das Kommando zum Anhalten,

denn der Priel ist noch zu voll.

Die Karawane wartet, jetzt stoßen auch

die Wattwagen von Sahlenburg zu uns.

Vor uns ein Fluss von Salzwasser, der

sich durch das Watt schlängelt. Am

Horizont mein Ziel, Neuwerk. Dann geht

es weiter, eines der Pferde schnauft, als

wollte es uns mitteilen, dass es keine

große Lust hat, durch das tiefe Wasser

zu marschieren. Es nützt nichts, ein

kurzer Pfiff von Sabine und los geht’s in

das kühle Nass. Der Wagen schwimmt

und das Wasser fließt jetzt tatsächlich

durch den Wagen. Ich habe das Gefühl,

dass Zugtiere den Wagen schwimmend

ziehen, aber sie machen ihre Arbeit

ruhig und gelassen. Bedauernd schaue

ich zurück auf die Wattwanderer.

Unsere freundliche Wagenführerin erzählt

mir, dass vor über hundert Jahren,

im Jahre 1880, die Bauernfamilie Brütt

den wohl originellsten Post-Beförderungsdienst

Deutschlands aufnahm, der

sich bis zum heutigen Tage seine Attraktivität

bewahrt hat. Christian Brütt ritt

– wie zuvor sein Vater – regelmäßig mit

seinem Pferd zur Insel. Doch im Jahre

1885 spannte er zwei Pferde vor seinen

Ackerwagen, lud die Postsäcke auf, setzte

sich auf das eisenbereifte, vierrädrige

Vehikel, knallte kräftig mit der Peitsche

und rollte mit seinen zwei PS durch

die großen Priele der Insel Neuwerk

entgegen. Das war die Geburtsstunde

des Wattwagens, wie er uns bis heute

erhalten geblieben ist. Diese Idee fand

so viel Anklang, das bald nicht nur Briefe

und Pakete über die Watten gebracht

wurden. Auch die Quiddjes, wie hier die

Binnenländer genannt wurden, fanden

Freude daran, mit Christian Brütt und

seinem Wattwagen von Duhnen nach

Neuwerk zu fahren – so sind wir um ein

Urlaubserlebnis reicher.

Der Sohn von Christian Brütt, Otto

Brütt (geb. 1875) übernahm später die

Fahrten. Auch er beherrschte die Geheimnisse

des Watts, um es zu Fuß oder

mit dem Wagen zu durchqueren. Die

Kenntnisse vom Watt, Wind und Wasser

– ein ewiges Zusammenspiel – hatte er

sich schon in seinen Kindheitstagen erworben,

und mit Recht galt er als bester

Kenner des Priels.

Damals pflegten die Neuwerker Bauern

zu sagen: ”Wir wollen mal sehen, ob

Otto von Duhnen kommt.” Der ließ

vom Wagen aus seinen Peitschenstiel

durch die hohle Hand ins Wasser des

Prielufers fallen, prüfte die Tiefe, zog die

Peitsche an der Schnur wieder hoch und

sagte nur: ”Dat will woll gohn!”.

Nach dem II. Weltkrieg ging es vorübergehend

etwas zurück mit dem Wattenpostdienst.

Otto hatte inzwischen das

70. Lebensjahr überschritten, und am

29. März 1948 nahm ihm nach kurzer

Krankheit der Tod die Leine aus der

Hand. Seitdem führte sein Sohn Willy

Brütt die Wattenpost. Vom Vater auch

schon früh angelernt, brachte er die

10 | mq + Ausgabe Sommer 2020

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