STADTBLATT_20.04
Das Osnabrück Magazin. Ausgabe April 2020
Das Osnabrück Magazin. Ausgabe April 2020
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ortstermin<br />
FOTOS: ANNE LANG<br />
Die beiden Streuobstpädagogen<br />
lernen jedes Jahr dazu — was<br />
brauchen die Pflanzen, und wie<br />
kann man ihnen helfen, mit den<br />
sich wandelnden Klimabedingungen<br />
klarzukommen?<br />
In der offenen Streuobstwiesengruppe können die Kinder jeden letzten Samstag<br />
im Monat den Garten und seine Bewohner weiter entdecken<br />
Klassenzimmer im Grünen<br />
Die beiden Streuobstpädagogen Nina<br />
Meyer und Leon Pohlmann wollen in<br />
ihrem Garten auf dem Kalkhügel mehr<br />
Bewusstsein für unsere heimische<br />
Natur schaffen — wir sind unterwegs<br />
in einem „Klassenzimmer“ unter<br />
Apfelbaumkronen.<br />
von außen wirkt der Garten ziemlich unscheinbar;<br />
ganz brav reiht er sich neben<br />
die anderen abgezäunten Grünstücke<br />
auf dem Kalkhügel ein. Nur ab und zu hört man<br />
das bunte Stimmengewirr von Kindern über den<br />
Zaun. Dahinter wird man von unzähligen, urigkrummen<br />
Apfelbäumen in die Arme genommen;<br />
es ist ein willkommener Rückzugsort außerhalb<br />
von Beton, Straßenlärm und verschmutzer Luft.<br />
Auch allerlei Tiere wie Bienen, Hummeln oder Igel<br />
finden hier einen geschützten Raum voller Leben.<br />
Als Nina Meyer und Leon Pohlmann das Grundstück<br />
vor drei Jahren pachteten, sahen sie von all<br />
der Lebendigkeit zunächst jedoch nicht sehr viel;<br />
die zahllosen Apfel- und Birnbäume versteckten<br />
sich hinter mannshohen Brombeerhecken. Als ein<br />
paar der alten Bäume schließlich Früchte trugen,<br />
waren die beiden heillos überfordert mit all dem<br />
Obst, das aus den Kronen regnete. „Wir wussten<br />
gar nicht wohin mit den Äpfeln“, berichtet Leon<br />
Pohlmann. „Also begannen wir sie zu verschenken<br />
und unseren Garten ab und an für alle Pflückfreudigen<br />
zu öffnen.“ Und so fing alles an, denn die<br />
Leute kamen, fasziniert von der kleinen Obstoase<br />
direkt neben Osnabrück. Hier wachsen Apfelsorten,<br />
deren Namen man längst vergessen hat. Es blüht,<br />
summt und raschelt überall so lebhaft, dass die<br />
Besucher schließlich neugierige Fragen stellten,<br />
über die Apfelsorten, ihre Geschichten und das<br />
Ökosystem drum herum. So haben sich die beiden<br />
immer mehr mit dem Lebensraum Streuobstwiese<br />
auseinandergesetzt: Wer und was lebt hier eigentlich?<br />
Und was brauchen die Tiere und Pflanzen, um<br />
sich hier wohlzufühlen?<br />
Wenn es wieder besonders viele Äpfel regnete,<br />
fragten sie sich auch immer häufiger: Wieso wird<br />
all das Obst in unseren Supermärkten das ganze<br />
3 Fragen an:<br />
Nina Meyer und Leon Pohlmann<br />
Was ist eure Lieblingsarbeit<br />
hier im<br />
Garten?<br />
Für Leon ist es definitiv<br />
der Baumschnitt<br />
und für mich das Apfelsammeln.<br />
Welche eurer Obstsorten<br />
schmeckt<br />
euch am besten?<br />
Unser Geheimtipp ist die „Ananasrenette“, aber alle<br />
Sorten sind auf ihre Weise hundertmal besser als die<br />
im Supermarkt.<br />
Was ist für euch das Wichtigste an eurer Arbeit?<br />
Dass wir die Kinder erreichen und tatsächlich Bewusstsein<br />
für die Natur und ihre empfindlichen Ökosysteme<br />
schaffen können.<br />
Jahr über aus Übersee importiert, wenn es auch<br />
hier so gut wächst? „All das ungenutzte Obst kam<br />
uns wie eine riesige Ressourcenverschwendung<br />
vor“, erzählen die beiden. „Wir haben gemerkt,<br />
wie sehr wir den Kontakt zu der Natur um uns<br />
herum verloren haben.“ Im Supermarkt erwarten<br />
wir perfekte, frisch-knackige Äpfel; was die Natur<br />
für einen Preis dafür zahlt, ist uns egal. Das hat die<br />
beiden inspiriert, mehr über das Ökosystem in<br />
ihrem Garten zu lernen und sich schließlich nebenberuflich<br />
zu „Streuobstpädagogen“ ausbilden<br />
zu lassen.<br />
Dabei haben sie gelernt, wie man vor allem in<br />
Kindern wieder Neugierde und Respekt für die Natur<br />
und seine Bewohner wecken kann — weg von<br />
der Luxus-Kultur im Supermarkt hin zu der faszinierenden<br />
Vielfalt natürlicher Ökosysteme.<br />
Mit einem „Klassenraum im Grünen“ wollen Nina<br />
Meyer und Leon Pohlmann Kindergarten- und<br />
Schulkindern die Chance geben, die Natur und ihre<br />
Lebewesen außerhalb ihrer Bücher unmittelbar<br />
selbst erleben und erforschen zu können. Jeden<br />
letzten Samstag im Monat bieten sie dafür eine<br />
„offene Streuobstwiesengruppe“ an. Auf Insektensafari,<br />
Tierspurensuche, beim Wildkräuterpicknick<br />
oder beim Bauen von Tierbehausungen können die<br />
Kinder dort auf eigene Faust erkunden, was da so<br />
alles blüht und krabbelt — und lernen, dass man<br />
Äpfel auch noch essen kann, wenn schon ein<br />
Wurm daran geknabbert hat. „Es macht unglaublich<br />
viel Spaß, gemeinsam mit der Gruppe auf Entdeckungsreise<br />
zu gehen“, sagt Nina Meyer. Und<br />
man lerne ständig selbst dazu, weil Kinder sehr<br />
ungewöhnliche Perspektiven auf die gewöhnlichsten<br />
Dinge haben.<br />
<strong>STADTBLATT</strong> 4.2020 21