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kino der platzanweiser Furiose Hommage: „Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“ „Filme schauen entspannt mich.“ Christoph Schlingensief Der Platzanweiser bekennt sich freimütig zu seiner Unzuverlässigkeit. Denn in der Zeit zwischen Redaktionssitzung und Redaktionsschluss wurden die Starttermine umgekrempelt. Es begann mit dem neuen Bond-Abenteuer, weitere hoch budgetierte Filme folgten. Anfangs war es die Furcht Musikerporträt Tobias Gruben: „Die Liebe frisst das Leben“ vor leeren Kinosälen. Dann kamen die behördlichen Anweisungen. Wie CNN berichtete, wollen die Menschen von Virenthrillern wie „Outbreak“ oder „Contagion“ gerade nichts wissen. Zeit und Gelegenheit, Nischenfilme zu gucken. Sofern deutsche TV-Sender an der Produktion beteiligt sind, werden sie über kurz oder lang auch in deren Mediatheken zu sehen sein. Oder bei Streaming-Anbietern, die sich auf Dokumentarformate spezialisiert haben. Folgen Sie der Suchmaschine Ihres Vertrauens. Es gibt nicht viele spätere Hollywood-Stars, die je Osnabrücker Boden berührten. Tilda Swinton, heute bekannt aus „Die Chroniken von Narnia“, „Michael Clayton“, „Avengers: Endgame“, war vor ihrem Weltruhm in der Lagerhalle zu Gast. Sie begleitete ihren damaligen Lebensgefährten, den künstlerischen Tausendsassa Christoph Schlingensief, der mehrfach im Programm des Internationalen Experimentalfilm Workshops und dessen Nachfolgeveranstaltung European Media Art Festival vertreten war. Über das Ende der Beziehung hinaus blieben die beiden in Kontakt. Swinton bezeichnete den Freund noch 2010 als „Kampfgefährten“. Der Dokumentarfilm Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien (ab 2.4. im Kino) erinnert an den 2010 verstorbenen Bürgerschreck, der das filmische Handwerk als Autodidakt erlernte – und als Aufnahmeleiter Ein Vater wehrt sich: der „Home- „Lindenstraße“. Häufig war er selbst vor der Kamera präsent, als Darsteller, Aktionskünstler, Interviewpartner. Schlingensiefs künstlerischen Gestus aufnehmend, komponierte Bettina Böhler aus dessen Filmen, darunter rare Jugendwerke, und Reportagematerial eine furiose Hommage, die dem zeitlebens skandalverliebten Schlingensief sicherlich gefallen hätte. Schlingensief inszenierte Filme, Happenings, Opern- und Theaterstücke. Weniger bekannt sind seine Versuche als Musiker, für die er sich zeitweise mit Tobias Gruben zusammentat, einem Pionier der deutschen Ausprägungen von Dark Wave und Industrial. Grubens Bekanntheit beschränkte sich zunächst auf eine überschaubare Szene und andere Musiker, wenngleich ihm immer wieder Star-Potenzial attestiert wurde. 1996 erhielt er einen Vertrag mit einer großen Plattenfirma, erlag aber im selben Jahr seiner Heroin-Abhängigkeit. Das Filmporträt Die Liebe frisst das Leben (ab 23.4. im Kino) würdigt Gruben, unter anderem mit Neuaufnahmen seiner Songs von Tom Schilling, Messer und Isolation Berlin. HARALD KELLER Mulan TAPFERE KÄMPFERIN Der Disney-Konzern hat ein neues Geschäftsmodell erdacht: Seit einigen Jahren produziert der Medienriese Neuauflagen erfolgreicher Animationsfilme als Realfilmversionen. Jüngstes Produkt dieser Linie ist „Mulan“, aus ökonomischer Warte doppelt attraktiv: Hollywood zielt vermehrt auf den chinesischen Markt, in Form amerikanisch-chinesischer Koproduktionen und durch Beschäftigung chinesischer Schauspieler. Für „Mulan“ wurden große, auch im Westen bekannte Namen gewonnen, darunter die Kampfkunst-Ikonen Jet Li und Donnie Yen. Der Stoff basiert auf der Ballade über das Mädchen Mulan, das als Mann verkleidet anstelle des Vaters in die Armee eintritt und zur Heldin wird. Anders als im kindgerechten Vorgänger gibt es keine Musical-Szenen. Die Regie übernahm die Neuseeländerin Niki Caro, die mit dem Drama „Whale Rider“ bekannt wurde. H. K. USA 2020. R: Niki Caro. D: Yifei Liu, Donnie Yen, Jet Li, Gong Li u. a. P ab 26.3., Kinostart auf unbestimmte Zeit verschoben Harriet – Der Weg in die Freiheit SCHWARZE HELDIN Dieser Film war eigentlich schon lange fällig, vielleicht sogar zu lange. Kasi Lemmons erzählt die be - wegende Geschichte von Harriet Tubman (Cynthia Erivo), die aus der Sklaverei flieht und sich später der Underground Railroad anschließt, um ihre Familie und weitere Sklaven zu befreien. Dabei wandelt sich die anfangs schüchterne Frau zur tapferen Freiheitskämpferin. Während vor 20 Jahren noch darüber diskutiert wurde, die Rolle der Harriet von Julia Roberts spielen zu lassen, scheint der Stoff als reines Biopic heute schon fast ein bisschen altbacken für die große Leinwand. Die Londonerin Cynthia Erivo erspielte sich zwar eine Oscar-Nominierung, doch das ganz große Interesse an dem Film blieb aus. Harriet Tubmans Geschichte ist ohne Frage überaus erzählenswert, nur hätte sie schon viel früher erzählt werden müssen. NB. USA 2019. R: Kasi Lemmons. D: Cynthia Erivo, Leslie Odom Jr., Joe Alwyn u. a. P ab 9.4. Jean Seberg – Against All Enemies GEQUÄLTE SEELE Die Szene ist so übertrieben symbolisch, dass man die Drehbuchautoren dafür abstrafen möchte. Doch der Vorfall ist authentisch: Jean Seberg wurde als Siebzehnjährige für den Film entdeckt und spielte die Hauptrolle in Otto Premingers „Die heilige Johanna“. Beim Dreh der Scheiterhaufenszene kam es zu einem Unfall, Seberg trug Brandnarben davon. Weitere Verletzungen sollten folgen, vor allem seelische. 1960 wurde sie mit Jean-Luc Godards „Außer Atem“ zum Weltstar und Jugendidol. In den USA engagierte sie sich politisch, unter anderem für die Black Panther Party, die vom FBI überwacht und unterwandert wurde. Auch Seberg wurde ausgespäht und diffamiert. Regisseur Benedict Andrews betont diese Episode und stellt der Titelfigur einen fiktiven, an seinen Aufgaben leidenden Agenten zur Seite. H. K. GB/USA 2019. R: Benedict Andrews. D: Kristen Stewart, Yvan Attal, Vince Vaughn u. a. P ab 26.3., Kinostart auf unbestimmte Zeit verschoben Der wunderbare Mr. Rogers VORBILD AN FREUNDLICHKEIT Lloyd Vogel (Matthew Rhys) ist entsetzt. Als investigativer Journalist ist er es gewohnt, im Dreck zu wühlen. Aber jetzt soll er nach Pittsburgh reisen und eine Lobhudelei auf Fred Rogers (Tom Hanks), den allseits beliebten Moderator einer Kindersendung schreiben? Zähneknirschend macht er sich auf den Weg. Sind ja nur 400 Worte, die er zum Thema „Helden“ herunterreißen muss. Doch der übel gelaunte Zyniker hat die Rechnung ohne seinen liebenswerten Interviewpartner gemacht. Der Titelheld des Filmes „Der wunderbare Mr. Rogers“, in den USA eine TV-Legende, ist hierzulande leider nahezu unbekannt. Aber das tut dem Film von Regisseurin Marielle Heller keinen Abbruch. Es geht um Freundlichkeit. Und so banal das klingen mag – ist das nicht genau das, was uns in Zeiten von Hate Speech und Schlimmerem derzeit am meisten fehlt? FJ USA 2019. R: Marielle Heller. D: Tom Hanks, Matthew Rhys P ab 16.4., Kinostart auf unbestimmte Zeit verschoben 34 <strong>STADTBLATT</strong> 4.2020
Monos – Zwischen Himmel und Hölle PARAMILITÄRISCHE TEENAGER Eine Gruppe Jugendlicher dient ihren Auftraggebern: Die Heranwachsenden kennen sie nur als „die Organisation“. Und wenn diese Organisation sagt: „Bewacht diese Gefangene!“, dann machen sie das. Nebenbei machen die Teenager militärische Übungen – und das alles in einer abgelegenen Bergregion unweit des Dschungels. Alejandro Landes hat sich für diesen Film inspirieren lassen: Von Goldings „Herr der Fliegen“ und vom kolumbianischen Bürgerkrieg. Bis auf Moises Arias und Julianne Nicholson standen die Protagonisten dieses Films noch nie vor einer Filmkamera. Dafür aber hat es einer ins Ensemble geschafft, der aus realen eigenen Erfahrungen schöpfen konnte: Wilson Salazar war für die Guerillabewegung im kolumbianischen Bürgerkrieg aktiv. Landes hatte ihn eigentlich nur um Rat fragen wollen, ob seine Geschichte auch glaubhaft sei. M. GRÖNEWEG CO/AR/NL/D/SE/CH/UY/USA/DK/F 2019. R: Alejandro Landes. D: Sofia Buenaventura, Julián Giraldo u. a. P ab 2.4. Marie Curie – Elemente des Lebens KOMPROMISSLOSE PERSÖNLICHKEIT Marie Curie ist für vieles bekannt: Als eine der ersten erfolgreichen Frauen in der Wissenschaft, als erste Nobelpreisträgerin, als Frau und Forschungspartnerin von Pierre. Nachdem es in den letzten Jahren mehrere Filme über sie gab, die alle einen anderen Fokus setzten, versucht sich jetzt auch Regisseurin Marjane Satrapi an dieser bedeutenden Figur der Weltgeschichte. Als Vorlage dient ihr dabei die Graphic Novel „Radioactive“ von Lauren Redniss, und zwar sowohl optisch als auch inhaltlich. Beides kommt dem Film zugute, denn neben vielen tollen, fast poetischen Bildern tut vor allem der Fokus auf den wissenschaftlichen Leistungen Curies gut, der in anderen Produktionen leider oft hinter dem überaus kinotauglichen Privatleben der Forscherin zurückstecken musste. NB GB 2019. R: Marjane Satrapi. D: Rosamund Pyke, Sam Riley, Anya Taylor-Joy u. a. P ab 9.4., Kinostart auf unbestimmte Zeit verschoben KEINE PARTY OHNE DICH. Aber du immer ohne Versicherung. VGH Vertretung Andree de Weerd e. K. Lieneschweg 83 49076 Osnabrück Tel. 0541 46366 Fax 434333 www.vgh.de/andree.de_weerd deweerd@vgh.de Vergiftete Wahrheit DUPONT-CHEMIESKANDAL Als Anwalt Robert Billiott (Mark Ruffalo), der normalerweise Chemiekonzerne vertritt, diesen Fall annimmt, ahnt er noch nicht, in welches Wespennest er stechen wird. Ein Landwirt vermutet, dass der in der Nähe gelegene Chemiefabrikant DuPont giftige Abfälle nicht ordnungsgemäß entsorgt und damit für den Tod von fast 200 seiner Rinder verantwortlich ist. Billiott ist skeptisch, nimmt sich der Sache aber an. Bald stellt er fest, dass der Bauer Recht hat, und auch die Krebsfälle in der Gegend häufen sich. Neunzehn Jahre dauert der erbitterte Rechtsstreit, bis Du- Pont auf Schadenersatz verklagt wird, doch inzwischen findet man die Rückstände der Chemikalie in fast allen Lebewesen auf der Welt. Als Vorlage für das Drama dient ein Artikel aus der New York Times, der über die wissentliche Vergiftung mit Per - fluoroctansäure (PFOA) durch DuPont berichtete. NB. USA 2019. R: Todd Haynes. D: Mark Ruffalo, Anne Hathaway, Tim Robbins u.a. P ab 16.4. Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra LEBENSGEFÄHRLICHE ERMITTLUNGEN Mafia-Filme wird es wohl geben, bis die Plage besiegt ist. In unserer Zeit tritt sie anders in Erscheinung als in den 1970ern und 1980ern. Leiser, versteckter, unter dem Deckmantel der Ehrbarkeit. Frei von Romantisierung widmet sich Marco Bellocchio in seinem an Tatsachen orientierten Alterswerk einer Zeit, als die Banden ihre Fehden offen austrugen und in ganz Italien Angst und Schrecken verbreiteten. Polizisten, Juristen, kritische Journalisten, Politiker, Verräter standen auf den Abschusslisten. Hunderte starben, im Film zeigt ein Zählwerk die Todesrate an. Niemand aus dem inneren Kreis hatte sich je der Anklage zur Verfügung gestellt. Bis der Gangster Tommaso Buscetta, getrieben von der Angst um sein Leben, das Schweigegebot durchbrach. Es kam zu einem spektakulären Prozess, wie ihn Italien bis dahin noch nicht erlebt hatte. H. K. I/F/D/Brasilien 2019. R: Marco Bellocchio. D: Pierfrancesco Favino, Luigi Lo Cascio u. a. P ab 23.4. <strong>STADTBLATT</strong> 4.2020 35
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