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VSAO JOURNAL Nr. 4 - August 2020

Prozess - Justiz, Religion, Evolution Gastroenterologie - Das Chamäleon Zöliakie Infektiologie - Urogynäkologische Infektionen Politik - Zurück in die Zukunft (?)

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Fokus<br />

Hausarzt und<br />

Spital in<br />

Zusammenarbeit<br />

Eine strukturierte Kooperation von Hausärzten, Spezialärztinnen<br />

und Spitalmedizinern ist Grundstein für einen kontinuierlichen<br />

longitudinalen therapeutischen Prozess von hoher Qualität und ein<br />

Elixier gegen Stress und Überlastung der Spitalärzte.<br />

Bruno Kissling 1 und Peter Ryser 1<br />

Eine erfolgreiche und personenbezogene<br />

Behandlung von Patientinnen<br />

und Patienten, insbesondere<br />

wenn sie an chronischen<br />

Krankheiten leiden, erfordert eine<br />

strukturierte Kooperation unter allen therapeutisch<br />

involvierten Fachpersonen und<br />

Instanzen. Dabei ist der Hausarzt in der<br />

Regel zuständig für die langzeitige Perspektive<br />

des personenbezogenen therapeutischen<br />

Prozesses. Wo erforderlich, werden<br />

punktuell ambulant tätige Spezialisten<br />

beigezogen. In Krisensituationen wird<br />

gelegentlich ein Spitalaufenthalt nötig.<br />

Ein unkoordinierter «Fall»<br />

Ein betagter, gesundheitlich fragiler, aber<br />

noch eigenständig lebender Senior mit einem<br />

altbekannten leichten Diabetes und<br />

einer kompensierten Herzinsuffizienz<br />

wird am Abend in somnolentem Zustand<br />

notfallmässig ins Spital eingewiesen. Die<br />

Diagnose lautet: beginnende Sepsis. Diese<br />

hat sich aus einer «banalen» Infektion entwickelt.<br />

Unter parenteraler Rehydrierung<br />

und Antibiotikagabe sowie Umstellung<br />

der bestehenden peroralen Diabetesbehandlung<br />

auf Insulin kann der Zustand<br />

des Patienten rasch stabilisiert werden.<br />

Die Abteilungsärztin auf der Bettenstation<br />

lernt ihren neuen Patienten vor allem aus<br />

den Akten der Notfallaufnahme kennen.<br />

Sie behandelt ihn für das aktuelle Leiden<br />

und organisiert die Abklärung von weiteren<br />

pathologischen Befunden, die bei der<br />

Eintrittsuntersuchung festgestellt wurden,<br />

mit Laboranalysen, bildgebenden<br />

Verfahren und Konsilien. Gestresst durch<br />

diese Fülle von organisatorischen und administrativen<br />

Arbeiten findet sie kaum<br />

Zeit für das Gespräch mit dem Patienten<br />

und seinen Angehörigen. Die Diskussionen<br />

über seine aktuelle gesundheitliche<br />

Situation in seinem Lebenskontext und<br />

über den Stellenwert medizinischer Zusatz<br />

untersuchungen in Bezug auf seine<br />

Vorstellung von Lebensqualität fallen weg.<br />

Nach einigen Tagen kann sie den Patienten<br />

nach Hause entlassen. Mit einer langen<br />

Diagnoseliste, mit einer verwirrenden<br />

Liste von alten und neuen Medikamenten,<br />

mit einer Insulintherapie, die den Patienten<br />

künftig von der Spitex abhängig macht,<br />

und mit einer Liste von weiteren Abklärungsvorschlägen<br />

an den Hausarzt.<br />

Kontextuelle Zusatzinformationen<br />

Der Patient in unserer Fallgeschichte hatte<br />

mit seinem langjährigen Hausarzt vereinbart,<br />

dass ihm bei allen medizinischen<br />

Entscheidungen der Erhalt seiner Unabhängigkeit<br />

das wichtigste Anliegen sei.<br />

Bis zur akuten gesundheitlichen Krise,<br />

die ihn ins Spital gebracht hat, hatte er seinen<br />

Gesundheitszustand in biologischer,<br />

psychischer und sozialer Hinsicht als gut<br />

eingeschätzt. Mit den Einschränkungen<br />

infolge der diagnostizierten Krankheiten<br />

kam er gut und selbständig zurecht. Die<br />

medizinischen Massnahmen, die er zusammen<br />

mit seinem Hausarzt festgelegt<br />

hatte, standen im Einklang mit seinem Ziel<br />

der Unabhängigkeit in seinem Lebenskontext,<br />

mit seinen Vorstellungen, Erwartungen,<br />

Werten, Ressourcen und Zielen.<br />

Kritischer Informationsverlust …<br />

Durch eine Hospitalisation entsteht ein<br />

Bruch im longitudinalen Behandlungsprozess.<br />

Die Therapieverantwortlichkeit<br />

wechselt oft brüsk vom Hausarzt zum Spital.<br />

Damit geht ein Informationsverlust<br />

einher. Dieser betrifft weniger die «hard<br />

facts» – Resultate früherer Untersuchungen,<br />

sondern vielmehr die «soft facts» –<br />

die kontextuellen Aspekte, auf denen das<br />

individuelle Krankheitserleben des Patienten<br />

und die Logik früherer Behandlungsentscheide<br />

beruhen. Das Wissen um<br />

diese komplexen «soft facts» hat sich während<br />

der langjährigen Zusammenarbeit<br />

von Hausarzt und Patient ergeben und ist<br />

meistens nicht in der Krankengeschichte<br />

niedergeschrieben.<br />

Für den Spitalarzt ist es eine grosse Herausforderung,<br />

dieses wegweisende und<br />

40<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal

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