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VSAO JOURNAL Nr. 4 - August 2020

Prozess - Justiz, Religion, Evolution Gastroenterologie - Das Chamäleon Zöliakie Infektiologie - Urogynäkologische Infektionen Politik - Zurück in die Zukunft (?)

Prozess - Justiz, Religion, Evolution
Gastroenterologie - Das Chamäleon Zöliakie
Infektiologie - Urogynäkologische Infektionen
Politik - Zurück in die Zukunft (?)

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<strong>VSAO</strong><br />

<strong>Nr</strong>. 4, <strong>August</strong> <strong>2020</strong><br />

Journal<br />

Das Journal des Verbandes Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte<br />

Prozess<br />

Justiz, Religion, Evolution<br />

Seite 24<br />

Gastroenterologie<br />

Das Chamäleon Zöliakie<br />

Seite 42<br />

Infektiologie<br />

Urogynäkologische Infektionen<br />

Seite 46<br />

Politik<br />

Zurück in die Zukunft (?)<br />

Seite 6


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Inhalt<br />

Prozess<br />

Justiz, Religion, Evolution<br />

Coverbild: Till Lauer<br />

Editorial<br />

5 Alles ist in Bewegung<br />

Politik<br />

6 Zurück in die Zukunft (?)<br />

11 Auf den Punkt gebracht<br />

Weiterbildung /<br />

Arbeitsbedingungen<br />

12 «Care Now» – und 1200 wollten<br />

15 «Vertrauen gewinnen ist eine Ehre»<br />

19 Lesen lernen<br />

vsao<br />

20 Neues aus den Sektionen<br />

22 vsao-Rechtsberatung<br />

Perspektiven<br />

42 Aktuelles aus der Gastroenterologie –<br />

Zöliakie: Das Chamäleon erkennen<br />

46 Aus der «Praxis» :<br />

Rezidivierende urogynäkologische<br />

Infektionen<br />

53 Der besondere Patient<br />

MEDISERVICE<br />

55 Bitte lesen Sie das Kleingedruckte:<br />

Auslandaufenthalt oder Unterbruch<br />

im Berufsleben<br />

59 Briefkasten<br />

61 Jetzt die Krankenkassen deckung<br />

überprüfen<br />

62 Impressum<br />

Fokus: Prozess<br />

24 Recht durch Selbstjustiz?<br />

26 Leben ist kein linearer Prozess<br />

28 Wenn der Hamster nicht aufersteht<br />

30 Digitalisierung im Spitalbau<br />

34 Bewegte Liturgie<br />

36 Der PC erhält ein Gehirn<br />

38 Einstieg in den Alltag sichern<br />

40 Hausarzt und Spital in Zusammenarbeit<br />

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<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 3


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Editorial<br />

Alles ist in<br />

Bewegung<br />

Catherine Aeschbacher<br />

Chefredaktorin <strong>VSAO</strong>-Journal<br />

Wertschöpfungsprozess, Annäherungsprozess, Heilungsprozess,<br />

Wachstumsprozess – heute wimmelt es in<br />

unserer Sprache nur so von Prozessen aller Art. Von<br />

den Naturwissenschaften bis hin zur Wirtschaft und/<br />

oder Politik: Vieles in unserem Leben passiert nicht plötzlich und<br />

unvorhersehbar, sondern kündigt sich an und entwickelt sich in<br />

Etappen. Entsprechend bezeichnet der Begriff Prozess längst nicht<br />

mehr nur juristische Verfahren. Vielmehr wird er auf alle möglichen<br />

Entwicklungen angewendet. Die Wahrnehmung von sich entwickelnden<br />

Abläufen hat dem ursprünglich auf die Justiz beschränkten Wort<br />

über die Jahrhunderte eine ungeheure Bandbreite an Bedeutungen<br />

verliehen.<br />

In unserem Schwerpunkt gehen wir zum Ursprung zurück und fragen,<br />

wie eigentlich der juristische Prozess entstanden ist. Wie entwickelte<br />

sich die Dreiteilung von Richter, Ankläger und Verteidiger? Und wann<br />

wurde die Justiz von der Regierungsgewalt abgetrennt?<br />

Das Wort «Prozess» kommt vom lateinischen «procedere» und<br />

be deutet so viel wie «vorwärtsschreiten», deshalb befassen wir uns<br />

im Fokus auch mit religiösen Prozessionen. Danach schreiten wir<br />

vorwärts in die Moderne unter anderem mit Denkprozessen in künstlichen<br />

neuronalen Netzen, dem medizinischen Behandlungsprozess<br />

oder IT-unterstützten Bauprozessen.<br />

«Pantha rei, alles fliesst», sagten schon die alten Griechen. Bis in die<br />

Neuzeit waren sich seither alle Denker einig: Die Natur entwickelt sich<br />

stetig, sie vollführt keine Sprünge. Aber stimmt das wirklich? Der<br />

Anthropologe André Langaney setzt sich kritisch mit diesem Axiom<br />

auseinander.<br />

Nicht vorwärts, sondern eher rückwärts droht die Politik zu schreiten.<br />

Der Beitrag zur Politik ist darum mit «Zurück in die Zukunft (?)»<br />

betitelt. Werden die Erfahrungen aus der Corona-Krise und die daraus<br />

gewonnenen Erkenntnisse die künftige Gesundheitspolitik prägen –<br />

oder kehren wir zum Status quo ante zurück? Das will der Nationalrat<br />

und vsao-Vizepräsident Angelo Barrile mittels zweier Motionen verhindern.<br />

Zum einen soll die Schweiz mehr Ärzte ausbilden, zum<br />

anderen geht es um die Einhaltung des Arbeitsgesetzes in den<br />

Spitälern. Genaueres ist im Politik-Teil nachzulesen. Zu hoffen bleibt,<br />

dass kurzfristige Lernprozesse auf die Dauer ein positives Resultat<br />

zeitigen.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 5


Junge Ärztinnen und Ärzte sollen sich wieder voll und<br />

ganz auf ihre Weiterbildung konzentrieren können.<br />

Aber auch sonst setzt sich der vsao in vielfältiger Weise<br />

dafür ein, dass sich die Arbeitssituation in den Spitälern<br />

rasch normalisiert – und vor allem verbessert.<br />

Zurück in<br />

die Zukunft (?)<br />

Obs das jetzt gewesen ist mit Corona? Niemand weiss es. Und so<br />

lavieren im Moment alle Akteure im Gesundheitswesen<br />

zwischen Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsplanung.<br />

Der vsao sagt: das eine tun, das andere nicht lassen.<br />

Marcel Marti, Leiter Politik und Kommunikation / stv. Geschäftsführer vsao<br />

Bilder: auremar (Adobe Stock) / vsao<br />

6<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Politik<br />

«Nach ist nicht vor Corona»: Unter<br />

diesem Titel stand der Politikartikel<br />

in der letzten Ausgabe des<br />

<strong>VSAO</strong>-Journals. Damals, im Juni,<br />

ging es um das Fazit des Verbands nach<br />

dem Abklingen der Pandemie. Genauer:<br />

um seine Forderungen, damit die Erfahrungen<br />

des Gesundheitspersonals und<br />

speziell der jungen Ärzteschaft in die politische<br />

Debatte zur Nachlese der Geschehnisse<br />

einfliessen.<br />

Den Worten sind schon Taten gefolgt.<br />

vsao-Vizepräsident und Nationalrat Angelo<br />

Barrile hat zwei Motionen eingereicht:<br />

«Mit der einen will ich erreichen, dass<br />

mehr Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz<br />

ausgebildet werden. Denn die Corona-Krise<br />

und der schon zuvor herrschende Notstand<br />

im Gesundheitsbereich zeigen, wie<br />

zentral es ist, genügend medizinische<br />

Fachleute zu haben», erklärt der Zürcher<br />

SP-Vertreter.<br />

Gesetz muss Gesetz sein<br />

Sein zweiter Vorstoss trägt den Kern in der<br />

Überschrift: «Das Arbeitsgesetz in den<br />

Spitälern ist keine Empfehlung – es ist ein<br />

Muss.» Will heissen, dass der Bundesrat<br />

die rechtlichen Grundlagen anpassen soll,<br />

um die nach wie vor zahlreichen Verletzungen<br />

des Arbeitnehmerschutzes zu<br />

bekämpfen. Und zwar durch strengere<br />

Kontrollen und schärfere Strafen. Die temporäre<br />

Sistierung der Arbeits- und Ruhezeitenregelungen<br />

diesen Frühling in Spitalabteilungen<br />

mit vielen COVID- 19-Fällen<br />

habe da ein falsches Signal gesetzt.<br />

Denn die Respektierung der gesetzlichen<br />

Vorgaben sei auch im Hinblick auf die<br />

ärztliche Weiterbildung wichtig, betont<br />

Barrile.<br />

Während die beiden Motionen nun ihrer<br />

Behandlung harren, hat er im Parlament<br />

noch zwei Fragen eingereicht. Bei der<br />

ersten ging es um den Umgang mit den Minusstunden<br />

in den Spitälern, entstanden<br />

durch das zeitweilige Verbot aller nicht<br />

dringlichen Behandlungen während der<br />

Pandemie. In seiner Stellungnahme bestätigt<br />

der Bundesrat die Haltung des vsao,<br />

nachzulesen in einem Anfang Juni mit<br />

dem Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen<br />

und Pflegefachmänner (SBK)<br />

publizierten Merkblatt: «Sofern die betreffenden<br />

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

ihre Arbeitsleistung auch angeboten<br />

haben, ist der Lohn geschuldet und die<br />

Zeit muss nicht nachgearbeitet werden.»<br />

«Das Gesundheitswesen wieder als<br />

Service public verstehen» wiederum ist<br />

dies das Thema einer Interpellation von<br />

Angelo Barrile, die sich von der Landesregierung<br />

ein Bekenntnis zu weniger Sparund<br />

Renditedenken wünscht – Antwort<br />

noch ausstehend.<br />

Nachher darf nicht vorher sein<br />

Mit den Rufen nach mehr Service public<br />

und der Einhaltung des Arbeitsgesetzes<br />

hat der vsao gleich zwei seiner aktuellen<br />

Anliegen in der Politik lanciert. Sowohl im<br />

Sinne der Bewältigung der Vergangenheit<br />

als auch der Weichenstellung für die Zukunft.<br />

Eben getreu der Devise «Nach ist<br />

nicht vor Corona». Heisst: Die Lehren aus<br />

dem Gestern sollten zu besseren Lösungen<br />

für das Morgen führen. Obschon natürlich<br />

nicht klar ist, wie sehr die Vergangenheit<br />

die Schweiz eventuell in Form einer<br />

zweiten Welle noch auf Trab halten<br />

und den Neustart verzögern wird. Zurück<br />

in die Zukunft bleibt deshalb vorläufig mit<br />

einem Fragezeichen versehen. Einem in<br />

Klammern wenigstens.<br />

Und sonst, Simon Stettler? «Und sonst<br />

konzentrieren wir uns ganz auf die Gegenwart»,<br />

sagt der Geschäftsführer des vsao.<br />

Dabei verweist er auf ein zweites, wieder<br />

mit dem SBK und zusätzlich mit dem Spitalverband<br />

H+ verfasstes Merkblatt. Es<br />

Im Rahmen der dritten Kampagnenwelle laufen derzeit zwei Pilotversuche in Kliniken. Denn Lösungen für weniger Administration gehören weiter zu<br />

den Verbandsprioritäten – nach Corona erst recht.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 7


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Politik<br />

enthält Empfehlungen zu weiteren personalrechtlichen<br />

Fragen, die sich momentan<br />

in Gesundheitseinrichtungen stellen.<br />

Zum Beispiel zu Höchstarbeitszeiten,<br />

Kurzarbeit, Ferien und dem Schutz von<br />

Schwangeren. «Ziele sind die Erhaltung<br />

des Arbeitsfriedens dank arbeitsrechtlich<br />

korrekter Lösungen und der Schutz der direkten<br />

Vorgesetzten vor juristischen Fallstricken»,<br />

hält das Dokument in der Einleitung<br />

fest.<br />

Die Sache mit dem Praktikum<br />

Bleiben die beiden anderen Forderungen<br />

des Verbands: die Gewährleistung der<br />

ärztlichen Weiterbildung, ob mit oder ohne<br />

Krise, und Massnahmen zur Reduktion<br />

unnötiger Bürokratie zugunsten der Patientenbetreuung.<br />

«Die Corona-Krise hat<br />

ihre Schatten auch auf die diesjährige Abschlussprüfung<br />

in Humanmedizin geworfen»,<br />

führt der vsao-Geschäftsführer zum<br />

ersten Punkt aus. Kandidierende müssten<br />

nach Bestehen der schriftlichen Prüfung<br />

ein sechswöchiges Praktikum absolvieren<br />

– ein Entscheid des Bundesrats mit massiven<br />

Auswirkungen auf die Weiterbildung<br />

in den Spitälern.<br />

Der vsao sei genauso wie der Verband<br />

der Schweizer Medizinstudierenden<br />

swimsa und das Schweizerische Institut<br />

für ärztliche Weiter- und Fortbildung<br />

(SIWF) vorgängig nicht einbezogen worden.<br />

«Als wir aber von dieser hoffentlich<br />

einmaligen Änderung der Spielregeln erfahren<br />

haben, sind wir zu dritt an Gesundheitsminister<br />

Alain Berset gelangt», blickt<br />

Stettler zurück. «Wir haben den Finger auf<br />

die wunden Punkte gelegt und Mitsprache<br />

bei der Umsetzung verlangt.» Die Fortsetzung<br />

war bei Redaktionsschluss noch<br />

offen.<br />

Zu einem guten Resultat geführt hat<br />

hingegen die Zusammenarbeit mit dem<br />

SIWF bei dessen Notstandsregelungen zur<br />

Weiterbildung in der Pandemiezeit. Die<br />

Hinweise und Anregungen des vsao zu Lösungen<br />

beim Ausfall von Kursen/Kongressen,<br />

zu Prüfungen, zur Änderung von geplanten<br />

Weiterbildungsperioden sowie<br />

zur Kurzarbeit wurden offen aufgenommen<br />

und berücksichtigt.<br />

Bürokratie: Weniger ist mehr<br />

Während all die oben genannten Aktivitäten<br />

publik sind, läuft die vsao-Kampagne<br />

«Medizin statt Bürokratie!» eher im Hintergrund.<br />

Doch sie läuft, und das aus gutem<br />

Grund, nicht im Scheinwerferlicht:<br />

Bei der dritten Etappe des mehrjährigen<br />

Projekts unterstützt der Verband mit sei-<br />

nen lokalen Sektionen hinter den Kulissen<br />

zwei Kliniken auf dem Weg zu weniger Administration<br />

– von der Vorbereitung über<br />

die Realisierung bis zur Erfolgsmessung<br />

der getroffenen Massnahmen. Die beiden<br />

Pilotversuche finden in der Allgemeinen<br />

Inneren Medizin am Kantonsspital Aarau<br />

und in der psychiatrischen Klinik Marsens<br />

statt.<br />

In einem ersten Schritt haben die jungen<br />

Ärztinnen und Ärzte vor Ort mit einer<br />

vom vsao beauftragten Firma ihre Arbeitssituation<br />

analysiert und die mit Bürokratie<br />

verbundenen Aufgaben punkto Aufwand<br />

und Sparpotenzial bewertet. Anschliessend<br />

entwickelten und gewichteten<br />

sie Verbesserungsvorschläge, um die<br />

vielversprechendsten auszuwählen und<br />

probeweise umzusetzen. Ergebnisse dürften<br />

bis Ende <strong>2020</strong> vorliegen. Verlaufen die<br />

Tests zur Zufriedenheit der Beteiligten,<br />

sollen weitere Kliniken/Spitäler die Lösungen<br />

für sich nutzen können.<br />

Mehr zum Thema Corona in der Rubrik<br />

«Auf den Punkt gebracht» (Seite 11) und<br />

unter www.vsao.ch/Arbeitsbedingungen/Arbeitsrecht.<br />

Zur Kampagne siehe<br />

www.medizin-statt-buerokratie.ch.<br />

Zulassung: Durchbruch!<br />

Nach zähem Ringen haben sich National-<br />

und Ständerat in der Sommersession<br />

bei der Neuregelung der Zulassungssteuerung<br />

gefunden. Der vsao<br />

erachtet den Kompromiss als insgesamt<br />

akzeptabel. Dieser nimmt<br />

ins besondere seine beiden Hauptanliegen<br />

auf:<br />

• drei Jahre Weiterbildung an einer<br />

anerkannten Schweizer Weiterbildungsstätte<br />

in der für die Zulassung<br />

beantragten Fachdisziplin;<br />

• eine hohe Sprachkompetenz, die vor<br />

Berufsantritt mit einer Prüfung in<br />

der Schweiz nachzuweisen ist. Ausnahmen<br />

gelten für Personen mit<br />

schweizerischer gymnasialer Maturität<br />

oder Staatsexamen in der Amtssprache<br />

der Tätigkeitsregion.<br />

Dank dieser zwei Kriterien werden<br />

neue Ärztinnen und Ärzte mit dem<br />

hiesigen Gesundheitssystem vertraut.<br />

Sie sind fähig, sich im Job präzise zu<br />

verständigen, eine umfassende Anamnese<br />

durchzuführen sowie komplexe<br />

Texte und Fachdiskussionen zu verstehen<br />

und wiederzugeben. Beides unabdingbare<br />

Voraussetzungen, um beim<br />

Start in die selbständige Berufstätigkeit<br />

eine hohe Qualität zu gewährleisten.<br />

Im Weiteren fanden die Forderungen<br />

des vsao, an der freien Arztwahl festzuhalten<br />

und Krankenkassen kein<br />

Beschwerderecht gegen kantonale<br />

Entscheide zu Höchstzahlen zu gewähren,<br />

Gehör. Die Kantone können<br />

zudem selber entscheiden, ob sie neue<br />

Zulassungen von Leistungserbringern<br />

stoppen, falls die Kosten überdurchschnittlich<br />

steigen. Allerdings müssen<br />

sie die Zahl der ambulant tätigen<br />

Ärztinnen und Ärzte in einem oder<br />

mehreren Fachgebieten oder in bestimmten<br />

Regionen einschränken.<br />

Und die Kassen erhalten zumindest<br />

bei Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsfragen<br />

Beschwerderecht, also ein<br />

Antragsrecht auf nachträglichen<br />

Entzug der Zulassung.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 9


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Politik<br />

Gleichstellung<br />

in Corona-Zeiten<br />

Das hätte im Februar kaum jemand für möglich<br />

gehalten: leere Strassen, geschlossene Schulen und<br />

Geschäfte, Hamsterkäufe, Systemrelevanz und<br />

Kurzarbeit im grossen Stil. Nach Zeiten, in denen<br />

sich dann die Ereignisse überstürzten und fast kein Stein mehr<br />

auf dem anderen zu bleiben schien, drängt sich nun die Frage<br />

auf, ob dieser globalen Pandemie auch positive Seiten abzugewinnen<br />

sind. Vor allem der leere Terminkalender oder kritisch<br />

betrachtet der fehlende Freizeitstress war sicher einer der guten<br />

Aspekte dieser Phase. Abgesehen davon kann gemäss der<br />

deutschen Geschlechterforscherin Regina Frey eine<br />

solche aussergewöhnliche Zeit noch andere<br />

Effekte haben: «Krisen können auch dazu<br />

führen, dass Rollenklischees über Bord<br />

geworfen werden.»<br />

Genau ein solches Beispiel,<br />

notabene von einem Ärztepaar,<br />

wurde in einer Regionalzeitung*<br />

geschildert. Corona sei Dank<br />

konnte die Umkehr der Rollenverhältnisse<br />

getestet werden: «Nina<br />

arbeitete bis jetzt 50 Prozent auf<br />

der Inneren Medizin eines Zürcher<br />

Spitals, ihr Mann Vinzenz 80 Prozent<br />

als Augenarzt. Nun hat sich das<br />

Verhältnis gedreht: In der Augenklinik<br />

werden nur noch dringende Patienten<br />

behandelt, und Vinzenz arbeitet nur zwei<br />

Tage pro Woche. Nina managt mit einem<br />

90-Prozent-Pensum im Spital die Station mit den<br />

mittelschweren Corona-Fällen.»<br />

Was ist das Fazit des Paars und wie geht es nach Corona<br />

weiter? Vinzenz wird wieder im früheren Umfang arbeiten. Und<br />

Nina? «Es reizt mich, weiter hochprozentig zu arbeiten. Bisher<br />

traute ich mich das nicht, weil die Kinder dann mehr als zwei<br />

Tage in die Kita müssten und somit der Stress vor und nach der<br />

Arbeit zunimmt.» Diese Schlussfolgerung erstaunt mich doch<br />

sehr! Oder nicht? Als Mutter mit einem 60-Prozent-Pensum höre<br />

ich immer wieder den Kommentar: «Das ist aber auch noch viel<br />

neben zwei Kindern!» Die Tatsache, dass die meisten Kinder<br />

auch einen Vater haben, wird dabei vergessen.<br />

Erinnern wir uns an die Ausgangslage von Nina und<br />

Vinzenz: In der Corona-Phase hat Nina den Härtetest bestanden,<br />

sie arbeitete mehr als ihr Mann und es hat ihr erst noch<br />

gefallen. Diese Erfahrung würde künftig weitere Optionen<br />

eröffnen, denn ein zusätzlicher Kita-Tag wäre so nicht die<br />

Auf den<br />

Punkt<br />

gebracht<br />

einzige Lösung, wenn Nina mehr arbeiten möchte. Aber: Selbst<br />

bei gut ausgebildeten Paaren bleibt weiterhin meist die Frau<br />

öfter zu Hause; Männer, welche weniger als 80 Prozent arbeiten,<br />

gelten in unserer Gesellschaft vielen nach wie vor als suspekt.<br />

Wahrscheinlich ist das ein Relikt aus alten Zeiten, wo stay at<br />

home noch eine andere Bedeutung hatte und die Haus- und<br />

Familienarbeit der Frau Ende Monat mit einem Sackgeld<br />

honoriert wurde. Umso mehr erstaunt es mich, dass sich noch<br />

heute zahlreiche Frauen – obwohl sie nicht mehr auf ein<br />

Sackgeld angewiesen sind und die Scheidungsrate sich etwa<br />

bei 50 Prozent eingependelt hat – zu Hause unentbehrlich<br />

fühlen. Gleichberechtigung sollte<br />

auch in den eigenen vier Wänden stattfinden,<br />

denn schlussendlich ist genau diese<br />

Gleichberechtigung mitentscheidend<br />

für die berufliche Karriere.<br />

Ein Jahr ist seit dem Frauenstreik<br />

2019 vergangen. Doch<br />

kaum etwas hat sich in Sachen<br />

Gleichstellung verbessert. Die<br />

Corona-Pandemie hat nichts an<br />

der Dringlichkeit der Frauenstreik-Forderungen<br />

geändert,<br />

sondern allenfalls die Aufmerksamkeit<br />

dafür erhöht. Apropos Corona-Pandemie:<br />

Wir haben ja jetzt alle<br />

gesehen: Es geht auch anders! In diesem<br />

Sinne wünsche ich Nina und allen<br />

anderen Frauen viel Erfolg.<br />

* «Coronakrise: Wie in Haushalten die Rollenaufteilung neu<br />

verhandelt wird», «St. Galler Tagblatt» vom 25. April <strong>2020</strong><br />

Sarina Keller<br />

Leiterin Weiterbildung<br />

und Recht/<br />

stv. Geschäftsführerin<br />

vsao<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 11


Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />

«Care Now» –<br />

und 1200 wollten<br />

Am Anfang sah es brenzlig aus: Würde das Schweizer Gesundheitswesen<br />

die Corona-Krise meistern? Damit die Antwort Ja lautet,<br />

startete im März «Care Now», eine Vermittlungsplattform für<br />

medizinische Fachkräfte. Die Bilanz.<br />

Marcel Marti, Leiter Politik und Kommunikation / stv. Geschäftsführer vsao<br />

Die auch vom vsao unterstützte Online-Plattform «Care Now» ist für die Nutzerinnen und Nutzer gratis. Für die Kosten kommen die ETH Zürich und<br />

die Firma Medison auf. Eine wichtige Rolle spielt ausserdem Freiwilligenarbeit. (Bild : zvg)<br />

12<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />

Über Grenzen hinweg solidarisch<br />

handeln – und das<br />

rasch. Diese Idee stand dem<br />

Projekt «Care Now» Pate –<br />

und wurde von den Promotoren vorgelebt.<br />

Als die Dienstleistung zu Beginn der<br />

Pandemie online ging, bestand die Trägerschaft<br />

aus einer Universität, einer<br />

Handvoll junger Internetspezialisten und<br />

mehreren Verbänden. «An der ETH Zürich<br />

konnten wir schnell und unbürokratisch<br />

handeln», erklärt Jörg Goldhahn,<br />

Professor im Departement Gesundheitswissenschaften<br />

und Technologie. Sein<br />

Team vermittelte im Mehrschichtbetrieb<br />

Fachkräfte, die mit ihrem Einsatz Gesundheitseinrichtungen<br />

helfen wollten.<br />

Die Entwicklung der Plattform wiederum<br />

hatte Medison übernommen,<br />

«ein medizinisches HR-Tech-Start-Up in<br />

Bern», wie Mitgründer Nicola Rüegsegger<br />

ausführt. Der Verband der Schweizer Medizinstudierenden<br />

swimsa verfügte seinerseits<br />

bereits über eine eigene CO-<br />

VID-19-Taskforce und konnte so seinen<br />

Partnern in Kürze mit Rat und Tat zur Seite<br />

stehen. Als wichtig erwiesen sich zudem<br />

die Ärzteverbände, welche die Plattform<br />

unterstützten und bei ihren Mitgliedern<br />

bekannt machten. Nebst dem vsao<br />

zählten dazu die FMH, die Kinderärzte<br />

Schweiz (KIS), die Haus- und Kinderärzte<br />

Schweiz (mfe), das Schweizerische Institut<br />

für ärztliche Weiter- und Fortbildung<br />

(SIWF), die Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft<br />

(SSO) und der Schweizerische<br />

Verband Medizinischer Praxis-Fachpersonen<br />

(SVA).<br />

Innert Kürze 100 Vermittlungen<br />

«Care Now» war nicht das einzige Angebot,<br />

um speziell Spitäler durch zusätzliches<br />

Personal für die Corona-Krise zu rüsten.<br />

«Wir verfolgten aber nicht denselben<br />

Ansatz wie andere», betont Nicola<br />

Rüegsegger, im Übrigen selbst Arzt. «Die<br />

Spitäler sollten nicht nur die benötigten<br />

Fachkräfte erhalten, sondern durch unser<br />

Koordinationsteam administrativ entlastet<br />

werden.» Das habe zwar mehr Aufwand<br />

und Kosten verursacht, habe sich jedoch<br />

ausbezahlt: «Wir konnten in kürzester Zeit<br />

rund 100 Personen vermitteln.»<br />

Diese verteilten sich auf 73 Gesundheitseinrichtungen,<br />

meist in der Deutschschweiz<br />

und nebst Regional-, Kantonsund<br />

Unispitälern Psychiatrien, Suchtkliniken,<br />

Pflegeheime und kantonale Institutionen.<br />

Bei der Plattform gemeldet<br />

hatten sich Ärztinnen und Ärzte, Medizinstudierende,<br />

Pflegefachleute, medizinische<br />

Praxisassistentinnen, Zahnmediziner<br />

und sogar Apotheker sowie Rettungssanitäter.<br />

Insgesamt umfasste der Pool<br />

rund 1200 potenzielle Helferinnen und<br />

Helfer in einer Altersspanne von 20 Jahren<br />

bis weit in den Ruhestand. Alle Anfragen<br />

von Gesundheitseinrichtungen wurden<br />

mit diesem Reservoir abgeglichen<br />

und wenn möglich passende Fachkräfte<br />

vermittelt. Ein Grossteil des angemeldeten<br />

Bedarfs liess sich so decken.<br />

Solidarität statt Grenzen<br />

Eine stolze Bilanz, zu der allerdings nicht<br />

nur nackte Zahlen gehören würden, betont<br />

Nadine Willi, Teamleiterin an der<br />

ETH Zürich. «Besonders erfreulich war<br />

die enorme Solidarität. Diversen Interessierten<br />

ging es darum, ihre spezifischen<br />

Fähigkeiten auch ausserhalb ihres üblichen<br />

beruflichen Tätigkeitsgebiets zur<br />

Verfügung zu stellen.» Etwa Physiotherapeuten,<br />

welche eine Einsatzmöglichkeit<br />

in der Pflege suchten, oder eine Arztsekretärin,<br />

die ihren über Jahre aufgebauten<br />

Bezug zur Medizin und deren Terminologie<br />

einbringen wollte. «Es war schön, zu<br />

erleben, wie Menschen aus dem Gesundheitswesen<br />

zusammenrücken, wenn es<br />

hart auf hart kommt. Und über die sonst<br />

zum Teil ausgeprägten Berufsgrenzen<br />

hinwegsehen, um ein gemeinsames Ziel<br />

zu erreichen.»<br />

Anderseits galt es, gewisse Schwierigkeiten<br />

zu meistern. «Wie weit soll schon<br />

das Koordinationsteam Berufsdiplome<br />

kontrollieren – und was ist, wenn diese<br />

aus dem Ausland stammen und in einer<br />

anderen Sprache ausgestellt wurden?»,<br />

nennt Willi Beispiele. Oder: «Ist eine Person<br />

noch einsetzbar, die 15 Jahre nicht<br />

mehr im Beruf gearbeitet hat?» Man sei bei<br />

der Beantwortung solcher Fragen pragmatisch<br />

und unter Berücksichtigung aller im<br />

Einzelfall involvierten Parteien und Interessen<br />

vorgegangen.<br />

Und nun? «Care Now» werde sicher<br />

noch bis Ende September online und einsatzbereit<br />

bleiben, sagt Nicola Rüegsegger.<br />

Anschliessend sei offen, wie es weitergeht.<br />

«Grundsätzlich sind die Prozesse<br />

definiert und die Technologie entwickelt,<br />

die es für den erfolgreichen Betrieb einer<br />

solchen Plattform braucht. Das heisst:<br />

Auch künftig wird die gleiche oder eine<br />

ähnliche Dienstleistung rasch wieder in<br />

Betrieb gehen können, falls nötig.» Was<br />

natürlich niemand hofft.<br />

Mehr zum Thema unter:<br />

www.carenow.ch<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 13


Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />

«Würde es wieder<br />

machen, wenn ...»<br />

Altay Özsoy studiert an der Universität Zürich Medizin.<br />

Seine Arbeit bei «Care Now» hat ihn in der Berufswahl<br />

bestärkt. Eines aber gibt ihm zu denken.<br />

Marcel Marti, Leiter Politik und Kommunikation / stv. Geschäftsführer vsao<br />

Herr Özsoy, wie kommt ein<br />

Medizinstudent im sechsten<br />

Semester dazu, sich als<br />

Freiwilliger an der Corona-Front<br />

zu melden?<br />

An der Uni fielen wegen der Pandemie<br />

Praktika aus. Das Dekanat schlug uns zwei<br />

Alternativen vor: entweder im Gesundheitsbereich<br />

einen Einsatz leisten oder<br />

OSCE-Fälle schreiben, um mit imaginären<br />

Patienten zu üben. Für mich war der Fall<br />

klar.<br />

Warum?<br />

Ich absolviere mein Studium seit gut einem<br />

Jahr im Spital und erhalte dadurch<br />

mehr Einblick in den medizinischen Alltag.<br />

Das ist viel spannender als die Theorie,<br />

denn ich begreife noch besser, um was<br />

es bei meinem künftigen Beruf geht. Bei<br />

dessen Wahl war für mich zudem immer<br />

ausschlaggebend, Menschen direkt helfen<br />

und ihr Leben positiv verändern zu können.<br />

Und wie sind Sie dann auf «Care Now»<br />

aufmerksam geworden?<br />

Ich wollte meinen Einsatz im Zusammenhang<br />

mit der Pandemie leisten und bin<br />

nach einigen vergeblichen Direktanfragen<br />

bei Spitälern im Internet auf die Plattform<br />

gestossen. Da wusste ich: Das ist es!<br />

Medizinstudent Altay Özsoy möchte Herzchirurg<br />

werden. Für den 25-Jährigen war der<br />

Corona-Einsatz im Spital Wattwil SG eine<br />

wertvolle Erfahrung: «Ich hätte gerne noch<br />

mehr geholfen.»<br />

Wie ging es nach der Kontaktaufnahme<br />

weiter?<br />

Ich bekam nach der Anmeldung eine<br />

E-Mail von «Care Now». Gesucht wurde<br />

Verstärkung im Spital Wattwil im Kanton<br />

St. Gallen. Es war das einzige Angebot, da<br />

der Bedarf – zum Glück – doch nicht so<br />

gross ausfiel wie zunächst befürchtet. Und<br />

so bin ich dann mit meinem Auto von meinem<br />

Zuhause in Brüttisellen ins Toggenburg<br />

gependelt.<br />

Wie sah Ihr Einsatz aus?<br />

Gemäss meiner Uni sollte der praktische<br />

Einsatz an fünf Arbeitstagen stattfinden,<br />

was einer Arbeitswoche von 42 Stunden<br />

entspricht. Ich fuhr im Mai zweimal zwei<br />

Tage und einmal einen Tag nach Wattwil.<br />

Beim Spital wurde der Haupteingang verschoben<br />

und stattdessen ein Zelt errich-<br />

tet, um die (potenziellen) Patienten und<br />

Besucher zu triagieren. Meine Hauptaufgabe<br />

bestand darin, allen ankommenden<br />

Personen Schutzmasken abzugeben, Corona-Symptome<br />

abzuklären sowie Geräte<br />

und Gegenstände zu desinfizieren. Aber<br />

natürlich habe ich auch ganz anderes gemacht<br />

– zum Beispiel die Patientenaufnahme<br />

bei Notfällen oder das Erteilen von<br />

verschiedensten Auskünften.<br />

Waren Sie in Wattwil der einzige Student?<br />

Wie wurden Sie vom Spitalpersonal<br />

unterstützt?<br />

Nein, es hatte etwa ein Dutzend. Die vertiefte<br />

medizinische Prüfung von Corona-Verdachtsfällen<br />

übernahmen immer<br />

Ärztinnen und Ärzte. Eine Person war<br />

dann tatsächlich erkrankt.<br />

Keine Angst, sich selbst zu infizieren?<br />

Es gab Schutzmasken und -bekleidung,<br />

und ich hielt die Distanzvorgaben ein. Daher<br />

habe ich mich jederzeit sicher gefühlt.<br />

Welches Fazit ziehen Sie im Rückblick?<br />

Ein positives! Meine Motivation, Arzt zu<br />

werden, ist nochmals gewachsen. Ich höre<br />

halt den Menschen mit ihren Geschichten<br />

und Sorgen gerne zu. Wobei ich in Gesprächen<br />

manchmal fast etwas Detektiv spielen<br />

musste, um ihrem gesundheitlichen<br />

Problem auf die Schliche zu kommen …<br />

Schade nur, dass ich von der Ausbildung<br />

her nicht noch mehr helfen konnte. Und<br />

mühsam fand ich bei Notfallpatienten die<br />

Bürokratie beim Empfang, die ausser in<br />

wirklich akuten Fällen immer vor der Behandlung<br />

kam. Das sollte man ändern.<br />

Würden Sie also einen solchen Einsatz<br />

wieder leisten?<br />

Klar – zumindest solange ich nicht zu sehr<br />

mit Prüfungsvorbereitungen beschäftigt<br />

bin (lacht).<br />

Bild: zvg<br />

14<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />

«Vertrauen<br />

gewinnen ist eine<br />

Ehre»<br />

Zunächst war es einfach das Studienfach, das übrigblieb.<br />

Und dann der Einstieg ins Berufsleben: Auch nicht gerade berauschend!<br />

Heute aber kann sich Agathe Evain nichts anderes mehr vorstellen,<br />

als Ärztin zu sein. Warum?<br />

Marcel Marti, Leiter Politik und Kommunikation / stv. Geschäftsführer vsao<br />

Bild: zvg<br />

Wir treffen uns in einem Restaurant<br />

im Bahnhof Lausanne,<br />

in der Nähe ihrer<br />

Wohnung. Sie ist mit dem<br />

Fahrrad gekommen – «mein liebstes Verkehrsmittel»<br />

–, den achtmonatigen Sohn<br />

hat sie in die Kita gebracht. Es sind spezielle<br />

Zeiten. Für alle wegen Corona, für sie<br />

zudem als junge Mutter, die gerade erst<br />

wieder in den Job eingestiegen ist und<br />

mit ihrem Partner bald umziehen wird.<br />

Doch das Gespräch liegt ihr am Herzen,<br />

und sie kommt wie üblich vorbereitet. Immer<br />

mal wieder vertieft sie sich beim Antworten<br />

kurz in ihre vorgängigen Notizen;<br />

sie will präzise sein. Beim Einstieg allerdings<br />

geht es um das, was sie viel lieber<br />

macht: reden frei von der Leber weg.<br />

Agathe, im Moment ist Dein Leben<br />

ziemlich im Umbruch. Wie geht es Dir?<br />

Gut, gut – auch wenn so viel Veränderung<br />

auf einmal nicht geplant war (lacht)!<br />

Dann lass uns die Dinge ein bisschen<br />

ordnen.<br />

Also, der Reihe nach: Auf 1. Mai ging mein<br />

Mutterschaftsurlaub zu Ende. Seither arbeite<br />

ich wieder, und zwar wie vorher in<br />

der Psychiatrie am Universitätsspital Lausanne<br />

(CHUV). Jetzt aber nicht mehr als<br />

Assistenz-, sondern als stellvertretende<br />

Oberärztin mit einem 60-Prozent-Pensum.<br />

Mein Partner ist seit März Vollzeit als<br />

Leitender Arzt in einem Walliser Spital angestellt.<br />

Deshalb suchen wir nun dort eine<br />

Wohnung.<br />

Die klassische Rollenverteilung – der<br />

Mann macht Karriere, die Frau steckt<br />

für die Familie zurück?<br />

Im Moment schon, ja. Das ist die grosse<br />

Frage, die wir klären müssen: Wie organisieren<br />

wir uns als Familie? Es ist nicht so,<br />

dass mein Partner nicht bereit wäre, weniger<br />

zu arbeiten. Nur verlangen Karriere<br />

und Hierarchien in der Ärzteschaft eben<br />

nach wie vor vollen Einsatz, wenn man<br />

vorwärtskommen will. Und auch ich hatte<br />

eigentlich vor, im Februar einen neuen<br />

Vollzeitjob in Nyon anzutreten. Ich verzichtete<br />

dann aus verschiedenen Gründen<br />

darauf, in erster Linie aber wegen Felix,<br />

unserem neugeborenen Sohn – zumal ich<br />

bereits während der Schwangerschaft gemerkt<br />

hatte, dass Teilzeitarbeit etwas Gutes<br />

ist.<br />

Denn um sich um andere kümmern zu<br />

können, müsse man auch zu sich schauen,<br />

ist Agathe Evain überzeugt. Ihr Einsatz für<br />

andere bezieht sich nicht nur auf die Patientinnen<br />

und Patienten: Im Herbst 2017<br />

fand sie den Weg zum vsao und in den Vorstand<br />

der Sektion Waadt. Ein Jahr später<br />

übernahm sie das Präsidium – weil ihre<br />

Vorgängerin und Arbeitskollegin ein Kind<br />

erwartete. Dass sie als eher zurückhaltende,<br />

fast scheue Person ein solch exponiertes<br />

«Als Ärztin muss man auch ein wenig Finanzund<br />

Rechtsspezialistin sein, um nicht unterzugehen»:<br />

Agathe Evain, Präsidentin der<br />

vsao-Sektion Waadt, unterwegs mit Sohn Felix.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 15


Ihre Bedürfnisse<br />

im Mittelpunkt<br />

Visitationen<br />

Bewertungen, Löhne, Arbeitszeiten,<br />

Kitas, Jobs - und noch viel<br />

mehr: Medicus ist das umfassende<br />

Portal für Ihre Karriere. Dort<br />

finden Sie die optimal zu Ihnen<br />

passende Stelle!<br />

Die Spitäler und vsao-Sektionen<br />

bieten Ihnen wichtige Informationen<br />

zu den Arbeitsbedingungen. Den<br />

wichtigsten Beitrag leisten jedoch<br />

Sie: Bewerten Sie anonym Ihren<br />

bisherigen Arbeitgeber. Damit<br />

helfen Sie anderen – und profitieren<br />

selber von deren Erfahrungen.<br />

www.medicus.ch<br />

Wie gut ist die Weiterbildung in<br />

den Kliniken? Dieser Frage gehen<br />

die Visitationen auf den Grund. Zu<br />

den Expertenteams gehört immer<br />

jemand vom vsao. Die Besuche vor<br />

Ort dienen dazu, Verbesserungsmöglichkeiten<br />

zu erkennen. Denn<br />

Sie als unser Mitglied sollen von<br />

einer hohen Weiterbildungsqualität<br />

profitieren.<br />

Falls Sie selber Visitationen<br />

begleiten möchten: eine E-Mail<br />

an ribeaud@vsao.ch, und Sie<br />

erfahren mehr!<br />

www.vsao.ch/visitationen<br />

Feedback-<br />

Pool<br />

Für Sie als Mitglied ist sie zentral:<br />

die Weiterbildung. Deshalb fühlen<br />

wir unserer Basis mit Umfragen<br />

regelmässig den Puls dazu. Dank<br />

dieses Feedback-Pools können wir<br />

unsere Verbandsarbeit gezielt auf<br />

Ihre Anliegen ausrichten.<br />

Wollen Sie mitmachen? Dann<br />

schreiben Sie an ribeaud@vsao.ch.<br />

www.vsao.ch/studien-undumfragen<br />

Arztberuf<br />

und Familie<br />

• Wie bringe ich Familie, Freizeit und<br />

Beruf unter einen Hut?<br />

• Wie steige ich nach der Babypause<br />

wieder ein?<br />

• Wie meistere ich die täglichen<br />

Herausforderungen?<br />

Antworten auf solche Fragen erhalten Sie<br />

als vsao-Mitglied bei unserem kostenlosen<br />

Coaching. Die Beratung erfolgt telefonisch<br />

durch die Fachstelle UND.<br />

044 462 71 23<br />

info@und-online.ch<br />

www.vsao.ch/telefoncoaching


Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />

Amt übernahm, hat mit eigenen Erfahrungen<br />

zu tun. «Rückblickend würde ich mich<br />

als angehende Ärztin schneller über meine<br />

Rechte informieren und dem Verband beitreten.»<br />

Wieso ein solches Fazit?<br />

Im Studium büffelt und büffelt man ohne<br />

Bezug zum «richtigen» Medizinerleben.<br />

Dieses entpuppt sich dann als grosse und<br />

zumindest bei meinem Start nicht gerade<br />

schöne Überraschung. Als ich im November<br />

2013 meine erste Assistentenstelle in<br />

einem Spital in den Freiburger Voralpen<br />

antrat, musste ich von Beginn an wie alle<br />

anderen in verschiedenen Bereichen<br />

gleichzeitig präsent sein. Mit dem Ergebnis,<br />

dass auch ich sieben Tage am Stück<br />

jeweils zwölf Stunden im Dienst stand.<br />

Wie sah es mit der Unterstützung durch<br />

Vorgesetzte aus?<br />

Unterschiedlich. Manchmal schätzte man<br />

zum Beispiel nächtliche Anrufe in Notsituationen<br />

nicht besonders, um es mal so<br />

auszudrücken. Nach meiner Einschätzung<br />

hatte das mit hierarchischem Denken<br />

zu tun, ein wenig auch mit «Machotum».<br />

Vor allem aber mit der jeweiligen<br />

Person und ihrer augenblicklichen Laune.<br />

Hättest Du am liebsten den Bettel hingeworfen?<br />

Nein! Medizin war nach der Matura zwar<br />

nicht mein Traumfach, sondern das, was<br />

nach dem Abwägen aller Möglichkeiten<br />

übrigblieb. Während des Studiums fing ich<br />

jedoch Feuer, und mein Lernwille hat sich<br />

von der Theorie an der Uni auf die Praxis<br />

im Spital übertragen. Zum Glück. Ich war<br />

und bin demütig, wollte und will von erfahrenen<br />

Kolleginnen und Kollegen lernen.<br />

Ich fühlte mich damals auch selbst<br />

dafür verantwortlich, die schwierige Situa<br />

tion zu bewältigen. Gleichzeitig sah ich<br />

natürlich, dass nicht alles an mir lag und<br />

sich von mir allein verändern liess.<br />

Stichwort …?<br />

Stichworte Organisation, Bürokratie und<br />

Fachwissen von HR-Abteilungen. Solche<br />

Themen wurden bei meinen weiteren beruflichen<br />

Stationen, die ich danach alle im<br />

CHUV durchlief, wichtig. Das heisst: komplexe,<br />

schwerfällige Strukturen in Verbindung<br />

mit schier endlosem administrativem<br />

Aufwand zu Lasten der Zeit am Krankenbett<br />

– oder zu Lasten von meiner Freizeit<br />

und Erholung, wenn mir die Patientin<br />

wichtiger ist als Formulare auszufüllen.<br />

Und keine Lösung für das Ganze. Es heisst<br />

auch: die Distanz oder sogar Gräben zwischen<br />

den Personalbüros und den Kliniken.<br />

Alles in allem schliesslich manchmal<br />

ein Gefühl von Entwertung durch den Eindruck,<br />

permanent überwacht zu werden.<br />

Ihre Erfahrungen sind nicht spurlos an<br />

der 32-Jährigen vorbeigegangen. Man realisiert<br />

es beim Zuhören und Zusehen. Das<br />

Reden noch schneller, die Handbewegungen<br />

und Augen noch lebhafter, leichte Röte<br />

im Gesicht. Empörung. Kann das alles so<br />

sein? 2018 konnte es das nicht mehr: Agathe<br />

Evain musste wegen Erschöpfung drei Wochen<br />

pausieren.<br />

Was hat diese Zeit mit Dir gemacht?<br />

Zu meiner eigenen Überraschung lud ich<br />

die Schuld für die Situation nicht mehr<br />

einfach auf mich und war demotiviert.<br />

Denn ich erkannte die Gründe und machte<br />

einen Schnitt. Ich wechselte für ein Jahr<br />

von der Erwachsenen- in die Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie und reduzierte mein<br />

Pensum auf 70 Prozent. Eine spürbare Erleichterung.<br />

Eine wichtige Rolle bei der<br />

Bewältigung meiner Krise spielten anderseits<br />

zahlreiche positive Erlebnisse in der<br />

Vergangenheit. Oft waren sie fast die Kehrseite<br />

der vorhin als negativ erwähnten<br />

Punkte: die gute Stimmung in den Arbeitsteams,<br />

der vertrauensvolle Umgang und<br />

Austausch untereinander. Die frühe Freiheit<br />

bei meinen Tätigkeiten, was mir half,<br />

Selbstvertrauen zu entwickeln und halt<br />

selbst zu entscheiden, wann ich Unterstützung<br />

brauche.<br />

Wenn Du Deine Motivation ansprichst:<br />

Wie weit hat sie mit dem Fachgebiet zu<br />

tun?<br />

Sehr viel. Für mich ist die Psychiatrie die<br />

einzige medizinische Disziplin, bei der die<br />

menschliche Beziehung an erster Stelle<br />

steht. Ich muss einen Zugang zum Leben<br />

des Patienten finden und Vertrauen aufbauen,<br />

damit er sich öffnet. Wenn das gelingt,<br />

erlebe ich das als Ehre. Abgesehen<br />

davon finde ich es ungemein spannend, zu<br />

sehen, was der menschliche Geist mit einer<br />

Person machen kann, und ich schätze<br />

die thematische Vielfalt der psychiatrischen<br />

Spezialdisziplinen.<br />

Hat Dir auch Dein Engagement im vsao<br />

geholfen?<br />

Ja, eindeutig. Der Verband ist ein echtes<br />

und wichtiges Bindeglied zwischen seinen<br />

Mitgliedern und den Spitalleitungen. Gemeinsam<br />

können wir etwas bewegen, erreichen.<br />

Wenn beispielsweise eben<br />

HR-Abteilungen Schwangere falsch beraten<br />

und sie nicht korrekt über ihre Rechte<br />

informieren, intervenieren wir. Oder wir<br />

greifen selbst Themen auf wie sexuelle Belästigung<br />

am Arbeitsplatz, Diskriminierung<br />

aufgrund des Geschlechts und Probleme<br />

bei Schwangerschaft und machen<br />

dazu eine Umfrage.<br />

Wieder etwas, was die gebürtige Französin<br />

– sie kam als Siebenjährige mit den<br />

Eltern aus dem Mittleren Osten nach Genf<br />

– auch ganz persönlich umtreibt. Bitterkeit<br />

spürt man nicht, wenn sie diese Fragen anschneidet.<br />

Die Lebenseinstellung? «Man<br />

muss Optimistin bleiben und versuchen,<br />

aus jeder Erfahrung etwas zu machen.»<br />

Und da sie eben die Weiterbildung angesprochen<br />

hat:<br />

Agathe, Deine Lehrjahre als Assistenzärztin<br />

sind nun vorbei. Die Bilanz?<br />

Der Facharzttitel kommt bestimmt (lacht)!<br />

Nein, ernsthaft: Ich finde es super, welche<br />

Wahlmöglichkeiten sich in der Schweiz<br />

bei den Fächern bieten und wie viel man<br />

auf dem Weg zum Titel selbst gestalten<br />

kann. Handkehrum sollte man die theoretische<br />

Weiterbildung stärker gewichten,<br />

weil man so die Palette an beruflichen<br />

Werkzeugen nutzen und dadurch rascher<br />

kompetent und autonom werden kann.<br />

Was ich immer noch erschreckend finde:<br />

Wie wenig Medizinstudierende über ihre<br />

Zukunft wissen; schon nur, wie man Bewerbungen<br />

angeht.<br />

Womit wir beim Schlusssatz wären. Bitte<br />

formuliere ihn zu Ende: «Ich als Assistenzärztin<br />

…»<br />

… muss ein Gleichgewicht finden zwischen<br />

Beruf und Privatleben, um anderen<br />

Menschen helfen zu können.<br />

«Ich als Assistenzärztin»<br />

In seiner Serie lässt das «<strong>VSAO</strong>-Journal»<br />

Assistenzärztinnen und -ärzte zu<br />

Wort kommen – frühere wie heutige,<br />

mit verschiedenen Biografien und aus<br />

allen Teilen der Schweiz. Die Artikel<br />

sollen ein vielschichtiges, weil persönliches<br />

Bild der Weiterbildung und<br />

beruflichen Laufbahnen zeichnen.<br />

Bereits erschienen: Dina-Maria Jakob<br />

(<strong>Nr</strong>. 5/2018), Lisa Bircher (<strong>Nr</strong>.1/2019),<br />

Jürg Schlup (<strong>Nr</strong>. 3/2019) und Christoph<br />

Jans (<strong>Nr</strong>. 5/2019). Sind Sie interessiert<br />

mitzumachen? Dann schreiben Sie<br />

bitte an marti@vsao.ch.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 17


Anzeigen<br />

· Neue Station für<br />

psychosomatische Rehabilitation<br />

· Einzelzimmer für alle Patientinnen<br />

und Patienten<br />

CH-6083 Hasliberg Hohfluh<br />

Telefon +41 33 533 91 00<br />

www.rehaklinik-hasliberg.ch<br />

Ein Unternehmen der Michel Gruppe<br />

Chefarzt:<br />

Dr. med. Salih Muminagic, MBA<br />

Wo Patienten auch Gäste sind.<br />

ALLGEMEINE<br />

INNERE MEDIZIN<br />

Update Refresher<br />

04. – 07.11.<strong>2020</strong>, Zürich 32 h<br />

26. – 30.01.2021, Basel 40 h<br />

INNERE MEDIZIN<br />

Update Refresher<br />

01. – 05.12.<strong>2020</strong>, Zürich 40 h<br />

HAUSARZT<br />

Fortbildungstage<br />

18. – 19.09.<strong>2020</strong>, Luzern 14 h<br />

ALLERGOLOGIE<br />

02. – 03.11.<strong>2020</strong>, Zürich<br />

14 h<br />

DIABETES<br />

29. – 31.10.<strong>2020</strong>, Zürich<br />

21 Credits SGAIM /<br />

18 Credits SVDE / 21 Credits SGED<br />

GYNÄKOLOGIE<br />

01. – 03.10.<strong>2020</strong>, Zürich<br />

24 h<br />

KARDIOLOGIE<br />

06. – 07.11.<strong>2020</strong>, Zürich<br />

14 h<br />

ONKOLOGIE /<br />

HÄMATOLOGIE<br />

30.01.2021, Basel<br />

8 h<br />

PÄDIATRIE<br />

26. – 28.10.<strong>2020</strong>, Zürich<br />

24 Credits SGP<br />

PNEUMOLOGIE<br />

04. – 05.12.<strong>2020</strong>, Zürich<br />

13 h<br />

PSYCHOLOGIE<br />

01. – 04.12.<strong>2020</strong>, Zürich<br />

28 h<br />

Update Refresher<br />

Veranstaltungsorte<br />

Technopark Zürich | Kameha Grand Hotel Zürich<br />

Novotel Zürich City West | Congress Center Basel<br />

Hotel Continental Park, Luzern<br />

Information / Anmeldung<br />

Tel.: 041 567 29 80 | info@fomf.ch | www.fomf.ch<br />

– Teilnahme vor Ort oder via Livestream


Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />

Lesen lernen<br />

Screening<br />

Im Gegensatz zum diagnostischen<br />

Testen von Patienten mit Symptomen<br />

untersuchen wir beim<br />

Screening beschwerdefreie Menschen.<br />

Die Anforderungen an einen<br />

Screeningtest unterscheiden sich daher<br />

von denen eines diagnostischen Tests,<br />

der nur bei Verdacht auf eine Krankheit<br />

durchgeführt wird.<br />

Erstens muss der Test eine schwerwiegende<br />

Krankheit entdecken, die als<br />

allgemeines Problem für die öffentliche<br />

Gesundheit anerkannt ist. Zudem<br />

müssen wir den natürlichen Verlauf der<br />

Krankheit gut kennen und sicher sein,<br />

dass deren frühe Erkennung zu einem<br />

besseren Outcome führt. Letzteres ist<br />

zum Beispiel beim Prostatakarzinom<br />

nicht gegeben: Es ist wahrscheinlich,<br />

dass der Test auf PSA bei vielen älteren<br />

Männer im Screening positiv ausfällt,<br />

ohne dass sie jemals Symptome entwickeln.<br />

Sie zu behandeln, wäre schädlich,<br />

weshalb ein Screening von Prostatakrebs<br />

allgemein nicht empfohlen wird.<br />

Die zweite Anforderung betrifft die<br />

Eigenschaften des Tests selbst. Er muss<br />

sowohl sehr sensitiv (d.h. möglichst alle<br />

Menschen mit der Krankheit werden<br />

erfasst) als auch spezifisch (d.h. nur bei<br />

denjenigen mit der Krankheit fällt der<br />

Test positiv aus) sein. Der Test muss<br />

überdies günstig, einfach und sicher sein,<br />

damit er ohne Nebenwirkungen an der<br />

gesunden Bevölkerung angewandt<br />

werden kann. Natürlich gibt es Ausnahmen:<br />

Die Mammografie ist weder günstig<br />

noch einfach, aber der Brustkrebs ist eine<br />

schwere Erkrankung, die – wenn früh<br />

erkannt – gut behandelbar ist.<br />

Schliesslich gilt es, Nutzen und<br />

Kosten eines Screeningprogrammes zu<br />

bestimmen. Damit sind nicht nur die<br />

finanziellen Kosten gemeint, sondern<br />

vielmehr auch die emotionalen. Kein Test<br />

ist perfekt, und es wird immer einige<br />

falsche Resultate geben. Insbesondere die<br />

Kosten eines falsch positiven Screeningtests<br />

(Periode der Angst bis zur Entwarnung<br />

oder gar unnötige Behandlung)<br />

müssen gegenüber denjenigen ohne<br />

Screening (verpasste Früherfassung)<br />

abgewogen werden.<br />

Lukas Staub,<br />

klinischer Epidemiologe,<br />

Redaktionsmitglied<br />

des<br />

<strong>VSAO</strong>-Journals<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 19


vsao<br />

Neues aus<br />

den Sektionen<br />

Bern<br />

#Ärztealltag!<br />

Die COVID-19-Krise hat unser Jahresprogramm<br />

auf den Kopf gestellt: Aus unserem<br />

75-Jahre-Jubiläum wird 2021 ein<br />

76-Jahre-Jubiläum, und auch unsere<br />

Kampagne haben wir um ein Jahr<br />

verschoben. Unser Jubiläumsfest findet<br />

neu am Samstag, 12. Juni 2021, in der<br />

Heiteren Fahne statt!<br />

Während wir die Vorfreude auf<br />

unsere Jubiläumsaktivitäten geniessen,<br />

nutzen wir die frei gewordene Zeit, um<br />

unsere Social-Media-Kanäle aufzubauen.<br />

Wir haben auf Facebook unter #Ärztealltag<br />

seit März spannende Interviews mit<br />

einigen Mitgliedern veröffentlicht, die<br />

Einblick in ihren Alltag gewähren. Die<br />

Gespräche zeugen von viel Flexibilität<br />

und Engagement, aber ebenso von<br />

Kontrasten zwischen verschiedenen<br />

Fachrichtungen. Während der COVID-19-<br />

Krise tauchten auch viele arbeitsrechtliche<br />

Fragen auf. Antworten darauf haben<br />

wir auf unseren Kanälen unter FAQ<br />

veröffentlicht.<br />

Folgt uns auf Facebook oder LinkedIn,<br />

dann verpasst Ihr keine News! (https://<br />

cutt.ly/Aerztealltag).<br />

Wir freuen uns sehr, unsere Mitglieder<br />

am Mittwoch, 2.September, an<br />

unserer verschobenen Mitgliederversammlung<br />

begrüssen zu dürfen. Dieses<br />

Jahr treffen wir uns im Berner Generationenhaus<br />

in Bahnhofsnähe. Nebst einem<br />

spannenden Referat zum Thema «Sex<br />

and Gender in Medicine» von Prof.<br />

Catherine Gebhard wird auch unsere<br />

legendäre Tombola nicht fehlen. Wer darf<br />

dieses Jahr den Hauptpreis mit nach<br />

Hause nehmen? Lass Dir diese Chance<br />

nicht entgehen! Anmeldungen nehmen<br />

wir sehr gerne auf www.vsao-bern.ch<br />

entgegen.<br />

Einladung<br />

zur ordentlichen Mitgliederversammlung<br />

des <strong>VSAO</strong> Bern<br />

Mittwoch, 2. September <strong>2020</strong>,<br />

um 19.00 Uhr im Berner Generationenhaus,<br />

Spittelsaal, 3. Obergeschoss<br />

Ab 18.30 Uhr Willkommens-Apéro<br />

19.00 Uhr Mitgliederversammlung<br />

Traktanden<br />

1. Protokoll der ordentlichen<br />

Mitgliederversammlung 2019<br />

2. Jahresbericht der Präsidentin<br />

3. Jahresrechnung 2019<br />

4. Budget <strong>2020</strong><br />

5. Mitgliederbeiträge 2021<br />

6. Wahlen (Präsidium, Vorstand)<br />

7. Wahl der Revisionsstelle per<br />

1. Januar 2021<br />

8. Kampagne<br />

9. Jubiläumsfest<br />

(auf den 12. Juni 2021 verschoben)<br />

10. Social Media<br />

11. Fragen und Diskussion<br />

20.00 Uhr Referat Prof. Dr. med.<br />

Catherine Gebhard «Sex and Gender<br />

in Medicine»<br />

20.30 Uhr Apéro riche und Tombola<br />

«Die Opfer der letzten Wochen sollen<br />

nicht umsonst gewesen sein.» Das ganze<br />

Interview mit einer Spitalfachärztin zu<br />

ihren Erfahrungen während der Corona-<br />

Zeit: https://bit.ly/35N3Y6w #Ärztealltag.<br />

Anna Meister, Vizepräsidentin <strong>VSAO</strong> Bern<br />

Graubünden<br />

Weiterbildungskalender:<br />

Alles auf einen Blick!<br />

Mit dem Weiterbildungskalender auf<br />

unserer neuen Website kannst Du Dich<br />

mit wenigen Klicks über die Weiterbildungsveranstaltungen<br />

in der Region<br />

sowie die Übertragung in dein Spital<br />

informieren. Die Fort- und Weiterbildungen<br />

lassen sich nach Fachrichtung<br />

sortieren und nach Deinen Wünschen auf<br />

das Smartphone importieren. Dies und<br />

noch viel mehr zum Thema findest Du<br />

online in unserer Rubrik «Weiterbildung».<br />

Auch für Deine Arbeitsbedingungen<br />

engagieren wir uns unermüdlich. So<br />

20<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


vsao<br />

konnten mit weiteren regionalen Dienstplanberatungen<br />

interessante Modelle<br />

und individuelle, konkrete Lösungen<br />

erfolgreich umgesetzt werden. Zudem<br />

durften wir den vsao den Bündner<br />

Spitälern vorstellen und direkt vor Ort<br />

den Puls der Mitglieder fühlen. Und dank<br />

einem lebendigen, motivierten Vorstand,<br />

neu unter dem Präsidium von Stefanie<br />

Eich, wird auch in Zukunft angepackt,<br />

und es werden vielversprechende<br />

Projekte für Dich entstehen.<br />

Für den vsao Graubünden, Manuel Vestner<br />

Waadt/<br />

Wallis<br />

Hôpital Riviera-Chablais:<br />

zwei Sektionen, um Euch zu<br />

vertreten!<br />

Das interkantonale Spital von Rennaz<br />

(HRC), das im letzten Herbst eröffnet<br />

wurde, sorgte in den vergangenen<br />

Wochen für zahlreiche Schlagzeilen in<br />

der Waadtländer und der Walliser Presse.<br />

Dabei wurden wenig erfreuliche Informationen<br />

verbreitet. Auch wenn die Zusammenführung<br />

von mehreren, auf die<br />

Kantone Wallis und Waadt verteilten<br />

Spitalstandorten grundsätzlich eine gute<br />

Sache ist, erfordert dieser völlig neue<br />

Ansatz eine besonders sorgfältige und<br />

teamorientierte Führung und Kommunikation<br />

gegenüber dem Personal. Dies ist<br />

leider bis jetzt nicht gelungen. Dazu<br />

kommen das finanzielle Debakel und die<br />

kürzlich erfolgten Wechsel in der Direktion,<br />

die dem Image der Institution nicht<br />

gerade förderlich sind.<br />

Von links nach rechts: Agathe Evain<br />

(ASMAV), Sandra Monnier (ASMAV),<br />

Milena Gutierrez (ASMAVal), Marie<br />

Laurent (ASMAVal) und Clémence Piaux<br />

(ASMAV)<br />

Seit mehreren Jahren führen die<br />

vsao-Sektionen Waadt und Wallis gemeinsame<br />

Treffen mit der Direktion<br />

durch. Anlässlich der Wiederaufnahme<br />

der Aktivitäten nach der COVID-19-Pause<br />

haben sich unsere beiden Sektionen im<br />

Juli getroffen, um eine Strategie zu<br />

definieren, die eine bessere Sichtbarkeit<br />

bei den AssistenzärztInnen und Oberärzt-<br />

Innen ermöglichen soll. Präsentation<br />

beim turnusgemässen Stellenwechsel,<br />

Plakate, Treffen vor Ort und Verhandlungen<br />

mit der Direktion lauten einige<br />

unserer zahlreichen Ideen. Wir laden<br />

Euch daher ein, uns Eure Eindrücke,<br />

Anliegen und Vorschläge mitzuteilen!<br />

Kontakt:<br />

ASMAVal: contact@asmaval.ch<br />

ASMAV: asmav@asmav.ch<br />

Zürich /<br />

Schaffhausen<br />

USZ lädt ein, um einen<br />

Kulturwandel anzustreben<br />

Im Interview im «Tages-Anzeiger» vom<br />

25. Juni <strong>2020</strong> hat Anna Wang, Geschäftsleitungsmitglied<br />

und designierte Präsidentin<br />

des <strong>VSAO</strong> Zürich/Schaffhausen,<br />

mutig das Klima der Angst in der Weiterbildung<br />

kritisiert und in Vertretung<br />

unserer Mitglieder dem generellen Ärger<br />

über gewisse Missstände Luft gemacht.<br />

Grund zur Thematisierung der Missstände<br />

waren die Skandalschlagzeilen<br />

von wenigen Ärzten in Zürich, welche<br />

wieder einmal die gesamte Ärzteschaft<br />

treffen. Unsere docdoc-Umfrage zu den<br />

Skandalen am USZ manifestierte das von<br />

Anna Wang skizzierte Bild der Angstkultur<br />

und Abhängigkeit klar. Es ist daher<br />

absolut zentral, dass unsere Mitglieder<br />

mit uns via docdoc kommunizieren und<br />

ihre Meinung äussern. Das erlaubt<br />

unserem Verband, eine Haltung zu<br />

entwickeln und diese nach aussen zu<br />

tragen. Mit solch klaren Worten, wie im<br />

Interview vom <strong>VSAO</strong> Zürich, wird<br />

deutlich gemacht, dass die Stimme der<br />

Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte<br />

ernst genommen werden sollte. Nach der<br />

medialen Präsenz erfolgte prompt die<br />

Einladung zu einem Treffen mit dem CEO<br />

des USZ, an welchem uns signalisiert<br />

wurde, dass das USZ durchaus ein<br />

Interesse daran hat, uns in verschiedenen<br />

Projekten vermehrt einzubeziehen. Man<br />

ist gewillt, unsere Ideen, wie man diese<br />

Abhängigkeiten minimieren, flachere<br />

Hierarchien etablieren und die Teaching-Kultur<br />

höher gewichten könnte,<br />

anzuhören – den Kulturwandel zu<br />

beschleunigen, ist das Ziel!<br />

Wenn auch Du Ideen einbringen möchtest,<br />

bist Du herzlich eingeladen, diese<br />

via docdoc mit uns zu teilen oder Dich<br />

einfach per E-Mail an uns zu richten.<br />

Zudem kannst Du uns jederzeit allfällige<br />

Missstände an Deiner Arbeitsstelle<br />

anonym oder streng vertraulich melden.<br />

Wir gehen allen Hinweisen nach und<br />

platzieren diese an den entsprechenden<br />

Stellen, ohne dass dies Rückschlüsse auf<br />

die Person zulässt – wir wissen Euch zu<br />

schützen. Wenn wir Eure Meinung<br />

kennen, sind wir gern bereit, für Euch<br />

hinzustehen.<br />

Jana Siroka, Präsidentin und<br />

Susanne Hasse, Geschäftsführerin<br />

<strong>VSAO</strong> ZÜRICH / SCHAFFHAUSEN<br />

Neues Datum:<br />

Mitgliederversammlung <strong>2020</strong><br />

<strong>VSAO</strong> ZÜRICH/SCHAFFHAUSEN<br />

(Anmeldung via unsere<br />

Website – www.vsao-zh.ch)<br />

Dienstag, 29. September <strong>2020</strong>,<br />

Restaurant UniTurm ab 18 Uhr<br />

«Making it happen» mit<br />

Dominique Gisin, Olympiasiegerin<br />

(Ist Mental Coaching für Spitzenleistungen<br />

auch für die Ärztinnen<br />

und Ärzte hilfreich?)<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 21


vsao<br />

vsao-Rechtsberatung<br />

Darf oder muss eine<br />

Krankheit in einem<br />

Arbeitszeugnis erwähnt<br />

werden?<br />

Zwei Mitglieder erkundigen<br />

sich, ob sie ihr Arbeitszeugnis<br />

berichtigen lassen können.<br />

Das eine Mitglied<br />

möchte, dass die krankheitsbedingten,<br />

längeren Abwesenheiten aufgrund<br />

eines Burnouts im Zeugnis keine<br />

Erwähnung finden. Das andere Mitglied<br />

hingegen wünscht, dass eine<br />

akutsomatische Krankheit, welche im<br />

Verlauf des Arbeitsverhältnisses gar<br />

einen medizinischen Eingriff notwendig<br />

machte, und sich auch auf die<br />

Leistungs fähigkeit ausgewirkt hatte,<br />

explizit im Arbeitszeugnis erwähnt<br />

werde.<br />

Das Gesetz äussert sich zu den<br />

Formulierungen in einem Arbeitszeugnis<br />

nicht, was immer wieder für Unsicherheiten<br />

bei den Arbeitgebern führt. Die<br />

Grundsätze sind allein durch die Rechtsprechung<br />

entwickelt worden. Das<br />

Arbeitszeugnis soll wahr und wohlwollend<br />

sein – obwohl entgegen der allgemein<br />

herrschenden Praxis die Wahrheit<br />

eigentlich Vorrang hätte. So auch die<br />

Erwähnung einer Krankheit, welche nach<br />

Lehre und Rechtsprechung aber nur in<br />

einem Arbeitszeugnis Eingang finden<br />

darf, wenn<br />

• sie erheblichen Einfluss auf die<br />

Leistung oder das Verhalten der Mitarbeiterin<br />

oder des Mitarbeiters hatte;<br />

• sie die Eignung für die Erfüllung der<br />

bisherigen Aufgaben infrage stellte<br />

und damit einen sachlichen Grund zur<br />

Auflösung des Arbeitsverhältnisses<br />

darstellte;<br />

• die Krankheit im Verhältnis zur gesamten<br />

Vertragsdauer erheblich ins Gewicht<br />

fiel, so dass ohne Erwähnung ein<br />

falscher Eindruck bezüglich der erworbenen<br />

Berufserfahrung entstünde.<br />

In der Praxis ist der Entscheid nicht<br />

immer klar. Massgebend ist immer die<br />

Betrachtung der gesamten Umstände des<br />

Einzelfalls, so auch bei den beiden<br />

Anfragen.<br />

Im ersten Fall – Burnout – fehlte der<br />

Mitarbeiter von 36 Monaten Anstellung<br />

insgesamt 12 Monate wegen Krankheit<br />

und 3 Monate wegen Freistellung, was die<br />

Erste Hilfe<br />

für Menschen mit<br />

letzter Hoffnung<br />

Rechtsprechung betreffend Krankheitsdauer<br />

im Verhältnis zur Anstellungsdauer<br />

noch nicht als erheblich erachtet. Da sich<br />

der Mitarbeiter selber rechtzeitig als<br />

krank wahrnahm und in Behandlung<br />

begab, hatte seine Krankheit weder<br />

Einfluss auf seine Leistung noch auf sein<br />

Verhalten. Da seitens Arbeitgeber auch<br />

nicht aufgrund der Krankheit gekündigt<br />

wurde, sondern schliesslich eine Aufhebung<br />

des Arbeitsverhältnisses auf<br />

Initiative des Mitarbeiters vereinbart<br />

wurde, ist die Erwähnung der längeren<br />

krankheitsbedingten Absenzen im<br />

Arbeitszeugnis unzulässig, weshalb der<br />

Mitarbeiter seinen Anspruch auf Berichtigung<br />

erfolgreich geltend machen kann.<br />

Im zweiten Fall – akutsomatische<br />

Krankheit – kam es während der zweijährigen<br />

Anstellungsdauer zu einem medizinischen<br />

Eingriff. Die Krankheit hatte<br />

nachweislich Einfluss auf die Leistungsfähigkeit<br />

der Mitarbeiterin. Allerdings<br />

entsprachen die Leistungen auch nach<br />

dem Eingriff nicht den Erwartungen des<br />

Arbeitgebers, weshalb die mangelhaften<br />

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22<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


vsao<br />

Leistungen nicht nur mit der akutsomatischen,<br />

zwischenzeitlich behobenen<br />

Krankheit begründet werden konnten,<br />

und schliesslich zur Kündigung des<br />

Arbeitsverhältnisses führten. Der Arbeitgeber<br />

hat korrekterweise die Krankheit<br />

im Arbeitszeugnis nicht erwähnt. Das<br />

Mitglied war aber der Ansicht, dass diese<br />

erwähnt werden soll, da die Krankheit<br />

massgeblich zu ihrer verminderten<br />

Leistungsfähigkeit beigetragen habe und<br />

damit die Kündigung des Arbeitgebers<br />

seitens Mitarbeiterin gerechtfertigt<br />

werden könne.<br />

Wenn die Mitarbeiterin die Erwähnung<br />

der Krankheit explizit wünscht,<br />

dann wird es deswegen keinen Rechtsstreit<br />

geben, sondern der Arbeitgeber<br />

wird das Arbeitszeugnis diskussionslos<br />

und wunschgemäss berichtigen. Da aber<br />

die Nichteignung für die Stelle schliesslich<br />

zur Kündigung führte, d.h. die<br />

Leistungen generell mangelhaft waren,<br />

wird durch die Erwähnung der Krankheit<br />

die Gesamtbeurteilung im Arbeitszeugnis<br />

nicht besser. Es besteht sogar eine grosse<br />

Wahrscheinlichkeit, aufgrund der<br />

Erwähnung der Krankheit im Arbeitszeugnis<br />

gar nicht erst an ein Vorstellungsgespräch<br />

eingeladen zu werden. Krankheit<br />

wird von vielen Personalverantwortlichen<br />

und Vorgesetzten mit Risiko und<br />

potenziellem Ausfall verbunden, und<br />

Kandidaten mit offengelegten Krankheiten<br />

landen meist ohne Vorstellungschance<br />

auf dem Absagestapel. Eine<br />

Kündigung kann hingegen in jedem<br />

Lebenslauf einmal vorkommen, wenn<br />

z.B. die «Chemie» zwischen Mitarbeiter<br />

bzw. Mitarbeiterin und Vorgesetzter bzw.<br />

Vorgesetztem nicht gepasst hat. Wenn im<br />

Dossier sonst gute Arbeitszeugnisse<br />

liegen, bleibt man auch trotz einer<br />

Kündigung meist im Rennen.<br />

Ist man mit dem Inhalt eines Arbeitszeugnisses<br />

unzufrieden und entspricht es<br />

nicht den Tatsachen und den bisherigen<br />

Beurteilungen, so kann gerichtlich eine<br />

Abänderung verlangt werden. Die<br />

Verjährungsfrist für den Zeugnisanspruch<br />

beträgt 10 Jahre und läuft ab dem<br />

Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.<br />

Allerdings sollte immer<br />

erst aussergerichtlich eine Berichtigung<br />

beim Arbeitgeber verlangt werden, und<br />

zwar am besten indem man einen<br />

eigenen Vorschlag unterbreitet. Die<br />

meisten Zeugnisberichtigungen lassen<br />

sich nämlich ohne die Gerichte lösen.<br />

Sind Sie unsicher oder brauchen Unterstützung<br />

bei der Formulierung, so helfen<br />

wir Ihnen gern.<br />

Susanne Hasse<br />

Juristin Sektion <strong>VSAO</strong><br />

ZÜRICH/SCHAFFHAUSEN<br />

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<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 23


Fokus<br />

Recht durch<br />

Selbstjustiz?<br />

Vom Vorteil eines fairen Prozessierens und wie Gericht und<br />

Parteien die Rechtsprechung mitformen können.<br />

Marcel Senn 1<br />

Wer sein vermeintliches<br />

Recht selber durchsetzen<br />

will, ist ein Egoist. Denn<br />

Recht ist meistens nicht<br />

das, was der Ansicht nur einer einzelnen<br />

Person entspricht. Schnell würde das<br />

Recht eines anderen dadurch verletzt.<br />

Recht ist vielmehr das, was die staatliche<br />

Gemeinschaft und deren gewählte Vertreter<br />

als Recht nach allgemeinen Regeln anerkennen<br />

müssen. Beteiligte jedoch – sei<br />

es eine Privatperson oder selbst der Staat<br />

– können in einem Prozess das Recht gemäss<br />

den geltenden Gesetzen gemeinsam<br />

gestalten. Dabei hilft der Richter, die<br />

Richterin. Ein altes Sprichwort sagt dazu:<br />

audiatur et altera pars. Der Volksmund<br />

übersetzt dies so: Ein Richter muss zwei<br />

gleiche Ohren haben, er soll also immer<br />

beide Teile (Parteien) anhören, bevor er<br />

urteilt. 2<br />

Heute sprechen wir vom Grundsatz<br />

des rechtlichen Gehörs in öffentlichen und<br />

in privaten Streitigkeiten. Das Wort Prozess<br />

kommt vom lat. procedere und meint:<br />

vorangehen, im weiteren Sinn verwandeln,<br />

das heisst, es werden gegensätzliche Äusserungen<br />

der Beteiligten zum selben Gegenstand<br />

durch eine richterliche Synthese<br />

einen Schritt weitergebracht und dadurch<br />

das Rechte wieder eingerichtet. Das Urteil<br />

soll demnach eine nach den Gesetzen bestehende<br />

Ordnung wiederherstellen. Dieses<br />

Prozedere ist juristisch entscheidend:<br />

Denn ohne Prozess, in dem alle Beteiligten<br />

sich äussern können, kann kein gültiges<br />

Urteil zustande kommen, selbst wenn das<br />

Urteil materiell (inhaltlich) gerecht erscheint;<br />

es kann nur Geltung beanspruchen,<br />

wenn es gleichzeitig auch formell<br />

korrekt zustande gekommen ist.<br />

Der Grund hierfür ist ebenso einfach wie<br />

einleuchtend: Die Sache, um die es in der<br />

Wirklichkeit geht und die dem Richterentscheid<br />

zugrunde gelegt wird, ist meist<br />

komplexer, als sie aufgrund nur einer Darstellung<br />

erscheinen kann. Juristische Prozesse<br />

sind daher Verfahren, die einen fairen<br />

Ausgleich zwischen den Parteien, die<br />

miteinander im Streit liegen, herstellen<br />

sollen. Die Hauptaufgabe der richterlichen<br />

Verfahrensleitung ist es, einen fairen<br />

Prozess zu gewährleisten, und erst gestützt<br />

darauf Recht zu sprechen. Daher<br />

müssen die Parteien im Prozess als gleich<br />

Starke um ihr Recht kämpfen können, sei<br />

es im privaten Verfahren als Kontrahenten<br />

auf gleicher Ebene oder im Verfahren gegen<br />

den Vertretern des Staates. Es darf keine<br />

Prädominanz der einen gegenüber der<br />

anderen Partei, insbesondere von ausserhalb<br />

des Prozesses, geben, damit weder<br />

Willkür, der soziale Status einer Partei<br />

noch eine sachfremde Zielvorgabe das<br />

Verfahren beeinflusst. Dadurch wird es<br />

auch den Parteien in einem objektivierten<br />

Sinne möglich, das richterlich gesprochene<br />

Recht unabhängig von ihren subjektiven<br />

Vorstellungen als rational und legitim<br />

anzuerkennen. Nur so kann das Gerichtsverfahren<br />

die materielle Rechtsordnung<br />

gemäss Gesetz und damit auch den Frieden<br />

in einem Konflikt wiederherstellen, so<br />

dass individuelle Rache und Selbstjustiz<br />

unterbunden bleiben. Und daher muss der<br />

Staat der alleinige Vertreter des Gewaltmonopols<br />

und der Rechtsprechung sein<br />

und bleiben.<br />

Gewaltenteilung als Voraussetzung<br />

Seit dem 19. Jahrhundert werden die staatlichen<br />

Gewalten daher in Legislative, Exe­<br />

kutive und Justiz strikt geteilt: Erlass, Ausführung<br />

und Überprüfung der Anwendung<br />

der Gesetze im Einzelfall sollen stets<br />

drei voneinander unabhängige Instanzen<br />

vornehmen, deren Autonomie auf ihrer je<br />

eigenen Kompetenz beruht. Ebenso müssen<br />

im Gerichtsprozess die verschiedenen<br />

Rollen funktional klar voneinander getrennt<br />

sein: Es gibt Richter, Kläger oder<br />

Ankläger, Beklagte oder Beschuldigte. Zusammen<br />

mit der Gewaltenteilung gewährleistet<br />

die Unabhängigkeit der Beteiligten<br />

in einem Verfahren, dass prozessuale<br />

Funktionen nicht vermengt werden, sondern<br />

vielmehr, dass die gegenseitige Kontrolle<br />

möglich bleibt.<br />

Diese liberalen staatspolitischen<br />

Grundsätze kamen nach den Erfahrungen<br />

mit dem Absolutismus des 17. und 18. Jahrhunderts<br />

im 19. Jahrhundert auf, nachdem<br />

die Konzentration von Macht und<br />

Gewalt in den Händen eines Herrschers<br />

öfters Unrecht erzeugte. Ein berühmtes<br />

Beispiel hierfür waren die Missstände im<br />

Staat Württemberg, welche Friedrich<br />

Schiller bzw. Christian Friedrich Daniel<br />

Schubart im Sinn der Aufklärung gegenüber<br />

Herzog Carl Eugen von Württemberg<br />

in «Kabale und Liebe» (1784) bzw. in den<br />

Berichten der «Teutschen Chronik» (1774–<br />

1778) anprangerten. Schubart wurde dafür<br />

ohne Urteil für zehn Jahre durch den Herzog<br />

persönlich eingekerkert. Sowohl dieses<br />

Beispiel wie aktuell etwa die Aufklärung<br />

des Mordes an Daphne Caruana Galizia,<br />

wohinein höchste Staatsfunktionäre<br />

und Wirtschaftsmächtige von Malta verwickelt<br />

sein sollen, macht deutlich, wie<br />

wichtig die Sicherheit der Meinungsäusserungsfreiheit<br />

der Einzelnen gestern wie<br />

heute sowie der institutionell freien Me­<br />

Bild: Adobe<br />

24<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Fokus<br />

Justitia ist nicht blind, aber sie wird oft durch die Rhetorik der Juristen geblendet. Seit dem 18. Jahrhundert wird ihre Blindheit im Sinne der<br />

aristotelischen Lehre von der ausgleichenden Gerechtigkeit umgedeutet, so dass sie ohne Ansehen der Person richtet. 4<br />

dien sind. In dem Sinne wird die Autonomie<br />

der kritischen Medien als vierter Gewalt<br />

(in der Gesellschaft) auch unbedingt<br />

verteidigt. Denn ein Urteil kann nur auf<br />

der richtigen Erkenntnis der Wahrheit erfolgen.<br />

Daher erfordern komplexere Verhältnisse<br />

von staatspolitischer Bedeutung<br />

oft einen Anstoss von aussen.<br />

Gefahr des Rückschritts<br />

Gegenwärtig sehe ich hier das Problem eines<br />

Rückschritts des bisher erreichten<br />

Standards für den rechtsstaatlich soliden<br />

Prozess durch politische Retroentwicklungen,<br />

technologische Erneuerungen im<br />

Bereich der Social Media und ökonomische<br />

Prioritäten, welche in den letzten<br />

Jahrzehnten falsche Akzente gesetzt und<br />

zu einseitigen Entwicklungen und Übergriffen<br />

im gewaltenteiligen Staatswesen<br />

wie bei den Rollen im Verfahren geführt<br />

haben. Immer öfters erobern sich politische<br />

Akteure, die ihre eigenen Interessen<br />

verfolgen und zu autokratischen Herrschertum<br />

neigen, die staatlichen Exekutivfunktionen<br />

und beginnen Justiz und Medien<br />

zu drangsalieren (USA, Polen, Ungarn,<br />

Türkei etc.). Heikel ist die Tendenz<br />

im Strafverfahren zu meist ökonomisch<br />

motivierten Vereinfachungen wie der<br />

Möglichkeit des Erlasses von Entscheiden<br />

ohne Begründung oder zur Zusammenlegung<br />

der Rollen von untersuchendem und<br />

urteilendem Richter (auch wenn nur in<br />

Bagatellfällen). Weder ist der Staat noch<br />

sind juristische Prozesse nach betriebswirtschaftlichen<br />

Kriterien zu führen.<br />

Denn die sozialpolitische Befriedung von<br />

Konflikten als Strategem eines funktionierenden<br />

Staatswesens verträgt sich nicht<br />

mit dem Drang nach ökonomischer Vereinfachung<br />

oder politischer Haudegenführung.<br />

Die Gewalten im Staat gehören ebenso<br />

strikt getrennt wie die Rollen der Akteure<br />

in den Verfahren. Das Ziel ist der faire<br />

Prozess, in dem sich alle Parteien als<br />

gleichwertige und gleichrangige Bürger,<br />

Bürgerinnen und Institutionen begegnen<br />

können. 3 Nur so lässt sich Gerechtigkeit<br />

im und durch den Prozess realisieren. Der<br />

Prozess ist ein staatspolitisch zu kostbares<br />

Gut, als dass wir uns darum nicht redlich<br />

und differenziert bemühen müssten!<br />

1<br />

Marcel Senn war von 1995 bis 2019 Professor für<br />

Rechtsgeschichte, Juristische Zeitgeschichte und<br />

Rechtsphilosophie an der Rechtswissenschaftlichen<br />

Fakultät der Universität Zürich, deren<br />

Dekan er von 2008 bis 2010 war. Ferner<br />

präsidierte er von 2005 bis 2009 die Schweizerische<br />

Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie.<br />

2<br />

Andreas Wacke, Art. Audiatur et altera pars, in:<br />

HRG 2. Lfg. (2005) Sp. 327–331.<br />

3<br />

Vgl. Senn, Neoliberalismus & nordamerikanische<br />

Gerechtigkeitstheorien, ZSR 138 (2019), Heft 4, S.<br />

365–380 (Abschlussvorlesung vom 27. Mai 2019).<br />

4<br />

Vgl. Senn, Rechtsgeschichte – ein kulturhistorischer<br />

Grundriss, 4. Auflage 2007, S. 198.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 25


Fokus<br />

Punkte statt Streifen: Manchmal<br />

führen Mutationen zu ganz neuen<br />

Erscheinungsbildern.<br />

Leben ist kein<br />

linearer Prozess<br />

«Die Natur macht keine Sprünge»,<br />

postulierte Gottfried Wilhelm Leibniz. Das glaubten auch<br />

Isaac Newton oder Immanuel Kant.<br />

Aber selbst die grössten Denker können sich irren.<br />

Prof. André Langaney, Departement Genetik und Evolution, Abteilung für Anthropologie,<br />

Universität Genf<br />

Foto: Shutterstock<br />

26<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Fokus<br />

Die Debatte über den Gegensatz<br />

Kontinuität – Diskontinuität<br />

beschäftigt die Wissenschaft<br />

und die Philosophie<br />

seit der Antike. Von der Struktur der Materie<br />

bis hin zum Gegensatzpaar Evolution<br />

– Revolution in der Politik begründet<br />

sie kompromisslose Haltungen. Wofür<br />

das Postulat von Leibniz «natura non facit<br />

saltus», welches in seiner Verallgemeinerung<br />

grandios ist, ein gutes Beispiel ist.<br />

Auch wenn der Grundsatz der Kontinuität<br />

eher in der Physik und der Mathematik<br />

angeführt wurde, hat Leibniz diesen auch<br />

herangezogen, um eine progressive<br />

Transformation der Fauna im Verlauf der<br />

geologischen Zeiträume zu suggerieren.<br />

Damit ist er einer der Wegbereiter der<br />

Evolutionstheorie, vor Buffon und mehr<br />

als ein Jahrhundert vor deren Veröffentlichung<br />

durch Lamarck und der Geburt von<br />

Charles Darwin.<br />

Ein bequemes Paradigma<br />

Die Theorie des Gradualismus in der Biologie,<br />

die Darwin und Lamarck am Herzen<br />

lag, beruft sich häufig, primär aus opportunistischen<br />

Gründen, auf diesen Spruch<br />

von Leibniz. Die Anhänger des «Saltationismus»,<br />

die annahmen, die Evolution finde<br />

in diskontinuierlichen Sprüngen statt,<br />

wurden durch das fatale Argument widerlegt:<br />

«Sie behaupten, die Natur mache<br />

Sprünge, dann beweisen Sie es!» Bis ins<br />

20. Jahrhundert hatten die Saltationisten<br />

nichts vorzuweisen. Es empfahl sich daher,<br />

auf dem Gradualismus zu beharren,<br />

der die so umstrittene Transformation der<br />

Arten über langsame und unsichtbare Änderungen<br />

postulierte.<br />

Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

die Mendel’sche Lehre der Genetik bestätigt<br />

wurde und die Entdeckung der Mutationen<br />

erfolgte, wurden saltationistische<br />

Mechanismen als Erklärung der Geschichte<br />

des Lebens denkbar. Diese Theorien waren<br />

weiterhin Gegenstand von heftigen<br />

Kontroversen in einer Welt, in der das gradualistische<br />

Paradigma vorherrschte. Der<br />

Neodarwinismus und die prätentiöse<br />

«Synthetische Evolutionstheorie», beide<br />

sehr gradualistisch, integrierten in einem<br />

sehr bescheidenen Ausmass die «Mikromutationen»,<br />

um die anderen Theorien<br />

besser negieren können und die Evolutionswissenschaft<br />

bis in die Jahre 1960–<br />

1970 zu dominieren.<br />

Kein Entweder-oder<br />

Die Entwicklungen der Zytogenetik, der<br />

Biologie und der molekularen Embryologie<br />

machten jedoch diese Position mit den<br />

entdeckten Strukturen und Mechanismen<br />

unvereinbar. Das um 1940 von Goldschmidt<br />

vorgeschlagene auf Makromutationen<br />

basierende Modell der Makroevolution<br />

wurde jedoch genauso verspottet<br />

wie einige andere.<br />

Heute wird diese scharfe Polemik, die<br />

damals Wissenschaftlern die berufliche<br />

Karriere und sogar teilweise das Leben,<br />

durch Verbringung in den Gulag, kostete,<br />

durch eine Evidenz überholt: Es gibt keinen<br />

Widerspruch zwischen der Kontinuität<br />

des Lebens und seiner Transformation<br />

durch Mechanismen, die in grosser Zahl<br />

wichtige Sprünge, also Diskontinuitäten,<br />

darstellen. Diese Ereignisse finden nicht<br />

im gleichen Massstab statt und stellen keine<br />

Alternativen dar. Wie zum Beispiel in<br />

der Physik, wo das aktuelle Atommodell in<br />

keiner Weise im Widerspruch zum<br />

Raum-Zeit-Kontinuum steht, um nur dieses<br />

zu erwähnen.<br />

Der Genetiker und Molekularbiologe<br />

François Jacob, der bei einem Prozess zum<br />

Thema Abtreibung aussagen musste, in<br />

welchem christliche Fundamentalisten<br />

die «Schöpfung des Lebens» durch die Befruchtung<br />

beschworen, antwortete, es gäbe<br />

keine Schöpfung des Lebens, weil «sich<br />

das Leben seit drei Milliarden Jahren fortsetze».<br />

Er erinnerte uns so daran, dass all<br />

das, was wir über die aktuellen Lebensformen<br />

wissen, bedingt, dass sich diese seit<br />

den ersten Lebewesen ununterbrochen<br />

weiterverbreitet haben.<br />

«Diskrete» Sprünge …<br />

Die Kontinuität der Gene, in der Diskontinuität<br />

der Individuen, kennzeichnet das<br />

Leben seit seiner Entstehung. Die Biodiversität<br />

der Arten und Individuen, die sie<br />

bilden, ist das Resultat zahlreicher Mechanismen.<br />

Einige sichern die Kontinuität<br />

des Genpools, andere jedoch transformieren<br />

diesen durch diskontinuierliche, mathematisch<br />

ausgedrückt «diskrete» Sprünge.<br />

Zu diesen diskreten Mechanismen zählen<br />

die punktuellen Mutationen, die Quelle<br />

von Veränderungen der DNA-Sequenzen<br />

sind, aber auch chromosomale Makromutationen,<br />

die diese Moleküle aufbrechen<br />

und wieder zusammenkleben. Solche<br />

Vorgänge finden bei jeder Meiose<br />

statt. Damit sichern sie einen Teil der genetischen<br />

Rekombination, die durch die<br />

Fortpflanzung die Diversität der Individuen<br />

hervorbringt. Der andere Teil wird von<br />

der Begegnung von zufälligen Halbgenomen<br />

bei der Befruchtung sichergestellt.<br />

Andere chromosomale Mutationen, die<br />

bei den Pflanzen schon lange bekannt<br />

sind, und von Bernard Dutrillaux bei den<br />

Säugetieren untersucht wurden, spielen<br />

bei der Trennung der Arten eine wesentliche<br />

Rolle, indem sie Grenzen in die Genom<br />

evolution einführen. Und die punktuel<br />

len und chromosomalen Mutationen<br />

der codierenden Gene und der Master-Kontrollgene,<br />

die von Walter Gehring<br />

in Basel entdeckt wurden, konkretisieren<br />

heute die Makromutationen von Goldschmidt.<br />

Durch den abrupten Wechsel des<br />

Organisationsplans einer Art bringen sie<br />

die «hoffnungsvollen Monster» hervor, die<br />

von Steve J. Gould popularisiert wurden.<br />

Hoffnungsvoll, solange deren Monstrosität<br />

ihnen ermöglicht, Nachkommen zu<br />

haben, an welche sie weitergegeben wird.<br />

… weitreichende Folgen<br />

Die saltationistischen Mechanismen gehören<br />

zu den Haupterklärungsansätzen<br />

der grossen Ereignisse in der Geschichte<br />

des Lebens: Auftreten der Sexualität,<br />

Landgang, Auftreten von verschiedenen<br />

Fortbewegungsmustern usw. Es sind nicht<br />

die einzigen und sie werden, mangels Daten,<br />

häufig nicht richtig verstanden. Näher<br />

bei uns sind das Auftreten der Spiegelneurone<br />

und der Empathie, die wir mit<br />

gewissen Vögeln und Säugetieren teilen,<br />

möglicherweise das Ergebnis von kontinuierlichen<br />

Prozessen zwischen den aufeinanderfolgenden<br />

betroffenen Arten.<br />

Aber das Auftreten der Sprache mit ihrer<br />

zweifachen Gliederung der Zeichen und<br />

Sinne, die uns von den anderen Tieren,<br />

von denen keine sie beherrschen, trennt,<br />

scheint eine grosse Diskontinuität zu sein.<br />

Nichts belegt, neben den zerebralen Strukturen<br />

und den notwendigen Lernbedingungen,<br />

dass dieser Sprung durch genetische<br />

Mutationen, die diese Strukturen<br />

bilden, also durch eine wesentliche biologische<br />

Diskontinuität, verursacht wurde.<br />

Das Scheitern aller Versuche, anderen Tieren<br />

eine solche Sprache beizubringen,<br />

lässt darauf schliessen, dass das Auftreten<br />

der menschlichen Spezifizität ein qualitativer<br />

Sprung im kontinuierlichen Strom<br />

des Lebens war, in guten wie in schlechten<br />

Zeiten.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 27


Fokus<br />

Wenn der<br />

Hamster nicht<br />

aufersteht<br />

Wie entwickeln sich Vorstellungen von Sterben und Tod bei Kindern?<br />

Altersabhängig, geprägt von kulturellem Umfeld und<br />

persönlichen Erfahrungen, aber nicht in einem linearen Prozess.<br />

Alain Di Gallo, Chefarzt Klinik für Kinder und Jugendliche der<br />

Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPKKJ)<br />

Der Übergang vom Leben in<br />

den Tod steht jeder und jedem<br />

bevor, und wir gehen alle<br />

auf unsere ganz persönliche<br />

Art mit diesem Schicksal um. Unser<br />

Verhältnis zum Sterben hängt mit vielen<br />

Faktoren zusammen. Zwei wichtige sind<br />

der emotionale und der kognitive Entwicklungsstand.<br />

Wenn wir erfahren wollen, was Kinder<br />

über den Tod wissen, ist es am einfachsten,<br />

sie direkt zu fragen: «Glaubst du, dass<br />

du einmal sterben wirst?» Etwa die Hälfte<br />

der 5-Jährigen und schon drei Viertel der<br />

6-Jährigen beantworten diese Frage mit<br />

Ja. Im Alter zwischen 8 und 10 Jahren wird<br />

der Tod von fast allen Kindern als fester<br />

Bestandteil der eigenen Existenz erkannt.<br />

Es ist eine einfache Frage mit einer einfachen<br />

Antwort – und trotzdem lohnt es<br />

sich, neugierig zu bleiben, ob man auf diese<br />

Weise wirklich Bedeutsames erfährt. Die<br />

blosse Anzahl der Ja-Antworten pro Altersstufe<br />

berücksichtigt nämlich nicht, dass jedem<br />

Todeskonzept auch die persönliche<br />

Lebenssituation des Kindes, seine Erziehung<br />

und sein soziales Umfeld zugrunde<br />

liegen. Traditionen und Kulturen haben einen<br />

bedeutenden Einfluss darauf, wie wir –<br />

als Kinder oder Erwachsene – mit der Spannung<br />

zwischen Leben und Tod umgehen.<br />

Der anonyme, abstrakte Tod<br />

In unserer Gesellschaft war diese Beziehung<br />

in den vergangenen Generationen<br />

starken Veränderungen unterworfen. Die<br />

Gründe dafür liegen besonders in den<br />

Fortschritten der Medizin und der weltumspannenden<br />

Kommunikation. Wir werden<br />

von den Medien laufend mit Nachrichten<br />

über Kriege, Unglücksfälle und Katastrophen<br />

überschüttet. Der Tod begleitet uns<br />

täglich, aber meist in sicherer Distanz und<br />

anonymer Form. Nahes Sterben betrifft<br />

meist Menschen im hohen Alter und findet<br />

im Spital oder in Hospizen statt. Früher<br />

traf der Tod viel häufiger junge Menschen,<br />

mitten im Erwerbsalter oder in ihrer<br />

elterlichen Verantwortung für kleine<br />

Kinder. Die Erschütterung für die Zurückbleibenden<br />

war dadurch grösser. Die uns<br />

von früheren Generationen und aus anderen<br />

Kulturen überlieferten Bewältigungsbemühungen<br />

mit manchmal wochenlangen<br />

Todesriten kennen wir kaum noch.<br />

Die Trauer ist in unserer Gesellschaft weitgehend<br />

privatisiert. Das entspricht unserem<br />

Wunsch nach Individualität und<br />

Selbstbestimmung, bringt aber – als Kehrseite<br />

– die Gefahr von Orientierungslosigkeit<br />

und Identitätskrisen mit sich. In manchen<br />

Kulturen durchlaufen Kinder und<br />

Jugendliche bis heute zahlreiche Rituale,<br />

die sich über Jahre erstrecken können und<br />

die ihnen im Lauf ihres Lebens und oft<br />

auch im Austausch mit den Ahnen einen<br />

sicheren Halt bieten.<br />

Der individuell bedeutsame Tod<br />

Wie entwickelt sich nun aber das Verständnis<br />

für den Tod von der frühesten<br />

Kindheit bis ins Erwachsenenalter? Bereits<br />

Säuglinge lernen, dass keine gute Erfahrung<br />

ewig dauern kann. In ihrer vollkommenen<br />

Abhängigkeit von der Umwelt<br />

schreien sie, wenn sie frieren oder Hunger<br />

haben. Vielleicht lösen diese Erlebnisse<br />

bei den Kleinsten bereits Empfindungen<br />

von Vernichtung aus oder einfach, dass sie<br />

sich nicht sicher fühlen. Letztlich ist es eine<br />

philosophische Frage, ob wir diese Gefühle<br />

bereits als Konzepte des Nichtseins<br />

oder Todes bezeichnen. Im Alter von etwa<br />

drei Jahren entsteht ein Bewusstsein, dass<br />

es den Tod gibt. Die Kinder verstehen ihn<br />

aber lediglich als Beschreibung im Hier<br />

und Jetzt. Die Realität des Todes ist an<br />

konkrete Gegebenheiten gebunden, zum<br />

Beispiel an die Tatsache, dass die Toten<br />

sich nicht mehr bewegen und nicht mehr<br />

mit uns sprechen können. In ihrer Allmachtsphantasie<br />

vermögen die Kinder in<br />

diesem Alter den Tod durchaus noch rückgängig<br />

zu machen. Einmal sagte ein 4-jähriges<br />

Mädchen zu mir: «Mein Hamster ist<br />

gestern gestorben. Aber morgen kommt er<br />

vielleicht zurück.»<br />

Etwa ab sechs Jahren wird das Denken<br />

flexibler. Ursachen und Wirkungen<br />

wecken das Interesse der Kinder. Sie lernen,<br />

die Unwiderruflichkeit (Tote kommen<br />

nicht zurück) und die Universalität<br />

(alle müssen einmal sterben, auch ich) zu<br />

erkennen. Vergangenheit, Zukunft und<br />

ursächliche Zusammenhänge – zunächst<br />

meistens äussere, wie Unfälle, später auch<br />

innere und schwieriger zu verstehende,<br />

wie Krankheiten – werden ins Todeskon­<br />

Bilder: zvg<br />

28<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Fokus<br />

steht schief und ist bereits zur Hälfte in<br />

den Fluten versunken. Zwei grosse Löcher<br />

im Rumpf weisen auf den Zusammenstoss<br />

mit dem Eisberg hin. Drei Menschen versuchten<br />

sich auf die Spitze zu retten, die<br />

anderen treiben im Meer. Die Zahl der Opfer<br />

überforderte Pablo. Er stellt die einzelnen<br />

Personen nur schematisch dar. Eine<br />

individuellere Darstellung wäre für den<br />

Knaben wohl zu bedrohlich geworden.<br />

Nur eine Figur zeichnet er etwas präziser,<br />

fügt ihr Arme und Beine bei und deutet ein<br />

Gesicht an. Es sei ein Kind, sagte Pablo, es<br />

gehe schon unter.<br />

Abb. 1. Pablo und Lisa versuchten beide, ein Erlebnis, das sie mit dem Tod konfrontiert und bei<br />

ihnen Fragen und Ängste ausgelöst hatte, mit einer Zeichnung zu verarbeiten. Dieses «Aufs-Papier-Bringen»<br />

kann für Kinder sehr entlastend und befreiend sein. Uns Erwachsenen bieten die<br />

Bilder eine wunderbare Möglichkeit, mit den Kindern über die Zeichnung sowie ihre Fragen und<br />

Gefühle dazu ins Gespräch zu kommen und ihnen bei der Verarbeitung zu helfen.<br />

Abb. 2. Lisa stellt in ihrer Zeichnung eine andere Katastrophe dar, den todbringenden Tsunami<br />

nach dem Beben im Indischen Ozean im Jahr 2004 (Abbildung 2). Das Bild zeigt einen Menschen in<br />

einem kleinen Boot, der sich einer riesigen Welle gegenübersieht. Es ist ein Aquarell, die Farben<br />

wirken fast lieblich, und die Bedrohung erschliesst sich einem nicht auf den ersten Blick. Die Figur<br />

im Schiffchen, das einer Nussschale gleicht, hat keine Arme und wirkt steuer- und hilflos. Lisa<br />

meinte, die Welle sei noch ein Stück entfernt, nur die ersten Tropfen über dem Kopf der Figur<br />

deuteten die verheerende Bedrohung an.<br />

zept einbezogen. Der Tod erhält eine individuelle<br />

Bedeutung.<br />

An zwei Beispielen möchte ich zeigen,<br />

wie ein 6-jähriger Knabe und ein 7-jähriges<br />

Mädchen in Zeichnungen ihren Gefühlen<br />

in Zusammenhang mit dem Tod<br />

Ausdruck gaben. Pablo hatte vor kurzem<br />

den Spielfilm Titanic gesehen. Überwältigt<br />

vom Untergang des riesigen Schiffes<br />

und vieler Menschen malte er dieses Bild<br />

(Abbildung 1). Seine Zeichnung ist ganz in<br />

Schwarzweiss gehalten, nur dem eisigen<br />

Wasser gibt er eine blaue Farbe. Das früher<br />

stolze Schiff mit seinem mächtigen Kamin<br />

Kein linearer Prozess<br />

Mit fortschreitendem Alter und angehender<br />

Adoleszenz verliert das Denken immer<br />

mehr seine Bindung an die konkrete Erfahrung.<br />

Die zunehmende Fähigkeit zur<br />

Abstraktion erlaubt schliesslich die Integration<br />

des Todes in das existentielle Daseinskonzept.<br />

Der Tod bedeutet nun nicht<br />

mehr bloss den Abschluss des Lebens,<br />

sondern er spiegelt eine dialektische Notwendigkeit,<br />

nämlich das Bewusstsein,<br />

dass es ohne Tod auch kein Leben gibt.<br />

Mein Versuch, das Verständnis für<br />

Sterben und Tod in ein chronologisches<br />

Entwicklungskonzept zu fassen, darf<br />

nicht zum Schluss eines linear fortlaufenden<br />

Prozesses verleiten. Unser Erleben<br />

entzieht sich solch einfachen Schemata.<br />

Vielmehr verläuft die Entwicklung mal in<br />

grossen, dann wieder kleinen Schritten,<br />

meist vorwärts, manchmal auch kurz<br />

rückwärts. In Ausnahmesituationen überraschen<br />

uns Kinder zuweilen mit ihren<br />

Gedankengängen. Kurz nachdem mein<br />

ältester Sohn seinen fünften Geburtstag<br />

gefeiert hatte, starb seine Urgrossmutter,<br />

die er sehr gern gehabt hatte. In einem ruhigen<br />

Moment sagte der Knabe zu mir:<br />

«Omama ist gestorben und ist jetzt im<br />

Himmel.» Ich nickte und fragte, ob er<br />

glaube, dass sie zurückkommen werde.<br />

«Nein», antwortete er, «aber ich werde<br />

auch einmal sterben, wenn ich alt bin.<br />

Dann sehe ich Omama vielleicht wieder.»<br />

Er machte eine kurze Pause und fragte:<br />

»Was ist das eigentlich, der Himmel? Wo<br />

ist er und was macht man dort?» Auf diese<br />

Frage wusste ich auch keine Antwort, aber<br />

ich realisierte, dass sich das Todesverständnis<br />

meines Sohnes von meinem<br />

kaum unterschied. Er war sich der Unwiderruflichkeit,<br />

der Universalität und des<br />

Mysteriums des Todes bewusst und befasste<br />

sich, in seiner kindlichen Art, mit<br />

den gleichen ungeklärten Fragen wie wir<br />

Erwachsenen.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 29


Fokus<br />

Das Labyrinth aus Schächten und Leitungen zeigt die Haustechnik des künftigen Hauptgebäudes.<br />

Digitalisierung<br />

im Spitalbau<br />

Ist ein Haus erst mal gebaut, wird es schwierig zu korrigieren.<br />

Der Prozess des Building Information Modeling soll dank<br />

digitaler Planung und Zusammenarbeit sowie eines digitalen Zwillings<br />

Fehler bei komplexen Bauten vermeiden.<br />

Bruno Jung, Gesamtprojektleiter «Neues Hauptgebäude des Inselspitals»<br />

Die Begriffe Digitalisierung und<br />

digitale Transformation sind<br />

allgegenwärtig. Ihr Einsatz ist<br />

so inflationär, dass sie ohne<br />

konkrete Ausführungen zu inhaltslosen<br />

Schlagwörtern verkommen. Deshalb sollen<br />

die Auswirkungen für den Neubau eines<br />

Spitals hier an einem Beispiel näher<br />

beschrieben werden.<br />

In den letzten Jahren haben die Digitalisierung<br />

und Lean-Methoden die traditionelle<br />

Produktionsweise der Baubranche<br />

mit voller Wucht erfasst. Vorreiter<br />

dieser Entwicklung waren die nordischen<br />

und angelsächsischen Länder. Vor allem<br />

die immer komplexeren, hochtechnisierten<br />

Hochbauten haben dem Einsatz von<br />

digitaler Planung und Zusammenarbeit,<br />

kurz dem «Building Information Modeling<br />

(BIM)», zum Durchbruch verholfen. Dazu<br />

gehörten zweifelsohne die grossen Spitalbauten<br />

mit einem Technikanteil von teilweise<br />

über 60 Prozent der Investitionssumme.<br />

Die aktuelle COVID-19-Pandemie<br />

wirkt sich nun zusätzlich beschleunigend<br />

auf die Einführung digitaler Prozesse aus.<br />

Ohne umfassende digitale Unterstützung<br />

wird das Zusammenarbeiten in solchen<br />

Projekten künftig nicht mehr vorstellbar<br />

sein.<br />

Ein Bauvorhaben der besonderen<br />

Art<br />

2014 wurde am Berner Inselspital das Projekt<br />

«Neues Hauptgebäude des Inselspitals<br />

/ Baubereich 12 (BB12)» gestartet. Von<br />

Anfang an war dem Bauherr Insel Gruppe<br />

und dem Generalplaner Archipel klar,<br />

dass bei einem Vorhaben dieser Grösse<br />

und Komplexität neue Ansätzen wie BIM<br />

und Lean Management eingesetzt werden<br />

müssen. Bei einer Planungs- und Realisationszeit<br />

von knapp neun Jahren und einem<br />

sich ständig verändernden Umfeld<br />

wie der Medizin war dies essentiell, um<br />

Kosten, Termine und Qualität sicherzustellen<br />

und trotzdem maximale Flexibilität<br />

zu gewährleisten. Gleichzeitig will man<br />

Voraussetzungen schaffen, dass der Spitalbetrieb<br />

und das Facility Management<br />

künftig verstärkt auf digitale Informationen<br />

zurückgreifen können.<br />

Je nach Phase sind im Projekt BB12<br />

über 150 Planer von über 30 Planungspart­<br />

Bilder: zvg<br />

30<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


nern gleichzeitig involviert. Während des<br />

Innenausbaus ab <strong>2020</strong> werden bis zu 1500<br />

Handwerker auf der Baustelle sein. Auch<br />

waren bisher über 150 Mitarbeitende aus<br />

den Kliniken des Inselspitals in die Planung<br />

involviert. Eine Vielzahl von Schnittstellen,<br />

die unbedingt nahtlose, digitale<br />

Prozesse fordern.<br />

Was waren die Hauptziele der Insel<br />

Gruppe beim Einsatz von BIM im Projekt?<br />

– Beherrschen der Komplexität (Vorgaben<br />

an Architektur, Haustechnik, Medizintechnik<br />

etc.; Anzahle Beteiligte),<br />

– Effizienzsteigerung in der Planung und<br />

dem Abgleich mit dem Bauherrn; frühzeitige<br />

Einbindung von Nutzern; Optimierung<br />

von Ressourcen,<br />

– Erhöhen der Planungsqualität und Kostensicherheit;<br />

Risikomanagement,<br />

– strukturierte Prozesse und Informationen<br />

(übergreifend Fachplaner – Generalplaner<br />

– Bauherr),<br />

– einfachere Beurteilung und Umsetzung<br />

von Projektänderungen.<br />

Für die Schweiz und die Nachbarländer<br />

war und ist das Projekt BB12 bezüglich<br />

Grösse, Komplexität, aber auch bezüglich<br />

Umsetzungstiefe der neuen Methodik eines<br />

der Pionierprojekte für BIM.<br />

Zusammenarbeit und Transparenz<br />

Was bedeutet BIM (Building Information<br />

Modeling) in der Projektarbeit? Eines ist<br />

sicher: Erfolgreiches BIM ist viel mehr als<br />

digitale Konstruktionszeichnungen in<br />

3-D. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche<br />

Einführung von BIM ist eine Kultur<br />

der Zusammenarbeit auf Augenhöhe und<br />

maximale Transparenz zwischen den Planern<br />

und dem Bauherrn. Mit digitaler Planung<br />

hat der Bauherr quasi in Echtzeit<br />

Blick und Zugriff auf den aktuellen Planungsstand<br />

oder die «Werkbank» der Planer.<br />

Er gibt nicht mehr nur definitive Arbeitsergebnisse<br />

frei, sondern auch laufend<br />

Rückmeldung zu den Planungsschritten.<br />

Widersprüche und offene Fragen werden<br />

zeitnah in gemeinsamen Besprechungen<br />

erörtert und entschieden. Oft ist dabei das<br />

3-D-Modell hilfreich. Diese Art der Zusammenarbeit<br />

verlangt von beiden Seiten<br />

entsprechendes Fachwissen und die Fähigkeit,<br />

früh zu entscheiden. Fragen, die<br />

bisher erst während der Bauausführung<br />

sichtbar wurden – etwa Zugänglichkeiten<br />

für Reparaturen und Wartungen – können<br />

nun in frühen Planungsphasen durch die<br />

Nutzer beurteilt und entschieden werden.<br />

Lean Management bedeutet hier eine Abkehr<br />

von reaktionärem Handeln hin zu<br />

vorausschauendem Planen, ausgerichtet<br />

auf den (internen) Kunden.<br />

Strukturierte Abläufe und<br />

teilautomatisierte Prozesse<br />

Die grosse Anzahl verschiedener Fachgebiete<br />

und Planungsbeteiligter verlangt eine<br />

sehr strukturierte «Planung der Planung».<br />

Diese legt Zeiträume und Abfolge<br />

fest, in denen die einzelnen Stockwerke<br />

von den verschiedenen Planern bearbeitet<br />

werden. Zu definierten Zeiten werden die<br />

aktuell 214 verschiedenen 3-D-Modelle,<br />

bestehend z.B. aus Haustechnikplanung,<br />

Statik oder Architektur, vom Generalplaner<br />

zu einem Gesamtmodell über alle<br />

Stockwerke zusammengefügt und von einer<br />

speziellen Software auf Lücken und<br />

Kollisionen geprüft. Dieses 3-D-Gesamtmodell<br />

ergibt mit der dazugehörigen Elementen-Datenbank<br />

einen digitalen Zwilling<br />

des zukünftigen Gebäudes. Der Bauherr<br />

bekommt das Gesamtmodell jeweils<br />

zur Prüfung und Freigabe zugestellt.<br />

Durch dieses strukturierte und terminierte<br />

Vorgehen können Verzögerungen bei<br />

jedem einzelnen Beteiligten sofort erkannt<br />

werden. Die erforderliche Disziplin<br />

beim Einhalten von Terminvorgaben betrifft<br />

ebenso die Nutzergespräche mit den<br />

Kliniken. Auch diese müssen entsprechend<br />

in der Gesamtterminplanung berücksichtigt<br />

werden.<br />

Gemeinsame<br />

Kollaborationsplattform<br />

Damit die übergreifenden Prozesse und<br />

die Zusammenarbeit zwischen Bauherrn,<br />

Planern und Unternehmern funktionieren,<br />

wird ein digitaler Projektraum eingesetzt.<br />

Dieser besteht vor allem aus drei<br />

Anwendungen:<br />

– Dokumentenmanagementsystem inkl.<br />

Prüfprozesse<br />

– Modellaustauschplattform für die<br />

Prüfung und Kommentierung in 3-D<br />

– Datenbank mit allen Bestell-, Planungsund<br />

Elementspezifikationen<br />

Was bringt es dem Nutzer?<br />

Weil das gesamte Gebäude inklusive Darstellung<br />

von Funktionen und Abläufen in<br />

einer grossen Detailschärfe digital vorliegt,<br />

können Anforderungen und Abhängigkeiten<br />

leichter geprüft werden. So kann<br />

ein grösserer Teil der Organisation des<br />

Bauherrn, inklusive der späteren Nutzer,<br />

früh und damit rechtzeitig in die Entscheidungsprozesse<br />

eingebunden werden.<br />

Die Planung in standardisierten Elementen<br />

und Raumanforderungen erleichtert<br />

zudem den Übertrag auf zukünftige<br />

Projekte.<br />

Die Nutzer äussern häufig den<br />

Wunsch, dass die Planung, z.B. bei einem<br />

Küchenplaner oder der Autokauf, direkt in<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 31


Unser Beratungspartnernetz<br />

für Treuhand, Versicherungen, Vorsorge<br />

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Telefon 031 350 44 22<br />

info@mediservice-vsao.ch<br />

www.mediservice-vsao.ch


Fokus<br />

In Zukunft wird auch die Vorfertigung<br />

aus serhalb der Baustelle stark zunehmen:<br />

Die genauere Planung erlaubt es Zulieferern,<br />

bereits im Voraus das Material richtig<br />

zu konfektionieren und damit die Montage<br />

zu vereinfachen. Die Unternehmer<br />

liefern die Daten und Modelle der ausgeführten<br />

Arbeiten an den Generalplaner,<br />

und es entsteht ein echtes Modell des gebauten<br />

Gebäudes («as built model»). Damit<br />

stehen dann auch alle nötigen Informationen<br />

für den Betrieb und die Instandhaltung<br />

des Neubaus direkt und digital<br />

zur Verfügung. So ist eine wichtige Grundlage<br />

für ein echtes, digitales Spital geschaffen.<br />

Die technologische Entwicklung<br />

schreitet derzeit rasant voran. Die Softwaretools<br />

bieten immer neue und optimierte<br />

Möglichkeiten der Kollaboration<br />

und Teilautomatisierung. In Zukunft wird<br />

es für Bauherrn von Spitälern darum gehen,<br />

die Nutzeranforderungen möglichst<br />

früh umzusetzen und diese für teilweise<br />

baufremde Personengruppen einfach darzustellen.<br />

Frühzeitige Entscheidungsgrundlagen<br />

wie computergenerierte Layouthypothesen<br />

oder VR-Simulationen<br />

werden das ermöglichen.<br />

Die Nutzer können die Einrichtung der Medikamentenaufbereitung auf einem Pflegegeschoss<br />

virtuell und in 3-D prüfen.<br />

Das Projekt<br />

Neues Hauptgebäude<br />

Inselspital (BB12)<br />

3-D erfolgen kann. Dies ist aus verschiedenen<br />

Gründen leider (noch) nicht der Fall.<br />

Die Bestellung des Bauherrn definiert<br />

zunächst den Platzbedarf, die Belegung<br />

sowie betriebliche Abläufe und Abhängigkeiten<br />

von Funktionen. Diese Anforderungen<br />

müssen in Geschosslayouts umgesetzt<br />

werden, die z.B. auch Haustechnik, Brandschutz<br />

und Nebenflächen berücksichtigen.<br />

Die Erfahrung zeigt, dass bei einem zu<br />

frühen Einsatz von 3-D-Visualisierungen<br />

nicht alle planerischen Aspekte berücksichtigt<br />

werden können und eine Genauigkeit<br />

suggeriert wird, die unter Umständen<br />

nicht durchgehalten werden kann. Nutzer<br />

sind dann enttäuscht, weil Zusagen relativiert<br />

werden müssen. Auch der kritische<br />

Blick auf gebäudeübergreifende Details,<br />

z.B. Prozesse und Gestaltung, wird allzu<br />

schnell übersteuert. Die 3-D-Visualisierungen<br />

liefern aber bei kritischen oder<br />

komplexen Räumen eine gute Überprüfung<br />

von Nutzungsanordnungen. Den Planern<br />

stellt sich jedoch die Herausforderung,<br />

Einrichtungen wie Medizintechnik<br />

oder das Mobiliar generisch zu planen,<br />

wenn diese noch nicht bekannt sind.<br />

Was kommt noch?<br />

Die digitale Planung mit BIM wird sich für<br />

grosse Bauvorhaben weiter durchsetzen<br />

und zum Standard werden. Aber auch bei<br />

der Realisierung, dem Bau selbst, hält die<br />

Digitalisierung Einzug. So kann zum Beispiel<br />

die gesamte Qualitätssicherung mit<br />

dem Modell verknüpft werden. Die Dokumente<br />

werden dann direkt an den entsprechenden<br />

Elementen «angeheftet». Unternehmer<br />

und Lieferanten bekommen Planungsdaten<br />

digital zugestellt und können<br />

entsprechend einfacher ihre Werkplanung<br />

vornehmen.<br />

Der Neubau Spitalgebäude Baubereich<br />

12 ist eines der ersten Projekte, das im<br />

Hinblick auf eine langfristige Entwicklung<br />

des gesamten Insel-Areals realisiert<br />

wird. Der Neubau mit über<br />

82 000 m² Geschossfläche wird das<br />

neue Hauptgebäude des Inselspitals<br />

sein und in Zukunft das heutige Bettenhochhaus<br />

ersetzen. Das Gebäude<br />

wird zudem das Schweizer Herz- und<br />

Gefässzentrum und verschiedene<br />

Fachkliniken beheimaten. Mit dem<br />

geplanten Minergie-P-Eco-Standard<br />

stellt es zudem ein Pionierprojekt für<br />

Spitalbauten dar. Das Gebäude wird<br />

nach der Methode des Building Information<br />

Modeling bearbeitet, um<br />

Planung, Bau und Betrieb des komplexen<br />

Gebäudes zu unterstützen und zu<br />

optimieren.<br />

Mehr Informationen inkl. Fakten und<br />

Filme zu dem Projekt auf der Website<br />

der Insel Gruppe:<br />

www.inselgruppe.ch/bauprojekte<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 33


Fokus<br />

Ob in Luzern oder in St. Petersburg: Prozessionen<br />

bieten aufgrund ihrer Feierlichkeit und<br />

ihrer Dynamik eine einzigartige, gemeinsame<br />

Glaubenserfahrung.<br />

Bewegte Liturgie<br />

Was gottesdienstliches Feiern im Wesentlichen ausmacht, findet<br />

sich in Prozessionen. Im Vorwärtsschreiten (lat. processio) können sich<br />

Erfahrung und Glaube sinnfällig miteinander verbinden.<br />

Prof. Dr. theol. Birgit Jeggle-Merz, Ordinaria für Liturgiewissenschaft in Chur und Luzern<br />

Bilder: © Luzern: wikimedia / © St. Petersburg: Shutterstock<br />

34<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Fokus<br />

Prozessionen sind ältestes Kulturbrauchtum.<br />

Sie gehören zu<br />

den elementaren kultischen<br />

Vollzügen in nahezu allen Religionen<br />

und Kulturen. Das gilt für die Vergangenheit<br />

sowie für die Gegenwart. Es<br />

gibt Prozessionen als selbständige Rituale<br />

oder als Teile von grösseren Kulthandlungen<br />

oder Festen. So kennt z.B. der Hinduismus<br />

die Pañcatirtha-Prozession von Benares,<br />

der Islam die Umgänge um die Ka’ba in<br />

Mekka, während der Hadjdj und das Christentum<br />

verschiedenste Formen von rituellen<br />

prozessionalen Elementen in den meisten<br />

ihrer Gottesdienste haben. In allen Religionen<br />

hat ein solches ritualisiertes Tun<br />

in Gemeinschaft tiefe Bedeutung und<br />

drückt etwas von dem Innersten der Religion<br />

aus. Grob kann unterschieden werden<br />

zwischen Prozessionen, in denen die Gottheit<br />

selbst in Bewegung gebracht wird –<br />

wenn z.B. in der katholischen Kirche das<br />

Allerheiligste durch die Strassen getragen<br />

wird –, und solchen, in denen sich die Teilnehmenden<br />

der Gottheit nähern – wie z.B.<br />

bei einer Prozession zur Kommunion. Interessant<br />

ist, zu beobachten, dass Musikbegleitung<br />

ein konstitutives Element solcher<br />

religiösen Betätigungen ist.<br />

Unterwegssein als Kennzeichen<br />

Biblischer Prototyp aller Prozessionen im<br />

jüdisch-christlichen Verständnis ist das<br />

Exodusgeschehen, also der Auszug Israels<br />

aus der ägyptischen Knechtschaft in das<br />

Land der Verheissung. Alle Elemente einer<br />

Prozession sind hier enthalten: der<br />

Auszug und der Einzug sowie dazwischen<br />

der geordnete, von Stationen unterbrochene<br />

Weg. Dieser Auszug aus Ägypten<br />

wird verstanden als Rettungstat Gottes an<br />

seinem Volk, das im ritualisierten Nachspielen<br />

wieder Gegenwart wird. Das Volk<br />

Israel bleibt fortan auf dem Weg mit seinem<br />

Gott. Es ist das gleiche biblische Gottesbild,<br />

das die christlichen Glaubensgemeinschaften<br />

prägen. Die Gestaltung ihrer<br />

Zusammenkünfte, d.h. ihre liturgischen<br />

Feiern, sind Spiegelbild dieses<br />

Selbstverständnisses. Insofern sind prozessionale<br />

Elemente in den liturgischen<br />

Feiern der christlichen Gemeinschaften<br />

keine beliebige Äusserlichkeit. Das Christentum<br />

versteht sich als Gemeinschaft der<br />

Glaubenden, die – theologisch gesprochen<br />

– mit Christus an ihrer Seite unterwegs<br />

ist – wieder theologisch formuliert –<br />

in das Reich Gottes, das am Ende der Zeiten<br />

endgültig errichtet sein wird. Das Unterwegssein<br />

ist geradezu ein Kennzeichen<br />

von Kirche. Alle gottesdienstlichen Feiern<br />

sind zu verstehen als Kristallisationsmomente<br />

auf diesem Weg, an denen die «pilgernde<br />

Kirche» innehält, um sich über den<br />

Grund ihrer Pilgerschaft zu vergewissern<br />

und sich mit dem in Leben, Tod und Auferstehung<br />

Jesu Christi gewirkten Heil wieder<br />

neu zu verbinden.<br />

Prozessionaler Charakter<br />

des Christentums<br />

Selbst in der Gestaltung ihrer Versammlungsräume<br />

hat sich dieses Selbstverständnis<br />

niedergeschlagen. Nach der Zeit<br />

der Verfolgung entsteht im 4. Jahrhundert<br />

mit der Basilika ein Grundtyp der christlichen<br />

Kirche, die nicht nur dem prozessionalen<br />

Charakter des Christentums eine<br />

architektonische Gestalt gibt, sondern<br />

auch von der Grösse und räumlichen Disposition<br />

her Prozessionen erfordert. In<br />

dieser Zeit fanden auch die zentralen Gottesdienste<br />

ihre Gestalt, allen voran die<br />

Taufliturgie und die Eucharistiefeier.<br />

Bis heute gestaltet sich die Taufliturgie<br />

in vielen christlichen Gemeinschaften<br />

als prozessionale Liturgie. Der Täufling<br />

und seine Familie werden am Eingang der<br />

Kirche empfangen. Die zur Feier Versammelten<br />

nehmen den Täufling mit auf ihren<br />

Weg und ziehen gemeinsam zum Ort<br />

der Wortverkündigung. Gestärkt mit dem<br />

Wort Gottes begeben sie sich wieder auf<br />

den Weg. Ihr Ziel ist diesmal der Taufbrunnen,<br />

wo der Täufling mit Wasser getauft<br />

wird. Bemerkenswert ist, dass die Begräbnisliturgie<br />

spiegelbildlich gestaltet ist. Die<br />

Gemeinde begleitet den Christen und die<br />

Christin auf ihrem letzten Weg, den er<br />

oder sie in der Taufe begonnen hat und der<br />

in der Grablegung seinen Abschluss findet.<br />

Beerdigungen schliessen also in der<br />

Regel Prozessionen ein. Auch die Eucharistiefeier<br />

der katholischen Kirche ist bis<br />

heute durch Prozessionsabläufe gegliedert:<br />

Einzugs- und Auszugsprozession,<br />

Prozession zum Evangelium, Gaben- und<br />

Kommunionprozession.<br />

Diese Beispiele einer prozessionalen<br />

Liturgie zeigen, dass solche Prozessionen<br />

nicht rein pragmatisch als notwendige<br />

Ortsveränderung oder als abwechslungsreiche<br />

Gestaltungsvariante verstanden<br />

werden dürfen. Prozessionen wollen die<br />

Mitfeiernden leibhaft erfahren lassen und<br />

sie mit dem Körper vollziehen lassen, was<br />

ihren Glauben ausmacht. In ihnen zeigt<br />

sich, dass der Glaube nicht statisch verstanden<br />

wird, sondern als etwas Dynamisches<br />

bzw. Prozesshaftes. Deshalb braucht<br />

auch die Feier des Glaubens Bewegung.<br />

Prozessionen als religiöses Ereignis<br />

Prozessionen sind aber nicht nur Elemente<br />

einer Feier, sondern auch selbst religiöses<br />

Ereignis. Bei einer Wallfahrt oder einer<br />

Flurprozession wird das Auf-dem-Weg-<br />

Sein von den Teilnehmenden unmittelbar<br />

ausgeübt. Im Mittelalter haben sich viele<br />

Bittprozessionen entwickelt, bei denen<br />

heilige Gegenstände oder Reliquien mitgetragen<br />

wurden. Hier liegt auch die Wurzel<br />

für die Sakramentsprozession am<br />

Fronleichnamsfest, die sich seit dem<br />

13. Jahrhundert zu der katholischen Prozession<br />

schlechthin entwickelte. Derlei<br />

Praxis kritisierten die Reformatoren vehement<br />

als Zeichen unzulässiger Werkgerechtigkeit.<br />

Die reformierten Kirchen<br />

standen deshalb über viele Jahrhunderte<br />

solchen Feierformen ablehnend gegenüber.<br />

Seit einiger Zeit jedoch entdecken<br />

alle christlichen Kirchen Prozessionen als<br />

ein den ganzen Menschen mit Leib und<br />

Seele betreffenden Glaubensausdruck.<br />

Ökumenisch wird dies mehr und mehr<br />

fruchtbar gemacht.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 35


Fokus<br />

Der PC erhält<br />

ein Gehirn<br />

Zugegeben, Computer können besser rechnen als Menschen. Aber<br />

viele für uns einfache Dinge sind für Computer kaum oder nur schwer<br />

lösbar. Solche Lernprozesse benötigen künstliche neuronale Netze.<br />

Prof. Panagiotis Pavlopoulos, ret. Venia Docendi, Institut für Physik, Universität Basel<br />

Die künstlichen neuronalen<br />

Netze (KNN) finden im Bereich<br />

des automatisierten<br />

Lernens Anwendung. Sie<br />

sind besonders hilfreich, wenn das analysierte<br />

Problem ein gewisses Mass an Unsicherheit<br />

aufweist, und funktionieren<br />

tendenziell besser, wenn die klassischen<br />

Berechnungsansätze keine robusten Modelle<br />

hervorgebracht haben. In allen Situationen,<br />

in welchen es eine nicht lineare<br />

Beziehung zwischen einer prädiktiven Variable<br />

und einer vorhergesagten Variablen<br />

gibt, sind KNN unerlässlich. Zahlreiche<br />

Applikationen könnten von ihrem Einsatz<br />

profitieren. Ein Beispiel für ein nicht<br />

lineares Problem ist das Gehen. Das Projekt<br />

SuaW 1 besteht darin, Paraplegiker<br />

dank Elektrostimulation der von einem<br />

KNN-System produzierten Muskeln und<br />

Nerven in den aufrechten Gang zu bringen.<br />

Die modernen digitalen Rechner übertreffen<br />

die Menschen in Sachen Rechnen.<br />

Die Menschen können jedoch ohne grosse<br />

Anstrengung komplexe Wahrnehmungsprozesse<br />

in einem Tempo und in einem<br />

Ausmass lösen, die auch den schnellsten<br />

Computer der Welt alt aussehen lassen.<br />

Das menschliche Hirn kann innerhalb<br />

von weniger als einer Sekunde mit einer<br />

Geschwindigkeit von 100 ms pro Zyklus<br />

eine Linie oder ein Individuum in einer<br />

Menschenmasse ausfindig machen. Umgekehrt<br />

braucht der Computer mit einer<br />

zehnmillionenfach höheren Geschwindigkeit<br />

(10 ns pro Zyklus) mehrere Stunden<br />

für die Berechnung. Weshalb besteht<br />

ein solch grosser Unterschied in den Leistungen?<br />

Die Antwort liegt im Aufbau der<br />

Denkweise. 1945 begründete der Mathematiker<br />

John von Neumann die Grundlage<br />

der Arbeitsweise der meisten heute bekannten<br />

Computer. Dieser Aufbau wurde<br />

als Von-Neumann-Architektur bekannt.<br />

Die Architektur des biologischen neuronalen<br />

Systems weicht komplett von der<br />

Von-Neumann-Architektur ab. Dieser Unterschied<br />

beeinträchtigt den Typ der<br />

Funktionen, die jedes Berechnungsmodell<br />

am besten ausführen kann.<br />

Die langfristige Evolution hat das<br />

menschliche Hirn mit zahlreichen Eigenschaften<br />

ausgestattet, die in der Von-Neumann-Architektur<br />

nicht vorhanden sind.<br />

Diese schliessen insbesondere ein:<br />

• den massiven Parallelismus,<br />

• die verteilte Darstellung und Berechnung,<br />

• die Fähigkeit, zu lernen,<br />

• die Fähigkeit, zu verallgemeinern,<br />

• die Adaptabilität,<br />

• die inhärente Bearbeitung von kontextuellen<br />

Informationen,<br />

• die Pannenverträglichkeit und<br />

• den geringen Energieverbrauch.<br />

Die auf biologischen KNN basierenden<br />

Instrumente sind stark parallele Informatiksysteme<br />

und bringen bestimmte dieser<br />

Charakteristika zusammen: Klassifikation<br />

nach Motiven, Gruppierung/Kategorisierung,<br />

Approximation der Funk tionen,<br />

Vorhersage/Prognose, Optimierung, inhaltsadressierbarer<br />

Speicher, Kontrolle,<br />

Modellierung des Hirns.<br />

McCulloch und Pitts 2 haben als Berechnungsmodell<br />

für eine künstliche Nervenzelle<br />

eine binäre Einheit vorgeschlagen.<br />

Diese mathematisch berechnete Nervenzelle<br />

berechnet eine gewichtete Sum­<br />

36<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Fokus<br />

Aufgrund der Rückkopplungswege werden<br />

die Inputs jedes Neurons anschliessend<br />

verändert, was das Netz in einen neuen<br />

Zustand überführt.<br />

Input 1<br />

Input 2<br />

Input 3<br />

Input 4<br />

Input 5<br />

Inputschicht Versteckte Schicht Outputschicht<br />

Rückkopplung<br />

des Fehlers<br />

me seiner n Inputsignale, x j, j = 1, 2, ..., n,<br />

und generiert einen Output von 1, sofern<br />

die Summe eine bestimmte Schwelle u<br />

übersteigt. Sonst resultiert ein Output von<br />

0. Mathematisch = [∑ nj = 1 w jx j – u] wobei<br />

eine Schrittfunktion 1 bis 0 ist und w j das<br />

mit dem j-ten Input assoziierte Synapsengewicht.<br />

Um die Bewertung zu vereinfachen,<br />

betrachtet man häufig die Schwelle<br />

u wie ein anderes Gewicht w 0 =-u, das mit<br />

der Nervenzelle mit einem konstanten Input<br />

x 0=1 verbunden ist. Die positiven Gewichte<br />

entsprechen den exzitatorischen<br />

Synapsen, während die negativen Gewichte<br />

die inhibitorischen Synapsen modellieren.<br />

In grober Analogie mit einem biologischen<br />

Neuron modellieren die Verknüpfungen<br />

die Axone und die Dendriten. Das<br />

Verknüpfungsgewicht stellt die Synapsen<br />

dar und die Schwellenfunktion nähert<br />

sich der Aktivität in einem Soma, ohne jedoch<br />

das tatsächliche Verhalten der biologischen<br />

Neuronen zu simulieren. Dieses<br />

Neuron wurde anschliessend auf mehrere<br />

Arten verallgemeinert.<br />

Auf der Grundlage eines Verknüpfungsmodells<br />

(Architektur) können die<br />

KNN in zwei Kategorien gruppiert werden:<br />

➞ in die direkten Netze oder Feedforward-Netze,<br />

in welchen die Grafiken<br />

keine Schlaufen haben, und<br />

➞ in die rückgekoppelten (oder rekurrenten)<br />

neuronalen Netze, in welchen die<br />

Schlaufen sich aufgrund von Rückkopplungsverknüpfungen<br />

bilden.<br />

Die verschiedenen Konnektivitäten<br />

produzieren verschiedene Netzverhalten.<br />

Allgemein sind die direkten Netze statisch,<br />

da sie für einen vorgegebenen Input<br />

nur ein einziges Paket von Outputwerten<br />

produzieren. Die rekurrenten Netze hingegen<br />

sind dynamische Systeme. Sobald<br />

ein neues Inputmodell vorgelegt wird,<br />

werden neuronale Outputs berechnet.<br />

Kein Allheilmittel, aber eine<br />

interessante Alternative<br />

Verschiedene Netzarchitekturen erfordern<br />

adäquate Lernalgorithmen. In Zusammenhang<br />

mit den KNN bedeutet das<br />

Lernen die Aktualisierung der Netzarchitektur<br />

und der Gewichtungen der Verknüpfungen,<br />

um eine spezifische Aufgabe<br />

effizient lösen zu können. Die Leistungen<br />

werden im Laufe der Zeit durch die iterative<br />

Aktualisierung der Gewichte im Netz<br />

verbessert. Anstatt von menschlichen Experten<br />

vorgegebenen Regeln zu folgen,<br />

scheinen die KNN die zugrunde liegenden<br />

Regeln (wie die Beziehungen Input – Output)<br />

aufgrund der Datensammlung von<br />

repräsentativen Beispielen zu erlernen.<br />

Es gibt drei wichtige Lernparadigmen:<br />

überwacht, nicht überwacht und hybrid.<br />

Beim überwachten Lernen erhält das<br />

Netz für jeden Input eine korrekte Antwort<br />

(Output). Die Gewichte werden bestimmt,<br />

um Antworten zu generieren, die den bekannten<br />

richtigen Antworten so nahe wie<br />

möglich kommen. Das nicht überwachte<br />

Lernen erfordert keine assoziierte korrekte<br />

Antwort für jeden Input in der Gesamtheit<br />

der Ausbildungsdaten. Es durchsucht<br />

in den Daten die zugrunde liegende Struktur<br />

oder die Korrelationen zwischen den<br />

Modellen in den Daten und strukturiert,<br />

ausgehend von diesen Korrelationen, die<br />

Modelle in Kategorien. Das hybride Lernen<br />

kombiniert das überwachte und nicht<br />

überwachte Lernen. Die Lerntheorie muss<br />

drei grundsätzliche Fragen und Praktiken<br />

angehen, die mit dem Lernen anhand von<br />

Mustern in Verbindung stehen. Die neuronalen<br />

Netze werden in der Medizin in<br />

vier Bereichen angewendet: Modellierung,<br />

Verarbeitung des bioelektrischen<br />

Signals, Diagnose und Prognose.<br />

Die künstlichen neuronalen Netze bilden<br />

also ein Datenverarbeitungstool, welches,<br />

in gleicher Weise wie die klassische<br />

Statistik, in verschiedenen Bereichen angewendet<br />

werden kann, wo die komplexen<br />

Relationen zwischen Variablen keine<br />

Mangelware sind. Sie sind kein Allheilmittel,<br />

aber eine interessante Alternative zu<br />

den statistischen Methoden, die nicht immer<br />

adäquat sind.<br />

1<br />

Stand up and Walk — «Steh auf und geh».<br />

2<br />

McCullogh WS, Pitts W: Bull Math Biophys, 1943;<br />

5; 115–18.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 37


Fokus<br />

Einstieg in den<br />

Alltag sichern<br />

Patientinnen und Patienten der Psychiatrie sind nach einem<br />

Klinikaustritt besonders suizidgefährdet. Neue Empfehlungen des BAG<br />

sollen diesen Prozess «sicherer» machen.<br />

Esther Walter, MSc Psychologie, MPH Projektleitung Suizidprävention,<br />

Sektion Nationale Gesundheitspolitik, Bundesamt für Gesundheit BAG in Zusammenarbeit mit dem<br />

Fachbeirat des Projektes «Suizidprävention während und nach Psychiatrieaufenthalt»<br />

Hinter jedem Suizidversuch<br />

und jedem Suizid steckt eine<br />

persönliche Geschichte:<br />

manchmal ein langer Leidensweg,<br />

manchmal eine kurzfristige Krise.<br />

Die Hintergründe und Ursachen sind<br />

meist komplex. Jährlich ist in der Schweizer<br />

Bevölkerung von rund 33 000 Suizidversuchen<br />

(selbstberichtet) auszugehen.<br />

[1] Die Bedeutung des Themas ergibt sich<br />

aber nicht allein aus den Zahlen. Suizid<br />

und Suizidversuche im stationären und<br />

unmittelbaren poststationären Bereich<br />

stellen für alle Beteiligten eine grosse Belastung<br />

dar.<br />

«Jeder Suizid, der verhindert werden<br />

kann, ist ein Erfolg, weil es in den meisten<br />

Fällen nicht zu einem späteren Suizid<br />

kommt. Gleichzeitig müssen wir wissen,<br />

dass ein Suizidversuch ein Risikofaktor für<br />

weitere Suizidversuche bedeutet», sagt Julius<br />

Kurmann, Chefarzt Stationäre Dienste,<br />

Luzerner Psychiatrie. Suizidgefährdete<br />

Menschen und Menschen nach Suizidversuchen<br />

müssten daher möglichst bedarfsgerecht,<br />

zeitnah und spezifisch betreut<br />

und behandelt werden. Dazu brauche es<br />

unter anderem wirksame Nachsorgeinterventionen,<br />

bekräftigt Kurmann.<br />

Empfehlungen des BAG<br />

Betroffene weisen während eines Psychiatrieaufenthalts<br />

sowie unmittelbar nach<br />

Austritt ein massiv höheres Suizidrisiko<br />

auf als die Allgemeinbevölkerung. [2] Die<br />

Entlassung aus einer Klinik birgt das Risiko<br />

von Versorgungsbrüchen und kann als<br />

Grund für das höhere Suizidrisiko betrachtet<br />

werden. Fehlt hier die nötige Unterstützung,<br />

kann dies zu einer Überforderung<br />

der Betroffenen (und ihren Angehörigen)<br />

führen.<br />

Es ist daher zentral, dass bei Klinikaustritten<br />

eine frühzeitige und systematische<br />

Nachversorgung aufgegleist wird,<br />

durch Assessments sowie Beratungs-,<br />

Schulungs- und Koordinationsleistungen<br />

zur Suizidprävention.<br />

Um die Problematik der Suizide und<br />

Suizidversuche während und nach Aufenthalten<br />

in der Psychiatrie präventiv anzugehen,<br />

hat das BAG zusammen mit einer<br />

Projektgruppe im Rahmen des Nationalen<br />

Aktionsplans Suizidprävention [3]<br />

die Broschüre «Suizidprävention bei Klinikaustritten.<br />

Empfehlungen für Gesundheitsfachpersonen»<br />

erarbeitet. [4] Die Broschüre<br />

richtet sich in erster Linie an<br />

Leitungsgremien und Führungskräfte in<br />

psychiatrischen Kliniken und ihre Mitarbeitenden<br />

sowie an Gesundheitsfachpersonen,<br />

die Patientinnen und Pa tien ten*<br />

nach einem Psychiatrieaufenthalt weiterbehandeln.<br />

Im Folgenden werden Auszüge<br />

aus den Empfehlungen aufgeführt: [4]<br />

1. Beim stationär-ambulanten Übergang<br />

das Suizidrisiko einschätzen<br />

und das entsprechende Risikomanagement<br />

gewährleisten. Beim Einschätzen<br />

des Suizidrisikos gilt es, alle<br />

relevanten Informationen und Faktoren<br />

inkl. der psychosozialen Situation im<br />

Alltag der Betroffenen zu berücksichtigen.<br />

2. Angehörige oder Vertrauenspersonen<br />

beim stationär-ambulanten<br />

Übergang einbeziehen. Angehörige zu<br />

befähigen und zu beraten, ist ein zentraler<br />

Aspekt der Suizidprävention. Stimmen<br />

Patienten dem Einbezug nicht zu,<br />

sind Angehörige auf entsprechende Angebote<br />

hinzuweisen.<br />

3. Vor Austritt eine ambulante Nachsorge<br />

einrichten – verbindlich und zeitnah.<br />

Frühzeitig vor dem Austritt soll ein<br />

zeitnaher Termin bei der nachbehandelnden/-betreuenden<br />

Fachperson vereinbart<br />

werden. Dieser bietet den Patienten<br />

Sicherheit.<br />

4. Vor Austritt eine Brückenkonferenz<br />

durchführen. An einem Rundtischgespräch<br />

stimmen sich Patienten mit ihren<br />

Angehörigen und Fachpersonen vor<br />

Klinikaustritt ab.<br />

5. Vor oder nach Austritt eine Brückenhilfe<br />

einrichten. Ein begleiteter Besuch<br />

im privaten Lebensumfeld vor<br />

oder kurz nach Austritt unterstützt Patienten<br />

sowie Angehörige beim stationär-ambulanten<br />

Übergang. Als Begleitung<br />

bieten sich Bezugspersonen des<br />

stationären Aufenthalts oder der ambulanten<br />

Nachsorge an. Durch die Intervention<br />

zu Hause sollen Probleme mit<br />

der Alltagsbewältigung, aber auch Suizidmöglichkeiten<br />

angesprochen und<br />

wenn möglich minimiert werden.<br />

6. Spätestens vor Austritt künftige potenzielle<br />

suizidale Krisen besprechen<br />

und Massnahmen zur Vorbeugung<br />

suizidaler Krisen erarbeiten.<br />

38<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Fokus<br />

Um künftige suizidale Krisen auffangen<br />

zu können, gibt es unterschiedliche Instrumente,<br />

die sich kombinieren lassen,<br />

wie «Shared Decision Making» und «Advance<br />

Care Planning».<br />

7. Gewährleisten, dass Gesundheitsfachpersonen<br />

des stationären und<br />

des ambulanten Settings fachlich in<br />

der Suizidprävention «up to date»<br />

sind, und berufliche Rahmenbedingungen<br />

schaffen, damit Suizidprävention<br />

«gelebt» werden kann. Gesundheitsfachpersonen<br />

müssen ihr Wissen<br />

über Suizidprävention kontinuierlich<br />

auffrischen.<br />

Die sieben Empfehlungen sollen Gesundheitsfachleute<br />

darin unterstützen,<br />

die Problematik der Suizide und Suizidversuche<br />

während und nach Aufenthalten<br />

in der Psychiatrie aufzugreifen und präventiv<br />

vorzugehen. Die vollständigen Ausführungen<br />

sind als pdf-Version oder als<br />

gedruckte Broschüre gratis erhältlich (Informationen<br />

unter www.bag.admin.ch/<br />

suizidpraevention ➝ Suizidprävention in<br />

der psychiatrischen Versorgung).<br />

Dieser Artikel wurde erstmals in der<br />

Schweizerischen Ärztezeitschrift (Ausgabe<br />

<strong>2020</strong>/09) veröffentlicht.<br />

* Aus Gründen der Lesbarkeit wird nachfolgend<br />

bei Personenbezeichnungen die männliche Form<br />

gewählt, es ist jedoch immer die weibliche Form<br />

mitgemeint.<br />

Literaturverzeichnis<br />

[1] Peter C, Tuch A. Suizidgedanken und<br />

Suizidversuche in der Schweizer Bevölkerung.<br />

Obsan Bulletin 7/2019. Schweizerisches Gesundheitsobservatorium:<br />

Neuchâtel; 2019.<br />

[2] Gregorowius D, Huber H. Literaturrecherche<br />

zu Suiziden und Suizidversuchen während<br />

und nach Psychiatrieaufenthalt: Schlussbericht.<br />

Bericht der Stiftung Dialog Ethik zum Projekt im<br />

Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG):<br />

Bern und Zürich; 2018.<br />

[3] Nationaler Aktionsplan Suizidprävention.<br />

www.bag.admin.ch/suizidpraevention--><br />

Suizidprävention in der psychiatrischen<br />

Versorgung (7.1.<strong>2020</strong>).<br />

[4] Suizidprävention bei Klinikaustritten.<br />

Empfehlungen für Gesundheitsfachpersonen.<br />

Bundesamt für Gesundheit und Projektgruppe Suizidprävention<br />

bei Klinikaustritten; 2019.<br />

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<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 39


Fokus<br />

Hausarzt und<br />

Spital in<br />

Zusammenarbeit<br />

Eine strukturierte Kooperation von Hausärzten, Spezialärztinnen<br />

und Spitalmedizinern ist Grundstein für einen kontinuierlichen<br />

longitudinalen therapeutischen Prozess von hoher Qualität und ein<br />

Elixier gegen Stress und Überlastung der Spitalärzte.<br />

Bruno Kissling 1 und Peter Ryser 1<br />

Eine erfolgreiche und personenbezogene<br />

Behandlung von Patientinnen<br />

und Patienten, insbesondere<br />

wenn sie an chronischen<br />

Krankheiten leiden, erfordert eine<br />

strukturierte Kooperation unter allen therapeutisch<br />

involvierten Fachpersonen und<br />

Instanzen. Dabei ist der Hausarzt in der<br />

Regel zuständig für die langzeitige Perspektive<br />

des personenbezogenen therapeutischen<br />

Prozesses. Wo erforderlich, werden<br />

punktuell ambulant tätige Spezialisten<br />

beigezogen. In Krisensituationen wird<br />

gelegentlich ein Spitalaufenthalt nötig.<br />

Ein unkoordinierter «Fall»<br />

Ein betagter, gesundheitlich fragiler, aber<br />

noch eigenständig lebender Senior mit einem<br />

altbekannten leichten Diabetes und<br />

einer kompensierten Herzinsuffizienz<br />

wird am Abend in somnolentem Zustand<br />

notfallmässig ins Spital eingewiesen. Die<br />

Diagnose lautet: beginnende Sepsis. Diese<br />

hat sich aus einer «banalen» Infektion entwickelt.<br />

Unter parenteraler Rehydrierung<br />

und Antibiotikagabe sowie Umstellung<br />

der bestehenden peroralen Diabetesbehandlung<br />

auf Insulin kann der Zustand<br />

des Patienten rasch stabilisiert werden.<br />

Die Abteilungsärztin auf der Bettenstation<br />

lernt ihren neuen Patienten vor allem aus<br />

den Akten der Notfallaufnahme kennen.<br />

Sie behandelt ihn für das aktuelle Leiden<br />

und organisiert die Abklärung von weiteren<br />

pathologischen Befunden, die bei der<br />

Eintrittsuntersuchung festgestellt wurden,<br />

mit Laboranalysen, bildgebenden<br />

Verfahren und Konsilien. Gestresst durch<br />

diese Fülle von organisatorischen und administrativen<br />

Arbeiten findet sie kaum<br />

Zeit für das Gespräch mit dem Patienten<br />

und seinen Angehörigen. Die Diskussionen<br />

über seine aktuelle gesundheitliche<br />

Situation in seinem Lebenskontext und<br />

über den Stellenwert medizinischer Zusatz<br />

untersuchungen in Bezug auf seine<br />

Vorstellung von Lebensqualität fallen weg.<br />

Nach einigen Tagen kann sie den Patienten<br />

nach Hause entlassen. Mit einer langen<br />

Diagnoseliste, mit einer verwirrenden<br />

Liste von alten und neuen Medikamenten,<br />

mit einer Insulintherapie, die den Patienten<br />

künftig von der Spitex abhängig macht,<br />

und mit einer Liste von weiteren Abklärungsvorschlägen<br />

an den Hausarzt.<br />

Kontextuelle Zusatzinformationen<br />

Der Patient in unserer Fallgeschichte hatte<br />

mit seinem langjährigen Hausarzt vereinbart,<br />

dass ihm bei allen medizinischen<br />

Entscheidungen der Erhalt seiner Unabhängigkeit<br />

das wichtigste Anliegen sei.<br />

Bis zur akuten gesundheitlichen Krise,<br />

die ihn ins Spital gebracht hat, hatte er seinen<br />

Gesundheitszustand in biologischer,<br />

psychischer und sozialer Hinsicht als gut<br />

eingeschätzt. Mit den Einschränkungen<br />

infolge der diagnostizierten Krankheiten<br />

kam er gut und selbständig zurecht. Die<br />

medizinischen Massnahmen, die er zusammen<br />

mit seinem Hausarzt festgelegt<br />

hatte, standen im Einklang mit seinem Ziel<br />

der Unabhängigkeit in seinem Lebenskontext,<br />

mit seinen Vorstellungen, Erwartungen,<br />

Werten, Ressourcen und Zielen.<br />

Kritischer Informationsverlust …<br />

Durch eine Hospitalisation entsteht ein<br />

Bruch im longitudinalen Behandlungsprozess.<br />

Die Therapieverantwortlichkeit<br />

wechselt oft brüsk vom Hausarzt zum Spital.<br />

Damit geht ein Informationsverlust<br />

einher. Dieser betrifft weniger die «hard<br />

facts» – Resultate früherer Untersuchungen,<br />

sondern vielmehr die «soft facts» –<br />

die kontextuellen Aspekte, auf denen das<br />

individuelle Krankheitserleben des Patienten<br />

und die Logik früherer Behandlungsentscheide<br />

beruhen. Das Wissen um<br />

diese komplexen «soft facts» hat sich während<br />

der langjährigen Zusammenarbeit<br />

von Hausarzt und Patient ergeben und ist<br />

meistens nicht in der Krankengeschichte<br />

niedergeschrieben.<br />

Für den Spitalarzt ist es eine grosse Herausforderung,<br />

dieses wegweisende und<br />

40<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Fokus<br />

entscheidungsrelevante persönliche Hintergrundwissen<br />

im Gespräch mit dem Patienten<br />

und seinen Angehörigen zu ergründen.<br />

Seine verfügbare Zeit während<br />

der DRG-optimierten wenigen Hospitalisationstage<br />

ist limitiert. Der Spitalpatient<br />

ist infolge seiner reduzierten gesundheitlichen<br />

Situation oft nicht in der Verfassung,<br />

an Entscheidungen mitzuwirken.<br />

Leider denkt der Spitalarzt oft nicht daran,<br />

dass er den Hausarzt als Ressource einbeziehen<br />

könnte.<br />

… mit unnötigen Risiken<br />

Eine fehlende Kooperation zwischen Spital<br />

und Hausarzt gefährdet die Kohärenz<br />

des therapeutischen Prozesses. Ungenügendes<br />

Wissen um die «soft facts» kann zu<br />

Abklärungen und Therapien führen, die<br />

für den betreffenden Patienten nicht relevant<br />

sind und ihn unnötigen Risiken aussetzen.<br />

Personenbezogenes Resultat<br />

durch Kooperation<br />

Mit einem Telefonanruf beim Hausarzt<br />

können die Spitalärzte mit relativ geringem<br />

zeitlichem Aufwand viel kontextuell<br />

Bedeutendes über den Patienten erfahren.<br />

Umgekehrt kann der Hausarzt in seinem<br />

Zuweisungsschreiben oder telefonisch<br />

einen Behandlungsauftrag umschreiben<br />

und dem zuständigen Spitalarzt<br />

mitteilen, unter welchen Umständen er in<br />

die Entscheidungen mit einbezogen werden<br />

sollte.<br />

Diese Kooperation unterstützt personenbezogene<br />

und lösungsorientierte Entscheidungen<br />

in geteilter Verantwortung<br />

und führt zu zielorientierten Lösungen für<br />

den Patienten.<br />

Der Einbezug der Ressource Hausarzt<br />

als Informationsquelle nicht nur für die<br />

«hard facts», sondern auch für die «soft<br />

facts» wirkt sich insgesamt günstig auf Arbeitsbelastung<br />

2 und Stress der Spitalärzte<br />

aus. Es steht ihnen mehr Zeit für das Gespräch<br />

mit dem Patienten zur Verfügung.<br />

Diese Kooperation fördert die therapeutische<br />

Effizienz und Behandlungsqualität<br />

sowie die Zufriedenheit von Patienten und<br />

Ärzten – und wirkt präventiv gegen Burnout.<br />

Ganz zu schweigen von den günstigen<br />

Auswirkungen auf die Kosten.<br />

1<br />

Co-Autoren des Buches «Die ärztliche Konsultation<br />

– systemisch-lösungsorientiert», Bruno<br />

Kissling, Peter Ryser, Vandenhoeck & Ruprecht,<br />

Göttingen, 2019 s. Kasten.<br />

2<br />

Geht es jungen Hausärzten gut?, Marcel Marti,<br />

<strong>VSAO</strong> Journal 2/20.<br />

Bruno Kissling, Dr. med., Hausarzt<br />

Peter Ryser, dipl. Sozialarbeiter HFS,<br />

systemisch-lösungsorientierter Berater<br />

und Supervisor<br />

Verlag Vandenhoeck & Ruprecht,<br />

Göttingen<br />

Erschienen im Oktober 2019<br />

Der Kauf des Buches erlaubt das<br />

Gratis-Streaming der Dokumentarfilmtrilogie<br />

«Am Puls der Hausärzte»<br />

von Sylviane Gindrat<br />

[Französischer Titel: «Du côté des<br />

médecins» – trilogy ]<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 41


Perspektiven<br />

Aktuelles aus der Gastroenterologie: Zöliakie<br />

Das Chamäleon<br />

erkennen<br />

Zöliakie ist bezüglich Symptomen und Schwere der Erkrankung<br />

höchst unterschiedlich. Umso wichtiger ist eine frühzeitige Abklärung.<br />

Eine glutenfreie Diät ist bislang die einzige Therapie;<br />

Studien für andere Ansätze befinden sich in Phase II oder III.<br />

Prof. Dr. med. Stephan Vavricka 1,3<br />

PD Dr. med. Jonas Zeitz 2,3<br />

Die Zöliakie ist eine chronische,<br />

entzündliche Erkrankung<br />

des Dünndarms, welche<br />

immunologisch vermittelt ist<br />

und genetisch prädisponierte Individuen<br />

betrifft [1]. Durch die Aufnahme von Gluten<br />

kommt es zu einer Schädigung des<br />

Dünndarms, die durch Schleimhautentzündung,<br />

Kryptenhyperplasie und Zotten<br />

atrophie gekennzeichnet ist und im<br />

Verlauf zu einer Malabsorption von Nährstoffen<br />

und damit verbundenen Komplikationen<br />

führen kann [2]. Gluten ist eine<br />

Proteinkomponente von verschiedenen<br />

Getreidesorten wie beispielsweise Weizen,<br />

Hafer, Roggen und Gerste. Die erste,<br />

neuere Beschreibung der Zöliakie erfolgte<br />

schon im Jahr 1888 durch den englischen<br />

Arzt Samuel Gee. Erste Einblicke in die<br />

Pathogene der Zöliakie gab es bereits<br />

während des Zweiten Weltkrieges: Der<br />

Arzt Willem Karel Dicke beobachtete,<br />

dass sich Patienten mit rezidivierender<br />

Diar rhö besserten, wenn in Zeiten der<br />

Nahrungsmittelknappheit hauptsächlich<br />

nicht weizenhaltige Lebensmittel verzehrt<br />

wurden [3].<br />

Die ersten Beschreibungen der durch<br />

Gluten im Dünndarm verursachten Schäden<br />

mit duodenaler Schleimhautentzündung,<br />

Kryptenhyperplasie und villöser<br />

Atrophie wurden 1954 veröffentlicht<br />

[4].<br />

Früher wurde die Zöliakie als eine seltene<br />

Kindererkrankung angesehen. Durch eine<br />

verbesserte Diagnostik, insbesondere<br />

durch die Nachweis von Endomysiumund<br />

Transglutaminase-Antikörpern, kam<br />

es zu einer signifikanten Zunahme der Diagnose<br />

der Erkrankung allgemein, mit einer<br />

ebenfalls deutlichen Zunahme der Diagnose<br />

der Erkrankung im Erwachsenenalter<br />

[5].<br />

Epidemiologie<br />

In der Vergangenheit lag eine Unterdiagnose<br />

der Zöliakie vor; aufgrund der Entwicklung<br />

serologischer Tests konnte die<br />

Einschätzung der Inzidenz und Prävalenz<br />

der Zöliakie in den letzten Jahren jedoch<br />

stark verbessert werden [6, 7]. In einer finnischen<br />

Studie konnte eine Prävalenz von<br />

einem Prozent bei Kindern nachgewiesen<br />

werden [8]. Bei Erwachsenen wurden sowohl<br />

in den USA als auch in europäischen<br />

Ländern ähnliche Prävalenzen festgestellt<br />

[9–13]. Insgesamt ist ein Anstieg der Zöliakieprävalenz<br />

zu verzeichnen, eine finnische<br />

Studie zeigte über ungefähr 20 Jahre<br />

eine Verdopplung der Prävalenz und Studien<br />

aus den Vereinigten Staaten belegen<br />

eine 4- bis 4,5-fache Zunahme der Prävalenz<br />

über die letzten 50 Jahre [14, 15]. Gewisse<br />

Risikopopulationen wie Verwandte<br />

ersten und zweiten Grades mit Zöliakie<br />

zeigen eine höhere Prävalenz [16]. In Be­<br />

zug auf das Geschlecht gibt es eine weibliche<br />

Dominanz mit einem Verhältnis von<br />

Frauen zu Männern von 3 zu 2 [17].<br />

Pathogenese<br />

Neben der Exposition gegenüber Gluten<br />

werden verschiedene andere umweltbedingte<br />

und genetische Faktoren als die<br />

Hauptfaktoren in der Pathogenese der<br />

Zöliakie angesehen.<br />

Es wird angenommen, dass fast 100<br />

Prozent aller Patienten mit Zöliakie Varian<br />

ten der HLA-Klasse-II-Gene HLA-<br />

DQA1 und HLA-DQB1 tragen [18]. Da jedoch<br />

30 bis 40 Prozent der Allgemeinbevölkerung<br />

Träger von DQ2 und/oder DQ8<br />

sind, reicht der HLA-Test allein nicht für<br />

die Diagnose von Zöliakie aus. Er kann<br />

aber aufgrund seines sehr hohen negativen<br />

Vorhersagewerts von fast 100 Prozent<br />

zum Ausschluss von Zöliakie verwendet<br />

werden.<br />

Gluten ist der Hauptumweltfaktor bei<br />

der Pathogenese der Zöliakie, es ist ein<br />

Speicherprotein, das in Getreiden wie<br />

Weizen, Gerste und Roggen enthalten ist.<br />

Die Aufnahme von Gluten führt zu einer<br />

adaptiven Immunantwort und auch zu einer<br />

Immunreaktion, ausgelöst durch die<br />

angeborene Immunantwort, welche den<br />

Dünndarmschaden bei der Zöliakie auslöst<br />

[19–23]. Verschiedene Umweltfaktoren<br />

wie das Stillen, Veränderungen der<br />

42<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Perspektiven<br />

Darmflora und Infektionen werden zudem<br />

als Faktoren bei der Pathogenese der Zöliakie<br />

diskutiert [24–26].<br />

Klinik<br />

Da die klinischen Symptome der Zöliakie<br />

und die Schwere der Erkrankung sehr unterschiedlich<br />

sein können, wird die Erkrankung<br />

auch häufig als das Chamäleon<br />

der Gastroenterologie bezeichnet. In Bezug<br />

auf die klinischen Manifestationen<br />

werden gastrointestinale und extraintestinale<br />

Manifestationen unterschieden (Tabelle<br />

1).<br />

Im Rahmen der Zöliakie kann es zum<br />

einen zu den klassischen gastrointestinalen<br />

Symptomen der Erkrankung wie<br />

Durchfall, Steatorrhoe und Flatulenz<br />

kommen. Die Malabsorption im Dünndarm<br />

kann im Kindesalter zu Wachstumsstörungen,<br />

Anämie und Gewichtsverlust<br />

führen. Zusätzlich können neurologische<br />

Probleme wie periphere Neuropathie sowie<br />

Polyneuropathie auftreten [27]. Bei<br />

Betroffenen mit unbehandelter Zöliakie<br />

kommt es häufiger zu einem Mangel an<br />

Eisen, Folsäure, Vitamin A, B12, B6 und D,<br />

Kupfer, Zink und Carnitin [28].<br />

Durch einen Mangel an Vitamin D<br />

und Kalzium kann es zu Osteopenie und<br />

im weiteren Krankheitsverlauf zu Osteoporose<br />

kommen. Bei bis zu 75 Prozent der<br />

Zöliakiepatienten wird eine Osteopenie<br />

oder Osteoporose diagnostiziert. Entsprechend<br />

ist bei Patienten mit Zöliakie das<br />

Frakturrisiko um 40 Prozent höher als bei<br />

alters- und geschlechtsangepassten gesunden<br />

Kontrollpersonen.<br />

Im Rahmen einer Hautbeteiligung<br />

kann es zu oralen Aphthen und auch zur<br />

sog. Dermatitis herpetitiformis Duhring<br />

kommen. Die Dermatitis herpetiformis<br />

Duhring ist eine Autoimmunerkrankung<br />

mit Blasenbildung der Haut, welche zu<br />

starkem Juckreiz und Brennen führt [29,<br />

30].<br />

Diagnose<br />

Die Diagnose soll insbesondere bei Patienten<br />

mit Reizdarmsymptomen, aber auch<br />

bei Personen mit hohem Risiko für eine<br />

Zöliakie gesucht werden. Zu den Patientenpopulationen<br />

mit hohem Risiko gehören<br />

Patienten mit erst- oder zweitgradigen<br />

Verwandten sowie Patienten mit Diabetes<br />

mellitus Typ 1, Eisenmangel, Osteoporose<br />

bei jungen Patienten, polyglandulärem<br />

Autoimmunsyndrom, Downsyndrom, autoimmune<br />

Thyreoiditis, Turner-Syndrom,<br />

Patientinnen mit Infertilität, Patienten<br />

mit erhöhten Leberwerten, bei autoimmuner<br />

Hepatitis und primär biliären Cholangitis<br />

[16].<br />

Der Goldstandard in der Zöliakiediagnostik<br />

stellt die obere Endoskopie mit<br />

Biopsieentnahme aus dem Duodenum zusammen<br />

mit einer positiven Serologie dar.<br />

Bei hohem klinischem Verdacht ist eine<br />

Gastroskopie auch bei negativen Antikörpern<br />

durchzuführen. Häufig werden bei<br />

einer niedrigen bis mittleren Vortestwahrscheinlichkeit<br />

serologische Tests durchgeführt.<br />

Die hohe Aussagekraft dieser Tests<br />

(Antiendomysium-IgA-Antikörper: Sensitivität<br />

95%, Spezifität 99%; Transglutaminase-IgA-Antikörper:<br />

Sensitivität 87%,<br />

Spezifität 95%) erlaubt eine treffsichere<br />

Diagnose. Zu beachten ist, dass die Zöliakie<br />

mit einem IgA-Mangel assoziiert sein<br />

kann, so dass der gesamt IgA-Spiegel mitbestimmt<br />

werden sollte. Im Falle eines<br />

IgA-Mangels empfiehlt sich ergänzend die<br />

Bestimmung der IgG-Antikörper. Die Höhe<br />

des Antikörpertiters korreliert mit dem<br />

Ausmass der histologischen Veränderungen,<br />

nämlich je höher der Titer, desto ausgeprägter<br />

ist die zu erwartende Zottenatrophie.<br />

Unter Therapie mit glutenfreier Diät<br />

verbessert sich die Diarrhoe der Patienten<br />

innerhalb einiger Tage (im Mittel vier Wochen),<br />

zwei Drittel der Patienten zeigen<br />

eine komplette Erholung von allen Symptomen<br />

innerhalb von sechs Monaten. Die<br />

Serologie normalisiert sich normalerweise<br />

innerhalb von drei bis sechs Monaten (es<br />

kann aber bis zu 24 Monate dauern), die<br />

Histologie normalisiert sich innerhalb von<br />

sechs bis zwölf Monaten (auch hier kann<br />

es aber Jahre dauern). Somit eignet sich<br />

Gastrointestinale Symptome<br />

Diarrhoe, Steatorrhoe<br />

Chronische abdominelle Schmerzen<br />

Obstipation<br />

Übelkeit, Erbrechen<br />

Flatulenz, Aufgeblähtsein<br />

die Serologie auch als Parameter für die<br />

Überwachung der Diät-Compliance.<br />

Die Zöliakiediagnose hat lebenslange,<br />

relativ einschneidende Konsequenzen für<br />

die Betroffenen, so dass die histologische<br />

Absicherung in der Initialabklärung immer<br />

gerechtfertigt ist. Histologisch findet<br />

man eine Vermehrung intraepithelialer<br />

Lymphozyten, Vermehrung von Lymphozyten<br />

und Plasmazellen in der Lamina<br />

propria, verminderte Zottenlänge, Kryptenhyperplasie<br />

und abnorme Enterozyten.<br />

Diese Veränderungen bleiben auf die<br />

Mukosa und in der Regel auf das Duodenum<br />

und das proximale Jejunum beschränkt.<br />

Atypische oder fokale Befallsmuster<br />

kommen aber ebenfalls vor, so<br />

dass mindestens vier Biopsien aus dem<br />

tiefen Duodenum (und zwei aus dem Bulbus<br />

duodeni) entnommen werden sollen.<br />

Die HLA-Typisierung wird ansonsten als<br />

erster Screeningtest bei asymptomatischen<br />

Individuen mit erhöhtem genetischem<br />

Risiko für Zöliakie eingesetzt; fällt<br />

sie negativ aus, ist eine Zöliakie praktisch<br />

ausgeschlossen.<br />

Therapie und Zukunft<br />

Zurzeit besteht die einzige Therapiemöglichkeit<br />

der Zöliakie in der lebenslangen<br />

strikten glutenfreien Diät. Dabei sollen<br />

insbesondere Getreidesorten wie Weizen,<br />

Gerste, Roggen, Dinkel, Grünkern, Kamut,<br />

Einkorn, Emmer und Triticale eliminiert<br />

werden. Hafer darf nur in geringen Mengen<br />

konsumiert werden. Patienten mit<br />

Zöliakie sollten beachten, dass insbesondere<br />

Fertigprodukte häufig glutenhaltige<br />

Zutaten (Emulgatoren, Geliermittel, Träger<br />

von Aromastoffen) enthalten können.<br />

Extraintestinale Symptome<br />

Anämie<br />

Gewichtsverlust<br />

Osteopenie/Osteoporose<br />

Wachstumsretardierung bei Kindern<br />

Neurologische Störungen<br />

(Polyneuropathie, periphere Neuropathie,<br />

Tetani, Muskelschwäche)<br />

Nachtblindheit<br />

Hämatome<br />

Aphthen<br />

Ödeme<br />

Hautverändeurng einschl. Dermatitis<br />

herpetiformis Duhring<br />

Arthritiden, Arthralgien<br />

Tabelle 1: Gastrointestinale and extraintestinale Manifestationen der Zöliakie<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 43


Perspektiven<br />

Es sind mehrere Phase-II- und Phase-III-Studien<br />

im Gange, welche andere<br />

Therapiemöglichkeiten der Zöliakie prüfen.<br />

Dazu gehören Gliadin-spaltende Enzyme,<br />

Tightjunction-Agonisten oder die<br />

Impfung.<br />

Wie eine glutenfreie Diät durchgeführt<br />

wird, sollte immer zusammen mit<br />

einer Ernährungsberatung besprochen<br />

werden. Zudem empfehlen die Autoren<br />

auch, dass Neudiagnostizierte der IG Zöliakie<br />

(der Schweizerischen Patientenorganisation)<br />

beitreten. Bezüglich der Nachsorge<br />

soll neben der periodischen Bestimmung<br />

der Zöliakie-Antikörper auch eine<br />

jährliche Bestimmung von Blutbild sowie<br />

von Vitaminen und Spurenelementen<br />

(Ferritin, Zink, Vitamin B12, Folsäure, Vi­<br />

tamin D) erfolgen. Und zu guter Letzt sollte<br />

eine Osteodensitometrie nicht vergessen<br />

werden.<br />

1<br />

Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie,<br />

Zürich, Schweiz<br />

2<br />

GastroZentrum Hirslanden, Zürich, Schweiz<br />

3<br />

Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie,<br />

UniversitätsSpital Zürich, Zürich, Schweiz<br />

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4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Perspektiven<br />

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biopsy specimens from patients<br />

with coeliac disease. Gut. 1999;<br />

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PubMed PMID: 21640850.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 45


Perspektiven<br />

Aus der «Praxis» *<br />

Recurrent Urogynecological Infections<br />

Rezidivierende<br />

urogynäkologische<br />

Infektionen<br />

Cornelia Betschart, Ioannis Dedes und David Scheiner,<br />

Klinik für Gynäkologie, Universitätsspital Zürich<br />

Mehr als 250 verschiedene<br />

Bakterienarten besiedeln<br />

den Urogenitaltrakt und<br />

leben in einer Symbiose<br />

[1]. Das Zusammenleben dieser Bakterien<br />

(Mikrobiom) gewährt eine solide Immunität<br />

gegenüber krankmachenden Keimen.<br />

Wann und weshalb das Gleichgewicht des<br />

urogenitalen Mikrobioms zum Kippen<br />

kommt, ist unbekannt. Auch von Organen<br />

oder Hohlräumen wie Blase und Gebärmutter,<br />

die früher als steril angesehen<br />

wurden, wissen wir heute, dass sie ein Mikrobiom<br />

beherbergen. Dieses scheint eine<br />

wichtige Funktion im Erhalt der urogenitalen<br />

Gesundheit zu haben.<br />

Gewisse Mikroben dagegen sind obligat<br />

pathogen und sexuell übertragbar. Sie<br />

Im Artikel verwendete Abkürzungen<br />

DQC Dequaliniumchlorid<br />

HSV Herpes-simplex-Virus<br />

L. Lactobacillus<br />

M. Mykoplasma<br />

PID Pelvic inflammatory disease<br />

STD Sexually transmitted disease<br />

U. Ureaplasma<br />

* Der Artikel erschien ursprünglich in der «Praxis»<br />

<strong>2020</strong>; 109 (2): 79–85. MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-Mitglieder<br />

können die «Praxis» zu äusserst günstigen<br />

Konditionen abonnieren. Details siehe unter<br />

www.hogrefe.ch/downloads/vsao.<br />

sind sichere Verursacher von Infekten,<br />

während andere Keime vielmehr eine Dysbalance<br />

ohne inflammatorische Reaktion<br />

hervorrufen. Solche Dysbalancen können<br />

Veränderungen des Fluor vaginalis oder<br />

irritative Beschwerden der Urethra verursachen<br />

und gelten als fakultativ pathogen.<br />

Ein typisches Beispiel ist die durch Gardnerellen<br />

ausgelöste «Vaginose», die im<br />

Unterschied zu anderen Erregern keine<br />

Entzündungen wie Vulvitis, Kolpitis, Urethritis<br />

oder Adnexitis verur sachen. Im Folgenden<br />

werden die normale Flora, die<br />

Dys balance und die pathogene Flora von<br />

Vulva, Vagina und unterem Harntrakt<br />

beschrieben (Tabelle 1). Die Diagnostik<br />

und Behandlung von rezidivierenden<br />

Harnwegsinfek tionen werden in diesem<br />

Review nicht erläutert. Dazu wird auf den<br />

Expertenbrief der SGGG (no. 61; https://<br />

www.sggg.ch/fileadmin/user_upload/58_<br />

Akute_und_r ezidivierende_Harnwegsinfekte.pdf)<br />

verwiesen.<br />

Normale urogenitale Flora<br />

Die physiologische urogenitale Flora<br />

spielt eine Schlüsselrolle in der Infektprävention<br />

[2]. Eine stabile Flora schützt vor<br />

Candidainfektion, bakterieller Vaginose,<br />

Harnwegs infektionen und sexuell übertragbaren<br />

Erkrankungen. In der Vagina<br />

wurden durch «genomic sequencing» ribosomaler<br />

Gene über 250 Bakterienarten<br />

identifiziert [3]. Die übliche Bakterienkultur<br />

konnte bisher eine solche Vielzahl an<br />

Keimen nicht nachweisen. Die Bakterien<br />

der vaginalen Flora leben in Symbiose mit<br />

15 Laktobazillusarten. Die wichtigsten<br />

Vertreter sind Lactobacillus (L.) crispatus,<br />

L. gasseri, L. iners und L. jensenii. Diese<br />

Lactobazillen sind Anaerobier und halten<br />

durch die Produktion von Milchsäure den<br />

Scheiden-pH tief: Der physiologische pH-<br />

Wert beträgt 3,8–4,4 bei prämenopausalen<br />

Kaukasierinnen und über 4,5 in der Menopause.<br />

Ein tiefer pH-Wert impliziert ein<br />

bakteriostatisches und selektiv bakteriozides<br />

Milieu. Speziell L. crispatus wird in der<br />

Flora von gesunden Frauen gefunden,<br />

während nach Antibiotikatherapie oder<br />

bei bakterieller Vaginose vermehrt L. iners<br />

nachzuweisen ist [4]. Die normale vaginale<br />

Flora kann durch die lokale Gabe von Lactobazillus-Stämmen<br />

und Milchsäure-Präparaten<br />

unterstützt werden, wie eine Studie<br />

mit prämenopoausalen Frauen zeigte:<br />

10 Millionen lebende Lactobacilli acidophili<br />

in lyophilisierter Form in Kombination<br />

mit 0,03 mg Estriol verbesserten deutlich<br />

die Flora bei Frauen mit Vaginose,<br />

und die initial nachgewiesenen Gardnerellen<br />

und Strep tokokken nahmen nach<br />

zwölf Tagen um 50 % ab [5]. In einem zweiten<br />

Arm in dieser Studie wurde Patientinnen<br />

das Antibiotikum Metronidazol vaginal<br />

verabreicht. Es stellt sich die Frage, ob<br />

sich diese beiden Applikationen (L. acidophilus<br />

versus Metronidazol) in der Langzeitwirkung<br />

unterscheiden. Die Antwort<br />

liefert die randomisiert-kontrollierte Stu­<br />

46<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Perspektiven<br />

die von Donders mit einem Follow-up von<br />

vier Monaten: L. acidophilus und Metronidazol<br />

waren beide vergleichbar hinsichtlich<br />

Wiederherstellung der Scheidenflora.<br />

In Zukunft dürften die positive Beeinflussung<br />

der Vaginalflora und des Biofilms<br />

sowie die aktive Immunisierung als erfolgsversprechende<br />

Therapiekonzepte<br />

weiter untersucht werden und die bisherigen<br />

Therapien rezidivierender Infekte revolutionieren.<br />

Gestörte Vaginalflora ohne<br />

Infektion<br />

Gewisse Bakterien wie Ureaplasmen, Mobilunculus,<br />

Atopobium u.a. sind mögliche<br />

Marker für eine gestörte Va ginalflora,<br />

nicht jedoch direkt als pathogene Keime<br />

zu werten. Auch eine leichtgradige bakterielle<br />

Vaginose, die einen Biofilm bildet,<br />

kann deutlich hartnäckiger zu therapieren<br />

sein als eine ausgeprägte bakterielle Vaginose<br />

ohne Biofilm. Man kann meistens<br />

davon ausgehen, dass bei wiederholten<br />

Kontrollen immer wieder dieselben Keime<br />

(Gardnerellen, Ureaplasmen und andere<br />

Vertreter der fraglich pathogenen Vaginalflora)<br />

nachgewiesen werden. Zudem ist<br />

die Wertigkeit des Anlegens von vaginalen<br />

Bakterienkulturen und von PCR-Tests<br />

hinsichtlich ihrer Sensitivität fraglich, solange<br />

nicht erforscht ist, welche Keime<br />

wirklich pathogenetisch relevant sind.<br />

Vulvovaginale Pathologien<br />

Vulvovaginale Infektionen führen zu Beschwerden<br />

wie Juckreiz, übelriechendem<br />

Fluor oder Brennen. Klagt eine Patientin<br />

über genitales Brennen und dies typischerweise<br />

während oder nach der Miktion,<br />

dann kann durchaus ein urethraler<br />

Infekt vorliegen. Ebenso kann aber bei einer<br />

vulvovaginalen Entzündung der aus<br />

dem Meatus externus der Urethra austretende<br />

Urin das Brennen verursachen. Somit<br />

können solche dysurische Beschwerden<br />

sowohl urethral als auch vulvovaginal<br />

verursacht sein.<br />

Bakterielle Vaginose<br />

(anaerobe Vaginose)<br />

Die bakterielle Vaginose ist, wie der Begriff<br />

Vaginose besagt, keine Entzündung. Mit<br />

einer Prävalenz von 30 % ist sie das häufigste<br />

vaginale Syndrom bei Frauen im<br />

gebär fähigen Alter [6]. Typisch ist das<br />

reichliche Vorliegen von anaeroben Bakterien<br />

bei fehlender Leukozytose. Es findet<br />

sich oft ein wässriger oder gräulichen<br />

Fluor, der pH-Strei fentest zeigt einen pH<br />

Keime Fakultativ pathogen Obligat pathogen Sexuell übertragbar Partner behandlung<br />

Candida albicans +<br />

Gardnerellen +<br />

E. coli +<br />

Streptococcus spp.<br />

Streptococcus pyogenes<br />

(Gruppe A Streptokokken)<br />

+<br />

+ +<br />

falls reichlich<br />

vorhanden oder<br />

symptomatisch<br />

Enterococcus spp. +<br />

Staphylococcus saprophyticus<br />

+ +<br />

falls reichlich<br />

vorhanden oder<br />

symptomatisch<br />

Adenoviren +<br />

Epstein-Barr-Virus +<br />

U. urealyticum + (+) (+)<br />

M. hominis (+)<br />

M. fermetans unbekannt<br />

M. genitalium (+) + + +<br />

Chlamydia trachomatis + + +<br />

Neisseria gonorrhea + + +<br />

Herpes-simplex-Virus<br />

(Typ 1 und 2)<br />

+ + Schutz des Partners<br />

und mögliche<br />

Prophylaxe<br />

ansprechen<br />

Tabelle 1. Typische Erreger urogynäkologischer Infektionskrankheiten. Einteilung der Erreger in fakultativ und obligat pathogene Keime. Die fakultativ<br />

pathogenen Keime können im Rahmen eines Trägertums oder einer passageren Besiedelung nachgewiesen werden und sollen, insbesondere bei<br />

asymptomatischen Patientinnen, nicht behandelt werden<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 47


Perspektiven<br />

>5 und der Kalilauge-Test ist positiv, d.h.<br />

beim Aufträufeln von Kaliumlauge auf ein<br />

Wattestäbchen mit Scheidensekret entsteht<br />

bei der bakteriellen Vaginose durch<br />

die Aminbildung ein fischartiger Geruch.<br />

Sind drei der vier sogenannten Amsel-Kriterien<br />

erfüllt, liegt eine bakterielle Vaginose<br />

vor: [1] homogener wässriger Abfluss, (2)<br />

ein pH-Wert >4,5, (3) «clue cells» im Nativ<br />

und [4] Fischgeruch nach Zugabe von<br />

10 %iger Kalilauge. Die Behandlung der<br />

bakteriellen Vaginose ist in Tabelle 2 zusammengestellt.<br />

Aerobe Vaginitis<br />

Bei der aeroben Vaginitis ist der Fluor<br />

ebenfalls wässrig oder gräulich und der<br />

pH-Wert ist erhöht, wogegen der<br />

Kalilaugentest negativ ausfällt. Hier werden<br />

aerobe Mikroorganismen wie E. coli,<br />

Streptokokken der Gruppe B oder Enterokokken<br />

– meist in einer hohen Anzahl –<br />

und typischerweise viele Leukozyten im<br />

Nativ gefunden. Die aerobe Vaginitis wird<br />

in der angelsächischen Literatur synonym<br />

als «desquamative inflammatorische Vaginitis»<br />

genannt. Bei dieser wiederum dominieren<br />

die Staphylokokken, die petechiale<br />

Veränderungen in der Vaginalwand hervorrufen<br />

können. Die betroffenen Frauen<br />

sind meist in der Peri- oder Postmenopause<br />

und melden sich nicht selten mit dem<br />

Symptom der Dyspareunie. Die aerobe Vaginitis<br />

ist durch ein inhomogenes Erregerspektrum<br />

charakterisiert, das auf antiseptische<br />

Substanzen wie Dequaliniumchlorid<br />

(DQC) ansprechen kann, und zwar<br />

wahrscheinlich in den Fällen, in denen<br />

Enterokokken und E. coli dominieren [8].<br />

Mit der antiseptischen DQC-Therapie<br />

konnte in einer klinischen Studie mit 73<br />

Frauen mit aerober Vaginitis eine statis­<br />

Rezidivierende vulvovaginale Infekte<br />

Erreger Therapeutika Dosierung Bemerkungen<br />

Candida albicans<br />

Candida glabrata/<br />

krusei<br />

Per os<br />

Lokal<br />

Per os<br />

Lokal<br />

initial Fluconazol 150 mg alle 72 h (3×),<br />

dann Fluconazol 150 mg 1×/Wo.<br />

Je nach Symptome Reduktion auf alle<br />

2 Wochen, oder monatlich für 6–12<br />

Monate. Ggf. Steigerung bei ungenügendem<br />

Ansprechen (vermehrt Symptome<br />

oder Rezidive) (ReCiDiF-Protokoll)<br />

Imidazole tgl. für 10 Tage, dann prämenstruell<br />

3–5 Tage<br />

Voriconazol 200 mg 1–0-1 für 7 Tage<br />

Borsäure Ovula 600 mg 0–0-0–1 für 14<br />

Tage<br />

Keine Laborkontrollen (auch keine<br />

Leberwertbestimmung) notwendig<br />

Orale Therapie der lokalen überlegen<br />

Antimykotika haben geringe<br />

Resistenzgefahr<br />

i.v. Medikamente nur bei Septikämien<br />

und in Rücksprache mit Infektiologen<br />

Anaerobe Vaginose<br />

Per os<br />

Lokal<br />

Metronidazol 2 g an Tag 1 und an Tag 3,<br />

oder 1 g für 7 Tage p.o.<br />

Clindamycin 300 mg 1–0-1 für 7 Tage<br />

Clont Ovula 500 mg täglich für 10 Tage<br />

Clindamycin V 2 % für 7 Tage<br />

Dequaliniumchlorid 10 mg Vaginaltablette<br />

für 6 Tage<br />

Clindamycin weniger Resistenzen<br />

als Metronidazol<br />

Aerobe Vaginitis Lokal Clindamycin V 2 % und Hydrocortison<br />

10 % im Wechsel für 4–6 Wochen<br />

Applikator von Dalacin V 2 % kann für<br />

Hydrocortison Applikation verwendet<br />

werden<br />

Trichomoniasis Per os Metronidazol 2 g Einmaldosis Partnerbehandlung<br />

Cave: Antabuseffekt!<br />

Herpes genitalis Per os Suppressive Therapie während bis zu<br />

12 Monaten:<br />

Acyclovir 400 mg 1–0-1<br />

oder<br />

Famciclovir 250 mg 1–0-1<br />

oder<br />

Valacyclovir 500 mg 1–0-0<br />

Sporadische Therapie<br />

Acyclovir 5 × 200 mg (alle 4 h) für 5 Tage<br />

Famciclovir 125 mg 1–0-1 für 5 Tage<br />

Valacyclovir 500 mg 1–0-1 für 5 Tage<br />

Nach einem Jahr Leberwert-Kontrollen<br />

Unter suppressiver Therapie kommt es zu<br />

deutlich weniger Partnerinfektionen als<br />

unter sporadischer Therapie.<br />

Keine Eradikationstherapie vorhanden<br />

Schutz des Partners vor Ansteckung<br />

ansprechen. Transparenz verhindert<br />

Ansteckungen<br />

Tabelle 2. Therapie der rezidivierenden vulvovaginalen Infektionen<br />

48<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Perspektiven<br />

tisch signifikante Reduktion des Symptomscores<br />

von 5,0 ± 1,9 auf 1,9 ± 1,5 im Follow-up<br />

nach einer Woche und auf 1,3 ± 1,3<br />

nach vier Wochen gezeigt werden (Durchschnitt<br />

± Standardabweichung) [9]. Objektivierbar<br />

war zudem die Reduktion der Anzahl<br />

Leukozyten (mindestens 10 pro Gesichtsfeld,<br />

Vergrösserung 400×) in der<br />

DQC-Gruppe von 42,2 % bei Baseline auf<br />

8,6 % im Follow-up nach vier Wochen sowie<br />

der Rückgang der positiven Kulturen<br />

für Streptococcus spp., Enterococcus spp.<br />

und E. coli um 36, 49 bzw. 73 % am Ende<br />

der Studie. Bei der aeroben Va ginitis, bzw.<br />

desquamativen inflammtorischen Vaginitis<br />

mit hoher Symptomlast, Leukozytose<br />

im Nativ und kolposkpisch deutlicher Entzündung<br />

mit petechialen Veränderungen<br />

ist die Therapie der Wahl Clindamycin mit<br />

oder ohne Steroide (Tabelle 2) [10]. Im Fall<br />

einer Vulvitis mit Nachweis von Streptokokken<br />

der Gruppe A sind perorale Penicilline<br />

für 7–14 Tage die Therapie der Wahl [7].<br />

Candidiasis<br />

Im Lehrbuch zeigt sich die Candida als<br />

krümeliger, weisser Fluor bei einem normalen<br />

pH-Streifentest. Chronische Candidainfektionen<br />

sind sowohl diagnostisch<br />

als auch therapeutisch schwierig anzugehen.<br />

Rund 5–10 % aller Frauen sind Trägerinnen<br />

von Candida, meist Candida albicans.<br />

Daraus erschliesst sich, dass eine<br />

asymptomatische Candida nicht antimykotisch<br />

behandelt werden soll. Es besteht<br />

keine Gefahr einer Invasion oder Septikämie.<br />

Candida findet sich zwar gehäuft auf<br />

dem Boden von Dermatosen wie Genitalekzeme,<br />

Rhagaden und Fissuren, doch<br />

auch hier soll die antimykotische Therapie<br />

kritisch indiziert werden. Da bei vielen<br />

Dermatosen Steroide eingesetzt werden,<br />

ist die zusätzliche antimykotische Therapie<br />

möglicherweise doch gerechtfertigt,<br />

und zwar bevorzugt mit einem peroralen<br />

Antimykotikum, um eine Allergisierung<br />

auf dem Boden der Dermatose zu vermeiden.<br />

Treten mehr als vier symptomatische<br />

Infekte pro Jahr auf, so spricht man von<br />

einer «rezidivierenden Candidose». Oft<br />

wird diese frustran mit vielen Kurztherapien<br />

angegangen. Die rezidivierende Infektion<br />

mit Candida albicans soll vorzugsweise<br />

mit Fluconazol gemäss dem ReCi­<br />

DiF-Protokoll (ReCiDiF = regimen using<br />

individualized, de-creasing doses of oral<br />

fluconazole) durchgeführt werden (Tabelle<br />

2) [11]. Es handelt sich dabei um eine<br />

perorale suppressive Therapie mit im Behandlungsverlauf<br />

absteigender Dosierung<br />

und ist der intermittierenden lokalen Therapie<br />

mit Imidazol Ovula über zehn Tage/<br />

Monat, geschweige denn den dreitägigen<br />

Kurztherapien, überlegen. Das ReCi­<br />

DiF-Schema führt im Verlauf der Behandlung<br />

zur niedrigst notwendigen individuellen<br />

Erhaltungstherapie. Eine Partnertherapie<br />

ist nicht notwendig und senkt<br />

auch nicht die Rate der rezidivierenden<br />

Infekte. Ob die Langzeiteinnahme von Antimykotika<br />

zu Resistenzen führt, ist nicht<br />

gesichert [12, 13], doch es gibt Hinweise,<br />

dass es zu klinischer Resistenz mit Wechsel<br />

des Candida-Erregers als auch mikrobiologischer<br />

Resistenz kommen kann, die<br />

akquiriert oder primär intrinsisch sein<br />

kann [14]. Bei rezidivierenden Candidavulvitiden<br />

oder -kolpitiden soll grosszügig<br />

eine Pilzkultur mit Bestimmung der minimalen<br />

Hemmkonzentration durchgeführt<br />

werden.<br />

Die Behandlung der einzelnen Vaginitiden<br />

ist in Tabelle 2 dargestellt. Ergän­<br />

Rezidivierende urogenitale Infekte (Urethritiden)<br />

Erreger Therapeutika Dosierung Bemerkungen<br />

M. genitalium per os Azithromycin 1 g einmalig<br />

oder Azithromycin 500 mg Einmaldosis<br />

am Tag 1, danach 250 mg Einmaldosis<br />

Tage 2–5<br />

Moxifloxazin 400 mg 1–0–0 für 7 Tage<br />

M. hominis per os Doxycyclin 100 mg 1–0–1 für 7 Tage<br />

Zweite Wahl:<br />

Clindamycin 300 mg 1–1–1 für 7 Tage<br />

Moxifloxacin 400 mg für 7 Tage<br />

Ureaplasma urealyticum per os Doxycyclin 100 mg 1–0–1 für 7 Tage<br />

Zweite Wahl:<br />

Azithromycin 1 g einmalig<br />

Moxifloxacin 400 mg für 7 Tage<br />

Chlamydia trachomatis per os Azithromycin 1 g Einmaldosis bei<br />

asymptomatischen Patientinnen<br />

Doxycyclin 100 mg 1–0–1 für 7 Tage<br />

bei sympto matischen Patientinnen<br />

Partnerbehandlung<br />

Da M. hominis eventuell Kommensal<br />

des Harntraktes ist, eher zurückhaltend<br />

behandeln<br />

Ureaplasma parvum: keine Evidenz<br />

für Behandlung<br />

Partnerbehandlung<br />

Kontrolle nach 6 Wochen<br />

Neisseria gonorrhoeae<br />

i.m. und<br />

per os<br />

Ceftriaxon 250 mg i.m. (oder 500 mg i.m.,<br />

CAVE: für i.m. Injektion nur Ampullen à<br />

Ceftriaxon 1 g erhältlich) plus Azithro mycin<br />

1 g<br />

(oder Doxycyclin 2 × 100 mg p.o. für 7 Tage)<br />

Partnerbehandlung<br />

Kontrolle nach 6 Wochen<br />

Tabelle 3. Therapie der rezidivierenden urethralen Infektion<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 49


Perspektiven<br />

zend ist zu erwähnen, dass das lokale Antiinfektivum<br />

Dequaliniumchlorid (DQC) eine<br />

gute Alternative zu den Antibiotika bildet.<br />

DQC ist effektiv gegen Candida spp.,<br />

die bakterielle Vaginose, die aerobe Vaginitis<br />

und Mischinfektionen wirksam [8].<br />

Urethrale Infekte<br />

Urethritiden werden in nichtinfektiöse<br />

Urethritiden und infektiöse Urethritiden<br />

eingeteilt. Bei den nichtinfek tiösen Urethritiden<br />

unterscheiden wir mechanisch-traumatische<br />

und chemische Ursachen<br />

(Vaginalspülungen, Desinfizienzien).<br />

Im Folgenden gehen wir nur auf die<br />

infektiösen Ursachen ein.<br />

Fakultative urethrale Keime<br />

Ob bei Frauen Urethritiden mit Mollicuten<br />

(weichhäutige Bakterien) wie Ureaplasmen<br />

und Mykoplasmen Krankheitsverursacher<br />

sind, ist noch nicht vollständig geklärt.<br />

Mollicuten gehören zu den Mycoplasmataceae.<br />

Diese winzigen Keime haben<br />

keine Zellwand und lassen sich daher<br />

in der Gramfärbung nicht anfärben. Fünf<br />

Spezies der Mycoplasmataceae besiedeln<br />

den menschlichen Urogenitaltrakt: Mycoplasma<br />

(M.) hominis, M. genitalium, M.<br />

fermentans, Ureaplasma (U.) urealyticum<br />

und U. parvum. Diese Keime sind in 20–<br />

40 % aller sexuell aktiven Frauen nachweisbar<br />

[15]. Inwiefern sie zur normalen<br />

Besiedelung gehören und ab welchem<br />

Zeitpunkt sie Beschwerden machen, ist<br />

Gegenstand der Forschung [16]. Beim<br />

Nachweis einer geringen Menge oder vereinzelter<br />

Keime ist die Wahrscheinlichkeit<br />

zu vernachlässigen, dass der Erreger eine<br />

Infektion verursacht. Bekannt ist, dass der<br />

Prozentsatz von Besiedelungen mit der<br />

Pubertät und in Abhängigkeit der Anzahl<br />

Sexualpartner und einem niedrigen sozioökonomischen<br />

Status steigt [17]. Im Fall<br />

von U. urealyticum scheinen Symptome<br />

erst ab einer hohen bakteriellen Konzentration<br />

oder mög licherweise bei der Erstinfektion<br />

aufzutreten.<br />

M. genitalium konnte bisher als einziges<br />

Mycoplasmataceae mit Urethritiden<br />

der Frau in Verbindung gebracht werden.<br />

Bei den anderen Mycoplasmatace/Ureaplasmen<br />

konnte bisher keine Kausalität<br />

festgestellt werden [18]. Nicht selten ist<br />

man im Alltag geneigt, bei urethralen Beschwerden<br />

und dem Nachweis eines Mycoplasmataceae<br />

in der PCR diese antibiotisch<br />

zu behandeln [19, 20]. Bei diesen probatorischen<br />

Behandlungen bleibt nicht<br />

selten eine Verbesserung der Beschwerden<br />

aus und nach wenigen Wochen kann<br />

50<br />

derselbe Erreger wieder nachweisbar sein,<br />

weil die Umgebungsflora sich nicht änderte<br />

oder ein Trägertum vorliegt. Für die Mycoplasmataceae<br />

fehlen lokale, bakterizide<br />

oder desinfizierende Therapien (Tabelle<br />

3).<br />

Bakterien der analen oder oralen Flora<br />

wie z.B. Staphylococcus saprophyticus<br />

und aureus, Enterokokken, Streptococcus<br />

anginosus oder Haemophilus influenzae<br />

können Urethritisbeschwerden auslösen.<br />

Es handelt sich hierbei klar um fakultativ<br />

pathogene Keime. So konnte in über 40 %<br />

der jungen, sexuell aktiven Frauen S. saprophyticus<br />

in der normalen urogenitalen<br />

Flora nachgewiesen werden. S. saprophyticus<br />

kann sich über Adhäsine am Urothel<br />

festhalten und verwendet den im Urin<br />

Zusammenfassung<br />

enthaltenen Harnstoff, um Ammoniak zu<br />

produzieren [21]. Einige dieser Bakterien<br />

haben auch die Fähigkeit, Biofilme zu<br />

produ zieren, was ihre Virulenz erhöht.<br />

Viren können ebenfalls eine Urethritis<br />

auslösen, so zum Beispiel Herpex-simplex-Virus<br />

(HSV) Typ 1 und etwas weniger<br />

HSV Typ 2, aber auch die Adenoviren oder<br />

das Epstein-Barr-Virus. Keine Beschwerden<br />

oder Urethriden hingegen machen die<br />

häufig vorkommenden humanen Papillomaviren.<br />

Bei viral verursachten Urethritissymptomen<br />

helfen lokal symptomatische<br />

Massnahmen wie In stillationen mit einem<br />

urethral applizierbaren Hydrogel, das<br />

Dexpanthenol, Ectoin und Hydrodyethylcellulose,<br />

mit oder ohne Lidocain, enthält<br />

[22].<br />

Veränderungen im urogenitalen Mikrobiom der Blase, Urethra, Vagina und Zervix<br />

können Ursache für wiederkehrende Infektionen sein. Dabei muss zwischen obligat<br />

und fakultativ pathogenen Keimen unterschieden werden. Bei den fakultativ pathogenen<br />

Keimen soll nur beim Vorliegen von zuordenbaren Symptomen antibiotisch, antiviral<br />

oder anti mykotisch behandelt werden. Sexuell übertragbare Erkrankungen manifestieren<br />

sich bei Frauen isoliert urogenital oder als aufsteigender Infekt («pelvic<br />

inflammatory disease»). Sexuell übertragbare Erkrankungen (z.B. Chlamydieninfektion)<br />

können asymptomatisch verlaufen oder mit einer hohen Symptomlast, Lebensqualitätseinschränkung<br />

oder Sterilität einhergehen. Dieser Minireview gibt einen Überblick<br />

über die Pathogenität und Behandlung der verschiedenen Erreger.<br />

Schlüsselwörter: Wiederkehrender Infekt, urogenital, Vagina, Behandlung<br />

Abstract<br />

Changes in the urogenital microbiome of the bladder, urethra, vagina and cervix can<br />

cause recurrent infections. We distinguish between obligate and facultative pathogens.<br />

In the case of facultative pathogens, treatment with antibiotic, antiviral or antifungal<br />

drugs should only be considered in cases with attributable symptoms. Sexually transmitted<br />

diseases (STD) manifest either urogenitally alone or in association with an<br />

ascending infection of the adnexa as a pelvic inflammatory disease. STD may be asymptomatic,<br />

as in cases of chlamydia, or may cause a high burden of symptoms, impairment<br />

of quality of life or infertility. The aim of this minireview is to give an overview of<br />

the pathogenicity of the different germs and their treatment.<br />

Keywords: Recurrent infection, urogenital, vagina, treatment<br />

Résumé<br />

Les modifications du microbiome de la vessie, de l’urètre, du vagin et du col de l’utérus<br />

peuvent provoquer des infections récurrentes. Une distinction doit être faite entre<br />

bactéries pathogènes obligatoires et facultatives. Dans le cas de pathogènes facultatifs<br />

un traitement antibiotique, antiviral ou antimycosique ne doit être appliqué que dans<br />

le cas d’un signe clinique spécifique. Les infections sexuellement transmissibles se<br />

manifestent souvent chez les femmes soit isolées dans le tractus urogénital, soit en<br />

association avec des infections ascendantes comme la salpingite. Ces infections peuvent<br />

être asymptomatiques, comme dans le cas de la chlamydiose, ou associées à des<br />

symptômes graves qui abaissent la qualité de vie ou causent de la stérilité. L’objectif de<br />

cette mini-review est de donner un aperçu général de la pathogénicité des différents<br />

germes et de leur traitement.<br />

Mot-clés: Récidive d’infection, système urogénital, vagin, traitement<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Perspektiven<br />

Pathogene Keime<br />

Chlamydia trachomatis, Mykoplasma genitalium<br />

und möglicherweise auch Ureaplasma<br />

urealyticum sowie Gonokokken<br />

sind die häufigsten sexuell übertragbaren<br />

Erreger, die eine Urethritis verursachen.<br />

Mycoplasma geni talium wird seit einigen<br />

Jahren bei Männern als eine zunehmende,<br />

sexuell übertragbare Erkrankung registriert.<br />

Die genannten Keime können übrigens<br />

auch Erreger von Zervizitis und Pelvic<br />

Inflammatory Disease (PID) bei Frauen<br />

sein [16, 23].<br />

In der Schweiz werden 70 % aller<br />

Chlamydieninfektionen bei Frauen gefunden,<br />

wobei 70 % der Ansteckungen asymptomatisch<br />

verlaufen. Grund für den häufigeren<br />

Nachweis von Chlamydien bei Frauen<br />

dürften die häufigeren Untersuchungen<br />

junger Frauen im Rahmen der<br />

Antikonzeptionsberatung sein. Im Jahr<br />

2017 lag die gesamte Anzahl Neudiagnosen<br />

bei 11 013, was einer Inzidenz von<br />

130/100 000 entspricht. Aufgrund von<br />

Schätzungen sind zwischen 3 und 10 % der<br />

sexuell aktiven Bevölkerung von Chlamydien<br />

betroffen.<br />

Die urethrale Gonorrhö ist deutlich<br />

seltener, jedoch ist sie seit ihrer statistischen<br />

Erfassung im Jahr 1988 stetig im Zunehmen<br />

begriffen. Im Jahr 2017 wurden in<br />

der Schweiz 2809 als sicher oder wahrscheinlich<br />

klassierte Fälle gemeldet, was<br />

einer Inzidenz von 33/100 000 in der<br />

Popu lation entspricht.<br />

Bei der Urethritis treten Beschwerden<br />

wie Dysurie, postmiktionelles Brennen<br />

oder Irritationen im Unterleib auf. Die<br />

Tests mit der höchsten Sensitivität und<br />

Spezifität von urethralen Keimen sind<br />

PCR-basiert [24], können sowohl im Abstrichmaterial<br />

von vaginalen, zervikalen<br />

oder urethralen Proben als auch aus dem<br />

Morgenurin bwz. Erststrahlurin nach einer<br />

Miktionskarenz von einer Stunde detektiert<br />

werden [25]. Die PCR-basierten<br />

Nachweise haben allerdings den Nachteil,<br />

dass sie kein Antibiogramm zulassen.<br />

In einer prospektiven Studie von 2246<br />

sexuell aktiven Studentinnen fand sich für<br />

M. genitalium eine Prävalenz von 3,3 %. Da<br />

M. genitalium in der Schweiz nicht meldepflichtig<br />

ist, fehlen hierzu Daten. Dieser<br />

Keim scheint aber ein Marker für aufsteigende<br />

Infekte zu sein. So haben<br />

Patientinnen mit M. genitalium im Vaginalabstrich<br />

im 12-Monats-Verlauf signifikant<br />

häufiger eine PID als Frauen, bei denen<br />

initial keine Mykoplasmen gefunden<br />

wurden [26]. Nicht selten findet man bei<br />

Trägerinnen von M. genitalium Koinfektionen<br />

mit Chlamydien [27]. Bei Nachweis<br />

einer der genannten drei Keime (M. genitalium,<br />

N. gonorrhoe und Chlamydia<br />

trachomatis) wird das komplette PID-<br />

Screening mit Bestimmung der HIV-,<br />

Lues- und Hepatitisserologie empfohlen.<br />

Die Therapie der verschiedenen Urethritiskeime<br />

ist in Tabelle 3 zusammengestellt.<br />

Bei M. genitalium ist 1 g Azithromycin<br />

als Einmaldosis die Therapie der Wahl<br />

[20, 28]. Azithromycin heilt in 77 % die<br />

M.-genitalium-Urethritis aus [29]. Bei fehlendem<br />

Ansprechen ist die zweite Wahl<br />

eine Therapie mit 400 mg Moxifloxazin<br />

täglich für sieben Tage [30]. Das häufig zur<br />

Behandlung von Ureaplasmen oder M. hominis<br />

gebrauchte Doxyzyklin ist in der<br />

Hälfte der M.-genitalium-Infektionen<br />

nicht wirksam [30]. Generell soll bei den<br />

PCR-basierten Tests bis zur Therapiekontrolle<br />

sechs Wochen abgewartet werden, da<br />

ansonsten DNA aus nicht aktiven Bakterienbestandteilen<br />

nachgewiesen wird und<br />

ein falsch-positives Resultat und somit<br />

fälschlicherweise ein «Rezidiv» liefert.<br />

Auch ist bei den urogenitalen wiederkehrenden<br />

Infektionen an eine potenzielle<br />

polymikrobielle Besiedelung zu denken.<br />

PD Dr. med. Cornelia Betschart, Oberärztin<br />

Klinik für Gynäkologie<br />

Universitätsspital Zürich<br />

Frauenklinikstrasse 10<br />

8091 Zürich<br />

cornelia.betschart@usz.ch<br />

Manuskript eingereicht: 08.08.2019<br />

Manuskript akzeptiert: 27.08.2019<br />

Interessenskonflikt: Die Autoren erklären,<br />

dass keine Interessenskonflikte bestehen.<br />

Antworten zu den Lernfragen:<br />

Antwort b) ist richtig.<br />

Antwort c) ist richtig.<br />

Key messages<br />

• Die Ursache der rezidivierenden<br />

urogenitalen Infek tionen ist bei<br />

Candida, bakterieller Vaginose und<br />

Mykoplasmataceae auf eine Dysbalance<br />

der urogeni talen Flora zurückzuführen.<br />

• Im Zug der Kommerzialisierung von<br />

«Multiplex-PCR» werden heute<br />

häufiger Trägerkeime oder fakultativ<br />

pathogene Keime nachgewiesen. Für<br />

diese Keime gibt es keine Evidenz,<br />

dass deren Behandlung mehr nützt<br />

als schadet (Resistenzlage). Trägertum<br />

ist bei sexuell aktiven Frauen<br />

häufig, und die wenigsten Frauen<br />

erkranken.<br />

• Neisseria gonorrhoeae, Chlamydia<br />

trachomatis, M. genitalium, HSV und<br />

Trichomonaden sind sexuell übertragbare<br />

Keime und bedürfen einer<br />

Partnertherapie.<br />

• Bei urogenitalen Infekten ist die<br />

Suszeptibiltät für STD erhöht. Bei<br />

Nachweis eines sexuell übertragbaren<br />

Keimes soll nach weiteren<br />

sexuell übertrag baren Erkrankungen<br />

gesucht werden.<br />

Lernfragen<br />

1. Welcher Erreger bedarf einer Partnerbehandlung?<br />

(Einfachauswahl)<br />

a) Candida albicans<br />

b) Trichomonas vaginalis<br />

c) Mycoplasma hominis<br />

d) Staphylococcus saprophyticus<br />

e) Humanes Papillomavirus<br />

2. Welche Aussage zu urogenitalen<br />

Infekten ist korrekt? (Einfachauswahl)<br />

a) Candida albicans verursacht<br />

aufsteigende Infek tionen mit<br />

Sterilitätsfolgen.<br />

b) Mykoplasma hominis ist ein<br />

häufiger Erreger sexuell übertragbarer<br />

Urethritiden.<br />

c) Schweizweit steigen die Zahlen<br />

von Neisseria gonorrhoe und<br />

Chlamydia trachomatis.<br />

d) Die aerobe Vaginitis wird anhand<br />

der Amsel-Kriterien diagnostiziert.<br />

e) Die aerobe Vaginitis rezidiviert<br />

aufgrund der spezifisch zur Verfügung<br />

stehenden Behandlung<br />

kaum.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 51


Perspektiven<br />

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52<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


Perspektiven<br />

Der besondere Patient<br />

Was Schildkröten<br />

mit Lymphknoten<br />

verbindet<br />

Schlangenhalsschildkröte (Chelodina longicollis) mit mykobakteriellem Granulom auf dem<br />

Schädeldach (Foto).<br />

Endoskopisch waren bei allen drei Tieren<br />

multiple Granulome in der Leber darstellbar.<br />

Die Ziehl-Neelsen-Färbung der<br />

Bioptate war eindeutig: Mykobakterien.<br />

Alle Schildkröten in der Anlage wurden<br />

endoskopiert und erwiesen sich als<br />

positiv. Die Sektion ausgewählter Fische<br />

im Aquarium ergab gleichfalls den<br />

Nachweis von Mykobakterien. Wie zu<br />

erwarten, erwiesen sich diese in der<br />

Kultur als Mycobacterium marinum.<br />

Unter Aquarianern, auch in den<br />

zoologischen Gärten, ist das Vorkommen<br />

von Infektionen mit M. marinum bekannt<br />

und wird wenig beachtet. Ausser den bei<br />

kommerziellen Fischhaltern häufig<br />

vorkommenden, knotenförmigen<br />

Veränderungen an den Händen gelten sie<br />

nicht als Zoonose und werden auch im<br />

Zoo entsprechend wenig beachtet. Und<br />

dann kam «Mi». Nach fachlichem Austausch<br />

mit dem behandelnden Arzt im<br />

Spital wurden die Lymphknoten in den<br />

Achseln der Tierpflegerin bioptiert und<br />

der Nachweis von M. war positiv. Die<br />

entsprechende Therapie mit einem<br />

Antibiotikum-Triple war erfolgreich.<br />

Allerdings zog sich diese Behandlung<br />

über zwei volle Monate hin.<br />

Ach ja, das Aquarium wurde vollständig<br />

ausgeräumt, alle Bewohner euthanasiert<br />

und postmortal examiniert. Erst nach<br />

mehrmaliger Desinfektion der glatten<br />

Aquarienwände mit einem wirksamen<br />

Desinfektionsmittel wurde der Lebensraum<br />

neu eingerichtet. Auf eine Behandlung<br />

der Tiere wurde wegen der Zoonosegefahr<br />

verzichtet.<br />

Die Infektionskette vom Fisch zu den<br />

fischfressenden Schildkröten und über<br />

die Schildkröten bzw. das kontaminierte<br />

Becken war offensichtlich und führte im<br />

Nachgang zu einem deutlich kritischeren<br />

Umgang mit M. marinum bei Fischen im<br />

Zoo.<br />

Bild: RANDO<br />

«Mi ist schon wieder krankgeschrieben,<br />

weil sie so müde und<br />

lustlos ist, ausserdem hat sie<br />

geschwollene Lymphknoten in<br />

den Achseln.» Die Auskunft des zuständigen<br />

Kurators auf meine Frage, wo denn<br />

die für die Aquarien zuständige Tierpflegerin<br />

sei, liess meine cerebralen Alarmglocken<br />

frenetisch läuten.<br />

In den Wochen zuvor hatte ich<br />

mehrere Schlangenhalsschildkröten auf<br />

meinem OP-Tisch. Diese lebten zusammen<br />

mit diversen Fischarten in einem<br />

4000-Liter-Aquarium mit Landteil und<br />

begeisterten stets die Gäste im Zoo. Dass<br />

Wasserschildkröten sehr oft multiple<br />

Abszedierungen auf der Haut des Panzers<br />

tragen und diese auch oft im Bereich von<br />

Hals, Kopf und Gliedmassen nachzuweisen<br />

sind, ist Standard. Die meist bakteriellen<br />

Infektionen mit gramnegativen<br />

Erregern wie Morganella morganii sind<br />

zumeist haltungsbedingt und im Freiland<br />

kaum nachweisbar. Die letzten drei<br />

Schildkröten zeigten aber nicht das<br />

multiple, teils konfluierende Auftreten<br />

mehr oder weniger tiefer Abszedierungen,<br />

sondern stets nur singuläre, rundliche<br />

und klar begrenzte Veränderungen<br />

der Haut (siehe Foto).<br />

Prof. Dr. med. vet. Bernd Schildger,<br />

Direktor Tierpark Dählhölzli Bern<br />

Die Fallberichte stammen aus Bernd Schildgers<br />

Zeit als Tierarzt im Zoo Frankfurt.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 53


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54<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


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oder Unterbruch<br />

im Berufsleben<br />

So wie während des Medizinstudiums bei vielen der Wunsch nach einem<br />

Auslandsemester besteht, gibt es Medizinerinnen und Mediziner,<br />

die während des Berufslebens einen Auslandaufenthalt oder einen Unterbruch<br />

einschalten wollen.<br />

Christoph Bohn, freier Mitarbeiter MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />

Bild:© Adobe<br />

Einige nennen es «Tapetenwechsel»,<br />

andere «Horizonterweiterung»,<br />

wieder andere reihen es<br />

ganz einfach in ihr persönliches<br />

Kapitel «Weiterbildung» ein. Der eigentliche<br />

Wunsch dahinter ist fast immer<br />

derselbe: «Ich will mal weg hier, ich will<br />

Luftveränderung, ich will eine Zeitlang<br />

im Ausland arbeiten.»<br />

Das A und O für die konkrete und erfolgreiche<br />

Umsetzung solcher Wünsche<br />

heisst «Planung, Planung und nochmals<br />

Planung». Denn wer als Ärztin oder als<br />

Arzt im Ausland tätig sein möchte, muss<br />

sich mit vielen Vorschriften und Richtlinien<br />

detailliert auseinandersetzen.<br />

Frühzeitige, seriöse, umfassende<br />

Planung<br />

Der administrative Aufwand im Vorfeld eines<br />

gewünschten Auslandaufenthalts ist<br />

nicht zu unterschätzen, er kann mit all den<br />

nötigen Abklärungen hoch sein und Monate<br />

dauern. Einerseits ist da natürlich die<br />

rein fachliche Seite: In welchem Land und<br />

in welcher Stadt kann man die gewünschte<br />

Tätigkeit am sinnvollsten aufnehmen?<br />

Welche Weiterbildung kann mit welchem<br />

international anerkannten Diplom wo absolviert<br />

und abgeschlossen werden?<br />

Grundsätzlich gilt dabei laut Schweizerischem<br />

Institut für ärztliche Weiter- und<br />

Fortbildung SIWF: Arztdiplome und<br />

Facharzttitel der EU und der Schweiz werden<br />

gegenseitig anerkannt. Rechtliche<br />

Grundlage dazu bildet das Freizügigkeitsabkommen<br />

und die für die Schweiz anwendbare<br />

EU-Richtlinie 2005/36. Für die<br />

Anerkennung von ausländischen Arztdiplomen<br />

und Facharzttiteln ist die Medizinalberufekommission<br />

zuständig. Arztdiplome<br />

aus Nicht-EU-Mitgliedstaaten<br />

sind nicht direkt anerkennbar, müssen<br />

aber für die Aufnahme einer ärztlichen<br />

Tätigkeit in der Schweiz durch die Medizinalberufekommission<br />

überprüft und<br />

ins Medizinalberuferegister eingetragen<br />

werden.<br />

Um unangenehme Überraschungen<br />

zu vermeiden, ist es sehr empfehlenswert,<br />

mit den diesbezüglichen Abklärungen<br />

frühzeitig zu beginnen. Bei der Titelkommission<br />

des SIWF kann man sich beispielsweise<br />

präzis über die spätere Anrechenbarkeit<br />

der Auslandstätigkeit erkundigen.<br />

Von den ausländischen Behörden<br />

wird übrigens oft eine Diplombestätigung<br />

oder ein «Certificate of good standing»<br />

verlangt. Auch das muss rechtzeitig organisiert<br />

werden.<br />

Wer jemanden in seinem Freundes- oder<br />

Bekanntenkreis hat, der im medizinischen<br />

Bereich bereits einen Auslandaufenthalt<br />

gemacht hat, wendet sich mit Vorteil an<br />

diese Person – praktische Tipps sind von<br />

unschätzbarem Wert. Hilfreiche und detaillierte<br />

Informationen zu diesem Themenbereich<br />

findet man auch auf der Website<br />

des SIWF: www.siwf.ch/themen/internationales.cfm.<br />

Auch persönliche Aspekte planen<br />

Neben der rein fachlichen Seite sind anderseits<br />

auch persönliche Themen von<br />

grosser Relevanz und damit nicht zu unterschätzen.<br />

Es gilt zum Beispiel folgende<br />

Die Serie «Das Kleingedruckte» geht weiter:<br />

Thema<br />

Ausgabe<br />

Oberarzt 05/<strong>2020</strong><br />

Familiengründung/<br />

Wohneigentum<br />

06/<strong>2020</strong><br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 55


MEDISERVICE<br />

(➝ Versicherungen ➝ Stellenunterbruch)<br />

zu finden. Weiterführende Informationen<br />

gibt es hier:<br />

Für Angestellte: Tel. 031 350 46 00 und<br />

www.vorsorgestiftung-vsao.ch<br />

Für Selbständige: Tel. 031 560 77 77 und<br />

www.vsao-stiftung.ch<br />

Haben Sie konkrete Fragen zu Ihrer<br />

individuellen Situation? Wir sind gerne<br />

für alle unsere Mitglieder da: Nehmen Sie<br />

mit uns Kontakt auf, und legen Sie Ihre<br />

spezifischen Fragen unseren Spezialistinnen<br />

und Spezialisten vor:<br />

Telefon: 031 350 44 22<br />

E-Mail: info@mediservice-vsao.ch<br />

Wir freuen uns, von Ihnen zu hören<br />

oder zu lesen.<br />

Den Koffer zu packen, ist noch die einfachste Übung. Wer einen Teil seiner Weiterbildung im<br />

Ausland absolvieren oder im Ausland arbeiten möchte, muss zuerst die bürokratischen Hürden<br />

überwinden.<br />

Fragen zu beantworten: Wie lebt es sich an<br />

der Wunschdestination – als Single, Paar<br />

oder Familie (inkl. Schulen)? Wie geht es<br />

mit der Sprache – schriftlich und mündlich?<br />

Wie verhält es sich mit den wirtschaftlichen<br />

Aspekten? Wie hoch sind Salär,<br />

Lebenshaltungskosten, Mieten? Wie<br />

organisiert man Bankverbindungen, Versicherungen,<br />

Smartphone-Abo, ÖV-Abo<br />

und allenfalls nötige digitale Identitäten<br />

am besten? Die pädiatrische Notfallmedizinerin<br />

Franziska Holzner bemerkt im<br />

nachfolgenden Interview treffend: «Der<br />

Teufel liegt im Detail.» Aber keine Angst,<br />

sie macht auch Mut: «Nehmt es in Angriff<br />

und scheut den Aufwand nicht!»<br />

Unbedingt Versicherungsschutz<br />

überprüfen<br />

Gehen Sie nicht davon aus, dass Ihre aktuellen<br />

Versicherungen in der Schweiz auch<br />

im Ausland den richtigen Schutz bieten.<br />

Es gibt im Gegenteil je nach Land verschiedenste<br />

Aspekte zu beachten und zu<br />

überprüfen, damit man im Falle eines Falles<br />

auch im Ausland jederzeit ausreichend<br />

geschützt ist. Man hört zwar solche Fragen<br />

eher ungern, muss sie sich aber dennoch<br />

stellen: Was passiert bei einem Unfall, bei<br />

einer Krankheit? Ist man ausreichend versichert,<br />

erhält man rasch Hilfe vor Ort,<br />

werden die Kosten vom Versicherer übernommen?<br />

Was, wenn man dauerhafte Gesundheitsschädigungen<br />

davonträgt? Erhält<br />

man eine Rente? Bezahlt die IV- oder<br />

56<br />

die Unfallversicherung? Wie ist es, wenn<br />

man anderen Personen einen Schaden zufügt?<br />

MEDISERVICE <strong>VSAO</strong> bietet seinen<br />

Mitgliedern in Zusammenarbeit mit expatpartners<br />

ag professionelle Unterstützung<br />

bei Versicherungsfragen für einen<br />

Auslandaufenthalt an.<br />

Ganz oben auf der «To-do-Liste» steht<br />

die Krankenversicherung. Kosten für ambulante<br />

und stationäre Behandlungen<br />

müssen gedeckt sein, nicht nur im Notfall.<br />

Gesetzliche Bestimmungen müssen beachtet<br />

werden. Zusätzlich müssen Fragen<br />

beantwortet werden: Darf man seine Deckung<br />

hier in der Schweiz beibehalten?<br />

Wenn ja, wie lange, und ist der Versicherungsschutz<br />

ausreichend? Welches ist die<br />

kostengünstigste Lösung? MEDISERVICE<br />

<strong>VSAO</strong> hilft mit seinem Know-how und seiner<br />

Erfahrung gerne mit einer individuellen<br />

Beratung weiter.<br />

Auf keinen Fall darf man die AHV vergessen.<br />

Denn wenn durch einen Auslandaufenthalt<br />

Beitragslücken entstehen,<br />

wirkt sich das spürbar negativ auf die spätere<br />

Rente aus. Deshalb ist die jährliche<br />

Beitragszahlung unerlässlich!<br />

Stellenunterbruch<br />

In diesem Bereich wird unterschieden<br />

zwischen Angestellten und Selbständigerwerbenden.<br />

Voraussetzungen und Leistungen<br />

sind recht komplex. Basisinformationen<br />

sind auf www.mediservice-vsao.ch<br />

Nützliche Links:<br />

www.siwf.ch<br />

www.vsao.ch<br />

www.mediservice-vsao.ch<br />

www.expatpartners.ch<br />

www.auslandkrankenkasse.ch<br />

www.bag.admin.ch<br />

www.ahv-iv.ch<br />

Umfassendes<br />

Dienstleistungsangebot<br />

Obschon MEDISERVICE <strong>VSAO</strong> seinen<br />

Schwerpunkt auf Versicherungsleistungen<br />

legt, begleitet er Medizinerinnen<br />

und Mediziner mit zahlreichen<br />

weiteren Dienstleistungen durch die<br />

verschiedenen Lebensphasen.<br />

– Wir empfehlen zum Beispiel via<br />

medisem.ch ausgewählte professionelle<br />

Seminare zu praktisch allen<br />

relevanten Themen.<br />

– Via jobmed.ch vermitteln wir Stellen<br />

für Mediziner, die im ambulanten<br />

oder stationären Bereich eine neue<br />

Herausforderung suchen.<br />

– Auch zu Auslandaufenthalten gibt es<br />

bei uns praktische, hilfreiche Tipps.<br />

– Wenn es um die Praxis geht, wartet<br />

bei uns ein ganzer Ordner mit elf<br />

Kapiteln zu betrieblichen und administrativen<br />

Themen (z.B. Einrichtung,<br />

Bewilligungen, Versicherungen,<br />

Personalwesen etc.) auf Sie.<br />

– Und last, but not least arbeiten wir<br />

auch mit renommierten Beratungsstellen<br />

und Treuhandpartnern<br />

zusammen, wenn Sie professionelle<br />

Unterstützung bei Finanz-, Vorsorgeund<br />

Steuerthemen wünschen.<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


MEDISERVICE<br />

Bitte lesen Sie das Kleingedruckte (3)<br />

«Nehmt es<br />

in Angriff»<br />

Einmal eine Zeitlang im Ausland leben und arbeiten,<br />

für viele Ärztinnen und Ärzte ein Traum.<br />

Franziska Holzner ist mit ihrer Familie nach Schweden gegangen,<br />

um als pädiatrische Notfallmedizinerin tätig zu sein.<br />

Du beantwortest diese Fragen<br />

von Schweden aus. Weshalb<br />

hast Du Dich zu einem Auslandaufenthalt<br />

entschlossen?<br />

Schon im Gymnasium und während des<br />

Studiums hatte ich das Privileg, ein anderes<br />

Land «von innen» kennenlernen zu<br />

dürfen. Seit Jahren wollte ich dies auch im<br />

Zusammenhang mit meinem Beruf machen.<br />

Ich erhoffte mir eine persönliche<br />

und medizinische Horizonterweiterung.<br />

Im vergangenen Jahr war für uns als Familie<br />

der Zeitpunkt gekommen, diesen<br />

Wunsch in die Tat umzusetzen.<br />

Bild: zvg<br />

Nach welchen Kriterien hast Du eine<br />

Stelle im Ausland gesucht?<br />

Es war klar, dass ein Auslandaufenthalt<br />

einen grossen Aufwand in vielerlei Hinsicht<br />

bedeutet. Ich bin pädiatrische Notfallmedizinerin,<br />

eine in Europa junge Disziplin,<br />

und wollte nur eine Stelle, an der<br />

ich mich in meinem Bereich weiterbilden<br />

kann. Ausserdem sollte die Destination attraktiv<br />

und als Familie «machbar» sein.<br />

Dies beinhaltet für uns organisatorische,<br />

finanzielle, geografische und sprachliche<br />

Aspekte.<br />

Wie hast Du die Stelle gefunden?<br />

Ich hörte von verschiedenen Seiten, dass<br />

eine Zürcher Kollegin hier in Stockholm<br />

als Oberärztin auf dem Kindernotfall arbeitet.<br />

Ich traf sie an einem Kongress, daraus<br />

entwickelte sich ein Kontakt zu meiner<br />

jetzigen Chefin, ein erster Besuch in Stockholm<br />

und schlussendlich unser Umzug.<br />

Der Blick in eine andere Welt hilft, das Vertraute mit neuen Augen zu sehen.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 57


MEDISERVICE<br />

Wie lange hat die Planung gedauert?<br />

Der erste Kontakt und die konkrete Auseinandersetzung<br />

mit den administrativen<br />

Abläufen geschah zwei Jahre vor unserer<br />

Abreise. Dann kündigte sich unser zweites<br />

Kind an und wir verschoben die Auslandpläne,<br />

intensivierten aber den Sprachunterricht.<br />

Der definitive Entscheid fiel vier<br />

Monate vor Abreise. Diese Monate waren<br />

dann aber sehr intensiv.<br />

Mit welchen Erwartungen bist Du gestartet?<br />

Für mich stand die Auslanderfahrung als<br />

Ganzes im Vordergrund. Stockholm kennenzulernen<br />

und als Familie einen neuen<br />

Alltag zu erleben und zu gestalten. Ebenso<br />

wollte ich ein anderes Gesundheitssystem<br />

kennenlernen und natürlich meine fachlichen<br />

Kenntnisse vertiefen und verbreitern.<br />

Welches war die grösste Überraschung?<br />

Die Art und Weise, wie hier die Bedürfnisse<br />

des Personals aufgenommen und auch<br />

eingefordert werden, hat mich überrascht.<br />

Erst jetzt habe ich wieder gemerkt, wie<br />

sehr wir in der Schweiz bereit sind, unsere<br />

Bedürfnisse hintanzustellen. Letztmals<br />

hatte ich mich in meinem Wahlstudienjahr<br />

darüber gewundert.<br />

Und dann natürlich die Sars-Cov-2-<br />

Pandemie. Die kam überraschend und hat<br />

auch unsere Pläne durchgeschüttelt. Den<br />

Umgang mit der Pandemie und die jeweilige<br />

Berichterstattung in zwei Ländern<br />

mitzuerleben, stellt vermeintlich klare Positionen<br />

in Frage.<br />

Und was die grössten Herausforderungen?<br />

Rein praktisch liegt der Teufel im Detail.<br />

Wir wussten zwar, dass das Leben in<br />

Schweden bis zur offiziellen Registrierung<br />

mit der «Personennummer» kompliziert<br />

ist. Wie kompliziert das ist und wie viel Geduld<br />

das brauchen würde, hat uns dann<br />

doch überrascht. Vom Mobiltelefon-Abo<br />

über das Konto sowie die Kundenkarte im<br />

Supermarkt bis hin zur im digitalen schwedischen<br />

Alltag unentbehrlichen elektronischen<br />

ID – nichts geht ohne «Personennummer».<br />

Sich alleine in einem neuen<br />

Land zurechtzufinden, braucht Energie.<br />

Wenn sich vier Personen neu zurechtfinden<br />

sollen, braucht das sehr viel Energie.<br />

Während der Arbeit auf einer Notfallstation<br />

interagiert man konstant mit verschiedensten<br />

anderen Disziplinen, Instanzen<br />

und Strukturen. Sich diesbezüglich<br />

in einem fremden Gesundheitswesen<br />

zurechtzufinden und möglichst korrekt<br />

und effizient zu bewegen, ist weiterhin<br />

täglich eine Herausforderung.<br />

Was rätst Du all jenen, die ebenfalls einen<br />

Auslandaufenthalt machen möchten?<br />

Nehmt es in Angriff und scheut den Aufwand<br />

nicht! Hilfreich und energiesparend<br />

ist ein Austausch mit Kollegen, die denselben<br />

Weg schon gegangen sind.<br />

Wo stehst Du heute und wie geht es weiter?<br />

Wir sind nun seit 10 Monaten in Schweden.<br />

Wir fühlen uns daheim und ich habe<br />

in der alltäglichen Arbeit Sicherheit gewonnen.<br />

Vor uns liegen noch 2,5 Monate schwedischer<br />

Sommer. Das heisst längere Ferien<br />

und einige traumalastige Wochen auf dem<br />

Notfall. Ich denke und hoffe, dass wir nun<br />

privat und beruflich vor allem ernten und<br />

geniessen können.<br />

Danach darf ich meine Stelle als Oberärztin<br />

am Notfallzentrum für Kinder und<br />

Jugendliche des Inselspitals, welche ich<br />

vor zwei Jahren vor der Geburt unserer<br />

Tochter verlassen habe, erneut aufnehmen.<br />

Es wird spannend sein, die «alte Heimat»<br />

mit «frischen» Augen zu sehen. Ich<br />

möchte Positives von hier mitnehmen und<br />

Vermisstes wieder bewusst wertschätzen.<br />

Zur Person<br />

Franziska Holzner hat das Studium<br />

der Humanmedizin an der Universität<br />

Zürich 2008 abgeschlossen. Sie ist<br />

Kinderärztin und pädiatrische Notfallmedizinerin,<br />

Mutter zweier Kinder,<br />

Partnerin, Reise- und Naturliebhaberin<br />

und Redaktionsmitglied des<br />

VSA0-Journals.<br />

Anzeige<br />

Zusatzversicherungen künden?<br />

Falls Sie über eine Zusatzversicherung zu Ihrer Krankenkasse verfügen (Krankenpflegeversicherung/Spital<br />

halbprivat bzw. privat) und mit einem Wechsel liebäugeln, müssen<br />

Sie die Kündigungsfristen beachten. Im Gegensatz zur Grundversicherung gelten<br />

andere, längere Fristen. In der Regel betragen diese Fristen drei bis sechs Monate.<br />

Zunehmend werden jedoch längere Vertragsdauern (mehrjährig) vereinbart. Daher<br />

sollte man rechtzeitig eine Überprüfung seiner Zusatzversicherung vornehmen. Eine<br />

Kündigung ist unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Frist jederzeit möglich.<br />

Im Gegensatz zur Grundversicherung sind die Leistungen in der Zusatzversicherung<br />

von Krankenkasse zu Krankenkasse verschieden. In der Zusatzversicherung können die<br />

Krankenkassen die Prämie risikogerecht, d.h. abgestuft nach Alter und Geschlecht,<br />

gestalten. Entsprechend dürfen Vorbehalte angebracht werden oder es kann eine Ablehnung<br />

erfolgen. Daher sollte man auf keinen Fall die bestehende Zusatzversicherung<br />

künden, ohne dass eine Aufnahmebestätigung des künftigen Versicherers vorliegt.<br />

Wir arbeiten mit zahlreichen Krankenversicherer zusammen und können Ihnen dank<br />

unsern Kollektivverträgen vorteilhafte Angebote unterbreiten.<br />

Für Auskünfte wenden Sie sich bitte an MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC: Tel. 031 350 44 22,<br />

info@mediservice-vsao.ch<br />

Erste Hilfe<br />

für Menschen mit<br />

letzter Hoffnung<br />

www.msf.ch<br />

PK 12-100-2<br />

58<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


MEDISERVICE<br />

Briefkasten<br />

E-Trottinetts –<br />

Haftpflicht bedenken<br />

Bild: zvg<br />

Heute sieht man immer<br />

mehr E-Trottinetts in der<br />

Stadt. Auch ich miete<br />

gerne hin und wieder eines<br />

oder leihe es mir aus, um schnell von A<br />

nach B zu kommen. Nun habe ich mich<br />

gefragt, ob ich versichert bin, wenn ich<br />

ein E-Trottinett miete oder teile.<br />

E-Trottinetts gehören in den meisten<br />

Schweizer Städten mittlerweile zum<br />

Stadtbild. Doch im Zuge der Coronakrise<br />

Die Allianz Suisse unterstützt neue<br />

Mobilitätstrends wie E-Scooter und<br />

setzt dabei auf Einfachheit für ihre<br />

Kunden: So sind auch Schäden an<br />

Dritten durch die Nutzung geliehener<br />

bzw. mitbenutzter E-Trottinetts für<br />

Allianz-Kunden über die Privathaftpflichtversicherung<br />

gedeckt – ohne<br />

Zusatzkosten.<br />

MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC und<br />

Allianz Suisse arbeiten seit vielen<br />

Jahren erfolgreich zusammen. Ihr<br />

Mehrwert als Mitglied bei MEDISER-<br />

VICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC: vorteilhafte<br />

Konditionen beim Abschluss einer<br />

Versicherung bei der Allianz Suisse:<br />

• mindestens 10% Rabatt auf alle<br />

Versicherungen der Allianz,<br />

• individuelle Angebote nach Ihren<br />

Bedürfnissen.<br />

Weitere Informationen finden Sie hier:<br />

https://partner.allianz.ch/de/<br />

mediservice/<br />

Allianz Suisse<br />

Firmen-/Verbandsvergünstigungen<br />

+41 58 358 50 50<br />

verguenstigungen@allianz.ch<br />

wurden E-Scooter teilweise eingesammelt<br />

und eingestellt. In der Zwischenzeit sind<br />

die praktischen Flitzer in vielen Innenstädten<br />

jedoch wieder anzutreffen. Denn<br />

sie sind gerade im Sommer eine attraktive<br />

Alternative: kurzerhand nach der Arbeit<br />

ein E-Trottinett schnappen, per App<br />

entriegeln, an den Zielort fahren, abstellen,<br />

verriegeln und gut ist. So einfach<br />

jedoch die Bedienung in der Regel ist<br />

– der richtige Umgang mit E-Scootern hat<br />

auch seine Tücken. Häufig scheint es<br />

nämlich einfacher, als es ist. Deshalb ist<br />

vor dem Start erst einmal gut zu wissen:<br />

E-Scooter sind im Strassenverkehr<br />

Velos gleichgestellt. Das Bundesamt für<br />

Strassen (ASTRA) schreibt zusätzlich zu<br />

den geltenden Verkehrsregeln technische<br />

Vorschriften für das E-Trottinett vor. Der<br />

Fahrer trägt die Verantwortung, diese<br />

vorab zu prüfen und einzuhalten:<br />

• Es darf nur auf Strassen gefahren<br />

werden. Abkürzungen über Fusswege<br />

werden gebüsst.<br />

• Ein Führerausweis ist nicht notwendig.<br />

Ausnahme: Jugendliche von 14 bis 16<br />

Jahren müssen im Besitz eines Führerausweises<br />

der Kategorie M sein.<br />

• Es gibt keine Helmpflicht, das Tragen<br />

eines Helms wird jedoch empfohlen.<br />

• Eine Warnglocke und rote Rückstrahler<br />

nach hinten sind obligatorisch.<br />

• Das Abbiegen muss mit den Armen<br />

signalisiert werden.<br />

So weit zu den Vorschriften. Jedoch<br />

will auch der Umgang mit einem E-Scooter,<br />

der bis zu 20 km/h schnell ist, gelernt<br />

sein – gerade in der Stadt. Je mehr<br />

E-Scooter unterwegs sind, desto grösser<br />

ist die Unfallgefahr. Deshalb stellt sich<br />

die Frage: Wie sieht es eigentlich mit dem<br />

Versicherungsschutz aus?<br />

Bei eigenen E-Trottinetts (bis max.<br />

20 km/h) sind alle Personen-, Sach- und<br />

Vermögensschäden, die an Drittpersonen<br />

verursacht wurden, automatisch über die<br />

Privathaftpflichtversicherung gedeckt.<br />

Bei vielen Versicherungen gilt dies<br />

allerdings nicht für gemietete bzw.<br />

mitbenutzte (Sharing) E-Scooter. Das<br />

bedeutet: Viele fahren ohne entsprechenden<br />

Versicherungsschutz durch die Stadt.<br />

Das kann gerade bei Unfällen mit Personen<br />

sehr teuer werden, wenn die Folgeschäden<br />

aus der eigenen Tasche bezahlt<br />

werden müssen. Deshalb sollten regelmässige<br />

E-Scooter-Fahrer unbedingt<br />

abklären, ob verursachte Schäden mit<br />

gemieteten bzw. mitbenutzten E-Trottinetts<br />

in ihrer Privathaftpflichtversicherung<br />

ebenfalls eingeschlossen sind.<br />

Ist dies abgeklärt und sind die<br />

Vorschriften für E-Scooter bekannt, steht<br />

dem sorgenfreien Benutzen dieser<br />

kleinen Allrounder nichts mehr im Wege.<br />

App starten – E-Trottinett entriegeln –<br />

und los gehts!<br />

Raphaela Schelbert<br />

Key Account<br />

Managerin,<br />

Allianz Suisse<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 59


Wir beraten Ärztinnen und Ärzte, weil wir sie gut verstehen.<br />

Lassen Sie sich von uns einen gratis Versicherungs-Check-Up<br />

verschreiben. Und danach sprechen wir über Ihre Personenversicherung,<br />

Sach- und Vermögensversicherung und Unfallversicherung.<br />

www.mediservice-vsao.ch


MEDISERVICE<br />

Jetzt die<br />

Krankenkassendeckung<br />

überprüfen<br />

Der 30. November <strong>2020</strong> ist der Stichtag: Bis dann müssen Sie die<br />

Krankenkasse wechseln, wenn Sie die Grundversicherung<br />

anderswo abschliessen möchten. Vorsicht bei Zusatzversicherungen:<br />

Hier gelten andere Kündigungsfristen.<br />

Stephan Fischer, Chefredaktor Visana-Kundenmagazine<br />

Sie können Ihre Grundversicherung<br />

bis Ende November wechseln.<br />

Trotzdem ist es sinnvoll,<br />

wenn Sie sich schon vorher in<br />

Ruhe beraten lassen, welches Versicherungsmodell<br />

am besten zu Ihnen und Ihrer<br />

Familie passt.<br />

Wenn die neuen Policen im Oktober<br />

eintreffen, werden die Geschäftsstellen<br />

von Terminanfragen überrannt. Viele<br />

möchten wissen, wie sie Prämien sparen<br />

können. Darum empfehlen wir Ihnen,<br />

nicht erst im Herbst aktiv zu werden. Lassen<br />

Sie sich in Ruhe beraten, ob sich ein<br />

anderes Versicherungsmodell oder ein<br />

Wechsel für Sie lohnt.<br />

Kasse zu Kasse. Bei gleichbleibenden Prämien<br />

müssen Sie Zusatzversicherungen<br />

meist drei, manchmal sogar sechs Monate<br />

vor Jahresende kündigen. Falls sich Ihre<br />

Prämie ändert, können Sie die Zusatzversicherung<br />

bis zum letzten Tag vor Inkrafttreten<br />

der neuen Prämie kündigen. Eine<br />

weitere Kündigungsmöglichkeit ergibt<br />

sich im Leistungsfall. Gerne beraten Sie<br />

die Fachleute dazu.<br />

Sparen bei den Prämien?<br />

Wir helfen Ihnen<br />

Die obligatorische Grundversicherung<br />

bietet Ihnen die optimale medizinische<br />

Versorgung. Wenn Sie bei den Prämien<br />

sparen möchten, können Sie ein alternatives<br />

Modell (zum Beispiel ein telemedizinisches<br />

Modell) wählen. Oder Sie schöpfen<br />

einen höheren Rabatt in der Grundversicherung<br />

aus, indem Sie Ihre Franchise erhöhen<br />

und mehr Eigenverantwortung<br />

übernehmen.<br />

Zeit bis Ende November<br />

Für die Grundversicherung gilt: Spätestens<br />

am letzten Arbeitstag im November<br />

– dieses Jahr ist es der 30. November −<br />

muss das Kündigungsschreiben bei der<br />

bisherigen Krankenkasse eingetroffen<br />

sein (am besten eingeschrieben). Die Kündigungsfrist<br />

gilt unabhängig davon, ob die<br />

neue Prämie höher, tiefer oder gleich hoch<br />

ist. Für die Anmeldung der Grundversicherung<br />

bei einer neuen Krankenkasse<br />

haben Sie Zeit bis Ende Jahr.<br />

Andere Regelung bei<br />

Zusatzversicherungen<br />

Bei den Zusatzversicherungen gelten andere<br />

Kündigungsfisten. Sie variieren von<br />

Exklusive Prämien rabatte auf die<br />

Zusatzversicherungen<br />

Dank der Partnerschaft des MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC mit Visana erhalten Sie und alle<br />

Mitglieder in Ihrem Haushalt einmalige Prämienrabatte auf die Zusatzversicherungen<br />

der Visana:<br />

• Bis zu 20 Prozent Kollektivrabatt auf die Spitalzusatzversicherung<br />

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Unser Geschenk für Sie: ein Coop-Gutschein im Wert von 30 Franken<br />

Vereinbaren Sie am besten gleich einen Beratungstermin und erhalten Sie als Dankeschön<br />

einen Coop-Gutschein im Wert von 30 Franken.<br />

Gerne beraten wir Sie in einer Visana-Geschäftsstelle oder bei Ihnen zu Hause. Hier<br />

können Sie uns erreichen:<br />

Visana Services AG, Weltpoststrasse 19, 3000 Bern 15, Telefon 0848 848 899<br />

www.visana.ch/hk/ms-vsao<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 61


Logo_Q-Publikation_D_2018_CMYK.pdf 1 03.04.18 11:40<br />

Impressum<br />

Kontaktadressen der Sektionen<br />

<strong>Nr</strong>. 4 • 39. Jahrgang • <strong>August</strong> <strong>2020</strong><br />

Herausgeber/Verlag<br />

AG<br />

<strong>VSAO</strong> Sektion Aargau, Geschäftsstelle: lic. iur. Eric Vultier, Auf der<br />

Mauer 2, 8001 Zürich, vultier@schai-vultier.ch, Tel. 044 250 43 23,<br />

Fax 044 250 43 20<br />

MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />

Bollwerk 10, Postfach, 3001 Bern<br />

Telefon 031 350 44 88<br />

journal@vsao.ch, journal@asmac.ch<br />

www.vsao.ch, www.asmac.ch<br />

Im Auftrag des <strong>VSAO</strong><br />

Redaktion<br />

Catherine Aeschbacher (Chefredaktorin),<br />

Giacomo Branger, Franziska Holzner-<br />

Arnold, Kerstin Jost, Fabian Kraxner, Léo<br />

Pavlopoulos, Lukas Staub, Anna Wang,<br />

Sophie Yammine<br />

Geschäfts ausschuss vsao<br />

Anja Zyska (Präsidentin), Patrizia Kündig<br />

(Vize präsidentin), Angelo Barrile (Vizepräsident),<br />

Nora Bienz, Christoph Bosshard<br />

(Gast), Marius Grädel, Dina-Maria Jakob<br />

(Gast), Helen Manser, Gert Printzen, Patrizia<br />

Rölli, Miodrag Savic (Gast), Jana Siroka,<br />

Michael Burkhardt (swimsa)<br />

Druck, Herstellung und Versand<br />

Stämpfli AG, Wölflistrasse 1, CH-3001 Bern<br />

Telefon +41 31 300 66 66<br />

info@staempfli.com, www.staempfli.com<br />

Layout<br />

Tom Wegner<br />

Titelillustration<br />

Till Lauer<br />

Inserate<br />

Zürichsee Werbe AG, Fachmedien,<br />

Markus Haas, Laubisrütistrasse 44, 8712 Stäfa<br />

Telefon 044 928 56 53<br />

E-Mail vsao@fachmedien.ch<br />

Auflagen<br />

Druckauflage: 22 200 Expl.<br />

WEMF/SW-Beglaubigung 2019: 21 902 Expl.<br />

Erscheinungshäufigkeit: 6 Hefte pro Jahr.<br />

Für <strong>VSAO</strong>-Mitglieder im Jahresbeitrag<br />

inbegriffen.<br />

ISSN 1422-2086<br />

Ausgabe <strong>Nr</strong>. 5/<strong>2020</strong> erscheint im Oktober <strong>2020</strong>.<br />

Thema: Raum<br />

© <strong>2020</strong> by <strong>VSAO</strong>, 3001 Bern<br />

Printed in Switzerland<br />

BL/BS<br />

<strong>VSAO</strong> Sektion beider Basel, Geschäftsleiterin und Sekretariat:<br />

lic. iur. Claudia von Wartburg, Advokatin, Hauptstrasse 104,<br />

4102 Binningen, Tel. 061 421 05 95, Fax 061 421 25 60,<br />

sekretariat@vsao-basel.ch, www.vsao-basel.ch<br />

BE <strong>VSAO</strong> Sektion Bern, Schwarztorstrasse 7, 3007 Bern, Tel. 031 381 39 39,<br />

info@vsao-bern.ch, www.vsao-bern.ch<br />

FR<br />

ASMAC Sektion Freiburg, Gabriela Kaufmann-Hostettler,<br />

Wattenwylweg 21, 3006 Bern, Tel. 031 332 41 10, Fax 031 332 41 12,<br />

info@gkaufmann.ch<br />

GE Associations des Médecins d’Institutions de Genève, Postfach 23,<br />

Rue Gabrielle-Perret-Gentil 4, 1211 Genf 14, amig@amig.ch, www.amig.ch<br />

GR<br />

JU<br />

NE<br />

<strong>VSAO</strong> Sektion Graubünden, 7000 Chur, Samuel B. Nadig, lic. iur. HSG,<br />

RA Geschäftsführer/Sektionsjurist, Tel. 078 880 81 64, info@vsao-gr.ch,<br />

www.vsao-gr.ch<br />

ASMAC Jura, 6, chemin des Fontaines, 2800 Delémont,<br />

marie.maulini@h-ju.ch<br />

ASMAC Sektion Neuenburg, Joël Vuilleumier,<br />

Jurist, Rue du Musée 6, Postfach 2247, 2001 Neuenburg,<br />

Tel. 032 725 10 11, vuilleumier@valegal.ch<br />

SG/AI/AR <strong>VSAO</strong> Sektion St. Gallen-Appenzell, Bettina Surber, Oberer Graben 44,<br />

9000 St. Gallen, Tel. 071 228 41 11, Fax 071 228 41 12,<br />

Surber@anwaelte44.ch<br />

SO<br />

TI<br />

TG<br />

VD<br />

VS<br />

<strong>VSAO</strong> Sektion Solothurn, Geschäftsstelle: lic. iur. Eric Vultier, Auf der<br />

Mauer 2, 8001 Zürich, vultier@schai-vultier.ch, Tel. 044 250 43 23,<br />

Fax 044 250 43 20<br />

ASMAC Ticino, Via Cantonale 8-Stabile Qi, 6805 Mezzovico-Vira,<br />

segretariato@asmact.ch<br />

<strong>VSAO</strong> Sektion Thurgau, Geschäftsstelle: lic. iur. Eric Vultier, Auf der<br />

Mauer 2, 8001 Zürich, vultier@schai-vultier.ch, Tel. 044 250 43 23,<br />

Fax 044 250 43 20<br />

ASMAV, case postale 9, 1011 Lausanne-CHUV,<br />

asmav@asmav.ch, www.asmav.ch<br />

ASMAVal, p.a. Maître Valentine Gétaz Kunz,<br />

Ruelle du Temple 4, CP 20, 1096 Cully, contact@asmaval.ch<br />

Zentralschweiz (LU, ZG, SZ, GL, OW, NW, UR)<br />

<strong>VSAO</strong> Sektion Zentralschweiz, Geschäftsstelle: lic. iur. Eric Vultier,<br />

Auf der Mauer 2, 8001 Zürich, vultier@schai-vultier.ch,<br />

Tel. 044 250 43 23, Fax 044 250 43 20<br />

ZH/SH<br />

<strong>VSAO</strong> ZÜRICH/SCHAFFHAUSEN, RA lic. iur. Susanne Hasse,<br />

Geschäftsführerin, Rämistrasse 46, 8001 Zürich, Tel. 044 941 46 78,<br />

susanne.hasse@vsao-zh.ch, www.vsao-zh.ch<br />

Publikation2019<br />

FOKUSSIERT<br />

KOMPETENT<br />

TRANSPARENT<br />

Gütesiegel Q-Publikation<br />

des Verbandes Schweizer Medien<br />

62<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal


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