VSAO JOURNAL Nr. 4 - August 2020
Prozess - Justiz, Religion, Evolution Gastroenterologie - Das Chamäleon Zöliakie Infektiologie - Urogynäkologische Infektionen Politik - Zurück in die Zukunft (?)
Prozess - Justiz, Religion, Evolution
Gastroenterologie - Das Chamäleon Zöliakie
Infektiologie - Urogynäkologische Infektionen
Politik - Zurück in die Zukunft (?)
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<strong>VSAO</strong><br />
<strong>Nr</strong>. 4, <strong>August</strong> <strong>2020</strong><br />
Journal<br />
Das Journal des Verbandes Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte<br />
Prozess<br />
Justiz, Religion, Evolution<br />
Seite 24<br />
Gastroenterologie<br />
Das Chamäleon Zöliakie<br />
Seite 42<br />
Infektiologie<br />
Urogynäkologische Infektionen<br />
Seite 46<br />
Politik<br />
Zurück in die Zukunft (?)<br />
Seite 6
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Inhalt<br />
Prozess<br />
Justiz, Religion, Evolution<br />
Coverbild: Till Lauer<br />
Editorial<br />
5 Alles ist in Bewegung<br />
Politik<br />
6 Zurück in die Zukunft (?)<br />
11 Auf den Punkt gebracht<br />
Weiterbildung /<br />
Arbeitsbedingungen<br />
12 «Care Now» – und 1200 wollten<br />
15 «Vertrauen gewinnen ist eine Ehre»<br />
19 Lesen lernen<br />
vsao<br />
20 Neues aus den Sektionen<br />
22 vsao-Rechtsberatung<br />
Perspektiven<br />
42 Aktuelles aus der Gastroenterologie –<br />
Zöliakie: Das Chamäleon erkennen<br />
46 Aus der «Praxis» :<br />
Rezidivierende urogynäkologische<br />
Infektionen<br />
53 Der besondere Patient<br />
MEDISERVICE<br />
55 Bitte lesen Sie das Kleingedruckte:<br />
Auslandaufenthalt oder Unterbruch<br />
im Berufsleben<br />
59 Briefkasten<br />
61 Jetzt die Krankenkassen deckung<br />
überprüfen<br />
62 Impressum<br />
Fokus: Prozess<br />
24 Recht durch Selbstjustiz?<br />
26 Leben ist kein linearer Prozess<br />
28 Wenn der Hamster nicht aufersteht<br />
30 Digitalisierung im Spitalbau<br />
34 Bewegte Liturgie<br />
36 Der PC erhält ein Gehirn<br />
38 Einstieg in den Alltag sichern<br />
40 Hausarzt und Spital in Zusammenarbeit<br />
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und -stabilität
Editorial<br />
Alles ist in<br />
Bewegung<br />
Catherine Aeschbacher<br />
Chefredaktorin <strong>VSAO</strong>-Journal<br />
Wertschöpfungsprozess, Annäherungsprozess, Heilungsprozess,<br />
Wachstumsprozess – heute wimmelt es in<br />
unserer Sprache nur so von Prozessen aller Art. Von<br />
den Naturwissenschaften bis hin zur Wirtschaft und/<br />
oder Politik: Vieles in unserem Leben passiert nicht plötzlich und<br />
unvorhersehbar, sondern kündigt sich an und entwickelt sich in<br />
Etappen. Entsprechend bezeichnet der Begriff Prozess längst nicht<br />
mehr nur juristische Verfahren. Vielmehr wird er auf alle möglichen<br />
Entwicklungen angewendet. Die Wahrnehmung von sich entwickelnden<br />
Abläufen hat dem ursprünglich auf die Justiz beschränkten Wort<br />
über die Jahrhunderte eine ungeheure Bandbreite an Bedeutungen<br />
verliehen.<br />
In unserem Schwerpunkt gehen wir zum Ursprung zurück und fragen,<br />
wie eigentlich der juristische Prozess entstanden ist. Wie entwickelte<br />
sich die Dreiteilung von Richter, Ankläger und Verteidiger? Und wann<br />
wurde die Justiz von der Regierungsgewalt abgetrennt?<br />
Das Wort «Prozess» kommt vom lateinischen «procedere» und<br />
be deutet so viel wie «vorwärtsschreiten», deshalb befassen wir uns<br />
im Fokus auch mit religiösen Prozessionen. Danach schreiten wir<br />
vorwärts in die Moderne unter anderem mit Denkprozessen in künstlichen<br />
neuronalen Netzen, dem medizinischen Behandlungsprozess<br />
oder IT-unterstützten Bauprozessen.<br />
«Pantha rei, alles fliesst», sagten schon die alten Griechen. Bis in die<br />
Neuzeit waren sich seither alle Denker einig: Die Natur entwickelt sich<br />
stetig, sie vollführt keine Sprünge. Aber stimmt das wirklich? Der<br />
Anthropologe André Langaney setzt sich kritisch mit diesem Axiom<br />
auseinander.<br />
Nicht vorwärts, sondern eher rückwärts droht die Politik zu schreiten.<br />
Der Beitrag zur Politik ist darum mit «Zurück in die Zukunft (?)»<br />
betitelt. Werden die Erfahrungen aus der Corona-Krise und die daraus<br />
gewonnenen Erkenntnisse die künftige Gesundheitspolitik prägen –<br />
oder kehren wir zum Status quo ante zurück? Das will der Nationalrat<br />
und vsao-Vizepräsident Angelo Barrile mittels zweier Motionen verhindern.<br />
Zum einen soll die Schweiz mehr Ärzte ausbilden, zum<br />
anderen geht es um die Einhaltung des Arbeitsgesetzes in den<br />
Spitälern. Genaueres ist im Politik-Teil nachzulesen. Zu hoffen bleibt,<br />
dass kurzfristige Lernprozesse auf die Dauer ein positives Resultat<br />
zeitigen.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 5
Junge Ärztinnen und Ärzte sollen sich wieder voll und<br />
ganz auf ihre Weiterbildung konzentrieren können.<br />
Aber auch sonst setzt sich der vsao in vielfältiger Weise<br />
dafür ein, dass sich die Arbeitssituation in den Spitälern<br />
rasch normalisiert – und vor allem verbessert.<br />
Zurück in<br />
die Zukunft (?)<br />
Obs das jetzt gewesen ist mit Corona? Niemand weiss es. Und so<br />
lavieren im Moment alle Akteure im Gesundheitswesen<br />
zwischen Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsplanung.<br />
Der vsao sagt: das eine tun, das andere nicht lassen.<br />
Marcel Marti, Leiter Politik und Kommunikation / stv. Geschäftsführer vsao<br />
Bilder: auremar (Adobe Stock) / vsao<br />
6<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Politik<br />
«Nach ist nicht vor Corona»: Unter<br />
diesem Titel stand der Politikartikel<br />
in der letzten Ausgabe des<br />
<strong>VSAO</strong>-Journals. Damals, im Juni,<br />
ging es um das Fazit des Verbands nach<br />
dem Abklingen der Pandemie. Genauer:<br />
um seine Forderungen, damit die Erfahrungen<br />
des Gesundheitspersonals und<br />
speziell der jungen Ärzteschaft in die politische<br />
Debatte zur Nachlese der Geschehnisse<br />
einfliessen.<br />
Den Worten sind schon Taten gefolgt.<br />
vsao-Vizepräsident und Nationalrat Angelo<br />
Barrile hat zwei Motionen eingereicht:<br />
«Mit der einen will ich erreichen, dass<br />
mehr Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz<br />
ausgebildet werden. Denn die Corona-Krise<br />
und der schon zuvor herrschende Notstand<br />
im Gesundheitsbereich zeigen, wie<br />
zentral es ist, genügend medizinische<br />
Fachleute zu haben», erklärt der Zürcher<br />
SP-Vertreter.<br />
Gesetz muss Gesetz sein<br />
Sein zweiter Vorstoss trägt den Kern in der<br />
Überschrift: «Das Arbeitsgesetz in den<br />
Spitälern ist keine Empfehlung – es ist ein<br />
Muss.» Will heissen, dass der Bundesrat<br />
die rechtlichen Grundlagen anpassen soll,<br />
um die nach wie vor zahlreichen Verletzungen<br />
des Arbeitnehmerschutzes zu<br />
bekämpfen. Und zwar durch strengere<br />
Kontrollen und schärfere Strafen. Die temporäre<br />
Sistierung der Arbeits- und Ruhezeitenregelungen<br />
diesen Frühling in Spitalabteilungen<br />
mit vielen COVID- 19-Fällen<br />
habe da ein falsches Signal gesetzt.<br />
Denn die Respektierung der gesetzlichen<br />
Vorgaben sei auch im Hinblick auf die<br />
ärztliche Weiterbildung wichtig, betont<br />
Barrile.<br />
Während die beiden Motionen nun ihrer<br />
Behandlung harren, hat er im Parlament<br />
noch zwei Fragen eingereicht. Bei der<br />
ersten ging es um den Umgang mit den Minusstunden<br />
in den Spitälern, entstanden<br />
durch das zeitweilige Verbot aller nicht<br />
dringlichen Behandlungen während der<br />
Pandemie. In seiner Stellungnahme bestätigt<br />
der Bundesrat die Haltung des vsao,<br />
nachzulesen in einem Anfang Juni mit<br />
dem Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen<br />
und Pflegefachmänner (SBK)<br />
publizierten Merkblatt: «Sofern die betreffenden<br />
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />
ihre Arbeitsleistung auch angeboten<br />
haben, ist der Lohn geschuldet und die<br />
Zeit muss nicht nachgearbeitet werden.»<br />
«Das Gesundheitswesen wieder als<br />
Service public verstehen» wiederum ist<br />
dies das Thema einer Interpellation von<br />
Angelo Barrile, die sich von der Landesregierung<br />
ein Bekenntnis zu weniger Sparund<br />
Renditedenken wünscht – Antwort<br />
noch ausstehend.<br />
Nachher darf nicht vorher sein<br />
Mit den Rufen nach mehr Service public<br />
und der Einhaltung des Arbeitsgesetzes<br />
hat der vsao gleich zwei seiner aktuellen<br />
Anliegen in der Politik lanciert. Sowohl im<br />
Sinne der Bewältigung der Vergangenheit<br />
als auch der Weichenstellung für die Zukunft.<br />
Eben getreu der Devise «Nach ist<br />
nicht vor Corona». Heisst: Die Lehren aus<br />
dem Gestern sollten zu besseren Lösungen<br />
für das Morgen führen. Obschon natürlich<br />
nicht klar ist, wie sehr die Vergangenheit<br />
die Schweiz eventuell in Form einer<br />
zweiten Welle noch auf Trab halten<br />
und den Neustart verzögern wird. Zurück<br />
in die Zukunft bleibt deshalb vorläufig mit<br />
einem Fragezeichen versehen. Einem in<br />
Klammern wenigstens.<br />
Und sonst, Simon Stettler? «Und sonst<br />
konzentrieren wir uns ganz auf die Gegenwart»,<br />
sagt der Geschäftsführer des vsao.<br />
Dabei verweist er auf ein zweites, wieder<br />
mit dem SBK und zusätzlich mit dem Spitalverband<br />
H+ verfasstes Merkblatt. Es<br />
Im Rahmen der dritten Kampagnenwelle laufen derzeit zwei Pilotversuche in Kliniken. Denn Lösungen für weniger Administration gehören weiter zu<br />
den Verbandsprioritäten – nach Corona erst recht.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 7
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Zum Beispiel zu Höchstarbeitszeiten,<br />
Kurzarbeit, Ferien und dem Schutz von<br />
Schwangeren. «Ziele sind die Erhaltung<br />
des Arbeitsfriedens dank arbeitsrechtlich<br />
korrekter Lösungen und der Schutz der direkten<br />
Vorgesetzten vor juristischen Fallstricken»,<br />
hält das Dokument in der Einleitung<br />
fest.<br />
Die Sache mit dem Praktikum<br />
Bleiben die beiden anderen Forderungen<br />
des Verbands: die Gewährleistung der<br />
ärztlichen Weiterbildung, ob mit oder ohne<br />
Krise, und Massnahmen zur Reduktion<br />
unnötiger Bürokratie zugunsten der Patientenbetreuung.<br />
«Die Corona-Krise hat<br />
ihre Schatten auch auf die diesjährige Abschlussprüfung<br />
in Humanmedizin geworfen»,<br />
führt der vsao-Geschäftsführer zum<br />
ersten Punkt aus. Kandidierende müssten<br />
nach Bestehen der schriftlichen Prüfung<br />
ein sechswöchiges Praktikum absolvieren<br />
– ein Entscheid des Bundesrats mit massiven<br />
Auswirkungen auf die Weiterbildung<br />
in den Spitälern.<br />
Der vsao sei genauso wie der Verband<br />
der Schweizer Medizinstudierenden<br />
swimsa und das Schweizerische Institut<br />
für ärztliche Weiter- und Fortbildung<br />
(SIWF) vorgängig nicht einbezogen worden.<br />
«Als wir aber von dieser hoffentlich<br />
einmaligen Änderung der Spielregeln erfahren<br />
haben, sind wir zu dritt an Gesundheitsminister<br />
Alain Berset gelangt», blickt<br />
Stettler zurück. «Wir haben den Finger auf<br />
die wunden Punkte gelegt und Mitsprache<br />
bei der Umsetzung verlangt.» Die Fortsetzung<br />
war bei Redaktionsschluss noch<br />
offen.<br />
Zu einem guten Resultat geführt hat<br />
hingegen die Zusammenarbeit mit dem<br />
SIWF bei dessen Notstandsregelungen zur<br />
Weiterbildung in der Pandemiezeit. Die<br />
Hinweise und Anregungen des vsao zu Lösungen<br />
beim Ausfall von Kursen/Kongressen,<br />
zu Prüfungen, zur Änderung von geplanten<br />
Weiterbildungsperioden sowie<br />
zur Kurzarbeit wurden offen aufgenommen<br />
und berücksichtigt.<br />
Bürokratie: Weniger ist mehr<br />
Während all die oben genannten Aktivitäten<br />
publik sind, läuft die vsao-Kampagne<br />
«Medizin statt Bürokratie!» eher im Hintergrund.<br />
Doch sie läuft, und das aus gutem<br />
Grund, nicht im Scheinwerferlicht:<br />
Bei der dritten Etappe des mehrjährigen<br />
Projekts unterstützt der Verband mit sei-<br />
nen lokalen Sektionen hinter den Kulissen<br />
zwei Kliniken auf dem Weg zu weniger Administration<br />
– von der Vorbereitung über<br />
die Realisierung bis zur Erfolgsmessung<br />
der getroffenen Massnahmen. Die beiden<br />
Pilotversuche finden in der Allgemeinen<br />
Inneren Medizin am Kantonsspital Aarau<br />
und in der psychiatrischen Klinik Marsens<br />
statt.<br />
In einem ersten Schritt haben die jungen<br />
Ärztinnen und Ärzte vor Ort mit einer<br />
vom vsao beauftragten Firma ihre Arbeitssituation<br />
analysiert und die mit Bürokratie<br />
verbundenen Aufgaben punkto Aufwand<br />
und Sparpotenzial bewertet. Anschliessend<br />
entwickelten und gewichteten<br />
sie Verbesserungsvorschläge, um die<br />
vielversprechendsten auszuwählen und<br />
probeweise umzusetzen. Ergebnisse dürften<br />
bis Ende <strong>2020</strong> vorliegen. Verlaufen die<br />
Tests zur Zufriedenheit der Beteiligten,<br />
sollen weitere Kliniken/Spitäler die Lösungen<br />
für sich nutzen können.<br />
Mehr zum Thema Corona in der Rubrik<br />
«Auf den Punkt gebracht» (Seite 11) und<br />
unter www.vsao.ch/Arbeitsbedingungen/Arbeitsrecht.<br />
Zur Kampagne siehe<br />
www.medizin-statt-buerokratie.ch.<br />
Zulassung: Durchbruch!<br />
Nach zähem Ringen haben sich National-<br />
und Ständerat in der Sommersession<br />
bei der Neuregelung der Zulassungssteuerung<br />
gefunden. Der vsao<br />
erachtet den Kompromiss als insgesamt<br />
akzeptabel. Dieser nimmt<br />
ins besondere seine beiden Hauptanliegen<br />
auf:<br />
• drei Jahre Weiterbildung an einer<br />
anerkannten Schweizer Weiterbildungsstätte<br />
in der für die Zulassung<br />
beantragten Fachdisziplin;<br />
• eine hohe Sprachkompetenz, die vor<br />
Berufsantritt mit einer Prüfung in<br />
der Schweiz nachzuweisen ist. Ausnahmen<br />
gelten für Personen mit<br />
schweizerischer gymnasialer Maturität<br />
oder Staatsexamen in der Amtssprache<br />
der Tätigkeitsregion.<br />
Dank dieser zwei Kriterien werden<br />
neue Ärztinnen und Ärzte mit dem<br />
hiesigen Gesundheitssystem vertraut.<br />
Sie sind fähig, sich im Job präzise zu<br />
verständigen, eine umfassende Anamnese<br />
durchzuführen sowie komplexe<br />
Texte und Fachdiskussionen zu verstehen<br />
und wiederzugeben. Beides unabdingbare<br />
Voraussetzungen, um beim<br />
Start in die selbständige Berufstätigkeit<br />
eine hohe Qualität zu gewährleisten.<br />
Im Weiteren fanden die Forderungen<br />
des vsao, an der freien Arztwahl festzuhalten<br />
und Krankenkassen kein<br />
Beschwerderecht gegen kantonale<br />
Entscheide zu Höchstzahlen zu gewähren,<br />
Gehör. Die Kantone können<br />
zudem selber entscheiden, ob sie neue<br />
Zulassungen von Leistungserbringern<br />
stoppen, falls die Kosten überdurchschnittlich<br />
steigen. Allerdings müssen<br />
sie die Zahl der ambulant tätigen<br />
Ärztinnen und Ärzte in einem oder<br />
mehreren Fachgebieten oder in bestimmten<br />
Regionen einschränken.<br />
Und die Kassen erhalten zumindest<br />
bei Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsfragen<br />
Beschwerderecht, also ein<br />
Antragsrecht auf nachträglichen<br />
Entzug der Zulassung.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 9
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Gleichstellung<br />
in Corona-Zeiten<br />
Das hätte im Februar kaum jemand für möglich<br />
gehalten: leere Strassen, geschlossene Schulen und<br />
Geschäfte, Hamsterkäufe, Systemrelevanz und<br />
Kurzarbeit im grossen Stil. Nach Zeiten, in denen<br />
sich dann die Ereignisse überstürzten und fast kein Stein mehr<br />
auf dem anderen zu bleiben schien, drängt sich nun die Frage<br />
auf, ob dieser globalen Pandemie auch positive Seiten abzugewinnen<br />
sind. Vor allem der leere Terminkalender oder kritisch<br />
betrachtet der fehlende Freizeitstress war sicher einer der guten<br />
Aspekte dieser Phase. Abgesehen davon kann gemäss der<br />
deutschen Geschlechterforscherin Regina Frey eine<br />
solche aussergewöhnliche Zeit noch andere<br />
Effekte haben: «Krisen können auch dazu<br />
führen, dass Rollenklischees über Bord<br />
geworfen werden.»<br />
Genau ein solches Beispiel,<br />
notabene von einem Ärztepaar,<br />
wurde in einer Regionalzeitung*<br />
geschildert. Corona sei Dank<br />
konnte die Umkehr der Rollenverhältnisse<br />
getestet werden: «Nina<br />
arbeitete bis jetzt 50 Prozent auf<br />
der Inneren Medizin eines Zürcher<br />
Spitals, ihr Mann Vinzenz 80 Prozent<br />
als Augenarzt. Nun hat sich das<br />
Verhältnis gedreht: In der Augenklinik<br />
werden nur noch dringende Patienten<br />
behandelt, und Vinzenz arbeitet nur zwei<br />
Tage pro Woche. Nina managt mit einem<br />
90-Prozent-Pensum im Spital die Station mit den<br />
mittelschweren Corona-Fällen.»<br />
Was ist das Fazit des Paars und wie geht es nach Corona<br />
weiter? Vinzenz wird wieder im früheren Umfang arbeiten. Und<br />
Nina? «Es reizt mich, weiter hochprozentig zu arbeiten. Bisher<br />
traute ich mich das nicht, weil die Kinder dann mehr als zwei<br />
Tage in die Kita müssten und somit der Stress vor und nach der<br />
Arbeit zunimmt.» Diese Schlussfolgerung erstaunt mich doch<br />
sehr! Oder nicht? Als Mutter mit einem 60-Prozent-Pensum höre<br />
ich immer wieder den Kommentar: «Das ist aber auch noch viel<br />
neben zwei Kindern!» Die Tatsache, dass die meisten Kinder<br />
auch einen Vater haben, wird dabei vergessen.<br />
Erinnern wir uns an die Ausgangslage von Nina und<br />
Vinzenz: In der Corona-Phase hat Nina den Härtetest bestanden,<br />
sie arbeitete mehr als ihr Mann und es hat ihr erst noch<br />
gefallen. Diese Erfahrung würde künftig weitere Optionen<br />
eröffnen, denn ein zusätzlicher Kita-Tag wäre so nicht die<br />
Auf den<br />
Punkt<br />
gebracht<br />
einzige Lösung, wenn Nina mehr arbeiten möchte. Aber: Selbst<br />
bei gut ausgebildeten Paaren bleibt weiterhin meist die Frau<br />
öfter zu Hause; Männer, welche weniger als 80 Prozent arbeiten,<br />
gelten in unserer Gesellschaft vielen nach wie vor als suspekt.<br />
Wahrscheinlich ist das ein Relikt aus alten Zeiten, wo stay at<br />
home noch eine andere Bedeutung hatte und die Haus- und<br />
Familienarbeit der Frau Ende Monat mit einem Sackgeld<br />
honoriert wurde. Umso mehr erstaunt es mich, dass sich noch<br />
heute zahlreiche Frauen – obwohl sie nicht mehr auf ein<br />
Sackgeld angewiesen sind und die Scheidungsrate sich etwa<br />
bei 50 Prozent eingependelt hat – zu Hause unentbehrlich<br />
fühlen. Gleichberechtigung sollte<br />
auch in den eigenen vier Wänden stattfinden,<br />
denn schlussendlich ist genau diese<br />
Gleichberechtigung mitentscheidend<br />
für die berufliche Karriere.<br />
Ein Jahr ist seit dem Frauenstreik<br />
2019 vergangen. Doch<br />
kaum etwas hat sich in Sachen<br />
Gleichstellung verbessert. Die<br />
Corona-Pandemie hat nichts an<br />
der Dringlichkeit der Frauenstreik-Forderungen<br />
geändert,<br />
sondern allenfalls die Aufmerksamkeit<br />
dafür erhöht. Apropos Corona-Pandemie:<br />
Wir haben ja jetzt alle<br />
gesehen: Es geht auch anders! In diesem<br />
Sinne wünsche ich Nina und allen<br />
anderen Frauen viel Erfolg.<br />
* «Coronakrise: Wie in Haushalten die Rollenaufteilung neu<br />
verhandelt wird», «St. Galler Tagblatt» vom 25. April <strong>2020</strong><br />
Sarina Keller<br />
Leiterin Weiterbildung<br />
und Recht/<br />
stv. Geschäftsführerin<br />
vsao<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 11
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
«Care Now» –<br />
und 1200 wollten<br />
Am Anfang sah es brenzlig aus: Würde das Schweizer Gesundheitswesen<br />
die Corona-Krise meistern? Damit die Antwort Ja lautet,<br />
startete im März «Care Now», eine Vermittlungsplattform für<br />
medizinische Fachkräfte. Die Bilanz.<br />
Marcel Marti, Leiter Politik und Kommunikation / stv. Geschäftsführer vsao<br />
Die auch vom vsao unterstützte Online-Plattform «Care Now» ist für die Nutzerinnen und Nutzer gratis. Für die Kosten kommen die ETH Zürich und<br />
die Firma Medison auf. Eine wichtige Rolle spielt ausserdem Freiwilligenarbeit. (Bild : zvg)<br />
12<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
Über Grenzen hinweg solidarisch<br />
handeln – und das<br />
rasch. Diese Idee stand dem<br />
Projekt «Care Now» Pate –<br />
und wurde von den Promotoren vorgelebt.<br />
Als die Dienstleistung zu Beginn der<br />
Pandemie online ging, bestand die Trägerschaft<br />
aus einer Universität, einer<br />
Handvoll junger Internetspezialisten und<br />
mehreren Verbänden. «An der ETH Zürich<br />
konnten wir schnell und unbürokratisch<br />
handeln», erklärt Jörg Goldhahn,<br />
Professor im Departement Gesundheitswissenschaften<br />
und Technologie. Sein<br />
Team vermittelte im Mehrschichtbetrieb<br />
Fachkräfte, die mit ihrem Einsatz Gesundheitseinrichtungen<br />
helfen wollten.<br />
Die Entwicklung der Plattform wiederum<br />
hatte Medison übernommen,<br />
«ein medizinisches HR-Tech-Start-Up in<br />
Bern», wie Mitgründer Nicola Rüegsegger<br />
ausführt. Der Verband der Schweizer Medizinstudierenden<br />
swimsa verfügte seinerseits<br />
bereits über eine eigene CO-<br />
VID-19-Taskforce und konnte so seinen<br />
Partnern in Kürze mit Rat und Tat zur Seite<br />
stehen. Als wichtig erwiesen sich zudem<br />
die Ärzteverbände, welche die Plattform<br />
unterstützten und bei ihren Mitgliedern<br />
bekannt machten. Nebst dem vsao<br />
zählten dazu die FMH, die Kinderärzte<br />
Schweiz (KIS), die Haus- und Kinderärzte<br />
Schweiz (mfe), das Schweizerische Institut<br />
für ärztliche Weiter- und Fortbildung<br />
(SIWF), die Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft<br />
(SSO) und der Schweizerische<br />
Verband Medizinischer Praxis-Fachpersonen<br />
(SVA).<br />
Innert Kürze 100 Vermittlungen<br />
«Care Now» war nicht das einzige Angebot,<br />
um speziell Spitäler durch zusätzliches<br />
Personal für die Corona-Krise zu rüsten.<br />
«Wir verfolgten aber nicht denselben<br />
Ansatz wie andere», betont Nicola<br />
Rüegsegger, im Übrigen selbst Arzt. «Die<br />
Spitäler sollten nicht nur die benötigten<br />
Fachkräfte erhalten, sondern durch unser<br />
Koordinationsteam administrativ entlastet<br />
werden.» Das habe zwar mehr Aufwand<br />
und Kosten verursacht, habe sich jedoch<br />
ausbezahlt: «Wir konnten in kürzester Zeit<br />
rund 100 Personen vermitteln.»<br />
Diese verteilten sich auf 73 Gesundheitseinrichtungen,<br />
meist in der Deutschschweiz<br />
und nebst Regional-, Kantonsund<br />
Unispitälern Psychiatrien, Suchtkliniken,<br />
Pflegeheime und kantonale Institutionen.<br />
Bei der Plattform gemeldet<br />
hatten sich Ärztinnen und Ärzte, Medizinstudierende,<br />
Pflegefachleute, medizinische<br />
Praxisassistentinnen, Zahnmediziner<br />
und sogar Apotheker sowie Rettungssanitäter.<br />
Insgesamt umfasste der Pool<br />
rund 1200 potenzielle Helferinnen und<br />
Helfer in einer Altersspanne von 20 Jahren<br />
bis weit in den Ruhestand. Alle Anfragen<br />
von Gesundheitseinrichtungen wurden<br />
mit diesem Reservoir abgeglichen<br />
und wenn möglich passende Fachkräfte<br />
vermittelt. Ein Grossteil des angemeldeten<br />
Bedarfs liess sich so decken.<br />
Solidarität statt Grenzen<br />
Eine stolze Bilanz, zu der allerdings nicht<br />
nur nackte Zahlen gehören würden, betont<br />
Nadine Willi, Teamleiterin an der<br />
ETH Zürich. «Besonders erfreulich war<br />
die enorme Solidarität. Diversen Interessierten<br />
ging es darum, ihre spezifischen<br />
Fähigkeiten auch ausserhalb ihres üblichen<br />
beruflichen Tätigkeitsgebiets zur<br />
Verfügung zu stellen.» Etwa Physiotherapeuten,<br />
welche eine Einsatzmöglichkeit<br />
in der Pflege suchten, oder eine Arztsekretärin,<br />
die ihren über Jahre aufgebauten<br />
Bezug zur Medizin und deren Terminologie<br />
einbringen wollte. «Es war schön, zu<br />
erleben, wie Menschen aus dem Gesundheitswesen<br />
zusammenrücken, wenn es<br />
hart auf hart kommt. Und über die sonst<br />
zum Teil ausgeprägten Berufsgrenzen<br />
hinwegsehen, um ein gemeinsames Ziel<br />
zu erreichen.»<br />
Anderseits galt es, gewisse Schwierigkeiten<br />
zu meistern. «Wie weit soll schon<br />
das Koordinationsteam Berufsdiplome<br />
kontrollieren – und was ist, wenn diese<br />
aus dem Ausland stammen und in einer<br />
anderen Sprache ausgestellt wurden?»,<br />
nennt Willi Beispiele. Oder: «Ist eine Person<br />
noch einsetzbar, die 15 Jahre nicht<br />
mehr im Beruf gearbeitet hat?» Man sei bei<br />
der Beantwortung solcher Fragen pragmatisch<br />
und unter Berücksichtigung aller im<br />
Einzelfall involvierten Parteien und Interessen<br />
vorgegangen.<br />
Und nun? «Care Now» werde sicher<br />
noch bis Ende September online und einsatzbereit<br />
bleiben, sagt Nicola Rüegsegger.<br />
Anschliessend sei offen, wie es weitergeht.<br />
«Grundsätzlich sind die Prozesse<br />
definiert und die Technologie entwickelt,<br />
die es für den erfolgreichen Betrieb einer<br />
solchen Plattform braucht. Das heisst:<br />
Auch künftig wird die gleiche oder eine<br />
ähnliche Dienstleistung rasch wieder in<br />
Betrieb gehen können, falls nötig.» Was<br />
natürlich niemand hofft.<br />
Mehr zum Thema unter:<br />
www.carenow.ch<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 13
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
«Würde es wieder<br />
machen, wenn ...»<br />
Altay Özsoy studiert an der Universität Zürich Medizin.<br />
Seine Arbeit bei «Care Now» hat ihn in der Berufswahl<br />
bestärkt. Eines aber gibt ihm zu denken.<br />
Marcel Marti, Leiter Politik und Kommunikation / stv. Geschäftsführer vsao<br />
Herr Özsoy, wie kommt ein<br />
Medizinstudent im sechsten<br />
Semester dazu, sich als<br />
Freiwilliger an der Corona-Front<br />
zu melden?<br />
An der Uni fielen wegen der Pandemie<br />
Praktika aus. Das Dekanat schlug uns zwei<br />
Alternativen vor: entweder im Gesundheitsbereich<br />
einen Einsatz leisten oder<br />
OSCE-Fälle schreiben, um mit imaginären<br />
Patienten zu üben. Für mich war der Fall<br />
klar.<br />
Warum?<br />
Ich absolviere mein Studium seit gut einem<br />
Jahr im Spital und erhalte dadurch<br />
mehr Einblick in den medizinischen Alltag.<br />
Das ist viel spannender als die Theorie,<br />
denn ich begreife noch besser, um was<br />
es bei meinem künftigen Beruf geht. Bei<br />
dessen Wahl war für mich zudem immer<br />
ausschlaggebend, Menschen direkt helfen<br />
und ihr Leben positiv verändern zu können.<br />
Und wie sind Sie dann auf «Care Now»<br />
aufmerksam geworden?<br />
Ich wollte meinen Einsatz im Zusammenhang<br />
mit der Pandemie leisten und bin<br />
nach einigen vergeblichen Direktanfragen<br />
bei Spitälern im Internet auf die Plattform<br />
gestossen. Da wusste ich: Das ist es!<br />
Medizinstudent Altay Özsoy möchte Herzchirurg<br />
werden. Für den 25-Jährigen war der<br />
Corona-Einsatz im Spital Wattwil SG eine<br />
wertvolle Erfahrung: «Ich hätte gerne noch<br />
mehr geholfen.»<br />
Wie ging es nach der Kontaktaufnahme<br />
weiter?<br />
Ich bekam nach der Anmeldung eine<br />
E-Mail von «Care Now». Gesucht wurde<br />
Verstärkung im Spital Wattwil im Kanton<br />
St. Gallen. Es war das einzige Angebot, da<br />
der Bedarf – zum Glück – doch nicht so<br />
gross ausfiel wie zunächst befürchtet. Und<br />
so bin ich dann mit meinem Auto von meinem<br />
Zuhause in Brüttisellen ins Toggenburg<br />
gependelt.<br />
Wie sah Ihr Einsatz aus?<br />
Gemäss meiner Uni sollte der praktische<br />
Einsatz an fünf Arbeitstagen stattfinden,<br />
was einer Arbeitswoche von 42 Stunden<br />
entspricht. Ich fuhr im Mai zweimal zwei<br />
Tage und einmal einen Tag nach Wattwil.<br />
Beim Spital wurde der Haupteingang verschoben<br />
und stattdessen ein Zelt errich-<br />
tet, um die (potenziellen) Patienten und<br />
Besucher zu triagieren. Meine Hauptaufgabe<br />
bestand darin, allen ankommenden<br />
Personen Schutzmasken abzugeben, Corona-Symptome<br />
abzuklären sowie Geräte<br />
und Gegenstände zu desinfizieren. Aber<br />
natürlich habe ich auch ganz anderes gemacht<br />
– zum Beispiel die Patientenaufnahme<br />
bei Notfällen oder das Erteilen von<br />
verschiedensten Auskünften.<br />
Waren Sie in Wattwil der einzige Student?<br />
Wie wurden Sie vom Spitalpersonal<br />
unterstützt?<br />
Nein, es hatte etwa ein Dutzend. Die vertiefte<br />
medizinische Prüfung von Corona-Verdachtsfällen<br />
übernahmen immer<br />
Ärztinnen und Ärzte. Eine Person war<br />
dann tatsächlich erkrankt.<br />
Keine Angst, sich selbst zu infizieren?<br />
Es gab Schutzmasken und -bekleidung,<br />
und ich hielt die Distanzvorgaben ein. Daher<br />
habe ich mich jederzeit sicher gefühlt.<br />
Welches Fazit ziehen Sie im Rückblick?<br />
Ein positives! Meine Motivation, Arzt zu<br />
werden, ist nochmals gewachsen. Ich höre<br />
halt den Menschen mit ihren Geschichten<br />
und Sorgen gerne zu. Wobei ich in Gesprächen<br />
manchmal fast etwas Detektiv spielen<br />
musste, um ihrem gesundheitlichen<br />
Problem auf die Schliche zu kommen …<br />
Schade nur, dass ich von der Ausbildung<br />
her nicht noch mehr helfen konnte. Und<br />
mühsam fand ich bei Notfallpatienten die<br />
Bürokratie beim Empfang, die ausser in<br />
wirklich akuten Fällen immer vor der Behandlung<br />
kam. Das sollte man ändern.<br />
Würden Sie also einen solchen Einsatz<br />
wieder leisten?<br />
Klar – zumindest solange ich nicht zu sehr<br />
mit Prüfungsvorbereitungen beschäftigt<br />
bin (lacht).<br />
Bild: zvg<br />
14<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
«Vertrauen<br />
gewinnen ist eine<br />
Ehre»<br />
Zunächst war es einfach das Studienfach, das übrigblieb.<br />
Und dann der Einstieg ins Berufsleben: Auch nicht gerade berauschend!<br />
Heute aber kann sich Agathe Evain nichts anderes mehr vorstellen,<br />
als Ärztin zu sein. Warum?<br />
Marcel Marti, Leiter Politik und Kommunikation / stv. Geschäftsführer vsao<br />
Bild: zvg<br />
Wir treffen uns in einem Restaurant<br />
im Bahnhof Lausanne,<br />
in der Nähe ihrer<br />
Wohnung. Sie ist mit dem<br />
Fahrrad gekommen – «mein liebstes Verkehrsmittel»<br />
–, den achtmonatigen Sohn<br />
hat sie in die Kita gebracht. Es sind spezielle<br />
Zeiten. Für alle wegen Corona, für sie<br />
zudem als junge Mutter, die gerade erst<br />
wieder in den Job eingestiegen ist und<br />
mit ihrem Partner bald umziehen wird.<br />
Doch das Gespräch liegt ihr am Herzen,<br />
und sie kommt wie üblich vorbereitet. Immer<br />
mal wieder vertieft sie sich beim Antworten<br />
kurz in ihre vorgängigen Notizen;<br />
sie will präzise sein. Beim Einstieg allerdings<br />
geht es um das, was sie viel lieber<br />
macht: reden frei von der Leber weg.<br />
Agathe, im Moment ist Dein Leben<br />
ziemlich im Umbruch. Wie geht es Dir?<br />
Gut, gut – auch wenn so viel Veränderung<br />
auf einmal nicht geplant war (lacht)!<br />
Dann lass uns die Dinge ein bisschen<br />
ordnen.<br />
Also, der Reihe nach: Auf 1. Mai ging mein<br />
Mutterschaftsurlaub zu Ende. Seither arbeite<br />
ich wieder, und zwar wie vorher in<br />
der Psychiatrie am Universitätsspital Lausanne<br />
(CHUV). Jetzt aber nicht mehr als<br />
Assistenz-, sondern als stellvertretende<br />
Oberärztin mit einem 60-Prozent-Pensum.<br />
Mein Partner ist seit März Vollzeit als<br />
Leitender Arzt in einem Walliser Spital angestellt.<br />
Deshalb suchen wir nun dort eine<br />
Wohnung.<br />
Die klassische Rollenverteilung – der<br />
Mann macht Karriere, die Frau steckt<br />
für die Familie zurück?<br />
Im Moment schon, ja. Das ist die grosse<br />
Frage, die wir klären müssen: Wie organisieren<br />
wir uns als Familie? Es ist nicht so,<br />
dass mein Partner nicht bereit wäre, weniger<br />
zu arbeiten. Nur verlangen Karriere<br />
und Hierarchien in der Ärzteschaft eben<br />
nach wie vor vollen Einsatz, wenn man<br />
vorwärtskommen will. Und auch ich hatte<br />
eigentlich vor, im Februar einen neuen<br />
Vollzeitjob in Nyon anzutreten. Ich verzichtete<br />
dann aus verschiedenen Gründen<br />
darauf, in erster Linie aber wegen Felix,<br />
unserem neugeborenen Sohn – zumal ich<br />
bereits während der Schwangerschaft gemerkt<br />
hatte, dass Teilzeitarbeit etwas Gutes<br />
ist.<br />
Denn um sich um andere kümmern zu<br />
können, müsse man auch zu sich schauen,<br />
ist Agathe Evain überzeugt. Ihr Einsatz für<br />
andere bezieht sich nicht nur auf die Patientinnen<br />
und Patienten: Im Herbst 2017<br />
fand sie den Weg zum vsao und in den Vorstand<br />
der Sektion Waadt. Ein Jahr später<br />
übernahm sie das Präsidium – weil ihre<br />
Vorgängerin und Arbeitskollegin ein Kind<br />
erwartete. Dass sie als eher zurückhaltende,<br />
fast scheue Person ein solch exponiertes<br />
«Als Ärztin muss man auch ein wenig Finanzund<br />
Rechtsspezialistin sein, um nicht unterzugehen»:<br />
Agathe Evain, Präsidentin der<br />
vsao-Sektion Waadt, unterwegs mit Sohn Felix.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 15
Ihre Bedürfnisse<br />
im Mittelpunkt<br />
Visitationen<br />
Bewertungen, Löhne, Arbeitszeiten,<br />
Kitas, Jobs - und noch viel<br />
mehr: Medicus ist das umfassende<br />
Portal für Ihre Karriere. Dort<br />
finden Sie die optimal zu Ihnen<br />
passende Stelle!<br />
Die Spitäler und vsao-Sektionen<br />
bieten Ihnen wichtige Informationen<br />
zu den Arbeitsbedingungen. Den<br />
wichtigsten Beitrag leisten jedoch<br />
Sie: Bewerten Sie anonym Ihren<br />
bisherigen Arbeitgeber. Damit<br />
helfen Sie anderen – und profitieren<br />
selber von deren Erfahrungen.<br />
www.medicus.ch<br />
Wie gut ist die Weiterbildung in<br />
den Kliniken? Dieser Frage gehen<br />
die Visitationen auf den Grund. Zu<br />
den Expertenteams gehört immer<br />
jemand vom vsao. Die Besuche vor<br />
Ort dienen dazu, Verbesserungsmöglichkeiten<br />
zu erkennen. Denn<br />
Sie als unser Mitglied sollen von<br />
einer hohen Weiterbildungsqualität<br />
profitieren.<br />
Falls Sie selber Visitationen<br />
begleiten möchten: eine E-Mail<br />
an ribeaud@vsao.ch, und Sie<br />
erfahren mehr!<br />
www.vsao.ch/visitationen<br />
Feedback-<br />
Pool<br />
Für Sie als Mitglied ist sie zentral:<br />
die Weiterbildung. Deshalb fühlen<br />
wir unserer Basis mit Umfragen<br />
regelmässig den Puls dazu. Dank<br />
dieses Feedback-Pools können wir<br />
unsere Verbandsarbeit gezielt auf<br />
Ihre Anliegen ausrichten.<br />
Wollen Sie mitmachen? Dann<br />
schreiben Sie an ribeaud@vsao.ch.<br />
www.vsao.ch/studien-undumfragen<br />
Arztberuf<br />
und Familie<br />
• Wie bringe ich Familie, Freizeit und<br />
Beruf unter einen Hut?<br />
• Wie steige ich nach der Babypause<br />
wieder ein?<br />
• Wie meistere ich die täglichen<br />
Herausforderungen?<br />
Antworten auf solche Fragen erhalten Sie<br />
als vsao-Mitglied bei unserem kostenlosen<br />
Coaching. Die Beratung erfolgt telefonisch<br />
durch die Fachstelle UND.<br />
044 462 71 23<br />
info@und-online.ch<br />
www.vsao.ch/telefoncoaching
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
Amt übernahm, hat mit eigenen Erfahrungen<br />
zu tun. «Rückblickend würde ich mich<br />
als angehende Ärztin schneller über meine<br />
Rechte informieren und dem Verband beitreten.»<br />
Wieso ein solches Fazit?<br />
Im Studium büffelt und büffelt man ohne<br />
Bezug zum «richtigen» Medizinerleben.<br />
Dieses entpuppt sich dann als grosse und<br />
zumindest bei meinem Start nicht gerade<br />
schöne Überraschung. Als ich im November<br />
2013 meine erste Assistentenstelle in<br />
einem Spital in den Freiburger Voralpen<br />
antrat, musste ich von Beginn an wie alle<br />
anderen in verschiedenen Bereichen<br />
gleichzeitig präsent sein. Mit dem Ergebnis,<br />
dass auch ich sieben Tage am Stück<br />
jeweils zwölf Stunden im Dienst stand.<br />
Wie sah es mit der Unterstützung durch<br />
Vorgesetzte aus?<br />
Unterschiedlich. Manchmal schätzte man<br />
zum Beispiel nächtliche Anrufe in Notsituationen<br />
nicht besonders, um es mal so<br />
auszudrücken. Nach meiner Einschätzung<br />
hatte das mit hierarchischem Denken<br />
zu tun, ein wenig auch mit «Machotum».<br />
Vor allem aber mit der jeweiligen<br />
Person und ihrer augenblicklichen Laune.<br />
Hättest Du am liebsten den Bettel hingeworfen?<br />
Nein! Medizin war nach der Matura zwar<br />
nicht mein Traumfach, sondern das, was<br />
nach dem Abwägen aller Möglichkeiten<br />
übrigblieb. Während des Studiums fing ich<br />
jedoch Feuer, und mein Lernwille hat sich<br />
von der Theorie an der Uni auf die Praxis<br />
im Spital übertragen. Zum Glück. Ich war<br />
und bin demütig, wollte und will von erfahrenen<br />
Kolleginnen und Kollegen lernen.<br />
Ich fühlte mich damals auch selbst<br />
dafür verantwortlich, die schwierige Situa<br />
tion zu bewältigen. Gleichzeitig sah ich<br />
natürlich, dass nicht alles an mir lag und<br />
sich von mir allein verändern liess.<br />
Stichwort …?<br />
Stichworte Organisation, Bürokratie und<br />
Fachwissen von HR-Abteilungen. Solche<br />
Themen wurden bei meinen weiteren beruflichen<br />
Stationen, die ich danach alle im<br />
CHUV durchlief, wichtig. Das heisst: komplexe,<br />
schwerfällige Strukturen in Verbindung<br />
mit schier endlosem administrativem<br />
Aufwand zu Lasten der Zeit am Krankenbett<br />
– oder zu Lasten von meiner Freizeit<br />
und Erholung, wenn mir die Patientin<br />
wichtiger ist als Formulare auszufüllen.<br />
Und keine Lösung für das Ganze. Es heisst<br />
auch: die Distanz oder sogar Gräben zwischen<br />
den Personalbüros und den Kliniken.<br />
Alles in allem schliesslich manchmal<br />
ein Gefühl von Entwertung durch den Eindruck,<br />
permanent überwacht zu werden.<br />
Ihre Erfahrungen sind nicht spurlos an<br />
der 32-Jährigen vorbeigegangen. Man realisiert<br />
es beim Zuhören und Zusehen. Das<br />
Reden noch schneller, die Handbewegungen<br />
und Augen noch lebhafter, leichte Röte<br />
im Gesicht. Empörung. Kann das alles so<br />
sein? 2018 konnte es das nicht mehr: Agathe<br />
Evain musste wegen Erschöpfung drei Wochen<br />
pausieren.<br />
Was hat diese Zeit mit Dir gemacht?<br />
Zu meiner eigenen Überraschung lud ich<br />
die Schuld für die Situation nicht mehr<br />
einfach auf mich und war demotiviert.<br />
Denn ich erkannte die Gründe und machte<br />
einen Schnitt. Ich wechselte für ein Jahr<br />
von der Erwachsenen- in die Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie und reduzierte mein<br />
Pensum auf 70 Prozent. Eine spürbare Erleichterung.<br />
Eine wichtige Rolle bei der<br />
Bewältigung meiner Krise spielten anderseits<br />
zahlreiche positive Erlebnisse in der<br />
Vergangenheit. Oft waren sie fast die Kehrseite<br />
der vorhin als negativ erwähnten<br />
Punkte: die gute Stimmung in den Arbeitsteams,<br />
der vertrauensvolle Umgang und<br />
Austausch untereinander. Die frühe Freiheit<br />
bei meinen Tätigkeiten, was mir half,<br />
Selbstvertrauen zu entwickeln und halt<br />
selbst zu entscheiden, wann ich Unterstützung<br />
brauche.<br />
Wenn Du Deine Motivation ansprichst:<br />
Wie weit hat sie mit dem Fachgebiet zu<br />
tun?<br />
Sehr viel. Für mich ist die Psychiatrie die<br />
einzige medizinische Disziplin, bei der die<br />
menschliche Beziehung an erster Stelle<br />
steht. Ich muss einen Zugang zum Leben<br />
des Patienten finden und Vertrauen aufbauen,<br />
damit er sich öffnet. Wenn das gelingt,<br />
erlebe ich das als Ehre. Abgesehen<br />
davon finde ich es ungemein spannend, zu<br />
sehen, was der menschliche Geist mit einer<br />
Person machen kann, und ich schätze<br />
die thematische Vielfalt der psychiatrischen<br />
Spezialdisziplinen.<br />
Hat Dir auch Dein Engagement im vsao<br />
geholfen?<br />
Ja, eindeutig. Der Verband ist ein echtes<br />
und wichtiges Bindeglied zwischen seinen<br />
Mitgliedern und den Spitalleitungen. Gemeinsam<br />
können wir etwas bewegen, erreichen.<br />
Wenn beispielsweise eben<br />
HR-Abteilungen Schwangere falsch beraten<br />
und sie nicht korrekt über ihre Rechte<br />
informieren, intervenieren wir. Oder wir<br />
greifen selbst Themen auf wie sexuelle Belästigung<br />
am Arbeitsplatz, Diskriminierung<br />
aufgrund des Geschlechts und Probleme<br />
bei Schwangerschaft und machen<br />
dazu eine Umfrage.<br />
Wieder etwas, was die gebürtige Französin<br />
– sie kam als Siebenjährige mit den<br />
Eltern aus dem Mittleren Osten nach Genf<br />
– auch ganz persönlich umtreibt. Bitterkeit<br />
spürt man nicht, wenn sie diese Fragen anschneidet.<br />
Die Lebenseinstellung? «Man<br />
muss Optimistin bleiben und versuchen,<br />
aus jeder Erfahrung etwas zu machen.»<br />
Und da sie eben die Weiterbildung angesprochen<br />
hat:<br />
Agathe, Deine Lehrjahre als Assistenzärztin<br />
sind nun vorbei. Die Bilanz?<br />
Der Facharzttitel kommt bestimmt (lacht)!<br />
Nein, ernsthaft: Ich finde es super, welche<br />
Wahlmöglichkeiten sich in der Schweiz<br />
bei den Fächern bieten und wie viel man<br />
auf dem Weg zum Titel selbst gestalten<br />
kann. Handkehrum sollte man die theoretische<br />
Weiterbildung stärker gewichten,<br />
weil man so die Palette an beruflichen<br />
Werkzeugen nutzen und dadurch rascher<br />
kompetent und autonom werden kann.<br />
Was ich immer noch erschreckend finde:<br />
Wie wenig Medizinstudierende über ihre<br />
Zukunft wissen; schon nur, wie man Bewerbungen<br />
angeht.<br />
Womit wir beim Schlusssatz wären. Bitte<br />
formuliere ihn zu Ende: «Ich als Assistenzärztin<br />
…»<br />
… muss ein Gleichgewicht finden zwischen<br />
Beruf und Privatleben, um anderen<br />
Menschen helfen zu können.<br />
«Ich als Assistenzärztin»<br />
In seiner Serie lässt das «<strong>VSAO</strong>-Journal»<br />
Assistenzärztinnen und -ärzte zu<br />
Wort kommen – frühere wie heutige,<br />
mit verschiedenen Biografien und aus<br />
allen Teilen der Schweiz. Die Artikel<br />
sollen ein vielschichtiges, weil persönliches<br />
Bild der Weiterbildung und<br />
beruflichen Laufbahnen zeichnen.<br />
Bereits erschienen: Dina-Maria Jakob<br />
(<strong>Nr</strong>. 5/2018), Lisa Bircher (<strong>Nr</strong>.1/2019),<br />
Jürg Schlup (<strong>Nr</strong>. 3/2019) und Christoph<br />
Jans (<strong>Nr</strong>. 5/2019). Sind Sie interessiert<br />
mitzumachen? Dann schreiben Sie<br />
bitte an marti@vsao.ch.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 17
Anzeigen<br />
· Neue Station für<br />
psychosomatische Rehabilitation<br />
· Einzelzimmer für alle Patientinnen<br />
und Patienten<br />
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Telefon +41 33 533 91 00<br />
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Dr. med. Salih Muminagic, MBA<br />
Wo Patienten auch Gäste sind.<br />
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Update Refresher<br />
04. – 07.11.<strong>2020</strong>, Zürich 32 h<br />
26. – 30.01.2021, Basel 40 h<br />
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Update Refresher<br />
01. – 05.12.<strong>2020</strong>, Zürich 40 h<br />
HAUSARZT<br />
Fortbildungstage<br />
18. – 19.09.<strong>2020</strong>, Luzern 14 h<br />
ALLERGOLOGIE<br />
02. – 03.11.<strong>2020</strong>, Zürich<br />
14 h<br />
DIABETES<br />
29. – 31.10.<strong>2020</strong>, Zürich<br />
21 Credits SGAIM /<br />
18 Credits SVDE / 21 Credits SGED<br />
GYNÄKOLOGIE<br />
01. – 03.10.<strong>2020</strong>, Zürich<br />
24 h<br />
KARDIOLOGIE<br />
06. – 07.11.<strong>2020</strong>, Zürich<br />
14 h<br />
ONKOLOGIE /<br />
HÄMATOLOGIE<br />
30.01.2021, Basel<br />
8 h<br />
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26. – 28.10.<strong>2020</strong>, Zürich<br />
24 Credits SGP<br />
PNEUMOLOGIE<br />
04. – 05.12.<strong>2020</strong>, Zürich<br />
13 h<br />
PSYCHOLOGIE<br />
01. – 04.12.<strong>2020</strong>, Zürich<br />
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Veranstaltungsorte<br />
Technopark Zürich | Kameha Grand Hotel Zürich<br />
Novotel Zürich City West | Congress Center Basel<br />
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Information / Anmeldung<br />
Tel.: 041 567 29 80 | info@fomf.ch | www.fomf.ch<br />
– Teilnahme vor Ort oder via Livestream
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
Lesen lernen<br />
Screening<br />
Im Gegensatz zum diagnostischen<br />
Testen von Patienten mit Symptomen<br />
untersuchen wir beim<br />
Screening beschwerdefreie Menschen.<br />
Die Anforderungen an einen<br />
Screeningtest unterscheiden sich daher<br />
von denen eines diagnostischen Tests,<br />
der nur bei Verdacht auf eine Krankheit<br />
durchgeführt wird.<br />
Erstens muss der Test eine schwerwiegende<br />
Krankheit entdecken, die als<br />
allgemeines Problem für die öffentliche<br />
Gesundheit anerkannt ist. Zudem<br />
müssen wir den natürlichen Verlauf der<br />
Krankheit gut kennen und sicher sein,<br />
dass deren frühe Erkennung zu einem<br />
besseren Outcome führt. Letzteres ist<br />
zum Beispiel beim Prostatakarzinom<br />
nicht gegeben: Es ist wahrscheinlich,<br />
dass der Test auf PSA bei vielen älteren<br />
Männer im Screening positiv ausfällt,<br />
ohne dass sie jemals Symptome entwickeln.<br />
Sie zu behandeln, wäre schädlich,<br />
weshalb ein Screening von Prostatakrebs<br />
allgemein nicht empfohlen wird.<br />
Die zweite Anforderung betrifft die<br />
Eigenschaften des Tests selbst. Er muss<br />
sowohl sehr sensitiv (d.h. möglichst alle<br />
Menschen mit der Krankheit werden<br />
erfasst) als auch spezifisch (d.h. nur bei<br />
denjenigen mit der Krankheit fällt der<br />
Test positiv aus) sein. Der Test muss<br />
überdies günstig, einfach und sicher sein,<br />
damit er ohne Nebenwirkungen an der<br />
gesunden Bevölkerung angewandt<br />
werden kann. Natürlich gibt es Ausnahmen:<br />
Die Mammografie ist weder günstig<br />
noch einfach, aber der Brustkrebs ist eine<br />
schwere Erkrankung, die – wenn früh<br />
erkannt – gut behandelbar ist.<br />
Schliesslich gilt es, Nutzen und<br />
Kosten eines Screeningprogrammes zu<br />
bestimmen. Damit sind nicht nur die<br />
finanziellen Kosten gemeint, sondern<br />
vielmehr auch die emotionalen. Kein Test<br />
ist perfekt, und es wird immer einige<br />
falsche Resultate geben. Insbesondere die<br />
Kosten eines falsch positiven Screeningtests<br />
(Periode der Angst bis zur Entwarnung<br />
oder gar unnötige Behandlung)<br />
müssen gegenüber denjenigen ohne<br />
Screening (verpasste Früherfassung)<br />
abgewogen werden.<br />
Lukas Staub,<br />
klinischer Epidemiologe,<br />
Redaktionsmitglied<br />
des<br />
<strong>VSAO</strong>-Journals<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 19
vsao<br />
Neues aus<br />
den Sektionen<br />
Bern<br />
#Ärztealltag!<br />
Die COVID-19-Krise hat unser Jahresprogramm<br />
auf den Kopf gestellt: Aus unserem<br />
75-Jahre-Jubiläum wird 2021 ein<br />
76-Jahre-Jubiläum, und auch unsere<br />
Kampagne haben wir um ein Jahr<br />
verschoben. Unser Jubiläumsfest findet<br />
neu am Samstag, 12. Juni 2021, in der<br />
Heiteren Fahne statt!<br />
Während wir die Vorfreude auf<br />
unsere Jubiläumsaktivitäten geniessen,<br />
nutzen wir die frei gewordene Zeit, um<br />
unsere Social-Media-Kanäle aufzubauen.<br />
Wir haben auf Facebook unter #Ärztealltag<br />
seit März spannende Interviews mit<br />
einigen Mitgliedern veröffentlicht, die<br />
Einblick in ihren Alltag gewähren. Die<br />
Gespräche zeugen von viel Flexibilität<br />
und Engagement, aber ebenso von<br />
Kontrasten zwischen verschiedenen<br />
Fachrichtungen. Während der COVID-19-<br />
Krise tauchten auch viele arbeitsrechtliche<br />
Fragen auf. Antworten darauf haben<br />
wir auf unseren Kanälen unter FAQ<br />
veröffentlicht.<br />
Folgt uns auf Facebook oder LinkedIn,<br />
dann verpasst Ihr keine News! (https://<br />
cutt.ly/Aerztealltag).<br />
Wir freuen uns sehr, unsere Mitglieder<br />
am Mittwoch, 2.September, an<br />
unserer verschobenen Mitgliederversammlung<br />
begrüssen zu dürfen. Dieses<br />
Jahr treffen wir uns im Berner Generationenhaus<br />
in Bahnhofsnähe. Nebst einem<br />
spannenden Referat zum Thema «Sex<br />
and Gender in Medicine» von Prof.<br />
Catherine Gebhard wird auch unsere<br />
legendäre Tombola nicht fehlen. Wer darf<br />
dieses Jahr den Hauptpreis mit nach<br />
Hause nehmen? Lass Dir diese Chance<br />
nicht entgehen! Anmeldungen nehmen<br />
wir sehr gerne auf www.vsao-bern.ch<br />
entgegen.<br />
Einladung<br />
zur ordentlichen Mitgliederversammlung<br />
des <strong>VSAO</strong> Bern<br />
Mittwoch, 2. September <strong>2020</strong>,<br />
um 19.00 Uhr im Berner Generationenhaus,<br />
Spittelsaal, 3. Obergeschoss<br />
Ab 18.30 Uhr Willkommens-Apéro<br />
19.00 Uhr Mitgliederversammlung<br />
Traktanden<br />
1. Protokoll der ordentlichen<br />
Mitgliederversammlung 2019<br />
2. Jahresbericht der Präsidentin<br />
3. Jahresrechnung 2019<br />
4. Budget <strong>2020</strong><br />
5. Mitgliederbeiträge 2021<br />
6. Wahlen (Präsidium, Vorstand)<br />
7. Wahl der Revisionsstelle per<br />
1. Januar 2021<br />
8. Kampagne<br />
9. Jubiläumsfest<br />
(auf den 12. Juni 2021 verschoben)<br />
10. Social Media<br />
11. Fragen und Diskussion<br />
20.00 Uhr Referat Prof. Dr. med.<br />
Catherine Gebhard «Sex and Gender<br />
in Medicine»<br />
20.30 Uhr Apéro riche und Tombola<br />
«Die Opfer der letzten Wochen sollen<br />
nicht umsonst gewesen sein.» Das ganze<br />
Interview mit einer Spitalfachärztin zu<br />
ihren Erfahrungen während der Corona-<br />
Zeit: https://bit.ly/35N3Y6w #Ärztealltag.<br />
Anna Meister, Vizepräsidentin <strong>VSAO</strong> Bern<br />
Graubünden<br />
Weiterbildungskalender:<br />
Alles auf einen Blick!<br />
Mit dem Weiterbildungskalender auf<br />
unserer neuen Website kannst Du Dich<br />
mit wenigen Klicks über die Weiterbildungsveranstaltungen<br />
in der Region<br />
sowie die Übertragung in dein Spital<br />
informieren. Die Fort- und Weiterbildungen<br />
lassen sich nach Fachrichtung<br />
sortieren und nach Deinen Wünschen auf<br />
das Smartphone importieren. Dies und<br />
noch viel mehr zum Thema findest Du<br />
online in unserer Rubrik «Weiterbildung».<br />
Auch für Deine Arbeitsbedingungen<br />
engagieren wir uns unermüdlich. So<br />
20<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
vsao<br />
konnten mit weiteren regionalen Dienstplanberatungen<br />
interessante Modelle<br />
und individuelle, konkrete Lösungen<br />
erfolgreich umgesetzt werden. Zudem<br />
durften wir den vsao den Bündner<br />
Spitälern vorstellen und direkt vor Ort<br />
den Puls der Mitglieder fühlen. Und dank<br />
einem lebendigen, motivierten Vorstand,<br />
neu unter dem Präsidium von Stefanie<br />
Eich, wird auch in Zukunft angepackt,<br />
und es werden vielversprechende<br />
Projekte für Dich entstehen.<br />
Für den vsao Graubünden, Manuel Vestner<br />
Waadt/<br />
Wallis<br />
Hôpital Riviera-Chablais:<br />
zwei Sektionen, um Euch zu<br />
vertreten!<br />
Das interkantonale Spital von Rennaz<br />
(HRC), das im letzten Herbst eröffnet<br />
wurde, sorgte in den vergangenen<br />
Wochen für zahlreiche Schlagzeilen in<br />
der Waadtländer und der Walliser Presse.<br />
Dabei wurden wenig erfreuliche Informationen<br />
verbreitet. Auch wenn die Zusammenführung<br />
von mehreren, auf die<br />
Kantone Wallis und Waadt verteilten<br />
Spitalstandorten grundsätzlich eine gute<br />
Sache ist, erfordert dieser völlig neue<br />
Ansatz eine besonders sorgfältige und<br />
teamorientierte Führung und Kommunikation<br />
gegenüber dem Personal. Dies ist<br />
leider bis jetzt nicht gelungen. Dazu<br />
kommen das finanzielle Debakel und die<br />
kürzlich erfolgten Wechsel in der Direktion,<br />
die dem Image der Institution nicht<br />
gerade förderlich sind.<br />
Von links nach rechts: Agathe Evain<br />
(ASMAV), Sandra Monnier (ASMAV),<br />
Milena Gutierrez (ASMAVal), Marie<br />
Laurent (ASMAVal) und Clémence Piaux<br />
(ASMAV)<br />
Seit mehreren Jahren führen die<br />
vsao-Sektionen Waadt und Wallis gemeinsame<br />
Treffen mit der Direktion<br />
durch. Anlässlich der Wiederaufnahme<br />
der Aktivitäten nach der COVID-19-Pause<br />
haben sich unsere beiden Sektionen im<br />
Juli getroffen, um eine Strategie zu<br />
definieren, die eine bessere Sichtbarkeit<br />
bei den AssistenzärztInnen und Oberärzt-<br />
Innen ermöglichen soll. Präsentation<br />
beim turnusgemässen Stellenwechsel,<br />
Plakate, Treffen vor Ort und Verhandlungen<br />
mit der Direktion lauten einige<br />
unserer zahlreichen Ideen. Wir laden<br />
Euch daher ein, uns Eure Eindrücke,<br />
Anliegen und Vorschläge mitzuteilen!<br />
Kontakt:<br />
ASMAVal: contact@asmaval.ch<br />
ASMAV: asmav@asmav.ch<br />
Zürich /<br />
Schaffhausen<br />
USZ lädt ein, um einen<br />
Kulturwandel anzustreben<br />
Im Interview im «Tages-Anzeiger» vom<br />
25. Juni <strong>2020</strong> hat Anna Wang, Geschäftsleitungsmitglied<br />
und designierte Präsidentin<br />
des <strong>VSAO</strong> Zürich/Schaffhausen,<br />
mutig das Klima der Angst in der Weiterbildung<br />
kritisiert und in Vertretung<br />
unserer Mitglieder dem generellen Ärger<br />
über gewisse Missstände Luft gemacht.<br />
Grund zur Thematisierung der Missstände<br />
waren die Skandalschlagzeilen<br />
von wenigen Ärzten in Zürich, welche<br />
wieder einmal die gesamte Ärzteschaft<br />
treffen. Unsere docdoc-Umfrage zu den<br />
Skandalen am USZ manifestierte das von<br />
Anna Wang skizzierte Bild der Angstkultur<br />
und Abhängigkeit klar. Es ist daher<br />
absolut zentral, dass unsere Mitglieder<br />
mit uns via docdoc kommunizieren und<br />
ihre Meinung äussern. Das erlaubt<br />
unserem Verband, eine Haltung zu<br />
entwickeln und diese nach aussen zu<br />
tragen. Mit solch klaren Worten, wie im<br />
Interview vom <strong>VSAO</strong> Zürich, wird<br />
deutlich gemacht, dass die Stimme der<br />
Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte<br />
ernst genommen werden sollte. Nach der<br />
medialen Präsenz erfolgte prompt die<br />
Einladung zu einem Treffen mit dem CEO<br />
des USZ, an welchem uns signalisiert<br />
wurde, dass das USZ durchaus ein<br />
Interesse daran hat, uns in verschiedenen<br />
Projekten vermehrt einzubeziehen. Man<br />
ist gewillt, unsere Ideen, wie man diese<br />
Abhängigkeiten minimieren, flachere<br />
Hierarchien etablieren und die Teaching-Kultur<br />
höher gewichten könnte,<br />
anzuhören – den Kulturwandel zu<br />
beschleunigen, ist das Ziel!<br />
Wenn auch Du Ideen einbringen möchtest,<br />
bist Du herzlich eingeladen, diese<br />
via docdoc mit uns zu teilen oder Dich<br />
einfach per E-Mail an uns zu richten.<br />
Zudem kannst Du uns jederzeit allfällige<br />
Missstände an Deiner Arbeitsstelle<br />
anonym oder streng vertraulich melden.<br />
Wir gehen allen Hinweisen nach und<br />
platzieren diese an den entsprechenden<br />
Stellen, ohne dass dies Rückschlüsse auf<br />
die Person zulässt – wir wissen Euch zu<br />
schützen. Wenn wir Eure Meinung<br />
kennen, sind wir gern bereit, für Euch<br />
hinzustehen.<br />
Jana Siroka, Präsidentin und<br />
Susanne Hasse, Geschäftsführerin<br />
<strong>VSAO</strong> ZÜRICH / SCHAFFHAUSEN<br />
Neues Datum:<br />
Mitgliederversammlung <strong>2020</strong><br />
<strong>VSAO</strong> ZÜRICH/SCHAFFHAUSEN<br />
(Anmeldung via unsere<br />
Website – www.vsao-zh.ch)<br />
Dienstag, 29. September <strong>2020</strong>,<br />
Restaurant UniTurm ab 18 Uhr<br />
«Making it happen» mit<br />
Dominique Gisin, Olympiasiegerin<br />
(Ist Mental Coaching für Spitzenleistungen<br />
auch für die Ärztinnen<br />
und Ärzte hilfreich?)<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 21
vsao<br />
vsao-Rechtsberatung<br />
Darf oder muss eine<br />
Krankheit in einem<br />
Arbeitszeugnis erwähnt<br />
werden?<br />
Zwei Mitglieder erkundigen<br />
sich, ob sie ihr Arbeitszeugnis<br />
berichtigen lassen können.<br />
Das eine Mitglied<br />
möchte, dass die krankheitsbedingten,<br />
längeren Abwesenheiten aufgrund<br />
eines Burnouts im Zeugnis keine<br />
Erwähnung finden. Das andere Mitglied<br />
hingegen wünscht, dass eine<br />
akutsomatische Krankheit, welche im<br />
Verlauf des Arbeitsverhältnisses gar<br />
einen medizinischen Eingriff notwendig<br />
machte, und sich auch auf die<br />
Leistungs fähigkeit ausgewirkt hatte,<br />
explizit im Arbeitszeugnis erwähnt<br />
werde.<br />
Das Gesetz äussert sich zu den<br />
Formulierungen in einem Arbeitszeugnis<br />
nicht, was immer wieder für Unsicherheiten<br />
bei den Arbeitgebern führt. Die<br />
Grundsätze sind allein durch die Rechtsprechung<br />
entwickelt worden. Das<br />
Arbeitszeugnis soll wahr und wohlwollend<br />
sein – obwohl entgegen der allgemein<br />
herrschenden Praxis die Wahrheit<br />
eigentlich Vorrang hätte. So auch die<br />
Erwähnung einer Krankheit, welche nach<br />
Lehre und Rechtsprechung aber nur in<br />
einem Arbeitszeugnis Eingang finden<br />
darf, wenn<br />
• sie erheblichen Einfluss auf die<br />
Leistung oder das Verhalten der Mitarbeiterin<br />
oder des Mitarbeiters hatte;<br />
• sie die Eignung für die Erfüllung der<br />
bisherigen Aufgaben infrage stellte<br />
und damit einen sachlichen Grund zur<br />
Auflösung des Arbeitsverhältnisses<br />
darstellte;<br />
• die Krankheit im Verhältnis zur gesamten<br />
Vertragsdauer erheblich ins Gewicht<br />
fiel, so dass ohne Erwähnung ein<br />
falscher Eindruck bezüglich der erworbenen<br />
Berufserfahrung entstünde.<br />
In der Praxis ist der Entscheid nicht<br />
immer klar. Massgebend ist immer die<br />
Betrachtung der gesamten Umstände des<br />
Einzelfalls, so auch bei den beiden<br />
Anfragen.<br />
Im ersten Fall – Burnout – fehlte der<br />
Mitarbeiter von 36 Monaten Anstellung<br />
insgesamt 12 Monate wegen Krankheit<br />
und 3 Monate wegen Freistellung, was die<br />
Erste Hilfe<br />
für Menschen mit<br />
letzter Hoffnung<br />
Rechtsprechung betreffend Krankheitsdauer<br />
im Verhältnis zur Anstellungsdauer<br />
noch nicht als erheblich erachtet. Da sich<br />
der Mitarbeiter selber rechtzeitig als<br />
krank wahrnahm und in Behandlung<br />
begab, hatte seine Krankheit weder<br />
Einfluss auf seine Leistung noch auf sein<br />
Verhalten. Da seitens Arbeitgeber auch<br />
nicht aufgrund der Krankheit gekündigt<br />
wurde, sondern schliesslich eine Aufhebung<br />
des Arbeitsverhältnisses auf<br />
Initiative des Mitarbeiters vereinbart<br />
wurde, ist die Erwähnung der längeren<br />
krankheitsbedingten Absenzen im<br />
Arbeitszeugnis unzulässig, weshalb der<br />
Mitarbeiter seinen Anspruch auf Berichtigung<br />
erfolgreich geltend machen kann.<br />
Im zweiten Fall – akutsomatische<br />
Krankheit – kam es während der zweijährigen<br />
Anstellungsdauer zu einem medizinischen<br />
Eingriff. Die Krankheit hatte<br />
nachweislich Einfluss auf die Leistungsfähigkeit<br />
der Mitarbeiterin. Allerdings<br />
entsprachen die Leistungen auch nach<br />
dem Eingriff nicht den Erwartungen des<br />
Arbeitgebers, weshalb die mangelhaften<br />
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Kathrin Grüneis<br />
22<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
vsao<br />
Leistungen nicht nur mit der akutsomatischen,<br />
zwischenzeitlich behobenen<br />
Krankheit begründet werden konnten,<br />
und schliesslich zur Kündigung des<br />
Arbeitsverhältnisses führten. Der Arbeitgeber<br />
hat korrekterweise die Krankheit<br />
im Arbeitszeugnis nicht erwähnt. Das<br />
Mitglied war aber der Ansicht, dass diese<br />
erwähnt werden soll, da die Krankheit<br />
massgeblich zu ihrer verminderten<br />
Leistungsfähigkeit beigetragen habe und<br />
damit die Kündigung des Arbeitgebers<br />
seitens Mitarbeiterin gerechtfertigt<br />
werden könne.<br />
Wenn die Mitarbeiterin die Erwähnung<br />
der Krankheit explizit wünscht,<br />
dann wird es deswegen keinen Rechtsstreit<br />
geben, sondern der Arbeitgeber<br />
wird das Arbeitszeugnis diskussionslos<br />
und wunschgemäss berichtigen. Da aber<br />
die Nichteignung für die Stelle schliesslich<br />
zur Kündigung führte, d.h. die<br />
Leistungen generell mangelhaft waren,<br />
wird durch die Erwähnung der Krankheit<br />
die Gesamtbeurteilung im Arbeitszeugnis<br />
nicht besser. Es besteht sogar eine grosse<br />
Wahrscheinlichkeit, aufgrund der<br />
Erwähnung der Krankheit im Arbeitszeugnis<br />
gar nicht erst an ein Vorstellungsgespräch<br />
eingeladen zu werden. Krankheit<br />
wird von vielen Personalverantwortlichen<br />
und Vorgesetzten mit Risiko und<br />
potenziellem Ausfall verbunden, und<br />
Kandidaten mit offengelegten Krankheiten<br />
landen meist ohne Vorstellungschance<br />
auf dem Absagestapel. Eine<br />
Kündigung kann hingegen in jedem<br />
Lebenslauf einmal vorkommen, wenn<br />
z.B. die «Chemie» zwischen Mitarbeiter<br />
bzw. Mitarbeiterin und Vorgesetzter bzw.<br />
Vorgesetztem nicht gepasst hat. Wenn im<br />
Dossier sonst gute Arbeitszeugnisse<br />
liegen, bleibt man auch trotz einer<br />
Kündigung meist im Rennen.<br />
Ist man mit dem Inhalt eines Arbeitszeugnisses<br />
unzufrieden und entspricht es<br />
nicht den Tatsachen und den bisherigen<br />
Beurteilungen, so kann gerichtlich eine<br />
Abänderung verlangt werden. Die<br />
Verjährungsfrist für den Zeugnisanspruch<br />
beträgt 10 Jahre und läuft ab dem<br />
Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.<br />
Allerdings sollte immer<br />
erst aussergerichtlich eine Berichtigung<br />
beim Arbeitgeber verlangt werden, und<br />
zwar am besten indem man einen<br />
eigenen Vorschlag unterbreitet. Die<br />
meisten Zeugnisberichtigungen lassen<br />
sich nämlich ohne die Gerichte lösen.<br />
Sind Sie unsicher oder brauchen Unterstützung<br />
bei der Formulierung, so helfen<br />
wir Ihnen gern.<br />
Susanne Hasse<br />
Juristin Sektion <strong>VSAO</strong><br />
ZÜRICH/SCHAFFHAUSEN<br />
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<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 23
Fokus<br />
Recht durch<br />
Selbstjustiz?<br />
Vom Vorteil eines fairen Prozessierens und wie Gericht und<br />
Parteien die Rechtsprechung mitformen können.<br />
Marcel Senn 1<br />
Wer sein vermeintliches<br />
Recht selber durchsetzen<br />
will, ist ein Egoist. Denn<br />
Recht ist meistens nicht<br />
das, was der Ansicht nur einer einzelnen<br />
Person entspricht. Schnell würde das<br />
Recht eines anderen dadurch verletzt.<br />
Recht ist vielmehr das, was die staatliche<br />
Gemeinschaft und deren gewählte Vertreter<br />
als Recht nach allgemeinen Regeln anerkennen<br />
müssen. Beteiligte jedoch – sei<br />
es eine Privatperson oder selbst der Staat<br />
– können in einem Prozess das Recht gemäss<br />
den geltenden Gesetzen gemeinsam<br />
gestalten. Dabei hilft der Richter, die<br />
Richterin. Ein altes Sprichwort sagt dazu:<br />
audiatur et altera pars. Der Volksmund<br />
übersetzt dies so: Ein Richter muss zwei<br />
gleiche Ohren haben, er soll also immer<br />
beide Teile (Parteien) anhören, bevor er<br />
urteilt. 2<br />
Heute sprechen wir vom Grundsatz<br />
des rechtlichen Gehörs in öffentlichen und<br />
in privaten Streitigkeiten. Das Wort Prozess<br />
kommt vom lat. procedere und meint:<br />
vorangehen, im weiteren Sinn verwandeln,<br />
das heisst, es werden gegensätzliche Äusserungen<br />
der Beteiligten zum selben Gegenstand<br />
durch eine richterliche Synthese<br />
einen Schritt weitergebracht und dadurch<br />
das Rechte wieder eingerichtet. Das Urteil<br />
soll demnach eine nach den Gesetzen bestehende<br />
Ordnung wiederherstellen. Dieses<br />
Prozedere ist juristisch entscheidend:<br />
Denn ohne Prozess, in dem alle Beteiligten<br />
sich äussern können, kann kein gültiges<br />
Urteil zustande kommen, selbst wenn das<br />
Urteil materiell (inhaltlich) gerecht erscheint;<br />
es kann nur Geltung beanspruchen,<br />
wenn es gleichzeitig auch formell<br />
korrekt zustande gekommen ist.<br />
Der Grund hierfür ist ebenso einfach wie<br />
einleuchtend: Die Sache, um die es in der<br />
Wirklichkeit geht und die dem Richterentscheid<br />
zugrunde gelegt wird, ist meist<br />
komplexer, als sie aufgrund nur einer Darstellung<br />
erscheinen kann. Juristische Prozesse<br />
sind daher Verfahren, die einen fairen<br />
Ausgleich zwischen den Parteien, die<br />
miteinander im Streit liegen, herstellen<br />
sollen. Die Hauptaufgabe der richterlichen<br />
Verfahrensleitung ist es, einen fairen<br />
Prozess zu gewährleisten, und erst gestützt<br />
darauf Recht zu sprechen. Daher<br />
müssen die Parteien im Prozess als gleich<br />
Starke um ihr Recht kämpfen können, sei<br />
es im privaten Verfahren als Kontrahenten<br />
auf gleicher Ebene oder im Verfahren gegen<br />
den Vertretern des Staates. Es darf keine<br />
Prädominanz der einen gegenüber der<br />
anderen Partei, insbesondere von ausserhalb<br />
des Prozesses, geben, damit weder<br />
Willkür, der soziale Status einer Partei<br />
noch eine sachfremde Zielvorgabe das<br />
Verfahren beeinflusst. Dadurch wird es<br />
auch den Parteien in einem objektivierten<br />
Sinne möglich, das richterlich gesprochene<br />
Recht unabhängig von ihren subjektiven<br />
Vorstellungen als rational und legitim<br />
anzuerkennen. Nur so kann das Gerichtsverfahren<br />
die materielle Rechtsordnung<br />
gemäss Gesetz und damit auch den Frieden<br />
in einem Konflikt wiederherstellen, so<br />
dass individuelle Rache und Selbstjustiz<br />
unterbunden bleiben. Und daher muss der<br />
Staat der alleinige Vertreter des Gewaltmonopols<br />
und der Rechtsprechung sein<br />
und bleiben.<br />
Gewaltenteilung als Voraussetzung<br />
Seit dem 19. Jahrhundert werden die staatlichen<br />
Gewalten daher in Legislative, Exe<br />
kutive und Justiz strikt geteilt: Erlass, Ausführung<br />
und Überprüfung der Anwendung<br />
der Gesetze im Einzelfall sollen stets<br />
drei voneinander unabhängige Instanzen<br />
vornehmen, deren Autonomie auf ihrer je<br />
eigenen Kompetenz beruht. Ebenso müssen<br />
im Gerichtsprozess die verschiedenen<br />
Rollen funktional klar voneinander getrennt<br />
sein: Es gibt Richter, Kläger oder<br />
Ankläger, Beklagte oder Beschuldigte. Zusammen<br />
mit der Gewaltenteilung gewährleistet<br />
die Unabhängigkeit der Beteiligten<br />
in einem Verfahren, dass prozessuale<br />
Funktionen nicht vermengt werden, sondern<br />
vielmehr, dass die gegenseitige Kontrolle<br />
möglich bleibt.<br />
Diese liberalen staatspolitischen<br />
Grundsätze kamen nach den Erfahrungen<br />
mit dem Absolutismus des 17. und 18. Jahrhunderts<br />
im 19. Jahrhundert auf, nachdem<br />
die Konzentration von Macht und<br />
Gewalt in den Händen eines Herrschers<br />
öfters Unrecht erzeugte. Ein berühmtes<br />
Beispiel hierfür waren die Missstände im<br />
Staat Württemberg, welche Friedrich<br />
Schiller bzw. Christian Friedrich Daniel<br />
Schubart im Sinn der Aufklärung gegenüber<br />
Herzog Carl Eugen von Württemberg<br />
in «Kabale und Liebe» (1784) bzw. in den<br />
Berichten der «Teutschen Chronik» (1774–<br />
1778) anprangerten. Schubart wurde dafür<br />
ohne Urteil für zehn Jahre durch den Herzog<br />
persönlich eingekerkert. Sowohl dieses<br />
Beispiel wie aktuell etwa die Aufklärung<br />
des Mordes an Daphne Caruana Galizia,<br />
wohinein höchste Staatsfunktionäre<br />
und Wirtschaftsmächtige von Malta verwickelt<br />
sein sollen, macht deutlich, wie<br />
wichtig die Sicherheit der Meinungsäusserungsfreiheit<br />
der Einzelnen gestern wie<br />
heute sowie der institutionell freien Me<br />
Bild: Adobe<br />
24<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Fokus<br />
Justitia ist nicht blind, aber sie wird oft durch die Rhetorik der Juristen geblendet. Seit dem 18. Jahrhundert wird ihre Blindheit im Sinne der<br />
aristotelischen Lehre von der ausgleichenden Gerechtigkeit umgedeutet, so dass sie ohne Ansehen der Person richtet. 4<br />
dien sind. In dem Sinne wird die Autonomie<br />
der kritischen Medien als vierter Gewalt<br />
(in der Gesellschaft) auch unbedingt<br />
verteidigt. Denn ein Urteil kann nur auf<br />
der richtigen Erkenntnis der Wahrheit erfolgen.<br />
Daher erfordern komplexere Verhältnisse<br />
von staatspolitischer Bedeutung<br />
oft einen Anstoss von aussen.<br />
Gefahr des Rückschritts<br />
Gegenwärtig sehe ich hier das Problem eines<br />
Rückschritts des bisher erreichten<br />
Standards für den rechtsstaatlich soliden<br />
Prozess durch politische Retroentwicklungen,<br />
technologische Erneuerungen im<br />
Bereich der Social Media und ökonomische<br />
Prioritäten, welche in den letzten<br />
Jahrzehnten falsche Akzente gesetzt und<br />
zu einseitigen Entwicklungen und Übergriffen<br />
im gewaltenteiligen Staatswesen<br />
wie bei den Rollen im Verfahren geführt<br />
haben. Immer öfters erobern sich politische<br />
Akteure, die ihre eigenen Interessen<br />
verfolgen und zu autokratischen Herrschertum<br />
neigen, die staatlichen Exekutivfunktionen<br />
und beginnen Justiz und Medien<br />
zu drangsalieren (USA, Polen, Ungarn,<br />
Türkei etc.). Heikel ist die Tendenz<br />
im Strafverfahren zu meist ökonomisch<br />
motivierten Vereinfachungen wie der<br />
Möglichkeit des Erlasses von Entscheiden<br />
ohne Begründung oder zur Zusammenlegung<br />
der Rollen von untersuchendem und<br />
urteilendem Richter (auch wenn nur in<br />
Bagatellfällen). Weder ist der Staat noch<br />
sind juristische Prozesse nach betriebswirtschaftlichen<br />
Kriterien zu führen.<br />
Denn die sozialpolitische Befriedung von<br />
Konflikten als Strategem eines funktionierenden<br />
Staatswesens verträgt sich nicht<br />
mit dem Drang nach ökonomischer Vereinfachung<br />
oder politischer Haudegenführung.<br />
Die Gewalten im Staat gehören ebenso<br />
strikt getrennt wie die Rollen der Akteure<br />
in den Verfahren. Das Ziel ist der faire<br />
Prozess, in dem sich alle Parteien als<br />
gleichwertige und gleichrangige Bürger,<br />
Bürgerinnen und Institutionen begegnen<br />
können. 3 Nur so lässt sich Gerechtigkeit<br />
im und durch den Prozess realisieren. Der<br />
Prozess ist ein staatspolitisch zu kostbares<br />
Gut, als dass wir uns darum nicht redlich<br />
und differenziert bemühen müssten!<br />
1<br />
Marcel Senn war von 1995 bis 2019 Professor für<br />
Rechtsgeschichte, Juristische Zeitgeschichte und<br />
Rechtsphilosophie an der Rechtswissenschaftlichen<br />
Fakultät der Universität Zürich, deren<br />
Dekan er von 2008 bis 2010 war. Ferner<br />
präsidierte er von 2005 bis 2009 die Schweizerische<br />
Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie.<br />
2<br />
Andreas Wacke, Art. Audiatur et altera pars, in:<br />
HRG 2. Lfg. (2005) Sp. 327–331.<br />
3<br />
Vgl. Senn, Neoliberalismus & nordamerikanische<br />
Gerechtigkeitstheorien, ZSR 138 (2019), Heft 4, S.<br />
365–380 (Abschlussvorlesung vom 27. Mai 2019).<br />
4<br />
Vgl. Senn, Rechtsgeschichte – ein kulturhistorischer<br />
Grundriss, 4. Auflage 2007, S. 198.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 25
Fokus<br />
Punkte statt Streifen: Manchmal<br />
führen Mutationen zu ganz neuen<br />
Erscheinungsbildern.<br />
Leben ist kein<br />
linearer Prozess<br />
«Die Natur macht keine Sprünge»,<br />
postulierte Gottfried Wilhelm Leibniz. Das glaubten auch<br />
Isaac Newton oder Immanuel Kant.<br />
Aber selbst die grössten Denker können sich irren.<br />
Prof. André Langaney, Departement Genetik und Evolution, Abteilung für Anthropologie,<br />
Universität Genf<br />
Foto: Shutterstock<br />
26<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Fokus<br />
Die Debatte über den Gegensatz<br />
Kontinuität – Diskontinuität<br />
beschäftigt die Wissenschaft<br />
und die Philosophie<br />
seit der Antike. Von der Struktur der Materie<br />
bis hin zum Gegensatzpaar Evolution<br />
– Revolution in der Politik begründet<br />
sie kompromisslose Haltungen. Wofür<br />
das Postulat von Leibniz «natura non facit<br />
saltus», welches in seiner Verallgemeinerung<br />
grandios ist, ein gutes Beispiel ist.<br />
Auch wenn der Grundsatz der Kontinuität<br />
eher in der Physik und der Mathematik<br />
angeführt wurde, hat Leibniz diesen auch<br />
herangezogen, um eine progressive<br />
Transformation der Fauna im Verlauf der<br />
geologischen Zeiträume zu suggerieren.<br />
Damit ist er einer der Wegbereiter der<br />
Evolutionstheorie, vor Buffon und mehr<br />
als ein Jahrhundert vor deren Veröffentlichung<br />
durch Lamarck und der Geburt von<br />
Charles Darwin.<br />
Ein bequemes Paradigma<br />
Die Theorie des Gradualismus in der Biologie,<br />
die Darwin und Lamarck am Herzen<br />
lag, beruft sich häufig, primär aus opportunistischen<br />
Gründen, auf diesen Spruch<br />
von Leibniz. Die Anhänger des «Saltationismus»,<br />
die annahmen, die Evolution finde<br />
in diskontinuierlichen Sprüngen statt,<br />
wurden durch das fatale Argument widerlegt:<br />
«Sie behaupten, die Natur mache<br />
Sprünge, dann beweisen Sie es!» Bis ins<br />
20. Jahrhundert hatten die Saltationisten<br />
nichts vorzuweisen. Es empfahl sich daher,<br />
auf dem Gradualismus zu beharren,<br />
der die so umstrittene Transformation der<br />
Arten über langsame und unsichtbare Änderungen<br />
postulierte.<br />
Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
die Mendel’sche Lehre der Genetik bestätigt<br />
wurde und die Entdeckung der Mutationen<br />
erfolgte, wurden saltationistische<br />
Mechanismen als Erklärung der Geschichte<br />
des Lebens denkbar. Diese Theorien waren<br />
weiterhin Gegenstand von heftigen<br />
Kontroversen in einer Welt, in der das gradualistische<br />
Paradigma vorherrschte. Der<br />
Neodarwinismus und die prätentiöse<br />
«Synthetische Evolutionstheorie», beide<br />
sehr gradualistisch, integrierten in einem<br />
sehr bescheidenen Ausmass die «Mikromutationen»,<br />
um die anderen Theorien<br />
besser negieren können und die Evolutionswissenschaft<br />
bis in die Jahre 1960–<br />
1970 zu dominieren.<br />
Kein Entweder-oder<br />
Die Entwicklungen der Zytogenetik, der<br />
Biologie und der molekularen Embryologie<br />
machten jedoch diese Position mit den<br />
entdeckten Strukturen und Mechanismen<br />
unvereinbar. Das um 1940 von Goldschmidt<br />
vorgeschlagene auf Makromutationen<br />
basierende Modell der Makroevolution<br />
wurde jedoch genauso verspottet<br />
wie einige andere.<br />
Heute wird diese scharfe Polemik, die<br />
damals Wissenschaftlern die berufliche<br />
Karriere und sogar teilweise das Leben,<br />
durch Verbringung in den Gulag, kostete,<br />
durch eine Evidenz überholt: Es gibt keinen<br />
Widerspruch zwischen der Kontinuität<br />
des Lebens und seiner Transformation<br />
durch Mechanismen, die in grosser Zahl<br />
wichtige Sprünge, also Diskontinuitäten,<br />
darstellen. Diese Ereignisse finden nicht<br />
im gleichen Massstab statt und stellen keine<br />
Alternativen dar. Wie zum Beispiel in<br />
der Physik, wo das aktuelle Atommodell in<br />
keiner Weise im Widerspruch zum<br />
Raum-Zeit-Kontinuum steht, um nur dieses<br />
zu erwähnen.<br />
Der Genetiker und Molekularbiologe<br />
François Jacob, der bei einem Prozess zum<br />
Thema Abtreibung aussagen musste, in<br />
welchem christliche Fundamentalisten<br />
die «Schöpfung des Lebens» durch die Befruchtung<br />
beschworen, antwortete, es gäbe<br />
keine Schöpfung des Lebens, weil «sich<br />
das Leben seit drei Milliarden Jahren fortsetze».<br />
Er erinnerte uns so daran, dass all<br />
das, was wir über die aktuellen Lebensformen<br />
wissen, bedingt, dass sich diese seit<br />
den ersten Lebewesen ununterbrochen<br />
weiterverbreitet haben.<br />
«Diskrete» Sprünge …<br />
Die Kontinuität der Gene, in der Diskontinuität<br />
der Individuen, kennzeichnet das<br />
Leben seit seiner Entstehung. Die Biodiversität<br />
der Arten und Individuen, die sie<br />
bilden, ist das Resultat zahlreicher Mechanismen.<br />
Einige sichern die Kontinuität<br />
des Genpools, andere jedoch transformieren<br />
diesen durch diskontinuierliche, mathematisch<br />
ausgedrückt «diskrete» Sprünge.<br />
Zu diesen diskreten Mechanismen zählen<br />
die punktuellen Mutationen, die Quelle<br />
von Veränderungen der DNA-Sequenzen<br />
sind, aber auch chromosomale Makromutationen,<br />
die diese Moleküle aufbrechen<br />
und wieder zusammenkleben. Solche<br />
Vorgänge finden bei jeder Meiose<br />
statt. Damit sichern sie einen Teil der genetischen<br />
Rekombination, die durch die<br />
Fortpflanzung die Diversität der Individuen<br />
hervorbringt. Der andere Teil wird von<br />
der Begegnung von zufälligen Halbgenomen<br />
bei der Befruchtung sichergestellt.<br />
Andere chromosomale Mutationen, die<br />
bei den Pflanzen schon lange bekannt<br />
sind, und von Bernard Dutrillaux bei den<br />
Säugetieren untersucht wurden, spielen<br />
bei der Trennung der Arten eine wesentliche<br />
Rolle, indem sie Grenzen in die Genom<br />
evolution einführen. Und die punktuel<br />
len und chromosomalen Mutationen<br />
der codierenden Gene und der Master-Kontrollgene,<br />
die von Walter Gehring<br />
in Basel entdeckt wurden, konkretisieren<br />
heute die Makromutationen von Goldschmidt.<br />
Durch den abrupten Wechsel des<br />
Organisationsplans einer Art bringen sie<br />
die «hoffnungsvollen Monster» hervor, die<br />
von Steve J. Gould popularisiert wurden.<br />
Hoffnungsvoll, solange deren Monstrosität<br />
ihnen ermöglicht, Nachkommen zu<br />
haben, an welche sie weitergegeben wird.<br />
… weitreichende Folgen<br />
Die saltationistischen Mechanismen gehören<br />
zu den Haupterklärungsansätzen<br />
der grossen Ereignisse in der Geschichte<br />
des Lebens: Auftreten der Sexualität,<br />
Landgang, Auftreten von verschiedenen<br />
Fortbewegungsmustern usw. Es sind nicht<br />
die einzigen und sie werden, mangels Daten,<br />
häufig nicht richtig verstanden. Näher<br />
bei uns sind das Auftreten der Spiegelneurone<br />
und der Empathie, die wir mit<br />
gewissen Vögeln und Säugetieren teilen,<br />
möglicherweise das Ergebnis von kontinuierlichen<br />
Prozessen zwischen den aufeinanderfolgenden<br />
betroffenen Arten.<br />
Aber das Auftreten der Sprache mit ihrer<br />
zweifachen Gliederung der Zeichen und<br />
Sinne, die uns von den anderen Tieren,<br />
von denen keine sie beherrschen, trennt,<br />
scheint eine grosse Diskontinuität zu sein.<br />
Nichts belegt, neben den zerebralen Strukturen<br />
und den notwendigen Lernbedingungen,<br />
dass dieser Sprung durch genetische<br />
Mutationen, die diese Strukturen<br />
bilden, also durch eine wesentliche biologische<br />
Diskontinuität, verursacht wurde.<br />
Das Scheitern aller Versuche, anderen Tieren<br />
eine solche Sprache beizubringen,<br />
lässt darauf schliessen, dass das Auftreten<br />
der menschlichen Spezifizität ein qualitativer<br />
Sprung im kontinuierlichen Strom<br />
des Lebens war, in guten wie in schlechten<br />
Zeiten.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 27
Fokus<br />
Wenn der<br />
Hamster nicht<br />
aufersteht<br />
Wie entwickeln sich Vorstellungen von Sterben und Tod bei Kindern?<br />
Altersabhängig, geprägt von kulturellem Umfeld und<br />
persönlichen Erfahrungen, aber nicht in einem linearen Prozess.<br />
Alain Di Gallo, Chefarzt Klinik für Kinder und Jugendliche der<br />
Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPKKJ)<br />
Der Übergang vom Leben in<br />
den Tod steht jeder und jedem<br />
bevor, und wir gehen alle<br />
auf unsere ganz persönliche<br />
Art mit diesem Schicksal um. Unser<br />
Verhältnis zum Sterben hängt mit vielen<br />
Faktoren zusammen. Zwei wichtige sind<br />
der emotionale und der kognitive Entwicklungsstand.<br />
Wenn wir erfahren wollen, was Kinder<br />
über den Tod wissen, ist es am einfachsten,<br />
sie direkt zu fragen: «Glaubst du, dass<br />
du einmal sterben wirst?» Etwa die Hälfte<br />
der 5-Jährigen und schon drei Viertel der<br />
6-Jährigen beantworten diese Frage mit<br />
Ja. Im Alter zwischen 8 und 10 Jahren wird<br />
der Tod von fast allen Kindern als fester<br />
Bestandteil der eigenen Existenz erkannt.<br />
Es ist eine einfache Frage mit einer einfachen<br />
Antwort – und trotzdem lohnt es<br />
sich, neugierig zu bleiben, ob man auf diese<br />
Weise wirklich Bedeutsames erfährt. Die<br />
blosse Anzahl der Ja-Antworten pro Altersstufe<br />
berücksichtigt nämlich nicht, dass jedem<br />
Todeskonzept auch die persönliche<br />
Lebenssituation des Kindes, seine Erziehung<br />
und sein soziales Umfeld zugrunde<br />
liegen. Traditionen und Kulturen haben einen<br />
bedeutenden Einfluss darauf, wie wir –<br />
als Kinder oder Erwachsene – mit der Spannung<br />
zwischen Leben und Tod umgehen.<br />
Der anonyme, abstrakte Tod<br />
In unserer Gesellschaft war diese Beziehung<br />
in den vergangenen Generationen<br />
starken Veränderungen unterworfen. Die<br />
Gründe dafür liegen besonders in den<br />
Fortschritten der Medizin und der weltumspannenden<br />
Kommunikation. Wir werden<br />
von den Medien laufend mit Nachrichten<br />
über Kriege, Unglücksfälle und Katastrophen<br />
überschüttet. Der Tod begleitet uns<br />
täglich, aber meist in sicherer Distanz und<br />
anonymer Form. Nahes Sterben betrifft<br />
meist Menschen im hohen Alter und findet<br />
im Spital oder in Hospizen statt. Früher<br />
traf der Tod viel häufiger junge Menschen,<br />
mitten im Erwerbsalter oder in ihrer<br />
elterlichen Verantwortung für kleine<br />
Kinder. Die Erschütterung für die Zurückbleibenden<br />
war dadurch grösser. Die uns<br />
von früheren Generationen und aus anderen<br />
Kulturen überlieferten Bewältigungsbemühungen<br />
mit manchmal wochenlangen<br />
Todesriten kennen wir kaum noch.<br />
Die Trauer ist in unserer Gesellschaft weitgehend<br />
privatisiert. Das entspricht unserem<br />
Wunsch nach Individualität und<br />
Selbstbestimmung, bringt aber – als Kehrseite<br />
– die Gefahr von Orientierungslosigkeit<br />
und Identitätskrisen mit sich. In manchen<br />
Kulturen durchlaufen Kinder und<br />
Jugendliche bis heute zahlreiche Rituale,<br />
die sich über Jahre erstrecken können und<br />
die ihnen im Lauf ihres Lebens und oft<br />
auch im Austausch mit den Ahnen einen<br />
sicheren Halt bieten.<br />
Der individuell bedeutsame Tod<br />
Wie entwickelt sich nun aber das Verständnis<br />
für den Tod von der frühesten<br />
Kindheit bis ins Erwachsenenalter? Bereits<br />
Säuglinge lernen, dass keine gute Erfahrung<br />
ewig dauern kann. In ihrer vollkommenen<br />
Abhängigkeit von der Umwelt<br />
schreien sie, wenn sie frieren oder Hunger<br />
haben. Vielleicht lösen diese Erlebnisse<br />
bei den Kleinsten bereits Empfindungen<br />
von Vernichtung aus oder einfach, dass sie<br />
sich nicht sicher fühlen. Letztlich ist es eine<br />
philosophische Frage, ob wir diese Gefühle<br />
bereits als Konzepte des Nichtseins<br />
oder Todes bezeichnen. Im Alter von etwa<br />
drei Jahren entsteht ein Bewusstsein, dass<br />
es den Tod gibt. Die Kinder verstehen ihn<br />
aber lediglich als Beschreibung im Hier<br />
und Jetzt. Die Realität des Todes ist an<br />
konkrete Gegebenheiten gebunden, zum<br />
Beispiel an die Tatsache, dass die Toten<br />
sich nicht mehr bewegen und nicht mehr<br />
mit uns sprechen können. In ihrer Allmachtsphantasie<br />
vermögen die Kinder in<br />
diesem Alter den Tod durchaus noch rückgängig<br />
zu machen. Einmal sagte ein 4-jähriges<br />
Mädchen zu mir: «Mein Hamster ist<br />
gestern gestorben. Aber morgen kommt er<br />
vielleicht zurück.»<br />
Etwa ab sechs Jahren wird das Denken<br />
flexibler. Ursachen und Wirkungen<br />
wecken das Interesse der Kinder. Sie lernen,<br />
die Unwiderruflichkeit (Tote kommen<br />
nicht zurück) und die Universalität<br />
(alle müssen einmal sterben, auch ich) zu<br />
erkennen. Vergangenheit, Zukunft und<br />
ursächliche Zusammenhänge – zunächst<br />
meistens äussere, wie Unfälle, später auch<br />
innere und schwieriger zu verstehende,<br />
wie Krankheiten – werden ins Todeskon<br />
Bilder: zvg<br />
28<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Fokus<br />
steht schief und ist bereits zur Hälfte in<br />
den Fluten versunken. Zwei grosse Löcher<br />
im Rumpf weisen auf den Zusammenstoss<br />
mit dem Eisberg hin. Drei Menschen versuchten<br />
sich auf die Spitze zu retten, die<br />
anderen treiben im Meer. Die Zahl der Opfer<br />
überforderte Pablo. Er stellt die einzelnen<br />
Personen nur schematisch dar. Eine<br />
individuellere Darstellung wäre für den<br />
Knaben wohl zu bedrohlich geworden.<br />
Nur eine Figur zeichnet er etwas präziser,<br />
fügt ihr Arme und Beine bei und deutet ein<br />
Gesicht an. Es sei ein Kind, sagte Pablo, es<br />
gehe schon unter.<br />
Abb. 1. Pablo und Lisa versuchten beide, ein Erlebnis, das sie mit dem Tod konfrontiert und bei<br />
ihnen Fragen und Ängste ausgelöst hatte, mit einer Zeichnung zu verarbeiten. Dieses «Aufs-Papier-Bringen»<br />
kann für Kinder sehr entlastend und befreiend sein. Uns Erwachsenen bieten die<br />
Bilder eine wunderbare Möglichkeit, mit den Kindern über die Zeichnung sowie ihre Fragen und<br />
Gefühle dazu ins Gespräch zu kommen und ihnen bei der Verarbeitung zu helfen.<br />
Abb. 2. Lisa stellt in ihrer Zeichnung eine andere Katastrophe dar, den todbringenden Tsunami<br />
nach dem Beben im Indischen Ozean im Jahr 2004 (Abbildung 2). Das Bild zeigt einen Menschen in<br />
einem kleinen Boot, der sich einer riesigen Welle gegenübersieht. Es ist ein Aquarell, die Farben<br />
wirken fast lieblich, und die Bedrohung erschliesst sich einem nicht auf den ersten Blick. Die Figur<br />
im Schiffchen, das einer Nussschale gleicht, hat keine Arme und wirkt steuer- und hilflos. Lisa<br />
meinte, die Welle sei noch ein Stück entfernt, nur die ersten Tropfen über dem Kopf der Figur<br />
deuteten die verheerende Bedrohung an.<br />
zept einbezogen. Der Tod erhält eine individuelle<br />
Bedeutung.<br />
An zwei Beispielen möchte ich zeigen,<br />
wie ein 6-jähriger Knabe und ein 7-jähriges<br />
Mädchen in Zeichnungen ihren Gefühlen<br />
in Zusammenhang mit dem Tod<br />
Ausdruck gaben. Pablo hatte vor kurzem<br />
den Spielfilm Titanic gesehen. Überwältigt<br />
vom Untergang des riesigen Schiffes<br />
und vieler Menschen malte er dieses Bild<br />
(Abbildung 1). Seine Zeichnung ist ganz in<br />
Schwarzweiss gehalten, nur dem eisigen<br />
Wasser gibt er eine blaue Farbe. Das früher<br />
stolze Schiff mit seinem mächtigen Kamin<br />
Kein linearer Prozess<br />
Mit fortschreitendem Alter und angehender<br />
Adoleszenz verliert das Denken immer<br />
mehr seine Bindung an die konkrete Erfahrung.<br />
Die zunehmende Fähigkeit zur<br />
Abstraktion erlaubt schliesslich die Integration<br />
des Todes in das existentielle Daseinskonzept.<br />
Der Tod bedeutet nun nicht<br />
mehr bloss den Abschluss des Lebens,<br />
sondern er spiegelt eine dialektische Notwendigkeit,<br />
nämlich das Bewusstsein,<br />
dass es ohne Tod auch kein Leben gibt.<br />
Mein Versuch, das Verständnis für<br />
Sterben und Tod in ein chronologisches<br />
Entwicklungskonzept zu fassen, darf<br />
nicht zum Schluss eines linear fortlaufenden<br />
Prozesses verleiten. Unser Erleben<br />
entzieht sich solch einfachen Schemata.<br />
Vielmehr verläuft die Entwicklung mal in<br />
grossen, dann wieder kleinen Schritten,<br />
meist vorwärts, manchmal auch kurz<br />
rückwärts. In Ausnahmesituationen überraschen<br />
uns Kinder zuweilen mit ihren<br />
Gedankengängen. Kurz nachdem mein<br />
ältester Sohn seinen fünften Geburtstag<br />
gefeiert hatte, starb seine Urgrossmutter,<br />
die er sehr gern gehabt hatte. In einem ruhigen<br />
Moment sagte der Knabe zu mir:<br />
«Omama ist gestorben und ist jetzt im<br />
Himmel.» Ich nickte und fragte, ob er<br />
glaube, dass sie zurückkommen werde.<br />
«Nein», antwortete er, «aber ich werde<br />
auch einmal sterben, wenn ich alt bin.<br />
Dann sehe ich Omama vielleicht wieder.»<br />
Er machte eine kurze Pause und fragte:<br />
»Was ist das eigentlich, der Himmel? Wo<br />
ist er und was macht man dort?» Auf diese<br />
Frage wusste ich auch keine Antwort, aber<br />
ich realisierte, dass sich das Todesverständnis<br />
meines Sohnes von meinem<br />
kaum unterschied. Er war sich der Unwiderruflichkeit,<br />
der Universalität und des<br />
Mysteriums des Todes bewusst und befasste<br />
sich, in seiner kindlichen Art, mit<br />
den gleichen ungeklärten Fragen wie wir<br />
Erwachsenen.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 29
Fokus<br />
Das Labyrinth aus Schächten und Leitungen zeigt die Haustechnik des künftigen Hauptgebäudes.<br />
Digitalisierung<br />
im Spitalbau<br />
Ist ein Haus erst mal gebaut, wird es schwierig zu korrigieren.<br />
Der Prozess des Building Information Modeling soll dank<br />
digitaler Planung und Zusammenarbeit sowie eines digitalen Zwillings<br />
Fehler bei komplexen Bauten vermeiden.<br />
Bruno Jung, Gesamtprojektleiter «Neues Hauptgebäude des Inselspitals»<br />
Die Begriffe Digitalisierung und<br />
digitale Transformation sind<br />
allgegenwärtig. Ihr Einsatz ist<br />
so inflationär, dass sie ohne<br />
konkrete Ausführungen zu inhaltslosen<br />
Schlagwörtern verkommen. Deshalb sollen<br />
die Auswirkungen für den Neubau eines<br />
Spitals hier an einem Beispiel näher<br />
beschrieben werden.<br />
In den letzten Jahren haben die Digitalisierung<br />
und Lean-Methoden die traditionelle<br />
Produktionsweise der Baubranche<br />
mit voller Wucht erfasst. Vorreiter<br />
dieser Entwicklung waren die nordischen<br />
und angelsächsischen Länder. Vor allem<br />
die immer komplexeren, hochtechnisierten<br />
Hochbauten haben dem Einsatz von<br />
digitaler Planung und Zusammenarbeit,<br />
kurz dem «Building Information Modeling<br />
(BIM)», zum Durchbruch verholfen. Dazu<br />
gehörten zweifelsohne die grossen Spitalbauten<br />
mit einem Technikanteil von teilweise<br />
über 60 Prozent der Investitionssumme.<br />
Die aktuelle COVID-19-Pandemie<br />
wirkt sich nun zusätzlich beschleunigend<br />
auf die Einführung digitaler Prozesse aus.<br />
Ohne umfassende digitale Unterstützung<br />
wird das Zusammenarbeiten in solchen<br />
Projekten künftig nicht mehr vorstellbar<br />
sein.<br />
Ein Bauvorhaben der besonderen<br />
Art<br />
2014 wurde am Berner Inselspital das Projekt<br />
«Neues Hauptgebäude des Inselspitals<br />
/ Baubereich 12 (BB12)» gestartet. Von<br />
Anfang an war dem Bauherr Insel Gruppe<br />
und dem Generalplaner Archipel klar,<br />
dass bei einem Vorhaben dieser Grösse<br />
und Komplexität neue Ansätzen wie BIM<br />
und Lean Management eingesetzt werden<br />
müssen. Bei einer Planungs- und Realisationszeit<br />
von knapp neun Jahren und einem<br />
sich ständig verändernden Umfeld<br />
wie der Medizin war dies essentiell, um<br />
Kosten, Termine und Qualität sicherzustellen<br />
und trotzdem maximale Flexibilität<br />
zu gewährleisten. Gleichzeitig will man<br />
Voraussetzungen schaffen, dass der Spitalbetrieb<br />
und das Facility Management<br />
künftig verstärkt auf digitale Informationen<br />
zurückgreifen können.<br />
Je nach Phase sind im Projekt BB12<br />
über 150 Planer von über 30 Planungspart<br />
Bilder: zvg<br />
30<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
nern gleichzeitig involviert. Während des<br />
Innenausbaus ab <strong>2020</strong> werden bis zu 1500<br />
Handwerker auf der Baustelle sein. Auch<br />
waren bisher über 150 Mitarbeitende aus<br />
den Kliniken des Inselspitals in die Planung<br />
involviert. Eine Vielzahl von Schnittstellen,<br />
die unbedingt nahtlose, digitale<br />
Prozesse fordern.<br />
Was waren die Hauptziele der Insel<br />
Gruppe beim Einsatz von BIM im Projekt?<br />
– Beherrschen der Komplexität (Vorgaben<br />
an Architektur, Haustechnik, Medizintechnik<br />
etc.; Anzahle Beteiligte),<br />
– Effizienzsteigerung in der Planung und<br />
dem Abgleich mit dem Bauherrn; frühzeitige<br />
Einbindung von Nutzern; Optimierung<br />
von Ressourcen,<br />
– Erhöhen der Planungsqualität und Kostensicherheit;<br />
Risikomanagement,<br />
– strukturierte Prozesse und Informationen<br />
(übergreifend Fachplaner – Generalplaner<br />
– Bauherr),<br />
– einfachere Beurteilung und Umsetzung<br />
von Projektänderungen.<br />
Für die Schweiz und die Nachbarländer<br />
war und ist das Projekt BB12 bezüglich<br />
Grösse, Komplexität, aber auch bezüglich<br />
Umsetzungstiefe der neuen Methodik eines<br />
der Pionierprojekte für BIM.<br />
Zusammenarbeit und Transparenz<br />
Was bedeutet BIM (Building Information<br />
Modeling) in der Projektarbeit? Eines ist<br />
sicher: Erfolgreiches BIM ist viel mehr als<br />
digitale Konstruktionszeichnungen in<br />
3-D. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche<br />
Einführung von BIM ist eine Kultur<br />
der Zusammenarbeit auf Augenhöhe und<br />
maximale Transparenz zwischen den Planern<br />
und dem Bauherrn. Mit digitaler Planung<br />
hat der Bauherr quasi in Echtzeit<br />
Blick und Zugriff auf den aktuellen Planungsstand<br />
oder die «Werkbank» der Planer.<br />
Er gibt nicht mehr nur definitive Arbeitsergebnisse<br />
frei, sondern auch laufend<br />
Rückmeldung zu den Planungsschritten.<br />
Widersprüche und offene Fragen werden<br />
zeitnah in gemeinsamen Besprechungen<br />
erörtert und entschieden. Oft ist dabei das<br />
3-D-Modell hilfreich. Diese Art der Zusammenarbeit<br />
verlangt von beiden Seiten<br />
entsprechendes Fachwissen und die Fähigkeit,<br />
früh zu entscheiden. Fragen, die<br />
bisher erst während der Bauausführung<br />
sichtbar wurden – etwa Zugänglichkeiten<br />
für Reparaturen und Wartungen – können<br />
nun in frühen Planungsphasen durch die<br />
Nutzer beurteilt und entschieden werden.<br />
Lean Management bedeutet hier eine Abkehr<br />
von reaktionärem Handeln hin zu<br />
vorausschauendem Planen, ausgerichtet<br />
auf den (internen) Kunden.<br />
Strukturierte Abläufe und<br />
teilautomatisierte Prozesse<br />
Die grosse Anzahl verschiedener Fachgebiete<br />
und Planungsbeteiligter verlangt eine<br />
sehr strukturierte «Planung der Planung».<br />
Diese legt Zeiträume und Abfolge<br />
fest, in denen die einzelnen Stockwerke<br />
von den verschiedenen Planern bearbeitet<br />
werden. Zu definierten Zeiten werden die<br />
aktuell 214 verschiedenen 3-D-Modelle,<br />
bestehend z.B. aus Haustechnikplanung,<br />
Statik oder Architektur, vom Generalplaner<br />
zu einem Gesamtmodell über alle<br />
Stockwerke zusammengefügt und von einer<br />
speziellen Software auf Lücken und<br />
Kollisionen geprüft. Dieses 3-D-Gesamtmodell<br />
ergibt mit der dazugehörigen Elementen-Datenbank<br />
einen digitalen Zwilling<br />
des zukünftigen Gebäudes. Der Bauherr<br />
bekommt das Gesamtmodell jeweils<br />
zur Prüfung und Freigabe zugestellt.<br />
Durch dieses strukturierte und terminierte<br />
Vorgehen können Verzögerungen bei<br />
jedem einzelnen Beteiligten sofort erkannt<br />
werden. Die erforderliche Disziplin<br />
beim Einhalten von Terminvorgaben betrifft<br />
ebenso die Nutzergespräche mit den<br />
Kliniken. Auch diese müssen entsprechend<br />
in der Gesamtterminplanung berücksichtigt<br />
werden.<br />
Gemeinsame<br />
Kollaborationsplattform<br />
Damit die übergreifenden Prozesse und<br />
die Zusammenarbeit zwischen Bauherrn,<br />
Planern und Unternehmern funktionieren,<br />
wird ein digitaler Projektraum eingesetzt.<br />
Dieser besteht vor allem aus drei<br />
Anwendungen:<br />
– Dokumentenmanagementsystem inkl.<br />
Prüfprozesse<br />
– Modellaustauschplattform für die<br />
Prüfung und Kommentierung in 3-D<br />
– Datenbank mit allen Bestell-, Planungsund<br />
Elementspezifikationen<br />
Was bringt es dem Nutzer?<br />
Weil das gesamte Gebäude inklusive Darstellung<br />
von Funktionen und Abläufen in<br />
einer grossen Detailschärfe digital vorliegt,<br />
können Anforderungen und Abhängigkeiten<br />
leichter geprüft werden. So kann<br />
ein grösserer Teil der Organisation des<br />
Bauherrn, inklusive der späteren Nutzer,<br />
früh und damit rechtzeitig in die Entscheidungsprozesse<br />
eingebunden werden.<br />
Die Planung in standardisierten Elementen<br />
und Raumanforderungen erleichtert<br />
zudem den Übertrag auf zukünftige<br />
Projekte.<br />
Die Nutzer äussern häufig den<br />
Wunsch, dass die Planung, z.B. bei einem<br />
Küchenplaner oder der Autokauf, direkt in<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 31
Unser Beratungspartnernetz<br />
für Treuhand, Versicherungen, Vorsorge<br />
Schweizweit in Ihrer Nähe<br />
BERATUNGSSTELLEN für Versicherungs-, Vorsorge- und Finanzberatung<br />
Allcons AG 4153 Reinach Assidu 2363 Montfaucon, 2800 Delémont, 1205 Genève, 6903 Lugano BTAG Versicherungsbroker<br />
AG 3084 Wabern UFS Insurance Broker AG 8810 Horgen VM-F Frank insurance brokers GmbH<br />
9300 Wittenbach Vorsorge Wirz 4058 Basel<br />
TREUHANDPARTNER für Finanzbuchhaltung, Steueroptimierung, Wirtschaftsberatung<br />
B+A Treuhand AG 6330 Cham Brügger Treuhand AG 3097 Liebefeld/Bern contrust finance ag 6004 Luzern<br />
GMTC Treuhand & Consulting AG 9014 St. Gallen Kontomed Treuhand AG 8807 Freienbach LLK Treuhand AG<br />
4052 Basel Mehr-Treuhand AG 8034 Zürich Quadis Treuhand AG 3952 Susten Sprunger Partner AG 3006 Bern<br />
W&P AG Treuhand Steuern Wirtschaftsprüfung 7001 Chur<br />
Alle Beratungspartner finden Sie auch online oder rufen Sie uns an.<br />
Für unsere Mitglieder ist ein einstündiges Erstgespräch zur gezielten Bedürfnisabklärung kostenlos.<br />
MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />
Telefon 031 350 44 22<br />
info@mediservice-vsao.ch<br />
www.mediservice-vsao.ch
Fokus<br />
In Zukunft wird auch die Vorfertigung<br />
aus serhalb der Baustelle stark zunehmen:<br />
Die genauere Planung erlaubt es Zulieferern,<br />
bereits im Voraus das Material richtig<br />
zu konfektionieren und damit die Montage<br />
zu vereinfachen. Die Unternehmer<br />
liefern die Daten und Modelle der ausgeführten<br />
Arbeiten an den Generalplaner,<br />
und es entsteht ein echtes Modell des gebauten<br />
Gebäudes («as built model»). Damit<br />
stehen dann auch alle nötigen Informationen<br />
für den Betrieb und die Instandhaltung<br />
des Neubaus direkt und digital<br />
zur Verfügung. So ist eine wichtige Grundlage<br />
für ein echtes, digitales Spital geschaffen.<br />
Die technologische Entwicklung<br />
schreitet derzeit rasant voran. Die Softwaretools<br />
bieten immer neue und optimierte<br />
Möglichkeiten der Kollaboration<br />
und Teilautomatisierung. In Zukunft wird<br />
es für Bauherrn von Spitälern darum gehen,<br />
die Nutzeranforderungen möglichst<br />
früh umzusetzen und diese für teilweise<br />
baufremde Personengruppen einfach darzustellen.<br />
Frühzeitige Entscheidungsgrundlagen<br />
wie computergenerierte Layouthypothesen<br />
oder VR-Simulationen<br />
werden das ermöglichen.<br />
Die Nutzer können die Einrichtung der Medikamentenaufbereitung auf einem Pflegegeschoss<br />
virtuell und in 3-D prüfen.<br />
Das Projekt<br />
Neues Hauptgebäude<br />
Inselspital (BB12)<br />
3-D erfolgen kann. Dies ist aus verschiedenen<br />
Gründen leider (noch) nicht der Fall.<br />
Die Bestellung des Bauherrn definiert<br />
zunächst den Platzbedarf, die Belegung<br />
sowie betriebliche Abläufe und Abhängigkeiten<br />
von Funktionen. Diese Anforderungen<br />
müssen in Geschosslayouts umgesetzt<br />
werden, die z.B. auch Haustechnik, Brandschutz<br />
und Nebenflächen berücksichtigen.<br />
Die Erfahrung zeigt, dass bei einem zu<br />
frühen Einsatz von 3-D-Visualisierungen<br />
nicht alle planerischen Aspekte berücksichtigt<br />
werden können und eine Genauigkeit<br />
suggeriert wird, die unter Umständen<br />
nicht durchgehalten werden kann. Nutzer<br />
sind dann enttäuscht, weil Zusagen relativiert<br />
werden müssen. Auch der kritische<br />
Blick auf gebäudeübergreifende Details,<br />
z.B. Prozesse und Gestaltung, wird allzu<br />
schnell übersteuert. Die 3-D-Visualisierungen<br />
liefern aber bei kritischen oder<br />
komplexen Räumen eine gute Überprüfung<br />
von Nutzungsanordnungen. Den Planern<br />
stellt sich jedoch die Herausforderung,<br />
Einrichtungen wie Medizintechnik<br />
oder das Mobiliar generisch zu planen,<br />
wenn diese noch nicht bekannt sind.<br />
Was kommt noch?<br />
Die digitale Planung mit BIM wird sich für<br />
grosse Bauvorhaben weiter durchsetzen<br />
und zum Standard werden. Aber auch bei<br />
der Realisierung, dem Bau selbst, hält die<br />
Digitalisierung Einzug. So kann zum Beispiel<br />
die gesamte Qualitätssicherung mit<br />
dem Modell verknüpft werden. Die Dokumente<br />
werden dann direkt an den entsprechenden<br />
Elementen «angeheftet». Unternehmer<br />
und Lieferanten bekommen Planungsdaten<br />
digital zugestellt und können<br />
entsprechend einfacher ihre Werkplanung<br />
vornehmen.<br />
Der Neubau Spitalgebäude Baubereich<br />
12 ist eines der ersten Projekte, das im<br />
Hinblick auf eine langfristige Entwicklung<br />
des gesamten Insel-Areals realisiert<br />
wird. Der Neubau mit über<br />
82 000 m² Geschossfläche wird das<br />
neue Hauptgebäude des Inselspitals<br />
sein und in Zukunft das heutige Bettenhochhaus<br />
ersetzen. Das Gebäude<br />
wird zudem das Schweizer Herz- und<br />
Gefässzentrum und verschiedene<br />
Fachkliniken beheimaten. Mit dem<br />
geplanten Minergie-P-Eco-Standard<br />
stellt es zudem ein Pionierprojekt für<br />
Spitalbauten dar. Das Gebäude wird<br />
nach der Methode des Building Information<br />
Modeling bearbeitet, um<br />
Planung, Bau und Betrieb des komplexen<br />
Gebäudes zu unterstützen und zu<br />
optimieren.<br />
Mehr Informationen inkl. Fakten und<br />
Filme zu dem Projekt auf der Website<br />
der Insel Gruppe:<br />
www.inselgruppe.ch/bauprojekte<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 33
Fokus<br />
Ob in Luzern oder in St. Petersburg: Prozessionen<br />
bieten aufgrund ihrer Feierlichkeit und<br />
ihrer Dynamik eine einzigartige, gemeinsame<br />
Glaubenserfahrung.<br />
Bewegte Liturgie<br />
Was gottesdienstliches Feiern im Wesentlichen ausmacht, findet<br />
sich in Prozessionen. Im Vorwärtsschreiten (lat. processio) können sich<br />
Erfahrung und Glaube sinnfällig miteinander verbinden.<br />
Prof. Dr. theol. Birgit Jeggle-Merz, Ordinaria für Liturgiewissenschaft in Chur und Luzern<br />
Bilder: © Luzern: wikimedia / © St. Petersburg: Shutterstock<br />
34<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Fokus<br />
Prozessionen sind ältestes Kulturbrauchtum.<br />
Sie gehören zu<br />
den elementaren kultischen<br />
Vollzügen in nahezu allen Religionen<br />
und Kulturen. Das gilt für die Vergangenheit<br />
sowie für die Gegenwart. Es<br />
gibt Prozessionen als selbständige Rituale<br />
oder als Teile von grösseren Kulthandlungen<br />
oder Festen. So kennt z.B. der Hinduismus<br />
die Pañcatirtha-Prozession von Benares,<br />
der Islam die Umgänge um die Ka’ba in<br />
Mekka, während der Hadjdj und das Christentum<br />
verschiedenste Formen von rituellen<br />
prozessionalen Elementen in den meisten<br />
ihrer Gottesdienste haben. In allen Religionen<br />
hat ein solches ritualisiertes Tun<br />
in Gemeinschaft tiefe Bedeutung und<br />
drückt etwas von dem Innersten der Religion<br />
aus. Grob kann unterschieden werden<br />
zwischen Prozessionen, in denen die Gottheit<br />
selbst in Bewegung gebracht wird –<br />
wenn z.B. in der katholischen Kirche das<br />
Allerheiligste durch die Strassen getragen<br />
wird –, und solchen, in denen sich die Teilnehmenden<br />
der Gottheit nähern – wie z.B.<br />
bei einer Prozession zur Kommunion. Interessant<br />
ist, zu beobachten, dass Musikbegleitung<br />
ein konstitutives Element solcher<br />
religiösen Betätigungen ist.<br />
Unterwegssein als Kennzeichen<br />
Biblischer Prototyp aller Prozessionen im<br />
jüdisch-christlichen Verständnis ist das<br />
Exodusgeschehen, also der Auszug Israels<br />
aus der ägyptischen Knechtschaft in das<br />
Land der Verheissung. Alle Elemente einer<br />
Prozession sind hier enthalten: der<br />
Auszug und der Einzug sowie dazwischen<br />
der geordnete, von Stationen unterbrochene<br />
Weg. Dieser Auszug aus Ägypten<br />
wird verstanden als Rettungstat Gottes an<br />
seinem Volk, das im ritualisierten Nachspielen<br />
wieder Gegenwart wird. Das Volk<br />
Israel bleibt fortan auf dem Weg mit seinem<br />
Gott. Es ist das gleiche biblische Gottesbild,<br />
das die christlichen Glaubensgemeinschaften<br />
prägen. Die Gestaltung ihrer<br />
Zusammenkünfte, d.h. ihre liturgischen<br />
Feiern, sind Spiegelbild dieses<br />
Selbstverständnisses. Insofern sind prozessionale<br />
Elemente in den liturgischen<br />
Feiern der christlichen Gemeinschaften<br />
keine beliebige Äusserlichkeit. Das Christentum<br />
versteht sich als Gemeinschaft der<br />
Glaubenden, die – theologisch gesprochen<br />
– mit Christus an ihrer Seite unterwegs<br />
ist – wieder theologisch formuliert –<br />
in das Reich Gottes, das am Ende der Zeiten<br />
endgültig errichtet sein wird. Das Unterwegssein<br />
ist geradezu ein Kennzeichen<br />
von Kirche. Alle gottesdienstlichen Feiern<br />
sind zu verstehen als Kristallisationsmomente<br />
auf diesem Weg, an denen die «pilgernde<br />
Kirche» innehält, um sich über den<br />
Grund ihrer Pilgerschaft zu vergewissern<br />
und sich mit dem in Leben, Tod und Auferstehung<br />
Jesu Christi gewirkten Heil wieder<br />
neu zu verbinden.<br />
Prozessionaler Charakter<br />
des Christentums<br />
Selbst in der Gestaltung ihrer Versammlungsräume<br />
hat sich dieses Selbstverständnis<br />
niedergeschlagen. Nach der Zeit<br />
der Verfolgung entsteht im 4. Jahrhundert<br />
mit der Basilika ein Grundtyp der christlichen<br />
Kirche, die nicht nur dem prozessionalen<br />
Charakter des Christentums eine<br />
architektonische Gestalt gibt, sondern<br />
auch von der Grösse und räumlichen Disposition<br />
her Prozessionen erfordert. In<br />
dieser Zeit fanden auch die zentralen Gottesdienste<br />
ihre Gestalt, allen voran die<br />
Taufliturgie und die Eucharistiefeier.<br />
Bis heute gestaltet sich die Taufliturgie<br />
in vielen christlichen Gemeinschaften<br />
als prozessionale Liturgie. Der Täufling<br />
und seine Familie werden am Eingang der<br />
Kirche empfangen. Die zur Feier Versammelten<br />
nehmen den Täufling mit auf ihren<br />
Weg und ziehen gemeinsam zum Ort<br />
der Wortverkündigung. Gestärkt mit dem<br />
Wort Gottes begeben sie sich wieder auf<br />
den Weg. Ihr Ziel ist diesmal der Taufbrunnen,<br />
wo der Täufling mit Wasser getauft<br />
wird. Bemerkenswert ist, dass die Begräbnisliturgie<br />
spiegelbildlich gestaltet ist. Die<br />
Gemeinde begleitet den Christen und die<br />
Christin auf ihrem letzten Weg, den er<br />
oder sie in der Taufe begonnen hat und der<br />
in der Grablegung seinen Abschluss findet.<br />
Beerdigungen schliessen also in der<br />
Regel Prozessionen ein. Auch die Eucharistiefeier<br />
der katholischen Kirche ist bis<br />
heute durch Prozessionsabläufe gegliedert:<br />
Einzugs- und Auszugsprozession,<br />
Prozession zum Evangelium, Gaben- und<br />
Kommunionprozession.<br />
Diese Beispiele einer prozessionalen<br />
Liturgie zeigen, dass solche Prozessionen<br />
nicht rein pragmatisch als notwendige<br />
Ortsveränderung oder als abwechslungsreiche<br />
Gestaltungsvariante verstanden<br />
werden dürfen. Prozessionen wollen die<br />
Mitfeiernden leibhaft erfahren lassen und<br />
sie mit dem Körper vollziehen lassen, was<br />
ihren Glauben ausmacht. In ihnen zeigt<br />
sich, dass der Glaube nicht statisch verstanden<br />
wird, sondern als etwas Dynamisches<br />
bzw. Prozesshaftes. Deshalb braucht<br />
auch die Feier des Glaubens Bewegung.<br />
Prozessionen als religiöses Ereignis<br />
Prozessionen sind aber nicht nur Elemente<br />
einer Feier, sondern auch selbst religiöses<br />
Ereignis. Bei einer Wallfahrt oder einer<br />
Flurprozession wird das Auf-dem-Weg-<br />
Sein von den Teilnehmenden unmittelbar<br />
ausgeübt. Im Mittelalter haben sich viele<br />
Bittprozessionen entwickelt, bei denen<br />
heilige Gegenstände oder Reliquien mitgetragen<br />
wurden. Hier liegt auch die Wurzel<br />
für die Sakramentsprozession am<br />
Fronleichnamsfest, die sich seit dem<br />
13. Jahrhundert zu der katholischen Prozession<br />
schlechthin entwickelte. Derlei<br />
Praxis kritisierten die Reformatoren vehement<br />
als Zeichen unzulässiger Werkgerechtigkeit.<br />
Die reformierten Kirchen<br />
standen deshalb über viele Jahrhunderte<br />
solchen Feierformen ablehnend gegenüber.<br />
Seit einiger Zeit jedoch entdecken<br />
alle christlichen Kirchen Prozessionen als<br />
ein den ganzen Menschen mit Leib und<br />
Seele betreffenden Glaubensausdruck.<br />
Ökumenisch wird dies mehr und mehr<br />
fruchtbar gemacht.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 35
Fokus<br />
Der PC erhält<br />
ein Gehirn<br />
Zugegeben, Computer können besser rechnen als Menschen. Aber<br />
viele für uns einfache Dinge sind für Computer kaum oder nur schwer<br />
lösbar. Solche Lernprozesse benötigen künstliche neuronale Netze.<br />
Prof. Panagiotis Pavlopoulos, ret. Venia Docendi, Institut für Physik, Universität Basel<br />
Die künstlichen neuronalen<br />
Netze (KNN) finden im Bereich<br />
des automatisierten<br />
Lernens Anwendung. Sie<br />
sind besonders hilfreich, wenn das analysierte<br />
Problem ein gewisses Mass an Unsicherheit<br />
aufweist, und funktionieren<br />
tendenziell besser, wenn die klassischen<br />
Berechnungsansätze keine robusten Modelle<br />
hervorgebracht haben. In allen Situationen,<br />
in welchen es eine nicht lineare<br />
Beziehung zwischen einer prädiktiven Variable<br />
und einer vorhergesagten Variablen<br />
gibt, sind KNN unerlässlich. Zahlreiche<br />
Applikationen könnten von ihrem Einsatz<br />
profitieren. Ein Beispiel für ein nicht<br />
lineares Problem ist das Gehen. Das Projekt<br />
SuaW 1 besteht darin, Paraplegiker<br />
dank Elektrostimulation der von einem<br />
KNN-System produzierten Muskeln und<br />
Nerven in den aufrechten Gang zu bringen.<br />
Die modernen digitalen Rechner übertreffen<br />
die Menschen in Sachen Rechnen.<br />
Die Menschen können jedoch ohne grosse<br />
Anstrengung komplexe Wahrnehmungsprozesse<br />
in einem Tempo und in einem<br />
Ausmass lösen, die auch den schnellsten<br />
Computer der Welt alt aussehen lassen.<br />
Das menschliche Hirn kann innerhalb<br />
von weniger als einer Sekunde mit einer<br />
Geschwindigkeit von 100 ms pro Zyklus<br />
eine Linie oder ein Individuum in einer<br />
Menschenmasse ausfindig machen. Umgekehrt<br />
braucht der Computer mit einer<br />
zehnmillionenfach höheren Geschwindigkeit<br />
(10 ns pro Zyklus) mehrere Stunden<br />
für die Berechnung. Weshalb besteht<br />
ein solch grosser Unterschied in den Leistungen?<br />
Die Antwort liegt im Aufbau der<br />
Denkweise. 1945 begründete der Mathematiker<br />
John von Neumann die Grundlage<br />
der Arbeitsweise der meisten heute bekannten<br />
Computer. Dieser Aufbau wurde<br />
als Von-Neumann-Architektur bekannt.<br />
Die Architektur des biologischen neuronalen<br />
Systems weicht komplett von der<br />
Von-Neumann-Architektur ab. Dieser Unterschied<br />
beeinträchtigt den Typ der<br />
Funktionen, die jedes Berechnungsmodell<br />
am besten ausführen kann.<br />
Die langfristige Evolution hat das<br />
menschliche Hirn mit zahlreichen Eigenschaften<br />
ausgestattet, die in der Von-Neumann-Architektur<br />
nicht vorhanden sind.<br />
Diese schliessen insbesondere ein:<br />
• den massiven Parallelismus,<br />
• die verteilte Darstellung und Berechnung,<br />
• die Fähigkeit, zu lernen,<br />
• die Fähigkeit, zu verallgemeinern,<br />
• die Adaptabilität,<br />
• die inhärente Bearbeitung von kontextuellen<br />
Informationen,<br />
• die Pannenverträglichkeit und<br />
• den geringen Energieverbrauch.<br />
Die auf biologischen KNN basierenden<br />
Instrumente sind stark parallele Informatiksysteme<br />
und bringen bestimmte dieser<br />
Charakteristika zusammen: Klassifikation<br />
nach Motiven, Gruppierung/Kategorisierung,<br />
Approximation der Funk tionen,<br />
Vorhersage/Prognose, Optimierung, inhaltsadressierbarer<br />
Speicher, Kontrolle,<br />
Modellierung des Hirns.<br />
McCulloch und Pitts 2 haben als Berechnungsmodell<br />
für eine künstliche Nervenzelle<br />
eine binäre Einheit vorgeschlagen.<br />
Diese mathematisch berechnete Nervenzelle<br />
berechnet eine gewichtete Sum<br />
36<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Fokus<br />
Aufgrund der Rückkopplungswege werden<br />
die Inputs jedes Neurons anschliessend<br />
verändert, was das Netz in einen neuen<br />
Zustand überführt.<br />
Input 1<br />
Input 2<br />
Input 3<br />
Input 4<br />
Input 5<br />
Inputschicht Versteckte Schicht Outputschicht<br />
Rückkopplung<br />
des Fehlers<br />
me seiner n Inputsignale, x j, j = 1, 2, ..., n,<br />
und generiert einen Output von 1, sofern<br />
die Summe eine bestimmte Schwelle u<br />
übersteigt. Sonst resultiert ein Output von<br />
0. Mathematisch = [∑ nj = 1 w jx j – u] wobei<br />
eine Schrittfunktion 1 bis 0 ist und w j das<br />
mit dem j-ten Input assoziierte Synapsengewicht.<br />
Um die Bewertung zu vereinfachen,<br />
betrachtet man häufig die Schwelle<br />
u wie ein anderes Gewicht w 0 =-u, das mit<br />
der Nervenzelle mit einem konstanten Input<br />
x 0=1 verbunden ist. Die positiven Gewichte<br />
entsprechen den exzitatorischen<br />
Synapsen, während die negativen Gewichte<br />
die inhibitorischen Synapsen modellieren.<br />
In grober Analogie mit einem biologischen<br />
Neuron modellieren die Verknüpfungen<br />
die Axone und die Dendriten. Das<br />
Verknüpfungsgewicht stellt die Synapsen<br />
dar und die Schwellenfunktion nähert<br />
sich der Aktivität in einem Soma, ohne jedoch<br />
das tatsächliche Verhalten der biologischen<br />
Neuronen zu simulieren. Dieses<br />
Neuron wurde anschliessend auf mehrere<br />
Arten verallgemeinert.<br />
Auf der Grundlage eines Verknüpfungsmodells<br />
(Architektur) können die<br />
KNN in zwei Kategorien gruppiert werden:<br />
➞ in die direkten Netze oder Feedforward-Netze,<br />
in welchen die Grafiken<br />
keine Schlaufen haben, und<br />
➞ in die rückgekoppelten (oder rekurrenten)<br />
neuronalen Netze, in welchen die<br />
Schlaufen sich aufgrund von Rückkopplungsverknüpfungen<br />
bilden.<br />
Die verschiedenen Konnektivitäten<br />
produzieren verschiedene Netzverhalten.<br />
Allgemein sind die direkten Netze statisch,<br />
da sie für einen vorgegebenen Input<br />
nur ein einziges Paket von Outputwerten<br />
produzieren. Die rekurrenten Netze hingegen<br />
sind dynamische Systeme. Sobald<br />
ein neues Inputmodell vorgelegt wird,<br />
werden neuronale Outputs berechnet.<br />
Kein Allheilmittel, aber eine<br />
interessante Alternative<br />
Verschiedene Netzarchitekturen erfordern<br />
adäquate Lernalgorithmen. In Zusammenhang<br />
mit den KNN bedeutet das<br />
Lernen die Aktualisierung der Netzarchitektur<br />
und der Gewichtungen der Verknüpfungen,<br />
um eine spezifische Aufgabe<br />
effizient lösen zu können. Die Leistungen<br />
werden im Laufe der Zeit durch die iterative<br />
Aktualisierung der Gewichte im Netz<br />
verbessert. Anstatt von menschlichen Experten<br />
vorgegebenen Regeln zu folgen,<br />
scheinen die KNN die zugrunde liegenden<br />
Regeln (wie die Beziehungen Input – Output)<br />
aufgrund der Datensammlung von<br />
repräsentativen Beispielen zu erlernen.<br />
Es gibt drei wichtige Lernparadigmen:<br />
überwacht, nicht überwacht und hybrid.<br />
Beim überwachten Lernen erhält das<br />
Netz für jeden Input eine korrekte Antwort<br />
(Output). Die Gewichte werden bestimmt,<br />
um Antworten zu generieren, die den bekannten<br />
richtigen Antworten so nahe wie<br />
möglich kommen. Das nicht überwachte<br />
Lernen erfordert keine assoziierte korrekte<br />
Antwort für jeden Input in der Gesamtheit<br />
der Ausbildungsdaten. Es durchsucht<br />
in den Daten die zugrunde liegende Struktur<br />
oder die Korrelationen zwischen den<br />
Modellen in den Daten und strukturiert,<br />
ausgehend von diesen Korrelationen, die<br />
Modelle in Kategorien. Das hybride Lernen<br />
kombiniert das überwachte und nicht<br />
überwachte Lernen. Die Lerntheorie muss<br />
drei grundsätzliche Fragen und Praktiken<br />
angehen, die mit dem Lernen anhand von<br />
Mustern in Verbindung stehen. Die neuronalen<br />
Netze werden in der Medizin in<br />
vier Bereichen angewendet: Modellierung,<br />
Verarbeitung des bioelektrischen<br />
Signals, Diagnose und Prognose.<br />
Die künstlichen neuronalen Netze bilden<br />
also ein Datenverarbeitungstool, welches,<br />
in gleicher Weise wie die klassische<br />
Statistik, in verschiedenen Bereichen angewendet<br />
werden kann, wo die komplexen<br />
Relationen zwischen Variablen keine<br />
Mangelware sind. Sie sind kein Allheilmittel,<br />
aber eine interessante Alternative zu<br />
den statistischen Methoden, die nicht immer<br />
adäquat sind.<br />
1<br />
Stand up and Walk — «Steh auf und geh».<br />
2<br />
McCullogh WS, Pitts W: Bull Math Biophys, 1943;<br />
5; 115–18.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 37
Fokus<br />
Einstieg in den<br />
Alltag sichern<br />
Patientinnen und Patienten der Psychiatrie sind nach einem<br />
Klinikaustritt besonders suizidgefährdet. Neue Empfehlungen des BAG<br />
sollen diesen Prozess «sicherer» machen.<br />
Esther Walter, MSc Psychologie, MPH Projektleitung Suizidprävention,<br />
Sektion Nationale Gesundheitspolitik, Bundesamt für Gesundheit BAG in Zusammenarbeit mit dem<br />
Fachbeirat des Projektes «Suizidprävention während und nach Psychiatrieaufenthalt»<br />
Hinter jedem Suizidversuch<br />
und jedem Suizid steckt eine<br />
persönliche Geschichte:<br />
manchmal ein langer Leidensweg,<br />
manchmal eine kurzfristige Krise.<br />
Die Hintergründe und Ursachen sind<br />
meist komplex. Jährlich ist in der Schweizer<br />
Bevölkerung von rund 33 000 Suizidversuchen<br />
(selbstberichtet) auszugehen.<br />
[1] Die Bedeutung des Themas ergibt sich<br />
aber nicht allein aus den Zahlen. Suizid<br />
und Suizidversuche im stationären und<br />
unmittelbaren poststationären Bereich<br />
stellen für alle Beteiligten eine grosse Belastung<br />
dar.<br />
«Jeder Suizid, der verhindert werden<br />
kann, ist ein Erfolg, weil es in den meisten<br />
Fällen nicht zu einem späteren Suizid<br />
kommt. Gleichzeitig müssen wir wissen,<br />
dass ein Suizidversuch ein Risikofaktor für<br />
weitere Suizidversuche bedeutet», sagt Julius<br />
Kurmann, Chefarzt Stationäre Dienste,<br />
Luzerner Psychiatrie. Suizidgefährdete<br />
Menschen und Menschen nach Suizidversuchen<br />
müssten daher möglichst bedarfsgerecht,<br />
zeitnah und spezifisch betreut<br />
und behandelt werden. Dazu brauche es<br />
unter anderem wirksame Nachsorgeinterventionen,<br />
bekräftigt Kurmann.<br />
Empfehlungen des BAG<br />
Betroffene weisen während eines Psychiatrieaufenthalts<br />
sowie unmittelbar nach<br />
Austritt ein massiv höheres Suizidrisiko<br />
auf als die Allgemeinbevölkerung. [2] Die<br />
Entlassung aus einer Klinik birgt das Risiko<br />
von Versorgungsbrüchen und kann als<br />
Grund für das höhere Suizidrisiko betrachtet<br />
werden. Fehlt hier die nötige Unterstützung,<br />
kann dies zu einer Überforderung<br />
der Betroffenen (und ihren Angehörigen)<br />
führen.<br />
Es ist daher zentral, dass bei Klinikaustritten<br />
eine frühzeitige und systematische<br />
Nachversorgung aufgegleist wird,<br />
durch Assessments sowie Beratungs-,<br />
Schulungs- und Koordinationsleistungen<br />
zur Suizidprävention.<br />
Um die Problematik der Suizide und<br />
Suizidversuche während und nach Aufenthalten<br />
in der Psychiatrie präventiv anzugehen,<br />
hat das BAG zusammen mit einer<br />
Projektgruppe im Rahmen des Nationalen<br />
Aktionsplans Suizidprävention [3]<br />
die Broschüre «Suizidprävention bei Klinikaustritten.<br />
Empfehlungen für Gesundheitsfachpersonen»<br />
erarbeitet. [4] Die Broschüre<br />
richtet sich in erster Linie an<br />
Leitungsgremien und Führungskräfte in<br />
psychiatrischen Kliniken und ihre Mitarbeitenden<br />
sowie an Gesundheitsfachpersonen,<br />
die Patientinnen und Pa tien ten*<br />
nach einem Psychiatrieaufenthalt weiterbehandeln.<br />
Im Folgenden werden Auszüge<br />
aus den Empfehlungen aufgeführt: [4]<br />
1. Beim stationär-ambulanten Übergang<br />
das Suizidrisiko einschätzen<br />
und das entsprechende Risikomanagement<br />
gewährleisten. Beim Einschätzen<br />
des Suizidrisikos gilt es, alle<br />
relevanten Informationen und Faktoren<br />
inkl. der psychosozialen Situation im<br />
Alltag der Betroffenen zu berücksichtigen.<br />
2. Angehörige oder Vertrauenspersonen<br />
beim stationär-ambulanten<br />
Übergang einbeziehen. Angehörige zu<br />
befähigen und zu beraten, ist ein zentraler<br />
Aspekt der Suizidprävention. Stimmen<br />
Patienten dem Einbezug nicht zu,<br />
sind Angehörige auf entsprechende Angebote<br />
hinzuweisen.<br />
3. Vor Austritt eine ambulante Nachsorge<br />
einrichten – verbindlich und zeitnah.<br />
Frühzeitig vor dem Austritt soll ein<br />
zeitnaher Termin bei der nachbehandelnden/-betreuenden<br />
Fachperson vereinbart<br />
werden. Dieser bietet den Patienten<br />
Sicherheit.<br />
4. Vor Austritt eine Brückenkonferenz<br />
durchführen. An einem Rundtischgespräch<br />
stimmen sich Patienten mit ihren<br />
Angehörigen und Fachpersonen vor<br />
Klinikaustritt ab.<br />
5. Vor oder nach Austritt eine Brückenhilfe<br />
einrichten. Ein begleiteter Besuch<br />
im privaten Lebensumfeld vor<br />
oder kurz nach Austritt unterstützt Patienten<br />
sowie Angehörige beim stationär-ambulanten<br />
Übergang. Als Begleitung<br />
bieten sich Bezugspersonen des<br />
stationären Aufenthalts oder der ambulanten<br />
Nachsorge an. Durch die Intervention<br />
zu Hause sollen Probleme mit<br />
der Alltagsbewältigung, aber auch Suizidmöglichkeiten<br />
angesprochen und<br />
wenn möglich minimiert werden.<br />
6. Spätestens vor Austritt künftige potenzielle<br />
suizidale Krisen besprechen<br />
und Massnahmen zur Vorbeugung<br />
suizidaler Krisen erarbeiten.<br />
38<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Fokus<br />
Um künftige suizidale Krisen auffangen<br />
zu können, gibt es unterschiedliche Instrumente,<br />
die sich kombinieren lassen,<br />
wie «Shared Decision Making» und «Advance<br />
Care Planning».<br />
7. Gewährleisten, dass Gesundheitsfachpersonen<br />
des stationären und<br />
des ambulanten Settings fachlich in<br />
der Suizidprävention «up to date»<br />
sind, und berufliche Rahmenbedingungen<br />
schaffen, damit Suizidprävention<br />
«gelebt» werden kann. Gesundheitsfachpersonen<br />
müssen ihr Wissen<br />
über Suizidprävention kontinuierlich<br />
auffrischen.<br />
Die sieben Empfehlungen sollen Gesundheitsfachleute<br />
darin unterstützen,<br />
die Problematik der Suizide und Suizidversuche<br />
während und nach Aufenthalten<br />
in der Psychiatrie aufzugreifen und präventiv<br />
vorzugehen. Die vollständigen Ausführungen<br />
sind als pdf-Version oder als<br />
gedruckte Broschüre gratis erhältlich (Informationen<br />
unter www.bag.admin.ch/<br />
suizidpraevention ➝ Suizidprävention in<br />
der psychiatrischen Versorgung).<br />
Dieser Artikel wurde erstmals in der<br />
Schweizerischen Ärztezeitschrift (Ausgabe<br />
<strong>2020</strong>/09) veröffentlicht.<br />
* Aus Gründen der Lesbarkeit wird nachfolgend<br />
bei Personenbezeichnungen die männliche Form<br />
gewählt, es ist jedoch immer die weibliche Form<br />
mitgemeint.<br />
Literaturverzeichnis<br />
[1] Peter C, Tuch A. Suizidgedanken und<br />
Suizidversuche in der Schweizer Bevölkerung.<br />
Obsan Bulletin 7/2019. Schweizerisches Gesundheitsobservatorium:<br />
Neuchâtel; 2019.<br />
[2] Gregorowius D, Huber H. Literaturrecherche<br />
zu Suiziden und Suizidversuchen während<br />
und nach Psychiatrieaufenthalt: Schlussbericht.<br />
Bericht der Stiftung Dialog Ethik zum Projekt im<br />
Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG):<br />
Bern und Zürich; 2018.<br />
[3] Nationaler Aktionsplan Suizidprävention.<br />
www.bag.admin.ch/suizidpraevention--><br />
Suizidprävention in der psychiatrischen<br />
Versorgung (7.1.<strong>2020</strong>).<br />
[4] Suizidprävention bei Klinikaustritten.<br />
Empfehlungen für Gesundheitsfachpersonen.<br />
Bundesamt für Gesundheit und Projektgruppe Suizidprävention<br />
bei Klinikaustritten; 2019.<br />
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<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 39
Fokus<br />
Hausarzt und<br />
Spital in<br />
Zusammenarbeit<br />
Eine strukturierte Kooperation von Hausärzten, Spezialärztinnen<br />
und Spitalmedizinern ist Grundstein für einen kontinuierlichen<br />
longitudinalen therapeutischen Prozess von hoher Qualität und ein<br />
Elixier gegen Stress und Überlastung der Spitalärzte.<br />
Bruno Kissling 1 und Peter Ryser 1<br />
Eine erfolgreiche und personenbezogene<br />
Behandlung von Patientinnen<br />
und Patienten, insbesondere<br />
wenn sie an chronischen<br />
Krankheiten leiden, erfordert eine<br />
strukturierte Kooperation unter allen therapeutisch<br />
involvierten Fachpersonen und<br />
Instanzen. Dabei ist der Hausarzt in der<br />
Regel zuständig für die langzeitige Perspektive<br />
des personenbezogenen therapeutischen<br />
Prozesses. Wo erforderlich, werden<br />
punktuell ambulant tätige Spezialisten<br />
beigezogen. In Krisensituationen wird<br />
gelegentlich ein Spitalaufenthalt nötig.<br />
Ein unkoordinierter «Fall»<br />
Ein betagter, gesundheitlich fragiler, aber<br />
noch eigenständig lebender Senior mit einem<br />
altbekannten leichten Diabetes und<br />
einer kompensierten Herzinsuffizienz<br />
wird am Abend in somnolentem Zustand<br />
notfallmässig ins Spital eingewiesen. Die<br />
Diagnose lautet: beginnende Sepsis. Diese<br />
hat sich aus einer «banalen» Infektion entwickelt.<br />
Unter parenteraler Rehydrierung<br />
und Antibiotikagabe sowie Umstellung<br />
der bestehenden peroralen Diabetesbehandlung<br />
auf Insulin kann der Zustand<br />
des Patienten rasch stabilisiert werden.<br />
Die Abteilungsärztin auf der Bettenstation<br />
lernt ihren neuen Patienten vor allem aus<br />
den Akten der Notfallaufnahme kennen.<br />
Sie behandelt ihn für das aktuelle Leiden<br />
und organisiert die Abklärung von weiteren<br />
pathologischen Befunden, die bei der<br />
Eintrittsuntersuchung festgestellt wurden,<br />
mit Laboranalysen, bildgebenden<br />
Verfahren und Konsilien. Gestresst durch<br />
diese Fülle von organisatorischen und administrativen<br />
Arbeiten findet sie kaum<br />
Zeit für das Gespräch mit dem Patienten<br />
und seinen Angehörigen. Die Diskussionen<br />
über seine aktuelle gesundheitliche<br />
Situation in seinem Lebenskontext und<br />
über den Stellenwert medizinischer Zusatz<br />
untersuchungen in Bezug auf seine<br />
Vorstellung von Lebensqualität fallen weg.<br />
Nach einigen Tagen kann sie den Patienten<br />
nach Hause entlassen. Mit einer langen<br />
Diagnoseliste, mit einer verwirrenden<br />
Liste von alten und neuen Medikamenten,<br />
mit einer Insulintherapie, die den Patienten<br />
künftig von der Spitex abhängig macht,<br />
und mit einer Liste von weiteren Abklärungsvorschlägen<br />
an den Hausarzt.<br />
Kontextuelle Zusatzinformationen<br />
Der Patient in unserer Fallgeschichte hatte<br />
mit seinem langjährigen Hausarzt vereinbart,<br />
dass ihm bei allen medizinischen<br />
Entscheidungen der Erhalt seiner Unabhängigkeit<br />
das wichtigste Anliegen sei.<br />
Bis zur akuten gesundheitlichen Krise,<br />
die ihn ins Spital gebracht hat, hatte er seinen<br />
Gesundheitszustand in biologischer,<br />
psychischer und sozialer Hinsicht als gut<br />
eingeschätzt. Mit den Einschränkungen<br />
infolge der diagnostizierten Krankheiten<br />
kam er gut und selbständig zurecht. Die<br />
medizinischen Massnahmen, die er zusammen<br />
mit seinem Hausarzt festgelegt<br />
hatte, standen im Einklang mit seinem Ziel<br />
der Unabhängigkeit in seinem Lebenskontext,<br />
mit seinen Vorstellungen, Erwartungen,<br />
Werten, Ressourcen und Zielen.<br />
Kritischer Informationsverlust …<br />
Durch eine Hospitalisation entsteht ein<br />
Bruch im longitudinalen Behandlungsprozess.<br />
Die Therapieverantwortlichkeit<br />
wechselt oft brüsk vom Hausarzt zum Spital.<br />
Damit geht ein Informationsverlust<br />
einher. Dieser betrifft weniger die «hard<br />
facts» – Resultate früherer Untersuchungen,<br />
sondern vielmehr die «soft facts» –<br />
die kontextuellen Aspekte, auf denen das<br />
individuelle Krankheitserleben des Patienten<br />
und die Logik früherer Behandlungsentscheide<br />
beruhen. Das Wissen um<br />
diese komplexen «soft facts» hat sich während<br />
der langjährigen Zusammenarbeit<br />
von Hausarzt und Patient ergeben und ist<br />
meistens nicht in der Krankengeschichte<br />
niedergeschrieben.<br />
Für den Spitalarzt ist es eine grosse Herausforderung,<br />
dieses wegweisende und<br />
40<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Fokus<br />
entscheidungsrelevante persönliche Hintergrundwissen<br />
im Gespräch mit dem Patienten<br />
und seinen Angehörigen zu ergründen.<br />
Seine verfügbare Zeit während<br />
der DRG-optimierten wenigen Hospitalisationstage<br />
ist limitiert. Der Spitalpatient<br />
ist infolge seiner reduzierten gesundheitlichen<br />
Situation oft nicht in der Verfassung,<br />
an Entscheidungen mitzuwirken.<br />
Leider denkt der Spitalarzt oft nicht daran,<br />
dass er den Hausarzt als Ressource einbeziehen<br />
könnte.<br />
… mit unnötigen Risiken<br />
Eine fehlende Kooperation zwischen Spital<br />
und Hausarzt gefährdet die Kohärenz<br />
des therapeutischen Prozesses. Ungenügendes<br />
Wissen um die «soft facts» kann zu<br />
Abklärungen und Therapien führen, die<br />
für den betreffenden Patienten nicht relevant<br />
sind und ihn unnötigen Risiken aussetzen.<br />
Personenbezogenes Resultat<br />
durch Kooperation<br />
Mit einem Telefonanruf beim Hausarzt<br />
können die Spitalärzte mit relativ geringem<br />
zeitlichem Aufwand viel kontextuell<br />
Bedeutendes über den Patienten erfahren.<br />
Umgekehrt kann der Hausarzt in seinem<br />
Zuweisungsschreiben oder telefonisch<br />
einen Behandlungsauftrag umschreiben<br />
und dem zuständigen Spitalarzt<br />
mitteilen, unter welchen Umständen er in<br />
die Entscheidungen mit einbezogen werden<br />
sollte.<br />
Diese Kooperation unterstützt personenbezogene<br />
und lösungsorientierte Entscheidungen<br />
in geteilter Verantwortung<br />
und führt zu zielorientierten Lösungen für<br />
den Patienten.<br />
Der Einbezug der Ressource Hausarzt<br />
als Informationsquelle nicht nur für die<br />
«hard facts», sondern auch für die «soft<br />
facts» wirkt sich insgesamt günstig auf Arbeitsbelastung<br />
2 und Stress der Spitalärzte<br />
aus. Es steht ihnen mehr Zeit für das Gespräch<br />
mit dem Patienten zur Verfügung.<br />
Diese Kooperation fördert die therapeutische<br />
Effizienz und Behandlungsqualität<br />
sowie die Zufriedenheit von Patienten und<br />
Ärzten – und wirkt präventiv gegen Burnout.<br />
Ganz zu schweigen von den günstigen<br />
Auswirkungen auf die Kosten.<br />
1<br />
Co-Autoren des Buches «Die ärztliche Konsultation<br />
– systemisch-lösungsorientiert», Bruno<br />
Kissling, Peter Ryser, Vandenhoeck & Ruprecht,<br />
Göttingen, 2019 s. Kasten.<br />
2<br />
Geht es jungen Hausärzten gut?, Marcel Marti,<br />
<strong>VSAO</strong> Journal 2/20.<br />
Bruno Kissling, Dr. med., Hausarzt<br />
Peter Ryser, dipl. Sozialarbeiter HFS,<br />
systemisch-lösungsorientierter Berater<br />
und Supervisor<br />
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht,<br />
Göttingen<br />
Erschienen im Oktober 2019<br />
Der Kauf des Buches erlaubt das<br />
Gratis-Streaming der Dokumentarfilmtrilogie<br />
«Am Puls der Hausärzte»<br />
von Sylviane Gindrat<br />
[Französischer Titel: «Du côté des<br />
médecins» – trilogy ]<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 41
Perspektiven<br />
Aktuelles aus der Gastroenterologie: Zöliakie<br />
Das Chamäleon<br />
erkennen<br />
Zöliakie ist bezüglich Symptomen und Schwere der Erkrankung<br />
höchst unterschiedlich. Umso wichtiger ist eine frühzeitige Abklärung.<br />
Eine glutenfreie Diät ist bislang die einzige Therapie;<br />
Studien für andere Ansätze befinden sich in Phase II oder III.<br />
Prof. Dr. med. Stephan Vavricka 1,3<br />
PD Dr. med. Jonas Zeitz 2,3<br />
Die Zöliakie ist eine chronische,<br />
entzündliche Erkrankung<br />
des Dünndarms, welche<br />
immunologisch vermittelt ist<br />
und genetisch prädisponierte Individuen<br />
betrifft [1]. Durch die Aufnahme von Gluten<br />
kommt es zu einer Schädigung des<br />
Dünndarms, die durch Schleimhautentzündung,<br />
Kryptenhyperplasie und Zotten<br />
atrophie gekennzeichnet ist und im<br />
Verlauf zu einer Malabsorption von Nährstoffen<br />
und damit verbundenen Komplikationen<br />
führen kann [2]. Gluten ist eine<br />
Proteinkomponente von verschiedenen<br />
Getreidesorten wie beispielsweise Weizen,<br />
Hafer, Roggen und Gerste. Die erste,<br />
neuere Beschreibung der Zöliakie erfolgte<br />
schon im Jahr 1888 durch den englischen<br />
Arzt Samuel Gee. Erste Einblicke in die<br />
Pathogene der Zöliakie gab es bereits<br />
während des Zweiten Weltkrieges: Der<br />
Arzt Willem Karel Dicke beobachtete,<br />
dass sich Patienten mit rezidivierender<br />
Diar rhö besserten, wenn in Zeiten der<br />
Nahrungsmittelknappheit hauptsächlich<br />
nicht weizenhaltige Lebensmittel verzehrt<br />
wurden [3].<br />
Die ersten Beschreibungen der durch<br />
Gluten im Dünndarm verursachten Schäden<br />
mit duodenaler Schleimhautentzündung,<br />
Kryptenhyperplasie und villöser<br />
Atrophie wurden 1954 veröffentlicht<br />
[4].<br />
Früher wurde die Zöliakie als eine seltene<br />
Kindererkrankung angesehen. Durch eine<br />
verbesserte Diagnostik, insbesondere<br />
durch die Nachweis von Endomysiumund<br />
Transglutaminase-Antikörpern, kam<br />
es zu einer signifikanten Zunahme der Diagnose<br />
der Erkrankung allgemein, mit einer<br />
ebenfalls deutlichen Zunahme der Diagnose<br />
der Erkrankung im Erwachsenenalter<br />
[5].<br />
Epidemiologie<br />
In der Vergangenheit lag eine Unterdiagnose<br />
der Zöliakie vor; aufgrund der Entwicklung<br />
serologischer Tests konnte die<br />
Einschätzung der Inzidenz und Prävalenz<br />
der Zöliakie in den letzten Jahren jedoch<br />
stark verbessert werden [6, 7]. In einer finnischen<br />
Studie konnte eine Prävalenz von<br />
einem Prozent bei Kindern nachgewiesen<br />
werden [8]. Bei Erwachsenen wurden sowohl<br />
in den USA als auch in europäischen<br />
Ländern ähnliche Prävalenzen festgestellt<br />
[9–13]. Insgesamt ist ein Anstieg der Zöliakieprävalenz<br />
zu verzeichnen, eine finnische<br />
Studie zeigte über ungefähr 20 Jahre<br />
eine Verdopplung der Prävalenz und Studien<br />
aus den Vereinigten Staaten belegen<br />
eine 4- bis 4,5-fache Zunahme der Prävalenz<br />
über die letzten 50 Jahre [14, 15]. Gewisse<br />
Risikopopulationen wie Verwandte<br />
ersten und zweiten Grades mit Zöliakie<br />
zeigen eine höhere Prävalenz [16]. In Be<br />
zug auf das Geschlecht gibt es eine weibliche<br />
Dominanz mit einem Verhältnis von<br />
Frauen zu Männern von 3 zu 2 [17].<br />
Pathogenese<br />
Neben der Exposition gegenüber Gluten<br />
werden verschiedene andere umweltbedingte<br />
und genetische Faktoren als die<br />
Hauptfaktoren in der Pathogenese der<br />
Zöliakie angesehen.<br />
Es wird angenommen, dass fast 100<br />
Prozent aller Patienten mit Zöliakie Varian<br />
ten der HLA-Klasse-II-Gene HLA-<br />
DQA1 und HLA-DQB1 tragen [18]. Da jedoch<br />
30 bis 40 Prozent der Allgemeinbevölkerung<br />
Träger von DQ2 und/oder DQ8<br />
sind, reicht der HLA-Test allein nicht für<br />
die Diagnose von Zöliakie aus. Er kann<br />
aber aufgrund seines sehr hohen negativen<br />
Vorhersagewerts von fast 100 Prozent<br />
zum Ausschluss von Zöliakie verwendet<br />
werden.<br />
Gluten ist der Hauptumweltfaktor bei<br />
der Pathogenese der Zöliakie, es ist ein<br />
Speicherprotein, das in Getreiden wie<br />
Weizen, Gerste und Roggen enthalten ist.<br />
Die Aufnahme von Gluten führt zu einer<br />
adaptiven Immunantwort und auch zu einer<br />
Immunreaktion, ausgelöst durch die<br />
angeborene Immunantwort, welche den<br />
Dünndarmschaden bei der Zöliakie auslöst<br />
[19–23]. Verschiedene Umweltfaktoren<br />
wie das Stillen, Veränderungen der<br />
42<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Perspektiven<br />
Darmflora und Infektionen werden zudem<br />
als Faktoren bei der Pathogenese der Zöliakie<br />
diskutiert [24–26].<br />
Klinik<br />
Da die klinischen Symptome der Zöliakie<br />
und die Schwere der Erkrankung sehr unterschiedlich<br />
sein können, wird die Erkrankung<br />
auch häufig als das Chamäleon<br />
der Gastroenterologie bezeichnet. In Bezug<br />
auf die klinischen Manifestationen<br />
werden gastrointestinale und extraintestinale<br />
Manifestationen unterschieden (Tabelle<br />
1).<br />
Im Rahmen der Zöliakie kann es zum<br />
einen zu den klassischen gastrointestinalen<br />
Symptomen der Erkrankung wie<br />
Durchfall, Steatorrhoe und Flatulenz<br />
kommen. Die Malabsorption im Dünndarm<br />
kann im Kindesalter zu Wachstumsstörungen,<br />
Anämie und Gewichtsverlust<br />
führen. Zusätzlich können neurologische<br />
Probleme wie periphere Neuropathie sowie<br />
Polyneuropathie auftreten [27]. Bei<br />
Betroffenen mit unbehandelter Zöliakie<br />
kommt es häufiger zu einem Mangel an<br />
Eisen, Folsäure, Vitamin A, B12, B6 und D,<br />
Kupfer, Zink und Carnitin [28].<br />
Durch einen Mangel an Vitamin D<br />
und Kalzium kann es zu Osteopenie und<br />
im weiteren Krankheitsverlauf zu Osteoporose<br />
kommen. Bei bis zu 75 Prozent der<br />
Zöliakiepatienten wird eine Osteopenie<br />
oder Osteoporose diagnostiziert. Entsprechend<br />
ist bei Patienten mit Zöliakie das<br />
Frakturrisiko um 40 Prozent höher als bei<br />
alters- und geschlechtsangepassten gesunden<br />
Kontrollpersonen.<br />
Im Rahmen einer Hautbeteiligung<br />
kann es zu oralen Aphthen und auch zur<br />
sog. Dermatitis herpetitiformis Duhring<br />
kommen. Die Dermatitis herpetiformis<br />
Duhring ist eine Autoimmunerkrankung<br />
mit Blasenbildung der Haut, welche zu<br />
starkem Juckreiz und Brennen führt [29,<br />
30].<br />
Diagnose<br />
Die Diagnose soll insbesondere bei Patienten<br />
mit Reizdarmsymptomen, aber auch<br />
bei Personen mit hohem Risiko für eine<br />
Zöliakie gesucht werden. Zu den Patientenpopulationen<br />
mit hohem Risiko gehören<br />
Patienten mit erst- oder zweitgradigen<br />
Verwandten sowie Patienten mit Diabetes<br />
mellitus Typ 1, Eisenmangel, Osteoporose<br />
bei jungen Patienten, polyglandulärem<br />
Autoimmunsyndrom, Downsyndrom, autoimmune<br />
Thyreoiditis, Turner-Syndrom,<br />
Patientinnen mit Infertilität, Patienten<br />
mit erhöhten Leberwerten, bei autoimmuner<br />
Hepatitis und primär biliären Cholangitis<br />
[16].<br />
Der Goldstandard in der Zöliakiediagnostik<br />
stellt die obere Endoskopie mit<br />
Biopsieentnahme aus dem Duodenum zusammen<br />
mit einer positiven Serologie dar.<br />
Bei hohem klinischem Verdacht ist eine<br />
Gastroskopie auch bei negativen Antikörpern<br />
durchzuführen. Häufig werden bei<br />
einer niedrigen bis mittleren Vortestwahrscheinlichkeit<br />
serologische Tests durchgeführt.<br />
Die hohe Aussagekraft dieser Tests<br />
(Antiendomysium-IgA-Antikörper: Sensitivität<br />
95%, Spezifität 99%; Transglutaminase-IgA-Antikörper:<br />
Sensitivität 87%,<br />
Spezifität 95%) erlaubt eine treffsichere<br />
Diagnose. Zu beachten ist, dass die Zöliakie<br />
mit einem IgA-Mangel assoziiert sein<br />
kann, so dass der gesamt IgA-Spiegel mitbestimmt<br />
werden sollte. Im Falle eines<br />
IgA-Mangels empfiehlt sich ergänzend die<br />
Bestimmung der IgG-Antikörper. Die Höhe<br />
des Antikörpertiters korreliert mit dem<br />
Ausmass der histologischen Veränderungen,<br />
nämlich je höher der Titer, desto ausgeprägter<br />
ist die zu erwartende Zottenatrophie.<br />
Unter Therapie mit glutenfreier Diät<br />
verbessert sich die Diarrhoe der Patienten<br />
innerhalb einiger Tage (im Mittel vier Wochen),<br />
zwei Drittel der Patienten zeigen<br />
eine komplette Erholung von allen Symptomen<br />
innerhalb von sechs Monaten. Die<br />
Serologie normalisiert sich normalerweise<br />
innerhalb von drei bis sechs Monaten (es<br />
kann aber bis zu 24 Monate dauern), die<br />
Histologie normalisiert sich innerhalb von<br />
sechs bis zwölf Monaten (auch hier kann<br />
es aber Jahre dauern). Somit eignet sich<br />
Gastrointestinale Symptome<br />
Diarrhoe, Steatorrhoe<br />
Chronische abdominelle Schmerzen<br />
Obstipation<br />
Übelkeit, Erbrechen<br />
Flatulenz, Aufgeblähtsein<br />
die Serologie auch als Parameter für die<br />
Überwachung der Diät-Compliance.<br />
Die Zöliakiediagnose hat lebenslange,<br />
relativ einschneidende Konsequenzen für<br />
die Betroffenen, so dass die histologische<br />
Absicherung in der Initialabklärung immer<br />
gerechtfertigt ist. Histologisch findet<br />
man eine Vermehrung intraepithelialer<br />
Lymphozyten, Vermehrung von Lymphozyten<br />
und Plasmazellen in der Lamina<br />
propria, verminderte Zottenlänge, Kryptenhyperplasie<br />
und abnorme Enterozyten.<br />
Diese Veränderungen bleiben auf die<br />
Mukosa und in der Regel auf das Duodenum<br />
und das proximale Jejunum beschränkt.<br />
Atypische oder fokale Befallsmuster<br />
kommen aber ebenfalls vor, so<br />
dass mindestens vier Biopsien aus dem<br />
tiefen Duodenum (und zwei aus dem Bulbus<br />
duodeni) entnommen werden sollen.<br />
Die HLA-Typisierung wird ansonsten als<br />
erster Screeningtest bei asymptomatischen<br />
Individuen mit erhöhtem genetischem<br />
Risiko für Zöliakie eingesetzt; fällt<br />
sie negativ aus, ist eine Zöliakie praktisch<br />
ausgeschlossen.<br />
Therapie und Zukunft<br />
Zurzeit besteht die einzige Therapiemöglichkeit<br />
der Zöliakie in der lebenslangen<br />
strikten glutenfreien Diät. Dabei sollen<br />
insbesondere Getreidesorten wie Weizen,<br />
Gerste, Roggen, Dinkel, Grünkern, Kamut,<br />
Einkorn, Emmer und Triticale eliminiert<br />
werden. Hafer darf nur in geringen Mengen<br />
konsumiert werden. Patienten mit<br />
Zöliakie sollten beachten, dass insbesondere<br />
Fertigprodukte häufig glutenhaltige<br />
Zutaten (Emulgatoren, Geliermittel, Träger<br />
von Aromastoffen) enthalten können.<br />
Extraintestinale Symptome<br />
Anämie<br />
Gewichtsverlust<br />
Osteopenie/Osteoporose<br />
Wachstumsretardierung bei Kindern<br />
Neurologische Störungen<br />
(Polyneuropathie, periphere Neuropathie,<br />
Tetani, Muskelschwäche)<br />
Nachtblindheit<br />
Hämatome<br />
Aphthen<br />
Ödeme<br />
Hautverändeurng einschl. Dermatitis<br />
herpetiformis Duhring<br />
Arthritiden, Arthralgien<br />
Tabelle 1: Gastrointestinale and extraintestinale Manifestationen der Zöliakie<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 43
Perspektiven<br />
Es sind mehrere Phase-II- und Phase-III-Studien<br />
im Gange, welche andere<br />
Therapiemöglichkeiten der Zöliakie prüfen.<br />
Dazu gehören Gliadin-spaltende Enzyme,<br />
Tightjunction-Agonisten oder die<br />
Impfung.<br />
Wie eine glutenfreie Diät durchgeführt<br />
wird, sollte immer zusammen mit<br />
einer Ernährungsberatung besprochen<br />
werden. Zudem empfehlen die Autoren<br />
auch, dass Neudiagnostizierte der IG Zöliakie<br />
(der Schweizerischen Patientenorganisation)<br />
beitreten. Bezüglich der Nachsorge<br />
soll neben der periodischen Bestimmung<br />
der Zöliakie-Antikörper auch eine<br />
jährliche Bestimmung von Blutbild sowie<br />
von Vitaminen und Spurenelementen<br />
(Ferritin, Zink, Vitamin B12, Folsäure, Vi<br />
tamin D) erfolgen. Und zu guter Letzt sollte<br />
eine Osteodensitometrie nicht vergessen<br />
werden.<br />
1<br />
Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie,<br />
Zürich, Schweiz<br />
2<br />
GastroZentrum Hirslanden, Zürich, Schweiz<br />
3<br />
Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie,<br />
UniversitätsSpital Zürich, Zürich, Schweiz<br />
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4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Perspektiven<br />
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biopsy specimens from patients<br />
with coeliac disease. Gut. 1999;<br />
44(1): 17–25. Epub 1998/12/24. doi:<br />
10.1136/gut.44.1.17. PubMed PMID:<br />
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PubMed PMID: 21640850.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 45
Perspektiven<br />
Aus der «Praxis» *<br />
Recurrent Urogynecological Infections<br />
Rezidivierende<br />
urogynäkologische<br />
Infektionen<br />
Cornelia Betschart, Ioannis Dedes und David Scheiner,<br />
Klinik für Gynäkologie, Universitätsspital Zürich<br />
Mehr als 250 verschiedene<br />
Bakterienarten besiedeln<br />
den Urogenitaltrakt und<br />
leben in einer Symbiose<br />
[1]. Das Zusammenleben dieser Bakterien<br />
(Mikrobiom) gewährt eine solide Immunität<br />
gegenüber krankmachenden Keimen.<br />
Wann und weshalb das Gleichgewicht des<br />
urogenitalen Mikrobioms zum Kippen<br />
kommt, ist unbekannt. Auch von Organen<br />
oder Hohlräumen wie Blase und Gebärmutter,<br />
die früher als steril angesehen<br />
wurden, wissen wir heute, dass sie ein Mikrobiom<br />
beherbergen. Dieses scheint eine<br />
wichtige Funktion im Erhalt der urogenitalen<br />
Gesundheit zu haben.<br />
Gewisse Mikroben dagegen sind obligat<br />
pathogen und sexuell übertragbar. Sie<br />
Im Artikel verwendete Abkürzungen<br />
DQC Dequaliniumchlorid<br />
HSV Herpes-simplex-Virus<br />
L. Lactobacillus<br />
M. Mykoplasma<br />
PID Pelvic inflammatory disease<br />
STD Sexually transmitted disease<br />
U. Ureaplasma<br />
* Der Artikel erschien ursprünglich in der «Praxis»<br />
<strong>2020</strong>; 109 (2): 79–85. MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-Mitglieder<br />
können die «Praxis» zu äusserst günstigen<br />
Konditionen abonnieren. Details siehe unter<br />
www.hogrefe.ch/downloads/vsao.<br />
sind sichere Verursacher von Infekten,<br />
während andere Keime vielmehr eine Dysbalance<br />
ohne inflammatorische Reaktion<br />
hervorrufen. Solche Dysbalancen können<br />
Veränderungen des Fluor vaginalis oder<br />
irritative Beschwerden der Urethra verursachen<br />
und gelten als fakultativ pathogen.<br />
Ein typisches Beispiel ist die durch Gardnerellen<br />
ausgelöste «Vaginose», die im<br />
Unterschied zu anderen Erregern keine<br />
Entzündungen wie Vulvitis, Kolpitis, Urethritis<br />
oder Adnexitis verur sachen. Im Folgenden<br />
werden die normale Flora, die<br />
Dys balance und die pathogene Flora von<br />
Vulva, Vagina und unterem Harntrakt<br />
beschrieben (Tabelle 1). Die Diagnostik<br />
und Behandlung von rezidivierenden<br />
Harnwegsinfek tionen werden in diesem<br />
Review nicht erläutert. Dazu wird auf den<br />
Expertenbrief der SGGG (no. 61; https://<br />
www.sggg.ch/fileadmin/user_upload/58_<br />
Akute_und_r ezidivierende_Harnwegsinfekte.pdf)<br />
verwiesen.<br />
Normale urogenitale Flora<br />
Die physiologische urogenitale Flora<br />
spielt eine Schlüsselrolle in der Infektprävention<br />
[2]. Eine stabile Flora schützt vor<br />
Candidainfektion, bakterieller Vaginose,<br />
Harnwegs infektionen und sexuell übertragbaren<br />
Erkrankungen. In der Vagina<br />
wurden durch «genomic sequencing» ribosomaler<br />
Gene über 250 Bakterienarten<br />
identifiziert [3]. Die übliche Bakterienkultur<br />
konnte bisher eine solche Vielzahl an<br />
Keimen nicht nachweisen. Die Bakterien<br />
der vaginalen Flora leben in Symbiose mit<br />
15 Laktobazillusarten. Die wichtigsten<br />
Vertreter sind Lactobacillus (L.) crispatus,<br />
L. gasseri, L. iners und L. jensenii. Diese<br />
Lactobazillen sind Anaerobier und halten<br />
durch die Produktion von Milchsäure den<br />
Scheiden-pH tief: Der physiologische pH-<br />
Wert beträgt 3,8–4,4 bei prämenopausalen<br />
Kaukasierinnen und über 4,5 in der Menopause.<br />
Ein tiefer pH-Wert impliziert ein<br />
bakteriostatisches und selektiv bakteriozides<br />
Milieu. Speziell L. crispatus wird in der<br />
Flora von gesunden Frauen gefunden,<br />
während nach Antibiotikatherapie oder<br />
bei bakterieller Vaginose vermehrt L. iners<br />
nachzuweisen ist [4]. Die normale vaginale<br />
Flora kann durch die lokale Gabe von Lactobazillus-Stämmen<br />
und Milchsäure-Präparaten<br />
unterstützt werden, wie eine Studie<br />
mit prämenopoausalen Frauen zeigte:<br />
10 Millionen lebende Lactobacilli acidophili<br />
in lyophilisierter Form in Kombination<br />
mit 0,03 mg Estriol verbesserten deutlich<br />
die Flora bei Frauen mit Vaginose,<br />
und die initial nachgewiesenen Gardnerellen<br />
und Strep tokokken nahmen nach<br />
zwölf Tagen um 50 % ab [5]. In einem zweiten<br />
Arm in dieser Studie wurde Patientinnen<br />
das Antibiotikum Metronidazol vaginal<br />
verabreicht. Es stellt sich die Frage, ob<br />
sich diese beiden Applikationen (L. acidophilus<br />
versus Metronidazol) in der Langzeitwirkung<br />
unterscheiden. Die Antwort<br />
liefert die randomisiert-kontrollierte Stu<br />
46<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Perspektiven<br />
die von Donders mit einem Follow-up von<br />
vier Monaten: L. acidophilus und Metronidazol<br />
waren beide vergleichbar hinsichtlich<br />
Wiederherstellung der Scheidenflora.<br />
In Zukunft dürften die positive Beeinflussung<br />
der Vaginalflora und des Biofilms<br />
sowie die aktive Immunisierung als erfolgsversprechende<br />
Therapiekonzepte<br />
weiter untersucht werden und die bisherigen<br />
Therapien rezidivierender Infekte revolutionieren.<br />
Gestörte Vaginalflora ohne<br />
Infektion<br />
Gewisse Bakterien wie Ureaplasmen, Mobilunculus,<br />
Atopobium u.a. sind mögliche<br />
Marker für eine gestörte Va ginalflora,<br />
nicht jedoch direkt als pathogene Keime<br />
zu werten. Auch eine leichtgradige bakterielle<br />
Vaginose, die einen Biofilm bildet,<br />
kann deutlich hartnäckiger zu therapieren<br />
sein als eine ausgeprägte bakterielle Vaginose<br />
ohne Biofilm. Man kann meistens<br />
davon ausgehen, dass bei wiederholten<br />
Kontrollen immer wieder dieselben Keime<br />
(Gardnerellen, Ureaplasmen und andere<br />
Vertreter der fraglich pathogenen Vaginalflora)<br />
nachgewiesen werden. Zudem ist<br />
die Wertigkeit des Anlegens von vaginalen<br />
Bakterienkulturen und von PCR-Tests<br />
hinsichtlich ihrer Sensitivität fraglich, solange<br />
nicht erforscht ist, welche Keime<br />
wirklich pathogenetisch relevant sind.<br />
Vulvovaginale Pathologien<br />
Vulvovaginale Infektionen führen zu Beschwerden<br />
wie Juckreiz, übelriechendem<br />
Fluor oder Brennen. Klagt eine Patientin<br />
über genitales Brennen und dies typischerweise<br />
während oder nach der Miktion,<br />
dann kann durchaus ein urethraler<br />
Infekt vorliegen. Ebenso kann aber bei einer<br />
vulvovaginalen Entzündung der aus<br />
dem Meatus externus der Urethra austretende<br />
Urin das Brennen verursachen. Somit<br />
können solche dysurische Beschwerden<br />
sowohl urethral als auch vulvovaginal<br />
verursacht sein.<br />
Bakterielle Vaginose<br />
(anaerobe Vaginose)<br />
Die bakterielle Vaginose ist, wie der Begriff<br />
Vaginose besagt, keine Entzündung. Mit<br />
einer Prävalenz von 30 % ist sie das häufigste<br />
vaginale Syndrom bei Frauen im<br />
gebär fähigen Alter [6]. Typisch ist das<br />
reichliche Vorliegen von anaeroben Bakterien<br />
bei fehlender Leukozytose. Es findet<br />
sich oft ein wässriger oder gräulichen<br />
Fluor, der pH-Strei fentest zeigt einen pH<br />
Keime Fakultativ pathogen Obligat pathogen Sexuell übertragbar Partner behandlung<br />
Candida albicans +<br />
Gardnerellen +<br />
E. coli +<br />
Streptococcus spp.<br />
Streptococcus pyogenes<br />
(Gruppe A Streptokokken)<br />
+<br />
+ +<br />
falls reichlich<br />
vorhanden oder<br />
symptomatisch<br />
Enterococcus spp. +<br />
Staphylococcus saprophyticus<br />
+ +<br />
falls reichlich<br />
vorhanden oder<br />
symptomatisch<br />
Adenoviren +<br />
Epstein-Barr-Virus +<br />
U. urealyticum + (+) (+)<br />
M. hominis (+)<br />
M. fermetans unbekannt<br />
M. genitalium (+) + + +<br />
Chlamydia trachomatis + + +<br />
Neisseria gonorrhea + + +<br />
Herpes-simplex-Virus<br />
(Typ 1 und 2)<br />
+ + Schutz des Partners<br />
und mögliche<br />
Prophylaxe<br />
ansprechen<br />
Tabelle 1. Typische Erreger urogynäkologischer Infektionskrankheiten. Einteilung der Erreger in fakultativ und obligat pathogene Keime. Die fakultativ<br />
pathogenen Keime können im Rahmen eines Trägertums oder einer passageren Besiedelung nachgewiesen werden und sollen, insbesondere bei<br />
asymptomatischen Patientinnen, nicht behandelt werden<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 47
Perspektiven<br />
>5 und der Kalilauge-Test ist positiv, d.h.<br />
beim Aufträufeln von Kaliumlauge auf ein<br />
Wattestäbchen mit Scheidensekret entsteht<br />
bei der bakteriellen Vaginose durch<br />
die Aminbildung ein fischartiger Geruch.<br />
Sind drei der vier sogenannten Amsel-Kriterien<br />
erfüllt, liegt eine bakterielle Vaginose<br />
vor: [1] homogener wässriger Abfluss, (2)<br />
ein pH-Wert >4,5, (3) «clue cells» im Nativ<br />
und [4] Fischgeruch nach Zugabe von<br />
10 %iger Kalilauge. Die Behandlung der<br />
bakteriellen Vaginose ist in Tabelle 2 zusammengestellt.<br />
Aerobe Vaginitis<br />
Bei der aeroben Vaginitis ist der Fluor<br />
ebenfalls wässrig oder gräulich und der<br />
pH-Wert ist erhöht, wogegen der<br />
Kalilaugentest negativ ausfällt. Hier werden<br />
aerobe Mikroorganismen wie E. coli,<br />
Streptokokken der Gruppe B oder Enterokokken<br />
– meist in einer hohen Anzahl –<br />
und typischerweise viele Leukozyten im<br />
Nativ gefunden. Die aerobe Vaginitis wird<br />
in der angelsächischen Literatur synonym<br />
als «desquamative inflammatorische Vaginitis»<br />
genannt. Bei dieser wiederum dominieren<br />
die Staphylokokken, die petechiale<br />
Veränderungen in der Vaginalwand hervorrufen<br />
können. Die betroffenen Frauen<br />
sind meist in der Peri- oder Postmenopause<br />
und melden sich nicht selten mit dem<br />
Symptom der Dyspareunie. Die aerobe Vaginitis<br />
ist durch ein inhomogenes Erregerspektrum<br />
charakterisiert, das auf antiseptische<br />
Substanzen wie Dequaliniumchlorid<br />
(DQC) ansprechen kann, und zwar<br />
wahrscheinlich in den Fällen, in denen<br />
Enterokokken und E. coli dominieren [8].<br />
Mit der antiseptischen DQC-Therapie<br />
konnte in einer klinischen Studie mit 73<br />
Frauen mit aerober Vaginitis eine statis<br />
Rezidivierende vulvovaginale Infekte<br />
Erreger Therapeutika Dosierung Bemerkungen<br />
Candida albicans<br />
Candida glabrata/<br />
krusei<br />
Per os<br />
Lokal<br />
Per os<br />
Lokal<br />
initial Fluconazol 150 mg alle 72 h (3×),<br />
dann Fluconazol 150 mg 1×/Wo.<br />
Je nach Symptome Reduktion auf alle<br />
2 Wochen, oder monatlich für 6–12<br />
Monate. Ggf. Steigerung bei ungenügendem<br />
Ansprechen (vermehrt Symptome<br />
oder Rezidive) (ReCiDiF-Protokoll)<br />
Imidazole tgl. für 10 Tage, dann prämenstruell<br />
3–5 Tage<br />
Voriconazol 200 mg 1–0-1 für 7 Tage<br />
Borsäure Ovula 600 mg 0–0-0–1 für 14<br />
Tage<br />
Keine Laborkontrollen (auch keine<br />
Leberwertbestimmung) notwendig<br />
Orale Therapie der lokalen überlegen<br />
Antimykotika haben geringe<br />
Resistenzgefahr<br />
i.v. Medikamente nur bei Septikämien<br />
und in Rücksprache mit Infektiologen<br />
Anaerobe Vaginose<br />
Per os<br />
Lokal<br />
Metronidazol 2 g an Tag 1 und an Tag 3,<br />
oder 1 g für 7 Tage p.o.<br />
Clindamycin 300 mg 1–0-1 für 7 Tage<br />
Clont Ovula 500 mg täglich für 10 Tage<br />
Clindamycin V 2 % für 7 Tage<br />
Dequaliniumchlorid 10 mg Vaginaltablette<br />
für 6 Tage<br />
Clindamycin weniger Resistenzen<br />
als Metronidazol<br />
Aerobe Vaginitis Lokal Clindamycin V 2 % und Hydrocortison<br />
10 % im Wechsel für 4–6 Wochen<br />
Applikator von Dalacin V 2 % kann für<br />
Hydrocortison Applikation verwendet<br />
werden<br />
Trichomoniasis Per os Metronidazol 2 g Einmaldosis Partnerbehandlung<br />
Cave: Antabuseffekt!<br />
Herpes genitalis Per os Suppressive Therapie während bis zu<br />
12 Monaten:<br />
Acyclovir 400 mg 1–0-1<br />
oder<br />
Famciclovir 250 mg 1–0-1<br />
oder<br />
Valacyclovir 500 mg 1–0-0<br />
Sporadische Therapie<br />
Acyclovir 5 × 200 mg (alle 4 h) für 5 Tage<br />
Famciclovir 125 mg 1–0-1 für 5 Tage<br />
Valacyclovir 500 mg 1–0-1 für 5 Tage<br />
Nach einem Jahr Leberwert-Kontrollen<br />
Unter suppressiver Therapie kommt es zu<br />
deutlich weniger Partnerinfektionen als<br />
unter sporadischer Therapie.<br />
Keine Eradikationstherapie vorhanden<br />
Schutz des Partners vor Ansteckung<br />
ansprechen. Transparenz verhindert<br />
Ansteckungen<br />
Tabelle 2. Therapie der rezidivierenden vulvovaginalen Infektionen<br />
48<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Perspektiven<br />
tisch signifikante Reduktion des Symptomscores<br />
von 5,0 ± 1,9 auf 1,9 ± 1,5 im Follow-up<br />
nach einer Woche und auf 1,3 ± 1,3<br />
nach vier Wochen gezeigt werden (Durchschnitt<br />
± Standardabweichung) [9]. Objektivierbar<br />
war zudem die Reduktion der Anzahl<br />
Leukozyten (mindestens 10 pro Gesichtsfeld,<br />
Vergrösserung 400×) in der<br />
DQC-Gruppe von 42,2 % bei Baseline auf<br />
8,6 % im Follow-up nach vier Wochen sowie<br />
der Rückgang der positiven Kulturen<br />
für Streptococcus spp., Enterococcus spp.<br />
und E. coli um 36, 49 bzw. 73 % am Ende<br />
der Studie. Bei der aeroben Va ginitis, bzw.<br />
desquamativen inflammtorischen Vaginitis<br />
mit hoher Symptomlast, Leukozytose<br />
im Nativ und kolposkpisch deutlicher Entzündung<br />
mit petechialen Veränderungen<br />
ist die Therapie der Wahl Clindamycin mit<br />
oder ohne Steroide (Tabelle 2) [10]. Im Fall<br />
einer Vulvitis mit Nachweis von Streptokokken<br />
der Gruppe A sind perorale Penicilline<br />
für 7–14 Tage die Therapie der Wahl [7].<br />
Candidiasis<br />
Im Lehrbuch zeigt sich die Candida als<br />
krümeliger, weisser Fluor bei einem normalen<br />
pH-Streifentest. Chronische Candidainfektionen<br />
sind sowohl diagnostisch<br />
als auch therapeutisch schwierig anzugehen.<br />
Rund 5–10 % aller Frauen sind Trägerinnen<br />
von Candida, meist Candida albicans.<br />
Daraus erschliesst sich, dass eine<br />
asymptomatische Candida nicht antimykotisch<br />
behandelt werden soll. Es besteht<br />
keine Gefahr einer Invasion oder Septikämie.<br />
Candida findet sich zwar gehäuft auf<br />
dem Boden von Dermatosen wie Genitalekzeme,<br />
Rhagaden und Fissuren, doch<br />
auch hier soll die antimykotische Therapie<br />
kritisch indiziert werden. Da bei vielen<br />
Dermatosen Steroide eingesetzt werden,<br />
ist die zusätzliche antimykotische Therapie<br />
möglicherweise doch gerechtfertigt,<br />
und zwar bevorzugt mit einem peroralen<br />
Antimykotikum, um eine Allergisierung<br />
auf dem Boden der Dermatose zu vermeiden.<br />
Treten mehr als vier symptomatische<br />
Infekte pro Jahr auf, so spricht man von<br />
einer «rezidivierenden Candidose». Oft<br />
wird diese frustran mit vielen Kurztherapien<br />
angegangen. Die rezidivierende Infektion<br />
mit Candida albicans soll vorzugsweise<br />
mit Fluconazol gemäss dem ReCi<br />
DiF-Protokoll (ReCiDiF = regimen using<br />
individualized, de-creasing doses of oral<br />
fluconazole) durchgeführt werden (Tabelle<br />
2) [11]. Es handelt sich dabei um eine<br />
perorale suppressive Therapie mit im Behandlungsverlauf<br />
absteigender Dosierung<br />
und ist der intermittierenden lokalen Therapie<br />
mit Imidazol Ovula über zehn Tage/<br />
Monat, geschweige denn den dreitägigen<br />
Kurztherapien, überlegen. Das ReCi<br />
DiF-Schema führt im Verlauf der Behandlung<br />
zur niedrigst notwendigen individuellen<br />
Erhaltungstherapie. Eine Partnertherapie<br />
ist nicht notwendig und senkt<br />
auch nicht die Rate der rezidivierenden<br />
Infekte. Ob die Langzeiteinnahme von Antimykotika<br />
zu Resistenzen führt, ist nicht<br />
gesichert [12, 13], doch es gibt Hinweise,<br />
dass es zu klinischer Resistenz mit Wechsel<br />
des Candida-Erregers als auch mikrobiologischer<br />
Resistenz kommen kann, die<br />
akquiriert oder primär intrinsisch sein<br />
kann [14]. Bei rezidivierenden Candidavulvitiden<br />
oder -kolpitiden soll grosszügig<br />
eine Pilzkultur mit Bestimmung der minimalen<br />
Hemmkonzentration durchgeführt<br />
werden.<br />
Die Behandlung der einzelnen Vaginitiden<br />
ist in Tabelle 2 dargestellt. Ergän<br />
Rezidivierende urogenitale Infekte (Urethritiden)<br />
Erreger Therapeutika Dosierung Bemerkungen<br />
M. genitalium per os Azithromycin 1 g einmalig<br />
oder Azithromycin 500 mg Einmaldosis<br />
am Tag 1, danach 250 mg Einmaldosis<br />
Tage 2–5<br />
Moxifloxazin 400 mg 1–0–0 für 7 Tage<br />
M. hominis per os Doxycyclin 100 mg 1–0–1 für 7 Tage<br />
Zweite Wahl:<br />
Clindamycin 300 mg 1–1–1 für 7 Tage<br />
Moxifloxacin 400 mg für 7 Tage<br />
Ureaplasma urealyticum per os Doxycyclin 100 mg 1–0–1 für 7 Tage<br />
Zweite Wahl:<br />
Azithromycin 1 g einmalig<br />
Moxifloxacin 400 mg für 7 Tage<br />
Chlamydia trachomatis per os Azithromycin 1 g Einmaldosis bei<br />
asymptomatischen Patientinnen<br />
Doxycyclin 100 mg 1–0–1 für 7 Tage<br />
bei sympto matischen Patientinnen<br />
Partnerbehandlung<br />
Da M. hominis eventuell Kommensal<br />
des Harntraktes ist, eher zurückhaltend<br />
behandeln<br />
Ureaplasma parvum: keine Evidenz<br />
für Behandlung<br />
Partnerbehandlung<br />
Kontrolle nach 6 Wochen<br />
Neisseria gonorrhoeae<br />
i.m. und<br />
per os<br />
Ceftriaxon 250 mg i.m. (oder 500 mg i.m.,<br />
CAVE: für i.m. Injektion nur Ampullen à<br />
Ceftriaxon 1 g erhältlich) plus Azithro mycin<br />
1 g<br />
(oder Doxycyclin 2 × 100 mg p.o. für 7 Tage)<br />
Partnerbehandlung<br />
Kontrolle nach 6 Wochen<br />
Tabelle 3. Therapie der rezidivierenden urethralen Infektion<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 49
Perspektiven<br />
zend ist zu erwähnen, dass das lokale Antiinfektivum<br />
Dequaliniumchlorid (DQC) eine<br />
gute Alternative zu den Antibiotika bildet.<br />
DQC ist effektiv gegen Candida spp.,<br />
die bakterielle Vaginose, die aerobe Vaginitis<br />
und Mischinfektionen wirksam [8].<br />
Urethrale Infekte<br />
Urethritiden werden in nichtinfektiöse<br />
Urethritiden und infektiöse Urethritiden<br />
eingeteilt. Bei den nichtinfek tiösen Urethritiden<br />
unterscheiden wir mechanisch-traumatische<br />
und chemische Ursachen<br />
(Vaginalspülungen, Desinfizienzien).<br />
Im Folgenden gehen wir nur auf die<br />
infektiösen Ursachen ein.<br />
Fakultative urethrale Keime<br />
Ob bei Frauen Urethritiden mit Mollicuten<br />
(weichhäutige Bakterien) wie Ureaplasmen<br />
und Mykoplasmen Krankheitsverursacher<br />
sind, ist noch nicht vollständig geklärt.<br />
Mollicuten gehören zu den Mycoplasmataceae.<br />
Diese winzigen Keime haben<br />
keine Zellwand und lassen sich daher<br />
in der Gramfärbung nicht anfärben. Fünf<br />
Spezies der Mycoplasmataceae besiedeln<br />
den menschlichen Urogenitaltrakt: Mycoplasma<br />
(M.) hominis, M. genitalium, M.<br />
fermentans, Ureaplasma (U.) urealyticum<br />
und U. parvum. Diese Keime sind in 20–<br />
40 % aller sexuell aktiven Frauen nachweisbar<br />
[15]. Inwiefern sie zur normalen<br />
Besiedelung gehören und ab welchem<br />
Zeitpunkt sie Beschwerden machen, ist<br />
Gegenstand der Forschung [16]. Beim<br />
Nachweis einer geringen Menge oder vereinzelter<br />
Keime ist die Wahrscheinlichkeit<br />
zu vernachlässigen, dass der Erreger eine<br />
Infektion verursacht. Bekannt ist, dass der<br />
Prozentsatz von Besiedelungen mit der<br />
Pubertät und in Abhängigkeit der Anzahl<br />
Sexualpartner und einem niedrigen sozioökonomischen<br />
Status steigt [17]. Im Fall<br />
von U. urealyticum scheinen Symptome<br />
erst ab einer hohen bakteriellen Konzentration<br />
oder mög licherweise bei der Erstinfektion<br />
aufzutreten.<br />
M. genitalium konnte bisher als einziges<br />
Mycoplasmataceae mit Urethritiden<br />
der Frau in Verbindung gebracht werden.<br />
Bei den anderen Mycoplasmatace/Ureaplasmen<br />
konnte bisher keine Kausalität<br />
festgestellt werden [18]. Nicht selten ist<br />
man im Alltag geneigt, bei urethralen Beschwerden<br />
und dem Nachweis eines Mycoplasmataceae<br />
in der PCR diese antibiotisch<br />
zu behandeln [19, 20]. Bei diesen probatorischen<br />
Behandlungen bleibt nicht<br />
selten eine Verbesserung der Beschwerden<br />
aus und nach wenigen Wochen kann<br />
50<br />
derselbe Erreger wieder nachweisbar sein,<br />
weil die Umgebungsflora sich nicht änderte<br />
oder ein Trägertum vorliegt. Für die Mycoplasmataceae<br />
fehlen lokale, bakterizide<br />
oder desinfizierende Therapien (Tabelle<br />
3).<br />
Bakterien der analen oder oralen Flora<br />
wie z.B. Staphylococcus saprophyticus<br />
und aureus, Enterokokken, Streptococcus<br />
anginosus oder Haemophilus influenzae<br />
können Urethritisbeschwerden auslösen.<br />
Es handelt sich hierbei klar um fakultativ<br />
pathogene Keime. So konnte in über 40 %<br />
der jungen, sexuell aktiven Frauen S. saprophyticus<br />
in der normalen urogenitalen<br />
Flora nachgewiesen werden. S. saprophyticus<br />
kann sich über Adhäsine am Urothel<br />
festhalten und verwendet den im Urin<br />
Zusammenfassung<br />
enthaltenen Harnstoff, um Ammoniak zu<br />
produzieren [21]. Einige dieser Bakterien<br />
haben auch die Fähigkeit, Biofilme zu<br />
produ zieren, was ihre Virulenz erhöht.<br />
Viren können ebenfalls eine Urethritis<br />
auslösen, so zum Beispiel Herpex-simplex-Virus<br />
(HSV) Typ 1 und etwas weniger<br />
HSV Typ 2, aber auch die Adenoviren oder<br />
das Epstein-Barr-Virus. Keine Beschwerden<br />
oder Urethriden hingegen machen die<br />
häufig vorkommenden humanen Papillomaviren.<br />
Bei viral verursachten Urethritissymptomen<br />
helfen lokal symptomatische<br />
Massnahmen wie In stillationen mit einem<br />
urethral applizierbaren Hydrogel, das<br />
Dexpanthenol, Ectoin und Hydrodyethylcellulose,<br />
mit oder ohne Lidocain, enthält<br />
[22].<br />
Veränderungen im urogenitalen Mikrobiom der Blase, Urethra, Vagina und Zervix<br />
können Ursache für wiederkehrende Infektionen sein. Dabei muss zwischen obligat<br />
und fakultativ pathogenen Keimen unterschieden werden. Bei den fakultativ pathogenen<br />
Keimen soll nur beim Vorliegen von zuordenbaren Symptomen antibiotisch, antiviral<br />
oder anti mykotisch behandelt werden. Sexuell übertragbare Erkrankungen manifestieren<br />
sich bei Frauen isoliert urogenital oder als aufsteigender Infekt («pelvic<br />
inflammatory disease»). Sexuell übertragbare Erkrankungen (z.B. Chlamydieninfektion)<br />
können asymptomatisch verlaufen oder mit einer hohen Symptomlast, Lebensqualitätseinschränkung<br />
oder Sterilität einhergehen. Dieser Minireview gibt einen Überblick<br />
über die Pathogenität und Behandlung der verschiedenen Erreger.<br />
Schlüsselwörter: Wiederkehrender Infekt, urogenital, Vagina, Behandlung<br />
Abstract<br />
Changes in the urogenital microbiome of the bladder, urethra, vagina and cervix can<br />
cause recurrent infections. We distinguish between obligate and facultative pathogens.<br />
In the case of facultative pathogens, treatment with antibiotic, antiviral or antifungal<br />
drugs should only be considered in cases with attributable symptoms. Sexually transmitted<br />
diseases (STD) manifest either urogenitally alone or in association with an<br />
ascending infection of the adnexa as a pelvic inflammatory disease. STD may be asymptomatic,<br />
as in cases of chlamydia, or may cause a high burden of symptoms, impairment<br />
of quality of life or infertility. The aim of this minireview is to give an overview of<br />
the pathogenicity of the different germs and their treatment.<br />
Keywords: Recurrent infection, urogenital, vagina, treatment<br />
Résumé<br />
Les modifications du microbiome de la vessie, de l’urètre, du vagin et du col de l’utérus<br />
peuvent provoquer des infections récurrentes. Une distinction doit être faite entre<br />
bactéries pathogènes obligatoires et facultatives. Dans le cas de pathogènes facultatifs<br />
un traitement antibiotique, antiviral ou antimycosique ne doit être appliqué que dans<br />
le cas d’un signe clinique spécifique. Les infections sexuellement transmissibles se<br />
manifestent souvent chez les femmes soit isolées dans le tractus urogénital, soit en<br />
association avec des infections ascendantes comme la salpingite. Ces infections peuvent<br />
être asymptomatiques, comme dans le cas de la chlamydiose, ou associées à des<br />
symptômes graves qui abaissent la qualité de vie ou causent de la stérilité. L’objectif de<br />
cette mini-review est de donner un aperçu général de la pathogénicité des différents<br />
germes et de leur traitement.<br />
Mot-clés: Récidive d’infection, système urogénital, vagin, traitement<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Perspektiven<br />
Pathogene Keime<br />
Chlamydia trachomatis, Mykoplasma genitalium<br />
und möglicherweise auch Ureaplasma<br />
urealyticum sowie Gonokokken<br />
sind die häufigsten sexuell übertragbaren<br />
Erreger, die eine Urethritis verursachen.<br />
Mycoplasma geni talium wird seit einigen<br />
Jahren bei Männern als eine zunehmende,<br />
sexuell übertragbare Erkrankung registriert.<br />
Die genannten Keime können übrigens<br />
auch Erreger von Zervizitis und Pelvic<br />
Inflammatory Disease (PID) bei Frauen<br />
sein [16, 23].<br />
In der Schweiz werden 70 % aller<br />
Chlamydieninfektionen bei Frauen gefunden,<br />
wobei 70 % der Ansteckungen asymptomatisch<br />
verlaufen. Grund für den häufigeren<br />
Nachweis von Chlamydien bei Frauen<br />
dürften die häufigeren Untersuchungen<br />
junger Frauen im Rahmen der<br />
Antikonzeptionsberatung sein. Im Jahr<br />
2017 lag die gesamte Anzahl Neudiagnosen<br />
bei 11 013, was einer Inzidenz von<br />
130/100 000 entspricht. Aufgrund von<br />
Schätzungen sind zwischen 3 und 10 % der<br />
sexuell aktiven Bevölkerung von Chlamydien<br />
betroffen.<br />
Die urethrale Gonorrhö ist deutlich<br />
seltener, jedoch ist sie seit ihrer statistischen<br />
Erfassung im Jahr 1988 stetig im Zunehmen<br />
begriffen. Im Jahr 2017 wurden in<br />
der Schweiz 2809 als sicher oder wahrscheinlich<br />
klassierte Fälle gemeldet, was<br />
einer Inzidenz von 33/100 000 in der<br />
Popu lation entspricht.<br />
Bei der Urethritis treten Beschwerden<br />
wie Dysurie, postmiktionelles Brennen<br />
oder Irritationen im Unterleib auf. Die<br />
Tests mit der höchsten Sensitivität und<br />
Spezifität von urethralen Keimen sind<br />
PCR-basiert [24], können sowohl im Abstrichmaterial<br />
von vaginalen, zervikalen<br />
oder urethralen Proben als auch aus dem<br />
Morgenurin bwz. Erststrahlurin nach einer<br />
Miktionskarenz von einer Stunde detektiert<br />
werden [25]. Die PCR-basierten<br />
Nachweise haben allerdings den Nachteil,<br />
dass sie kein Antibiogramm zulassen.<br />
In einer prospektiven Studie von 2246<br />
sexuell aktiven Studentinnen fand sich für<br />
M. genitalium eine Prävalenz von 3,3 %. Da<br />
M. genitalium in der Schweiz nicht meldepflichtig<br />
ist, fehlen hierzu Daten. Dieser<br />
Keim scheint aber ein Marker für aufsteigende<br />
Infekte zu sein. So haben<br />
Patientinnen mit M. genitalium im Vaginalabstrich<br />
im 12-Monats-Verlauf signifikant<br />
häufiger eine PID als Frauen, bei denen<br />
initial keine Mykoplasmen gefunden<br />
wurden [26]. Nicht selten findet man bei<br />
Trägerinnen von M. genitalium Koinfektionen<br />
mit Chlamydien [27]. Bei Nachweis<br />
einer der genannten drei Keime (M. genitalium,<br />
N. gonorrhoe und Chlamydia<br />
trachomatis) wird das komplette PID-<br />
Screening mit Bestimmung der HIV-,<br />
Lues- und Hepatitisserologie empfohlen.<br />
Die Therapie der verschiedenen Urethritiskeime<br />
ist in Tabelle 3 zusammengestellt.<br />
Bei M. genitalium ist 1 g Azithromycin<br />
als Einmaldosis die Therapie der Wahl<br />
[20, 28]. Azithromycin heilt in 77 % die<br />
M.-genitalium-Urethritis aus [29]. Bei fehlendem<br />
Ansprechen ist die zweite Wahl<br />
eine Therapie mit 400 mg Moxifloxazin<br />
täglich für sieben Tage [30]. Das häufig zur<br />
Behandlung von Ureaplasmen oder M. hominis<br />
gebrauchte Doxyzyklin ist in der<br />
Hälfte der M.-genitalium-Infektionen<br />
nicht wirksam [30]. Generell soll bei den<br />
PCR-basierten Tests bis zur Therapiekontrolle<br />
sechs Wochen abgewartet werden, da<br />
ansonsten DNA aus nicht aktiven Bakterienbestandteilen<br />
nachgewiesen wird und<br />
ein falsch-positives Resultat und somit<br />
fälschlicherweise ein «Rezidiv» liefert.<br />
Auch ist bei den urogenitalen wiederkehrenden<br />
Infektionen an eine potenzielle<br />
polymikrobielle Besiedelung zu denken.<br />
PD Dr. med. Cornelia Betschart, Oberärztin<br />
Klinik für Gynäkologie<br />
Universitätsspital Zürich<br />
Frauenklinikstrasse 10<br />
8091 Zürich<br />
cornelia.betschart@usz.ch<br />
Manuskript eingereicht: 08.08.2019<br />
Manuskript akzeptiert: 27.08.2019<br />
Interessenskonflikt: Die Autoren erklären,<br />
dass keine Interessenskonflikte bestehen.<br />
Antworten zu den Lernfragen:<br />
Antwort b) ist richtig.<br />
Antwort c) ist richtig.<br />
Key messages<br />
• Die Ursache der rezidivierenden<br />
urogenitalen Infek tionen ist bei<br />
Candida, bakterieller Vaginose und<br />
Mykoplasmataceae auf eine Dysbalance<br />
der urogeni talen Flora zurückzuführen.<br />
• Im Zug der Kommerzialisierung von<br />
«Multiplex-PCR» werden heute<br />
häufiger Trägerkeime oder fakultativ<br />
pathogene Keime nachgewiesen. Für<br />
diese Keime gibt es keine Evidenz,<br />
dass deren Behandlung mehr nützt<br />
als schadet (Resistenzlage). Trägertum<br />
ist bei sexuell aktiven Frauen<br />
häufig, und die wenigsten Frauen<br />
erkranken.<br />
• Neisseria gonorrhoeae, Chlamydia<br />
trachomatis, M. genitalium, HSV und<br />
Trichomonaden sind sexuell übertragbare<br />
Keime und bedürfen einer<br />
Partnertherapie.<br />
• Bei urogenitalen Infekten ist die<br />
Suszeptibiltät für STD erhöht. Bei<br />
Nachweis eines sexuell übertragbaren<br />
Keimes soll nach weiteren<br />
sexuell übertrag baren Erkrankungen<br />
gesucht werden.<br />
Lernfragen<br />
1. Welcher Erreger bedarf einer Partnerbehandlung?<br />
(Einfachauswahl)<br />
a) Candida albicans<br />
b) Trichomonas vaginalis<br />
c) Mycoplasma hominis<br />
d) Staphylococcus saprophyticus<br />
e) Humanes Papillomavirus<br />
2. Welche Aussage zu urogenitalen<br />
Infekten ist korrekt? (Einfachauswahl)<br />
a) Candida albicans verursacht<br />
aufsteigende Infek tionen mit<br />
Sterilitätsfolgen.<br />
b) Mykoplasma hominis ist ein<br />
häufiger Erreger sexuell übertragbarer<br />
Urethritiden.<br />
c) Schweizweit steigen die Zahlen<br />
von Neisseria gonorrhoe und<br />
Chlamydia trachomatis.<br />
d) Die aerobe Vaginitis wird anhand<br />
der Amsel-Kriterien diagnostiziert.<br />
e) Die aerobe Vaginitis rezidiviert<br />
aufgrund der spezifisch zur Verfügung<br />
stehenden Behandlung<br />
kaum.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 51
Perspektiven<br />
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52<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
Perspektiven<br />
Der besondere Patient<br />
Was Schildkröten<br />
mit Lymphknoten<br />
verbindet<br />
Schlangenhalsschildkröte (Chelodina longicollis) mit mykobakteriellem Granulom auf dem<br />
Schädeldach (Foto).<br />
Endoskopisch waren bei allen drei Tieren<br />
multiple Granulome in der Leber darstellbar.<br />
Die Ziehl-Neelsen-Färbung der<br />
Bioptate war eindeutig: Mykobakterien.<br />
Alle Schildkröten in der Anlage wurden<br />
endoskopiert und erwiesen sich als<br />
positiv. Die Sektion ausgewählter Fische<br />
im Aquarium ergab gleichfalls den<br />
Nachweis von Mykobakterien. Wie zu<br />
erwarten, erwiesen sich diese in der<br />
Kultur als Mycobacterium marinum.<br />
Unter Aquarianern, auch in den<br />
zoologischen Gärten, ist das Vorkommen<br />
von Infektionen mit M. marinum bekannt<br />
und wird wenig beachtet. Ausser den bei<br />
kommerziellen Fischhaltern häufig<br />
vorkommenden, knotenförmigen<br />
Veränderungen an den Händen gelten sie<br />
nicht als Zoonose und werden auch im<br />
Zoo entsprechend wenig beachtet. Und<br />
dann kam «Mi». Nach fachlichem Austausch<br />
mit dem behandelnden Arzt im<br />
Spital wurden die Lymphknoten in den<br />
Achseln der Tierpflegerin bioptiert und<br />
der Nachweis von M. war positiv. Die<br />
entsprechende Therapie mit einem<br />
Antibiotikum-Triple war erfolgreich.<br />
Allerdings zog sich diese Behandlung<br />
über zwei volle Monate hin.<br />
Ach ja, das Aquarium wurde vollständig<br />
ausgeräumt, alle Bewohner euthanasiert<br />
und postmortal examiniert. Erst nach<br />
mehrmaliger Desinfektion der glatten<br />
Aquarienwände mit einem wirksamen<br />
Desinfektionsmittel wurde der Lebensraum<br />
neu eingerichtet. Auf eine Behandlung<br />
der Tiere wurde wegen der Zoonosegefahr<br />
verzichtet.<br />
Die Infektionskette vom Fisch zu den<br />
fischfressenden Schildkröten und über<br />
die Schildkröten bzw. das kontaminierte<br />
Becken war offensichtlich und führte im<br />
Nachgang zu einem deutlich kritischeren<br />
Umgang mit M. marinum bei Fischen im<br />
Zoo.<br />
Bild: RANDO<br />
«Mi ist schon wieder krankgeschrieben,<br />
weil sie so müde und<br />
lustlos ist, ausserdem hat sie<br />
geschwollene Lymphknoten in<br />
den Achseln.» Die Auskunft des zuständigen<br />
Kurators auf meine Frage, wo denn<br />
die für die Aquarien zuständige Tierpflegerin<br />
sei, liess meine cerebralen Alarmglocken<br />
frenetisch läuten.<br />
In den Wochen zuvor hatte ich<br />
mehrere Schlangenhalsschildkröten auf<br />
meinem OP-Tisch. Diese lebten zusammen<br />
mit diversen Fischarten in einem<br />
4000-Liter-Aquarium mit Landteil und<br />
begeisterten stets die Gäste im Zoo. Dass<br />
Wasserschildkröten sehr oft multiple<br />
Abszedierungen auf der Haut des Panzers<br />
tragen und diese auch oft im Bereich von<br />
Hals, Kopf und Gliedmassen nachzuweisen<br />
sind, ist Standard. Die meist bakteriellen<br />
Infektionen mit gramnegativen<br />
Erregern wie Morganella morganii sind<br />
zumeist haltungsbedingt und im Freiland<br />
kaum nachweisbar. Die letzten drei<br />
Schildkröten zeigten aber nicht das<br />
multiple, teils konfluierende Auftreten<br />
mehr oder weniger tiefer Abszedierungen,<br />
sondern stets nur singuläre, rundliche<br />
und klar begrenzte Veränderungen<br />
der Haut (siehe Foto).<br />
Prof. Dr. med. vet. Bernd Schildger,<br />
Direktor Tierpark Dählhölzli Bern<br />
Die Fallberichte stammen aus Bernd Schildgers<br />
Zeit als Tierarzt im Zoo Frankfurt.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 53
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im Berufsleben<br />
So wie während des Medizinstudiums bei vielen der Wunsch nach einem<br />
Auslandsemester besteht, gibt es Medizinerinnen und Mediziner,<br />
die während des Berufslebens einen Auslandaufenthalt oder einen Unterbruch<br />
einschalten wollen.<br />
Christoph Bohn, freier Mitarbeiter MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />
Bild:© Adobe<br />
Einige nennen es «Tapetenwechsel»,<br />
andere «Horizonterweiterung»,<br />
wieder andere reihen es<br />
ganz einfach in ihr persönliches<br />
Kapitel «Weiterbildung» ein. Der eigentliche<br />
Wunsch dahinter ist fast immer<br />
derselbe: «Ich will mal weg hier, ich will<br />
Luftveränderung, ich will eine Zeitlang<br />
im Ausland arbeiten.»<br />
Das A und O für die konkrete und erfolgreiche<br />
Umsetzung solcher Wünsche<br />
heisst «Planung, Planung und nochmals<br />
Planung». Denn wer als Ärztin oder als<br />
Arzt im Ausland tätig sein möchte, muss<br />
sich mit vielen Vorschriften und Richtlinien<br />
detailliert auseinandersetzen.<br />
Frühzeitige, seriöse, umfassende<br />
Planung<br />
Der administrative Aufwand im Vorfeld eines<br />
gewünschten Auslandaufenthalts ist<br />
nicht zu unterschätzen, er kann mit all den<br />
nötigen Abklärungen hoch sein und Monate<br />
dauern. Einerseits ist da natürlich die<br />
rein fachliche Seite: In welchem Land und<br />
in welcher Stadt kann man die gewünschte<br />
Tätigkeit am sinnvollsten aufnehmen?<br />
Welche Weiterbildung kann mit welchem<br />
international anerkannten Diplom wo absolviert<br />
und abgeschlossen werden?<br />
Grundsätzlich gilt dabei laut Schweizerischem<br />
Institut für ärztliche Weiter- und<br />
Fortbildung SIWF: Arztdiplome und<br />
Facharzttitel der EU und der Schweiz werden<br />
gegenseitig anerkannt. Rechtliche<br />
Grundlage dazu bildet das Freizügigkeitsabkommen<br />
und die für die Schweiz anwendbare<br />
EU-Richtlinie 2005/36. Für die<br />
Anerkennung von ausländischen Arztdiplomen<br />
und Facharzttiteln ist die Medizinalberufekommission<br />
zuständig. Arztdiplome<br />
aus Nicht-EU-Mitgliedstaaten<br />
sind nicht direkt anerkennbar, müssen<br />
aber für die Aufnahme einer ärztlichen<br />
Tätigkeit in der Schweiz durch die Medizinalberufekommission<br />
überprüft und<br />
ins Medizinalberuferegister eingetragen<br />
werden.<br />
Um unangenehme Überraschungen<br />
zu vermeiden, ist es sehr empfehlenswert,<br />
mit den diesbezüglichen Abklärungen<br />
frühzeitig zu beginnen. Bei der Titelkommission<br />
des SIWF kann man sich beispielsweise<br />
präzis über die spätere Anrechenbarkeit<br />
der Auslandstätigkeit erkundigen.<br />
Von den ausländischen Behörden<br />
wird übrigens oft eine Diplombestätigung<br />
oder ein «Certificate of good standing»<br />
verlangt. Auch das muss rechtzeitig organisiert<br />
werden.<br />
Wer jemanden in seinem Freundes- oder<br />
Bekanntenkreis hat, der im medizinischen<br />
Bereich bereits einen Auslandaufenthalt<br />
gemacht hat, wendet sich mit Vorteil an<br />
diese Person – praktische Tipps sind von<br />
unschätzbarem Wert. Hilfreiche und detaillierte<br />
Informationen zu diesem Themenbereich<br />
findet man auch auf der Website<br />
des SIWF: www.siwf.ch/themen/internationales.cfm.<br />
Auch persönliche Aspekte planen<br />
Neben der rein fachlichen Seite sind anderseits<br />
auch persönliche Themen von<br />
grosser Relevanz und damit nicht zu unterschätzen.<br />
Es gilt zum Beispiel folgende<br />
Die Serie «Das Kleingedruckte» geht weiter:<br />
Thema<br />
Ausgabe<br />
Oberarzt 05/<strong>2020</strong><br />
Familiengründung/<br />
Wohneigentum<br />
06/<strong>2020</strong><br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 55
MEDISERVICE<br />
(➝ Versicherungen ➝ Stellenunterbruch)<br />
zu finden. Weiterführende Informationen<br />
gibt es hier:<br />
Für Angestellte: Tel. 031 350 46 00 und<br />
www.vorsorgestiftung-vsao.ch<br />
Für Selbständige: Tel. 031 560 77 77 und<br />
www.vsao-stiftung.ch<br />
Haben Sie konkrete Fragen zu Ihrer<br />
individuellen Situation? Wir sind gerne<br />
für alle unsere Mitglieder da: Nehmen Sie<br />
mit uns Kontakt auf, und legen Sie Ihre<br />
spezifischen Fragen unseren Spezialistinnen<br />
und Spezialisten vor:<br />
Telefon: 031 350 44 22<br />
E-Mail: info@mediservice-vsao.ch<br />
Wir freuen uns, von Ihnen zu hören<br />
oder zu lesen.<br />
Den Koffer zu packen, ist noch die einfachste Übung. Wer einen Teil seiner Weiterbildung im<br />
Ausland absolvieren oder im Ausland arbeiten möchte, muss zuerst die bürokratischen Hürden<br />
überwinden.<br />
Fragen zu beantworten: Wie lebt es sich an<br />
der Wunschdestination – als Single, Paar<br />
oder Familie (inkl. Schulen)? Wie geht es<br />
mit der Sprache – schriftlich und mündlich?<br />
Wie verhält es sich mit den wirtschaftlichen<br />
Aspekten? Wie hoch sind Salär,<br />
Lebenshaltungskosten, Mieten? Wie<br />
organisiert man Bankverbindungen, Versicherungen,<br />
Smartphone-Abo, ÖV-Abo<br />
und allenfalls nötige digitale Identitäten<br />
am besten? Die pädiatrische Notfallmedizinerin<br />
Franziska Holzner bemerkt im<br />
nachfolgenden Interview treffend: «Der<br />
Teufel liegt im Detail.» Aber keine Angst,<br />
sie macht auch Mut: «Nehmt es in Angriff<br />
und scheut den Aufwand nicht!»<br />
Unbedingt Versicherungsschutz<br />
überprüfen<br />
Gehen Sie nicht davon aus, dass Ihre aktuellen<br />
Versicherungen in der Schweiz auch<br />
im Ausland den richtigen Schutz bieten.<br />
Es gibt im Gegenteil je nach Land verschiedenste<br />
Aspekte zu beachten und zu<br />
überprüfen, damit man im Falle eines Falles<br />
auch im Ausland jederzeit ausreichend<br />
geschützt ist. Man hört zwar solche Fragen<br />
eher ungern, muss sie sich aber dennoch<br />
stellen: Was passiert bei einem Unfall, bei<br />
einer Krankheit? Ist man ausreichend versichert,<br />
erhält man rasch Hilfe vor Ort,<br />
werden die Kosten vom Versicherer übernommen?<br />
Was, wenn man dauerhafte Gesundheitsschädigungen<br />
davonträgt? Erhält<br />
man eine Rente? Bezahlt die IV- oder<br />
56<br />
die Unfallversicherung? Wie ist es, wenn<br />
man anderen Personen einen Schaden zufügt?<br />
MEDISERVICE <strong>VSAO</strong> bietet seinen<br />
Mitgliedern in Zusammenarbeit mit expatpartners<br />
ag professionelle Unterstützung<br />
bei Versicherungsfragen für einen<br />
Auslandaufenthalt an.<br />
Ganz oben auf der «To-do-Liste» steht<br />
die Krankenversicherung. Kosten für ambulante<br />
und stationäre Behandlungen<br />
müssen gedeckt sein, nicht nur im Notfall.<br />
Gesetzliche Bestimmungen müssen beachtet<br />
werden. Zusätzlich müssen Fragen<br />
beantwortet werden: Darf man seine Deckung<br />
hier in der Schweiz beibehalten?<br />
Wenn ja, wie lange, und ist der Versicherungsschutz<br />
ausreichend? Welches ist die<br />
kostengünstigste Lösung? MEDISERVICE<br />
<strong>VSAO</strong> hilft mit seinem Know-how und seiner<br />
Erfahrung gerne mit einer individuellen<br />
Beratung weiter.<br />
Auf keinen Fall darf man die AHV vergessen.<br />
Denn wenn durch einen Auslandaufenthalt<br />
Beitragslücken entstehen,<br />
wirkt sich das spürbar negativ auf die spätere<br />
Rente aus. Deshalb ist die jährliche<br />
Beitragszahlung unerlässlich!<br />
Stellenunterbruch<br />
In diesem Bereich wird unterschieden<br />
zwischen Angestellten und Selbständigerwerbenden.<br />
Voraussetzungen und Leistungen<br />
sind recht komplex. Basisinformationen<br />
sind auf www.mediservice-vsao.ch<br />
Nützliche Links:<br />
www.siwf.ch<br />
www.vsao.ch<br />
www.mediservice-vsao.ch<br />
www.expatpartners.ch<br />
www.auslandkrankenkasse.ch<br />
www.bag.admin.ch<br />
www.ahv-iv.ch<br />
Umfassendes<br />
Dienstleistungsangebot<br />
Obschon MEDISERVICE <strong>VSAO</strong> seinen<br />
Schwerpunkt auf Versicherungsleistungen<br />
legt, begleitet er Medizinerinnen<br />
und Mediziner mit zahlreichen<br />
weiteren Dienstleistungen durch die<br />
verschiedenen Lebensphasen.<br />
– Wir empfehlen zum Beispiel via<br />
medisem.ch ausgewählte professionelle<br />
Seminare zu praktisch allen<br />
relevanten Themen.<br />
– Via jobmed.ch vermitteln wir Stellen<br />
für Mediziner, die im ambulanten<br />
oder stationären Bereich eine neue<br />
Herausforderung suchen.<br />
– Auch zu Auslandaufenthalten gibt es<br />
bei uns praktische, hilfreiche Tipps.<br />
– Wenn es um die Praxis geht, wartet<br />
bei uns ein ganzer Ordner mit elf<br />
Kapiteln zu betrieblichen und administrativen<br />
Themen (z.B. Einrichtung,<br />
Bewilligungen, Versicherungen,<br />
Personalwesen etc.) auf Sie.<br />
– Und last, but not least arbeiten wir<br />
auch mit renommierten Beratungsstellen<br />
und Treuhandpartnern<br />
zusammen, wenn Sie professionelle<br />
Unterstützung bei Finanz-, Vorsorgeund<br />
Steuerthemen wünschen.<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
MEDISERVICE<br />
Bitte lesen Sie das Kleingedruckte (3)<br />
«Nehmt es<br />
in Angriff»<br />
Einmal eine Zeitlang im Ausland leben und arbeiten,<br />
für viele Ärztinnen und Ärzte ein Traum.<br />
Franziska Holzner ist mit ihrer Familie nach Schweden gegangen,<br />
um als pädiatrische Notfallmedizinerin tätig zu sein.<br />
Du beantwortest diese Fragen<br />
von Schweden aus. Weshalb<br />
hast Du Dich zu einem Auslandaufenthalt<br />
entschlossen?<br />
Schon im Gymnasium und während des<br />
Studiums hatte ich das Privileg, ein anderes<br />
Land «von innen» kennenlernen zu<br />
dürfen. Seit Jahren wollte ich dies auch im<br />
Zusammenhang mit meinem Beruf machen.<br />
Ich erhoffte mir eine persönliche<br />
und medizinische Horizonterweiterung.<br />
Im vergangenen Jahr war für uns als Familie<br />
der Zeitpunkt gekommen, diesen<br />
Wunsch in die Tat umzusetzen.<br />
Bild: zvg<br />
Nach welchen Kriterien hast Du eine<br />
Stelle im Ausland gesucht?<br />
Es war klar, dass ein Auslandaufenthalt<br />
einen grossen Aufwand in vielerlei Hinsicht<br />
bedeutet. Ich bin pädiatrische Notfallmedizinerin,<br />
eine in Europa junge Disziplin,<br />
und wollte nur eine Stelle, an der<br />
ich mich in meinem Bereich weiterbilden<br />
kann. Ausserdem sollte die Destination attraktiv<br />
und als Familie «machbar» sein.<br />
Dies beinhaltet für uns organisatorische,<br />
finanzielle, geografische und sprachliche<br />
Aspekte.<br />
Wie hast Du die Stelle gefunden?<br />
Ich hörte von verschiedenen Seiten, dass<br />
eine Zürcher Kollegin hier in Stockholm<br />
als Oberärztin auf dem Kindernotfall arbeitet.<br />
Ich traf sie an einem Kongress, daraus<br />
entwickelte sich ein Kontakt zu meiner<br />
jetzigen Chefin, ein erster Besuch in Stockholm<br />
und schlussendlich unser Umzug.<br />
Der Blick in eine andere Welt hilft, das Vertraute mit neuen Augen zu sehen.<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 57
MEDISERVICE<br />
Wie lange hat die Planung gedauert?<br />
Der erste Kontakt und die konkrete Auseinandersetzung<br />
mit den administrativen<br />
Abläufen geschah zwei Jahre vor unserer<br />
Abreise. Dann kündigte sich unser zweites<br />
Kind an und wir verschoben die Auslandpläne,<br />
intensivierten aber den Sprachunterricht.<br />
Der definitive Entscheid fiel vier<br />
Monate vor Abreise. Diese Monate waren<br />
dann aber sehr intensiv.<br />
Mit welchen Erwartungen bist Du gestartet?<br />
Für mich stand die Auslanderfahrung als<br />
Ganzes im Vordergrund. Stockholm kennenzulernen<br />
und als Familie einen neuen<br />
Alltag zu erleben und zu gestalten. Ebenso<br />
wollte ich ein anderes Gesundheitssystem<br />
kennenlernen und natürlich meine fachlichen<br />
Kenntnisse vertiefen und verbreitern.<br />
Welches war die grösste Überraschung?<br />
Die Art und Weise, wie hier die Bedürfnisse<br />
des Personals aufgenommen und auch<br />
eingefordert werden, hat mich überrascht.<br />
Erst jetzt habe ich wieder gemerkt, wie<br />
sehr wir in der Schweiz bereit sind, unsere<br />
Bedürfnisse hintanzustellen. Letztmals<br />
hatte ich mich in meinem Wahlstudienjahr<br />
darüber gewundert.<br />
Und dann natürlich die Sars-Cov-2-<br />
Pandemie. Die kam überraschend und hat<br />
auch unsere Pläne durchgeschüttelt. Den<br />
Umgang mit der Pandemie und die jeweilige<br />
Berichterstattung in zwei Ländern<br />
mitzuerleben, stellt vermeintlich klare Positionen<br />
in Frage.<br />
Und was die grössten Herausforderungen?<br />
Rein praktisch liegt der Teufel im Detail.<br />
Wir wussten zwar, dass das Leben in<br />
Schweden bis zur offiziellen Registrierung<br />
mit der «Personennummer» kompliziert<br />
ist. Wie kompliziert das ist und wie viel Geduld<br />
das brauchen würde, hat uns dann<br />
doch überrascht. Vom Mobiltelefon-Abo<br />
über das Konto sowie die Kundenkarte im<br />
Supermarkt bis hin zur im digitalen schwedischen<br />
Alltag unentbehrlichen elektronischen<br />
ID – nichts geht ohne «Personennummer».<br />
Sich alleine in einem neuen<br />
Land zurechtzufinden, braucht Energie.<br />
Wenn sich vier Personen neu zurechtfinden<br />
sollen, braucht das sehr viel Energie.<br />
Während der Arbeit auf einer Notfallstation<br />
interagiert man konstant mit verschiedensten<br />
anderen Disziplinen, Instanzen<br />
und Strukturen. Sich diesbezüglich<br />
in einem fremden Gesundheitswesen<br />
zurechtzufinden und möglichst korrekt<br />
und effizient zu bewegen, ist weiterhin<br />
täglich eine Herausforderung.<br />
Was rätst Du all jenen, die ebenfalls einen<br />
Auslandaufenthalt machen möchten?<br />
Nehmt es in Angriff und scheut den Aufwand<br />
nicht! Hilfreich und energiesparend<br />
ist ein Austausch mit Kollegen, die denselben<br />
Weg schon gegangen sind.<br />
Wo stehst Du heute und wie geht es weiter?<br />
Wir sind nun seit 10 Monaten in Schweden.<br />
Wir fühlen uns daheim und ich habe<br />
in der alltäglichen Arbeit Sicherheit gewonnen.<br />
Vor uns liegen noch 2,5 Monate schwedischer<br />
Sommer. Das heisst längere Ferien<br />
und einige traumalastige Wochen auf dem<br />
Notfall. Ich denke und hoffe, dass wir nun<br />
privat und beruflich vor allem ernten und<br />
geniessen können.<br />
Danach darf ich meine Stelle als Oberärztin<br />
am Notfallzentrum für Kinder und<br />
Jugendliche des Inselspitals, welche ich<br />
vor zwei Jahren vor der Geburt unserer<br />
Tochter verlassen habe, erneut aufnehmen.<br />
Es wird spannend sein, die «alte Heimat»<br />
mit «frischen» Augen zu sehen. Ich<br />
möchte Positives von hier mitnehmen und<br />
Vermisstes wieder bewusst wertschätzen.<br />
Zur Person<br />
Franziska Holzner hat das Studium<br />
der Humanmedizin an der Universität<br />
Zürich 2008 abgeschlossen. Sie ist<br />
Kinderärztin und pädiatrische Notfallmedizinerin,<br />
Mutter zweier Kinder,<br />
Partnerin, Reise- und Naturliebhaberin<br />
und Redaktionsmitglied des<br />
VSA0-Journals.<br />
Anzeige<br />
Zusatzversicherungen künden?<br />
Falls Sie über eine Zusatzversicherung zu Ihrer Krankenkasse verfügen (Krankenpflegeversicherung/Spital<br />
halbprivat bzw. privat) und mit einem Wechsel liebäugeln, müssen<br />
Sie die Kündigungsfristen beachten. Im Gegensatz zur Grundversicherung gelten<br />
andere, längere Fristen. In der Regel betragen diese Fristen drei bis sechs Monate.<br />
Zunehmend werden jedoch längere Vertragsdauern (mehrjährig) vereinbart. Daher<br />
sollte man rechtzeitig eine Überprüfung seiner Zusatzversicherung vornehmen. Eine<br />
Kündigung ist unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Frist jederzeit möglich.<br />
Im Gegensatz zur Grundversicherung sind die Leistungen in der Zusatzversicherung<br />
von Krankenkasse zu Krankenkasse verschieden. In der Zusatzversicherung können die<br />
Krankenkassen die Prämie risikogerecht, d.h. abgestuft nach Alter und Geschlecht,<br />
gestalten. Entsprechend dürfen Vorbehalte angebracht werden oder es kann eine Ablehnung<br />
erfolgen. Daher sollte man auf keinen Fall die bestehende Zusatzversicherung<br />
künden, ohne dass eine Aufnahmebestätigung des künftigen Versicherers vorliegt.<br />
Wir arbeiten mit zahlreichen Krankenversicherer zusammen und können Ihnen dank<br />
unsern Kollektivverträgen vorteilhafte Angebote unterbreiten.<br />
Für Auskünfte wenden Sie sich bitte an MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC: Tel. 031 350 44 22,<br />
info@mediservice-vsao.ch<br />
Erste Hilfe<br />
für Menschen mit<br />
letzter Hoffnung<br />
www.msf.ch<br />
PK 12-100-2<br />
58<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
MEDISERVICE<br />
Briefkasten<br />
E-Trottinetts –<br />
Haftpflicht bedenken<br />
Bild: zvg<br />
Heute sieht man immer<br />
mehr E-Trottinetts in der<br />
Stadt. Auch ich miete<br />
gerne hin und wieder eines<br />
oder leihe es mir aus, um schnell von A<br />
nach B zu kommen. Nun habe ich mich<br />
gefragt, ob ich versichert bin, wenn ich<br />
ein E-Trottinett miete oder teile.<br />
E-Trottinetts gehören in den meisten<br />
Schweizer Städten mittlerweile zum<br />
Stadtbild. Doch im Zuge der Coronakrise<br />
Die Allianz Suisse unterstützt neue<br />
Mobilitätstrends wie E-Scooter und<br />
setzt dabei auf Einfachheit für ihre<br />
Kunden: So sind auch Schäden an<br />
Dritten durch die Nutzung geliehener<br />
bzw. mitbenutzter E-Trottinetts für<br />
Allianz-Kunden über die Privathaftpflichtversicherung<br />
gedeckt – ohne<br />
Zusatzkosten.<br />
MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC und<br />
Allianz Suisse arbeiten seit vielen<br />
Jahren erfolgreich zusammen. Ihr<br />
Mehrwert als Mitglied bei MEDISER-<br />
VICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC: vorteilhafte<br />
Konditionen beim Abschluss einer<br />
Versicherung bei der Allianz Suisse:<br />
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Versicherungen der Allianz,<br />
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Bedürfnissen.<br />
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mediservice/<br />
Allianz Suisse<br />
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verguenstigungen@allianz.ch<br />
wurden E-Scooter teilweise eingesammelt<br />
und eingestellt. In der Zwischenzeit sind<br />
die praktischen Flitzer in vielen Innenstädten<br />
jedoch wieder anzutreffen. Denn<br />
sie sind gerade im Sommer eine attraktive<br />
Alternative: kurzerhand nach der Arbeit<br />
ein E-Trottinett schnappen, per App<br />
entriegeln, an den Zielort fahren, abstellen,<br />
verriegeln und gut ist. So einfach<br />
jedoch die Bedienung in der Regel ist<br />
– der richtige Umgang mit E-Scootern hat<br />
auch seine Tücken. Häufig scheint es<br />
nämlich einfacher, als es ist. Deshalb ist<br />
vor dem Start erst einmal gut zu wissen:<br />
E-Scooter sind im Strassenverkehr<br />
Velos gleichgestellt. Das Bundesamt für<br />
Strassen (ASTRA) schreibt zusätzlich zu<br />
den geltenden Verkehrsregeln technische<br />
Vorschriften für das E-Trottinett vor. Der<br />
Fahrer trägt die Verantwortung, diese<br />
vorab zu prüfen und einzuhalten:<br />
• Es darf nur auf Strassen gefahren<br />
werden. Abkürzungen über Fusswege<br />
werden gebüsst.<br />
• Ein Führerausweis ist nicht notwendig.<br />
Ausnahme: Jugendliche von 14 bis 16<br />
Jahren müssen im Besitz eines Führerausweises<br />
der Kategorie M sein.<br />
• Es gibt keine Helmpflicht, das Tragen<br />
eines Helms wird jedoch empfohlen.<br />
• Eine Warnglocke und rote Rückstrahler<br />
nach hinten sind obligatorisch.<br />
• Das Abbiegen muss mit den Armen<br />
signalisiert werden.<br />
So weit zu den Vorschriften. Jedoch<br />
will auch der Umgang mit einem E-Scooter,<br />
der bis zu 20 km/h schnell ist, gelernt<br />
sein – gerade in der Stadt. Je mehr<br />
E-Scooter unterwegs sind, desto grösser<br />
ist die Unfallgefahr. Deshalb stellt sich<br />
die Frage: Wie sieht es eigentlich mit dem<br />
Versicherungsschutz aus?<br />
Bei eigenen E-Trottinetts (bis max.<br />
20 km/h) sind alle Personen-, Sach- und<br />
Vermögensschäden, die an Drittpersonen<br />
verursacht wurden, automatisch über die<br />
Privathaftpflichtversicherung gedeckt.<br />
Bei vielen Versicherungen gilt dies<br />
allerdings nicht für gemietete bzw.<br />
mitbenutzte (Sharing) E-Scooter. Das<br />
bedeutet: Viele fahren ohne entsprechenden<br />
Versicherungsschutz durch die Stadt.<br />
Das kann gerade bei Unfällen mit Personen<br />
sehr teuer werden, wenn die Folgeschäden<br />
aus der eigenen Tasche bezahlt<br />
werden müssen. Deshalb sollten regelmässige<br />
E-Scooter-Fahrer unbedingt<br />
abklären, ob verursachte Schäden mit<br />
gemieteten bzw. mitbenutzten E-Trottinetts<br />
in ihrer Privathaftpflichtversicherung<br />
ebenfalls eingeschlossen sind.<br />
Ist dies abgeklärt und sind die<br />
Vorschriften für E-Scooter bekannt, steht<br />
dem sorgenfreien Benutzen dieser<br />
kleinen Allrounder nichts mehr im Wege.<br />
App starten – E-Trottinett entriegeln –<br />
und los gehts!<br />
Raphaela Schelbert<br />
Key Account<br />
Managerin,<br />
Allianz Suisse<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 59
Wir beraten Ärztinnen und Ärzte, weil wir sie gut verstehen.<br />
Lassen Sie sich von uns einen gratis Versicherungs-Check-Up<br />
verschreiben. Und danach sprechen wir über Ihre Personenversicherung,<br />
Sach- und Vermögensversicherung und Unfallversicherung.<br />
www.mediservice-vsao.ch
MEDISERVICE<br />
Jetzt die<br />
Krankenkassendeckung<br />
überprüfen<br />
Der 30. November <strong>2020</strong> ist der Stichtag: Bis dann müssen Sie die<br />
Krankenkasse wechseln, wenn Sie die Grundversicherung<br />
anderswo abschliessen möchten. Vorsicht bei Zusatzversicherungen:<br />
Hier gelten andere Kündigungsfristen.<br />
Stephan Fischer, Chefredaktor Visana-Kundenmagazine<br />
Sie können Ihre Grundversicherung<br />
bis Ende November wechseln.<br />
Trotzdem ist es sinnvoll,<br />
wenn Sie sich schon vorher in<br />
Ruhe beraten lassen, welches Versicherungsmodell<br />
am besten zu Ihnen und Ihrer<br />
Familie passt.<br />
Wenn die neuen Policen im Oktober<br />
eintreffen, werden die Geschäftsstellen<br />
von Terminanfragen überrannt. Viele<br />
möchten wissen, wie sie Prämien sparen<br />
können. Darum empfehlen wir Ihnen,<br />
nicht erst im Herbst aktiv zu werden. Lassen<br />
Sie sich in Ruhe beraten, ob sich ein<br />
anderes Versicherungsmodell oder ein<br />
Wechsel für Sie lohnt.<br />
Kasse zu Kasse. Bei gleichbleibenden Prämien<br />
müssen Sie Zusatzversicherungen<br />
meist drei, manchmal sogar sechs Monate<br />
vor Jahresende kündigen. Falls sich Ihre<br />
Prämie ändert, können Sie die Zusatzversicherung<br />
bis zum letzten Tag vor Inkrafttreten<br />
der neuen Prämie kündigen. Eine<br />
weitere Kündigungsmöglichkeit ergibt<br />
sich im Leistungsfall. Gerne beraten Sie<br />
die Fachleute dazu.<br />
Sparen bei den Prämien?<br />
Wir helfen Ihnen<br />
Die obligatorische Grundversicherung<br />
bietet Ihnen die optimale medizinische<br />
Versorgung. Wenn Sie bei den Prämien<br />
sparen möchten, können Sie ein alternatives<br />
Modell (zum Beispiel ein telemedizinisches<br />
Modell) wählen. Oder Sie schöpfen<br />
einen höheren Rabatt in der Grundversicherung<br />
aus, indem Sie Ihre Franchise erhöhen<br />
und mehr Eigenverantwortung<br />
übernehmen.<br />
Zeit bis Ende November<br />
Für die Grundversicherung gilt: Spätestens<br />
am letzten Arbeitstag im November<br />
– dieses Jahr ist es der 30. November −<br />
muss das Kündigungsschreiben bei der<br />
bisherigen Krankenkasse eingetroffen<br />
sein (am besten eingeschrieben). Die Kündigungsfrist<br />
gilt unabhängig davon, ob die<br />
neue Prämie höher, tiefer oder gleich hoch<br />
ist. Für die Anmeldung der Grundversicherung<br />
bei einer neuen Krankenkasse<br />
haben Sie Zeit bis Ende Jahr.<br />
Andere Regelung bei<br />
Zusatzversicherungen<br />
Bei den Zusatzversicherungen gelten andere<br />
Kündigungsfisten. Sie variieren von<br />
Exklusive Prämien rabatte auf die<br />
Zusatzversicherungen<br />
Dank der Partnerschaft des MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC mit Visana erhalten Sie und alle<br />
Mitglieder in Ihrem Haushalt einmalige Prämienrabatte auf die Zusatzversicherungen<br />
der Visana:<br />
• Bis zu 20 Prozent Kollektivrabatt auf die Spitalzusatzversicherung<br />
• 20 Prozent Gesundheitsrabatt auf die Spitalzusatzversicherung<br />
Unser Geschenk für Sie: ein Coop-Gutschein im Wert von 30 Franken<br />
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Gerne beraten wir Sie in einer Visana-Geschäftsstelle oder bei Ihnen zu Hause. Hier<br />
können Sie uns erreichen:<br />
Visana Services AG, Weltpoststrasse 19, 3000 Bern 15, Telefon 0848 848 899<br />
www.visana.ch/hk/ms-vsao<br />
<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 4/20 61
Logo_Q-Publikation_D_2018_CMYK.pdf 1 03.04.18 11:40<br />
Impressum<br />
Kontaktadressen der Sektionen<br />
<strong>Nr</strong>. 4 • 39. Jahrgang • <strong>August</strong> <strong>2020</strong><br />
Herausgeber/Verlag<br />
AG<br />
<strong>VSAO</strong> Sektion Aargau, Geschäftsstelle: lic. iur. Eric Vultier, Auf der<br />
Mauer 2, 8001 Zürich, vultier@schai-vultier.ch, Tel. 044 250 43 23,<br />
Fax 044 250 43 20<br />
MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />
Bollwerk 10, Postfach, 3001 Bern<br />
Telefon 031 350 44 88<br />
journal@vsao.ch, journal@asmac.ch<br />
www.vsao.ch, www.asmac.ch<br />
Im Auftrag des <strong>VSAO</strong><br />
Redaktion<br />
Catherine Aeschbacher (Chefredaktorin),<br />
Giacomo Branger, Franziska Holzner-<br />
Arnold, Kerstin Jost, Fabian Kraxner, Léo<br />
Pavlopoulos, Lukas Staub, Anna Wang,<br />
Sophie Yammine<br />
Geschäfts ausschuss vsao<br />
Anja Zyska (Präsidentin), Patrizia Kündig<br />
(Vize präsidentin), Angelo Barrile (Vizepräsident),<br />
Nora Bienz, Christoph Bosshard<br />
(Gast), Marius Grädel, Dina-Maria Jakob<br />
(Gast), Helen Manser, Gert Printzen, Patrizia<br />
Rölli, Miodrag Savic (Gast), Jana Siroka,<br />
Michael Burkhardt (swimsa)<br />
Druck, Herstellung und Versand<br />
Stämpfli AG, Wölflistrasse 1, CH-3001 Bern<br />
Telefon +41 31 300 66 66<br />
info@staempfli.com, www.staempfli.com<br />
Layout<br />
Tom Wegner<br />
Titelillustration<br />
Till Lauer<br />
Inserate<br />
Zürichsee Werbe AG, Fachmedien,<br />
Markus Haas, Laubisrütistrasse 44, 8712 Stäfa<br />
Telefon 044 928 56 53<br />
E-Mail vsao@fachmedien.ch<br />
Auflagen<br />
Druckauflage: 22 200 Expl.<br />
WEMF/SW-Beglaubigung 2019: 21 902 Expl.<br />
Erscheinungshäufigkeit: 6 Hefte pro Jahr.<br />
Für <strong>VSAO</strong>-Mitglieder im Jahresbeitrag<br />
inbegriffen.<br />
ISSN 1422-2086<br />
Ausgabe <strong>Nr</strong>. 5/<strong>2020</strong> erscheint im Oktober <strong>2020</strong>.<br />
Thema: Raum<br />
© <strong>2020</strong> by <strong>VSAO</strong>, 3001 Bern<br />
Printed in Switzerland<br />
BL/BS<br />
<strong>VSAO</strong> Sektion beider Basel, Geschäftsleiterin und Sekretariat:<br />
lic. iur. Claudia von Wartburg, Advokatin, Hauptstrasse 104,<br />
4102 Binningen, Tel. 061 421 05 95, Fax 061 421 25 60,<br />
sekretariat@vsao-basel.ch, www.vsao-basel.ch<br />
BE <strong>VSAO</strong> Sektion Bern, Schwarztorstrasse 7, 3007 Bern, Tel. 031 381 39 39,<br />
info@vsao-bern.ch, www.vsao-bern.ch<br />
FR<br />
ASMAC Sektion Freiburg, Gabriela Kaufmann-Hostettler,<br />
Wattenwylweg 21, 3006 Bern, Tel. 031 332 41 10, Fax 031 332 41 12,<br />
info@gkaufmann.ch<br />
GE Associations des Médecins d’Institutions de Genève, Postfach 23,<br />
Rue Gabrielle-Perret-Gentil 4, 1211 Genf 14, amig@amig.ch, www.amig.ch<br />
GR<br />
JU<br />
NE<br />
<strong>VSAO</strong> Sektion Graubünden, 7000 Chur, Samuel B. Nadig, lic. iur. HSG,<br />
RA Geschäftsführer/Sektionsjurist, Tel. 078 880 81 64, info@vsao-gr.ch,<br />
www.vsao-gr.ch<br />
ASMAC Jura, 6, chemin des Fontaines, 2800 Delémont,<br />
marie.maulini@h-ju.ch<br />
ASMAC Sektion Neuenburg, Joël Vuilleumier,<br />
Jurist, Rue du Musée 6, Postfach 2247, 2001 Neuenburg,<br />
Tel. 032 725 10 11, vuilleumier@valegal.ch<br />
SG/AI/AR <strong>VSAO</strong> Sektion St. Gallen-Appenzell, Bettina Surber, Oberer Graben 44,<br />
9000 St. Gallen, Tel. 071 228 41 11, Fax 071 228 41 12,<br />
Surber@anwaelte44.ch<br />
SO<br />
TI<br />
TG<br />
VD<br />
VS<br />
<strong>VSAO</strong> Sektion Solothurn, Geschäftsstelle: lic. iur. Eric Vultier, Auf der<br />
Mauer 2, 8001 Zürich, vultier@schai-vultier.ch, Tel. 044 250 43 23,<br />
Fax 044 250 43 20<br />
ASMAC Ticino, Via Cantonale 8-Stabile Qi, 6805 Mezzovico-Vira,<br />
segretariato@asmact.ch<br />
<strong>VSAO</strong> Sektion Thurgau, Geschäftsstelle: lic. iur. Eric Vultier, Auf der<br />
Mauer 2, 8001 Zürich, vultier@schai-vultier.ch, Tel. 044 250 43 23,<br />
Fax 044 250 43 20<br />
ASMAV, case postale 9, 1011 Lausanne-CHUV,<br />
asmav@asmav.ch, www.asmav.ch<br />
ASMAVal, p.a. Maître Valentine Gétaz Kunz,<br />
Ruelle du Temple 4, CP 20, 1096 Cully, contact@asmaval.ch<br />
Zentralschweiz (LU, ZG, SZ, GL, OW, NW, UR)<br />
<strong>VSAO</strong> Sektion Zentralschweiz, Geschäftsstelle: lic. iur. Eric Vultier,<br />
Auf der Mauer 2, 8001 Zürich, vultier@schai-vultier.ch,<br />
Tel. 044 250 43 23, Fax 044 250 43 20<br />
ZH/SH<br />
<strong>VSAO</strong> ZÜRICH/SCHAFFHAUSEN, RA lic. iur. Susanne Hasse,<br />
Geschäftsführerin, Rämistrasse 46, 8001 Zürich, Tel. 044 941 46 78,<br />
susanne.hasse@vsao-zh.ch, www.vsao-zh.ch<br />
Publikation2019<br />
FOKUSSIERT<br />
KOMPETENT<br />
TRANSPARENT<br />
Gütesiegel Q-Publikation<br />
des Verbandes Schweizer Medien<br />
62<br />
4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal
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