31.08.2020 Aufrufe

VSAO JOURNAL Nr. 4 - August 2020

Prozess - Justiz, Religion, Evolution Gastroenterologie - Das Chamäleon Zöliakie Infektiologie - Urogynäkologische Infektionen Politik - Zurück in die Zukunft (?)

Prozess - Justiz, Religion, Evolution
Gastroenterologie - Das Chamäleon Zöliakie
Infektiologie - Urogynäkologische Infektionen
Politik - Zurück in die Zukunft (?)

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Perspektiven<br />

Aktuelles aus der Gastroenterologie: Zöliakie<br />

Das Chamäleon<br />

erkennen<br />

Zöliakie ist bezüglich Symptomen und Schwere der Erkrankung<br />

höchst unterschiedlich. Umso wichtiger ist eine frühzeitige Abklärung.<br />

Eine glutenfreie Diät ist bislang die einzige Therapie;<br />

Studien für andere Ansätze befinden sich in Phase II oder III.<br />

Prof. Dr. med. Stephan Vavricka 1,3<br />

PD Dr. med. Jonas Zeitz 2,3<br />

Die Zöliakie ist eine chronische,<br />

entzündliche Erkrankung<br />

des Dünndarms, welche<br />

immunologisch vermittelt ist<br />

und genetisch prädisponierte Individuen<br />

betrifft [1]. Durch die Aufnahme von Gluten<br />

kommt es zu einer Schädigung des<br />

Dünndarms, die durch Schleimhautentzündung,<br />

Kryptenhyperplasie und Zotten<br />

atrophie gekennzeichnet ist und im<br />

Verlauf zu einer Malabsorption von Nährstoffen<br />

und damit verbundenen Komplikationen<br />

führen kann [2]. Gluten ist eine<br />

Proteinkomponente von verschiedenen<br />

Getreidesorten wie beispielsweise Weizen,<br />

Hafer, Roggen und Gerste. Die erste,<br />

neuere Beschreibung der Zöliakie erfolgte<br />

schon im Jahr 1888 durch den englischen<br />

Arzt Samuel Gee. Erste Einblicke in die<br />

Pathogene der Zöliakie gab es bereits<br />

während des Zweiten Weltkrieges: Der<br />

Arzt Willem Karel Dicke beobachtete,<br />

dass sich Patienten mit rezidivierender<br />

Diar rhö besserten, wenn in Zeiten der<br />

Nahrungsmittelknappheit hauptsächlich<br />

nicht weizenhaltige Lebensmittel verzehrt<br />

wurden [3].<br />

Die ersten Beschreibungen der durch<br />

Gluten im Dünndarm verursachten Schäden<br />

mit duodenaler Schleimhautentzündung,<br />

Kryptenhyperplasie und villöser<br />

Atrophie wurden 1954 veröffentlicht<br />

[4].<br />

Früher wurde die Zöliakie als eine seltene<br />

Kindererkrankung angesehen. Durch eine<br />

verbesserte Diagnostik, insbesondere<br />

durch die Nachweis von Endomysiumund<br />

Transglutaminase-Antikörpern, kam<br />

es zu einer signifikanten Zunahme der Diagnose<br />

der Erkrankung allgemein, mit einer<br />

ebenfalls deutlichen Zunahme der Diagnose<br />

der Erkrankung im Erwachsenenalter<br />

[5].<br />

Epidemiologie<br />

In der Vergangenheit lag eine Unterdiagnose<br />

der Zöliakie vor; aufgrund der Entwicklung<br />

serologischer Tests konnte die<br />

Einschätzung der Inzidenz und Prävalenz<br />

der Zöliakie in den letzten Jahren jedoch<br />

stark verbessert werden [6, 7]. In einer finnischen<br />

Studie konnte eine Prävalenz von<br />

einem Prozent bei Kindern nachgewiesen<br />

werden [8]. Bei Erwachsenen wurden sowohl<br />

in den USA als auch in europäischen<br />

Ländern ähnliche Prävalenzen festgestellt<br />

[9–13]. Insgesamt ist ein Anstieg der Zöliakieprävalenz<br />

zu verzeichnen, eine finnische<br />

Studie zeigte über ungefähr 20 Jahre<br />

eine Verdopplung der Prävalenz und Studien<br />

aus den Vereinigten Staaten belegen<br />

eine 4- bis 4,5-fache Zunahme der Prävalenz<br />

über die letzten 50 Jahre [14, 15]. Gewisse<br />

Risikopopulationen wie Verwandte<br />

ersten und zweiten Grades mit Zöliakie<br />

zeigen eine höhere Prävalenz [16]. In Be­<br />

zug auf das Geschlecht gibt es eine weibliche<br />

Dominanz mit einem Verhältnis von<br />

Frauen zu Männern von 3 zu 2 [17].<br />

Pathogenese<br />

Neben der Exposition gegenüber Gluten<br />

werden verschiedene andere umweltbedingte<br />

und genetische Faktoren als die<br />

Hauptfaktoren in der Pathogenese der<br />

Zöliakie angesehen.<br />

Es wird angenommen, dass fast 100<br />

Prozent aller Patienten mit Zöliakie Varian<br />

ten der HLA-Klasse-II-Gene HLA-<br />

DQA1 und HLA-DQB1 tragen [18]. Da jedoch<br />

30 bis 40 Prozent der Allgemeinbevölkerung<br />

Träger von DQ2 und/oder DQ8<br />

sind, reicht der HLA-Test allein nicht für<br />

die Diagnose von Zöliakie aus. Er kann<br />

aber aufgrund seines sehr hohen negativen<br />

Vorhersagewerts von fast 100 Prozent<br />

zum Ausschluss von Zöliakie verwendet<br />

werden.<br />

Gluten ist der Hauptumweltfaktor bei<br />

der Pathogenese der Zöliakie, es ist ein<br />

Speicherprotein, das in Getreiden wie<br />

Weizen, Gerste und Roggen enthalten ist.<br />

Die Aufnahme von Gluten führt zu einer<br />

adaptiven Immunantwort und auch zu einer<br />

Immunreaktion, ausgelöst durch die<br />

angeborene Immunantwort, welche den<br />

Dünndarmschaden bei der Zöliakie auslöst<br />

[19–23]. Verschiedene Umweltfaktoren<br />

wie das Stillen, Veränderungen der<br />

42<br />

4/20 <strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!