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46 medAmbiente 1 · 2008<br />

Kolumne<br />

Die Architektin und<br />

freie Journalistin<br />

schreibt für diverse<br />

Medien im Bereich<br />

Architektur und Gesundheit.<br />

Seit 2002 ist<br />

<strong>sie</strong> verantwortlich für<br />

die Öffentlichkeitsarbeit<br />

im Büro Feddersen<br />

Architekten. Künftig<br />

berät <strong>sie</strong> gemeinsam<br />

mit Eckhard Feddersen<br />

zum Schwerpunkt<br />

„Wohnen im Wandel“.<br />

Insa Lüdtke (35) lebt<br />

und arbeitet in Berlin.<br />

Der Zeit voraus<br />

Von Insa Lüdtke<br />

Wie schnell bereits eine kleine technische Panne<br />

<strong>uns</strong>ere ganzen zivilisatorischen Errungenschaften<br />

aus den Angeln heben kann, musste<br />

ich letzte Woche am eigenen Leib erfahren:<br />

Am Kofferband eines deutschen Flughafens<br />

hatte mich die Zieh-Vorrichtung meines Reise-<br />

Trollys im Stich gelassen. Mehr noch: Die abgebrochene<br />

Metallstange hatte sich mit der zerfetzten<br />

Kante wie eine scharfe Klinge durch<br />

den Korpus gebohrt. Vor meinem inneren Auge<br />

zerplatzte schon mein minutiös geplantes<br />

Tagesprogramm. Zugegeben, ich hatte knapp<br />

kalkuliert und mir mal wieder viel vorgenommen,<br />

schließlich sollte es am Abend gleich zur<br />

nächsten Konferenz in einer anderen Stadt gehen.<br />

Der Kalender kannte kein Erbarmen, mir<br />

blieb nur übrig, mit den Überresten meines<br />

Gepäcks vorlieb zu nehmen.<br />

Ich habe mich eingerichtet. Nicht zuhause,<br />

mittlerweile passt mein ganzes Leben in den<br />

handlichen kompakten Koffer auf Rollen. Mobilität<br />

ist schließlich Trumpf. Apropos: Oft packe<br />

ich gar nicht mehr aus, da die Reiseunterlagen<br />

für die nächste Veranstaltung eh schon bereit<br />

liegen. Wenn ich mich mal wieder in einem<br />

Tagungshotel in der hintersten Reihe eines<br />

Konferenzsaales mit einem so klangvollen Namen<br />

wie „Schwerin“ oder „Genf“ niedergelassen<br />

habe, weiß ich oft schon gar nicht mehr, in<br />

welcher Stadt ich mich gerade wirklich befinde.<br />

Das uniforme Interieur lässt weder eine regionale<br />

noch eine Orientierung im Sinne einer<br />

Stilepoche zu. Ich bin mir sicher, dass auch vor<br />

30 und 50 Jahren der Fußraum des Podiumstisches<br />

mit einem gardinenartig gewellten Stoffbanner<br />

verdeckt wurde und auf den Plätzen<br />

der Zuhörer neben dem obligatorischen<br />

Schreibblock nach der Mittagspause wie von<br />

Zauberhand ein Döschen Minzbonbons liegen.<br />

Meine Jahresplanung orientiert sich weder an<br />

den kirchlichen Feiertagen noch den Schulferien.<br />

Statt dessen ergeben sich zwischen dem<br />

„Medical Wellness Kongress“, der „Altenpflege“-<br />

Notizen aus dem richtigen Leben<br />

Messe, der Tagung „Zur Zukunft der Pflegeeinrichtung“<br />

und diversen weiteren Veranstaltungen<br />

kleinere Zeitfenster zu meiner<br />

individuellen Verfügung. Noch bis vor wenigen<br />

Jahren konzentrierten sich die meist zweitägigen<br />

Veranstaltungen auf das Frühjahr und<br />

den Herbst. Jetzt verordnen die Veranstalter der<br />

Tagungsgemeinde wenigstens noch im August<br />

(Sommerträgheit) und im Dezember (Weihnachtszeit)<br />

eine Unterbrechung des Konferenzmarathons.<br />

Wie gesagt, ich bin bereits voll auf diesen<br />

Rhythmus eingetaktet und will nicht klagen.<br />

Schließlich treibt mich aus meinem Innersten<br />

heraus die eigene Neugierde hinaus in die weite<br />

Tagungswelt: Wie werden wir in Zukunft<br />

wohnen? Was bedeutet nun wirklich der demografische<br />

Wandel für die Gesellschaft? Ist Wellness<br />

ein Megatrend oder doch nur ein Marketingbegriff?<br />

Ich lausche also gespannt und<br />

interes<strong>sie</strong>rt, manchmal ehrlicherweise auch nur<br />

diszipliniert den Vordenkern und Entscheidern<br />

der Nation. Ihre Prognosen und Analysen geben<br />

mir die Gewissheit, am Puls der Zeit, ja ihr<br />

sogar häufig voraus zu sein.<br />

In dem Maße, in dem ich mich in einer Art<br />

Zeitvorsprung befinde, nehme ich inzwischen<br />

Wartezeiten auf Bahnsteigen und Terminals<br />

billigend in Kauf. Dabei fällt mir immer wieder<br />

auf, wie uniform sich die Trolly-Kompanien im<br />

Gleichschritt ihren Weg zum Bahnsteig oder<br />

Gate bahnen: Die kleinen K<strong>uns</strong>tstoffrollen klackern<br />

über Kopfsteinpflaster und Granit als gäbe<br />

es kein Morgen. Vielleicht ist das der kollektive<br />

Versuch, der sinnentleerten Wartezeit<br />

etwas Dynamik entgegenzusetzen.<br />

Wenn ich den Demografen Glauben schenken<br />

darf, die bereits hinter vorgehaltener Hand<br />

einen Zahlendreher eingestehen und den realistischen<br />

Renteneintritt mit 76 Jahren postulieren,<br />

frage ich mich aber doch, wie ich dieses<br />

Tagungs-Karussell die nächsten 41 Jahre<br />

durchhalten soll? Mit einem Wellness-Trolly?<br />

Ich ahne bereits einen Richtungswechsel, vom<br />

Ziehen zum Schieben nämlich bzw. vom Trolly<br />

zum Rolly. An jenem Morgen am Kofferband<br />

drückte sich etwas Hartes sanft in meine Kniekehle:<br />

Eine ältere Dame bot mir eine Mitfahrgelegenheit<br />

für meinen zerborstenen Rollkoffer<br />

im Drahtkorb ihres Rollators an. Die Zukunft<br />

ist schon da.<br />

Kontakt:<br />

Insa Lüdtke<br />

il@architextour.de

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