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architektur FACHMAGAZIN People 2020

Was macht eine Stadt aus? Wie vielschichtig und facettenreich die Auseinandersetzung mit dem Thema „Die Stadt“ dieser Ausgabe von architektur PEOPLE sein kann, war eigentlich von Anfang an absehbar. So kommen auf den folgenden Seiten Expertinnen und Experten aus den Bereichen Architektur, Stadtstrukturforschung, Metropolenplanung ebenso zu Wort wie aus Verkehr- und Mobilitätsentwicklung, Lichtgestaltung oder Landschaftsplanung.

Was macht eine Stadt aus? Wie vielschichtig und facettenreich die Auseinandersetzung mit dem Thema „Die Stadt“ dieser Ausgabe von architektur PEOPLE sein kann, war eigentlich von Anfang an absehbar. So kommen auf den folgenden Seiten Expertinnen und Experten aus den Bereichen Architektur, Stadtstrukturforschung, Metropolenplanung ebenso zu Wort wie aus Verkehr- und Mobilitätsentwicklung, Lichtgestaltung oder Landschaftsplanung.

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<strong>FACHMAGAZIN</strong><br />

WISSEN, BILDUNG, INFORMATION FÜR DIE BAUWIRTSCHAFT<br />

Erscheinungsort Perchtoldsdorf, Verlagspostamt 2380 Perchtoldsdorf. P.b.b. 02Z033056; ISSN: 1606-4550<br />

PEOPLE<br />

Die Stadt


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www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

3<br />

Intro<br />

Was macht eine Stadt aus?<br />

Wie vielschichtig und facettenreich die Auseinandersetzung<br />

mit dem Thema „Die Stadt“ dieser Ausgabe<br />

von <strong>architektur</strong> PEOPLE sein kann, war eigentlich<br />

von Anfang an absehbar. Schon allein die Zusammensetzung<br />

der Gesprächspartnerinnen und -partner<br />

aus den verschiedensten Bereichen ließ einen<br />

guten Überblick über die Ist-Situation und Visionen<br />

erwarten, die allesamt in Richtung bessere Zukunft<br />

führen sollen. Die journalistische Kunst bei derartigen<br />

Projekten ist, die fachspezifischen Auseinandersetzungen<br />

entlang einer groben Themenlinie zu<br />

führen, ohne dabei die Individualität einzuschränken.<br />

Die Bewertung, wie gut uns das gelungen ist, wollen<br />

wir unseren Leserinnen und Lesern überlassen.<br />

So kommen auf den folgenden Seiten Expertinnen<br />

und Experten aus den Bereichen Architektur, Stadtstrukturforschung,<br />

Metropolenplanung ebenso zu<br />

Wort wie aus Verkehr- und Mobilitätsentwicklung,<br />

Lichtgestaltung oder Landschaftsplanung. Große<br />

Überschneidungen gibt es bei der Einleitungsfrage,<br />

was eine Stadt ausmacht. Hier sind abseits der<br />

fachspezifischen Schwerpunkte vielfach Übereinstimmungen<br />

bei den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen<br />

Pluspunkten zu erkennen. Vor allem<br />

das Aufeinandertreffen von differenten sozialen und<br />

ethnischen Gruppen, von unterschiedlichen Milieus<br />

und der Auseinandersetzung damit, charakterisiert<br />

für viele der Befragten den urbanen Raum. Damit<br />

einher gehen Wünsche nach Orten und Räumen, an<br />

denen Überschneidungen der verschiedenen Gruppen<br />

stattfinden können. Stadt bedeutet aber neben<br />

Schönheit, Attraktion, Konsum und Fortschritt auch<br />

Dichte und Diversität, die immer auch ein gewisses<br />

Maß an Konfliktpotenzial mit sich bringen.<br />

Eine wesentliche Forderung an die weitere Entwicklung<br />

der urbanen Räumen ist, dass die Architektur<br />

nicht an der Gebäudegrenze endet, sondern vermehrt<br />

auch die Zwischenräume, den halböffentlichen<br />

Bereich gestalten soll. Die Ausformung der Grenze<br />

zwischen öffentlich und privat wird als ein ganz wesentlicher<br />

Erfolgsfaktor für die positive Entwicklung<br />

einer Stadt gewertet. Und auch, dass der Einfluss<br />

von privaten und kommerziellen Interessen auf den<br />

Stadtraum begrenzt werden muss – so verhindere<br />

etwa der ruhende Verkehr sehr stark die Umsetzung<br />

eines sinnvollen grünen Infrastrukturnetzwerkes.<br />

Gefordert werden auch strengere Widmungen und<br />

Abgrenzungen der unterschiedlichen Nutzungen,<br />

damit es wirkliche Zentren und auch wieder Freiflächen<br />

gibt. Und auch flächenmäßig sollten urbane<br />

Ballungszentren eingeschränkt werden, da zu große<br />

Agglomerationen schlicht unplanbar und nie umfassend<br />

nachhaltig sein könnten.<br />

Die Stadt ist ein hochkomplexer Lebensraum aus<br />

gebauter Struktur und sozialem Gemeinwesen. In<br />

einem Statement in dieser Ausgabe wird es noch exakter<br />

auf den Punkt gebracht: „Es geht um die Verdichtung<br />

von Leben und um die Balance zwischen<br />

Freiheit und Rücksicht.“<br />

Walter Laser<br />

MEDIENINHABER UND HERAUSGEBER Laser Verlag GmbH; Hochstraße 103, A-2380 Perchtoldsdorf, Österreich<br />

CHEFREDAKTION Ing. Walter Laser (walter.laser@laserverlag.at) REDAKTION Alexandra Ullmann<br />

GESCHÄFTSLEITUNG Silvia Laser (silvia.laser@laserverlag.at) MEDIASERVICE Nicolas Paga (nicolas.paga@laserverlag.at) Tel.: +43-1-869 5829-14<br />

GRAFISCHE GESTALTUNG Andreas Laser DRUCK Bauer Medien & Handels GmbH


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

4<br />

Inhalt<br />

PEOPLE<br />

Die Stadt räumlich programmieren<br />

Interview mit Architekt Stefan Mayr<br />

Mehrwert durch Landschafts<strong>architektur</strong><br />

Interview mit Landschaftsarchitektin DI Alice Größinger<br />

Materialien quer durch die Zeit beobachten<br />

Interview mit Künstler Andreas Fogarasi<br />

Das Recht auf Grün<br />

Interview mit Landschaftsplanerin Vera Enzi<br />

Den sozialen Kontext einer Stadt betrachten<br />

Interview mit Architektin Caren Ohrhallinger<br />

Die Stadt mit Licht modellieren<br />

Interview mit den Lichtgestaltern<br />

Mag. art Iris Podgorschek und<br />

Mag. art Michael Podgorschek<br />

Den ländlichen Raum im<br />

menschlichen Maßstab denken<br />

Interview mit Architektin Sonja Hohengasser<br />

und Architekt Jürgen Wirnsberger<br />

Sich den Übergängen einer Stadt widmen<br />

Interview mit Architekt DI Stefan Nussmüller<br />

Stadt transdisziplinär begreifen<br />

Statement von Assoc. Prof. DI Dr. habil. Angelika Psenner<br />

Potentiale und Möglichkeiten<br />

der Stadt(Landschaft)<br />

Statement von Architekt DI Rudolf Steinkogler<br />

und Architekt DI Michael Aigner<br />

Veränderte Straßen für lebenswerte Städte<br />

Interview mit Architekturtheoretiker<br />

Dr. Mathias Mitteregger<br />

Vielfältig dichte Städte schaffen<br />

Interview mit Stadtforscherin DI Dr. Ida Pirstinger<br />

Den Lehmbau die Stadt aneignen lassen<br />

Interview mit Martin Rauch<br />

Gedanken über die Zukunft für<br />

nachhaltige Städte machen<br />

Interview mit Architekt DI Franz Denk<br />

6<br />

10<br />

14<br />

18<br />

22<br />

26<br />

30<br />

34<br />

38<br />

42<br />

44<br />

48<br />

52<br />

56


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

5<br />

Inhalt<br />

LAUFEN.CO.AT<br />

SAPHIRKERAM IK_ENTW ICKELT UND PRO DUZIERT IN Ö STERREICH<br />

ARCHITECT@ WORK_STAND 74_14-15OKT<strong>2020</strong>_ W IENERSTADTHALLE


<strong>architektur</strong> <strong>FACHMAGAZIN</strong><br />

6<br />

Stefan Mayr<br />

Die Stadt räumlich<br />

programmieren<br />

Interview mit Architekt Stefan Mayr<br />

Von Stefan Mayr und Roland Krebs wurde 2010<br />

in Wien ihr Büro superwien urbanism gegründet.<br />

Dabei beschäftigen sie sich vor allem mit Städtebau<br />

und nachhaltiger Architektur. Die Projektbereiche<br />

umfassen großmaßstäbliche Aufgabenstellungen,<br />

genauso wie kleinmaßstäbliche. Sie<br />

reichen von Metropolenplanung und Wohnbau<br />

über Erdgeschosszonen-Strategien, hin zu Beteiligungsprozessen<br />

und Place making. Angesiedelt<br />

sind ihre Projekte in Österreich, Südosteuropa,<br />

Zentralasien und Lateinamerika.<br />

© superwien


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

7<br />

Stefan Mayr<br />

© superwien<br />

Der Entwurf von superwien urbanism für ein Quartier in der Rösslergasse legt den Fokus auf die Schaffung von leistbarem Wohnraum und auf<br />

vielfältige urbane Freiräume. Aktive und interagierende Sockelzonen stärken das urbane Leben und die Identität des Quartiers.<br />

Was macht eine Stadt aus?<br />

Für mich sind die Möglichkeiten, die<br />

Vielfalt und die unterschiedlichen<br />

Lebensweisen interessant, die sich<br />

in einer Stadt ergeben. Natürlich<br />

auch die Dichte und die Intensitäten,<br />

durch die diese sich ergeben. Das<br />

bezieht sich auf persönliche Entwicklungen<br />

von Menschen, aber natürlich<br />

auch auf die Räume, die man<br />

dafür entwickeln muss.<br />

Woran erkennt man eine<br />

funktionierende Stadt?<br />

Städte funktionieren meistens, denn<br />

in Städten müssen immer eine Vielzahl<br />

an Entscheidungen getroffen<br />

werden. Man kann eine Stadt nicht<br />

einfach sich selbst überlassen. In ärmeren<br />

Ländern funktioniert das auch<br />

informell. Es werden Räume geschaffen,<br />

in denen sich Leute austauschen<br />

und etwas zusammen entwickeln,<br />

weil sie dort zusammenleben.<br />

Warum ist der öffentliche Raum<br />

für eine Stadt so bedeutend?<br />

Der öffentliche Raum ist das Grundgefüge<br />

der Stadt. Wenn man ihn als<br />

gemeinsamen Raum denkt, dann<br />

spiegelt er die Demokratie wider. Mit<br />

ihm sind gewisse Rechte und auch<br />

die Meinungsfreiheit verbunden. Öffentliche<br />

Freiräume ermöglichen es<br />

auch, auf die Auswirkungen des Klimawandels<br />

zu reagieren.<br />

Was zeichnet einen qualitätsvollen<br />

öffentlichen Raum aus?<br />

Da gibt es viele Kriterien und es<br />

ist zum Teil sehr subjektiv, denn er<br />

spricht viele Leute an. Im Prinzip sollte<br />

er neutral in der Art sein, wie man<br />

ihn nutzen kann, denn er sollte allen<br />

Bevölkerungs- und Altersgruppen zur<br />

Verfügung stehen. Öffentlicher Raum<br />

zeichnet sich dadurch aus, dass niemand<br />

bewusst ausgeschlossen wird.<br />

Er steht allen in der Stadt zur Verfügung.<br />

Das Gegenteil davon passiert<br />

oft in Shopping Malls oder Gated<br />

Communities, wo wertvoller Freiraum<br />

der Öffentlichkeit entzogen wird und<br />

mit privaten Regeln kontrolliert wird.<br />

Das ist dann die falsche Richtung. u<br />

Öffentliche und halböffentliche<br />

Raumsequenzen<br />

bilden am Grätzelplatz<br />

des Oberen Hausfelds ein<br />

engmaschiges Netzwerk.<br />

So können spannende<br />

und abwechslungsreiche<br />

urbane Qualitäten<br />

entstehen. Auf Basis des<br />

von superwien urbanism<br />

gestalteten Masterplans<br />

wurde die Widmung<br />

heuer vom Gemeinderat<br />

beschlossen.<br />

© superwien


Prague<br />

<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

8<br />

Stefan Mayr<br />

Welche neuen Aufgaben hat der<br />

öffentliche Raum heute?<br />

Übergeordnete Freiräume spielen als<br />

Quartiersparks eine wichtige Rolle in<br />

Bezug auf die höhere städtebauliche<br />

Dichte, die man derzeit entwickelt.<br />

Diese ist nur möglich, wenn man<br />

gleichzeitig qualitätsvollen öffentlichen<br />

Freiraum schafft. Er hat natürlich<br />

auch eine Aufgabe hinsichtlich<br />

des Klimas. Deshalb müssen Städtebau,<br />

Verkehr und Freiraum zusammen<br />

gedacht werden.<br />

Welche Rolle spielt Partizipation<br />

im Städtebau?<br />

Stadtentwicklungsprojekte ohne<br />

Dia log mit der Bevölkerung und<br />

ohne partizipativen Anspruch in der<br />

Planung funktionieren nicht mehr.<br />

Meinungen sind gefragt und Möglichkeiten<br />

muss man nutzen. Die<br />

dort lebenden Leute haben natürlich<br />

© superwien<br />

P<br />

TULLN<br />

ST. PÖLTEN<br />

C<br />

Munich<br />

WEISSENBACH<br />

NEUHAUS<br />

G<br />

Tullnerfeld<br />

GUTENSTEIN<br />

W<br />

PUCHBERG<br />

AM SCHNEEBERG<br />

A<br />

SEMMERING<br />

S<br />

G<br />

Purkersdorf<br />

Pernitz<br />

Grünbach<br />

Breitenstein<br />

DANUBE<br />

St. Andrä<br />

Wördern<br />

Hadersdorf<br />

Pottenstein a.d.<br />

Triesting<br />

Klosterneuburg<br />

Berndorf<br />

Oed<br />

Willendorf<br />

Payerbach<br />

Reichenau<br />

RETZ<br />

Zagreb<br />

D<br />

Hollabrunn<br />

Hütteldorf<br />

Alpine<br />

Park<br />

Hirtenberg<br />

Thermal<br />

Park<br />

Waldegg<br />

Winzendorf<br />

Gloggnitz<br />

Wien Westbahnhof<br />

Wittmannsdorf<br />

P+R<br />

Enzesfeld<br />

Lindabrunn<br />

Piesting<br />

Bad Fischau<br />

Pottschach<br />

City<br />

Upper<br />

West<br />

Side<br />

Heiligenstadt<br />

Sollenau<br />

Stockerau<br />

Korneuburg<br />

Main Station<br />

Vienna<br />

Shopping<br />

South Gate<br />

Vösendorf<br />

Mödling<br />

Gumpoldskirchen<br />

Guntramsdorf<br />

Thallern<br />

Golden Hills<br />

Baden<br />

Bad Vöslau<br />

Leobersdorf<br />

Felixdorf<br />

Wiener Neustadt<br />

Neunkirchen<br />

Ternitz<br />

P+R<br />

W<br />

S<br />

Lanzenkirchen<br />

Mistelbach<br />

Wolkersdorf<br />

Floridsdorf<br />

Praterstern<br />

Schwechat<br />

Grillgasse<br />

Teesdorf<br />

D<br />

Leopoldau<br />

Siemensstraße<br />

Pottendorf<br />

Pitten<br />

Gleißenfeld<br />

LAA<br />

a.d. THAYA<br />

Aspang<br />

Maria<br />

Lanzendorf<br />

S<br />

Tattendorf<br />

Neudörfl<br />

ein Wissen und wollen mitgestalten.<br />

Diesen Raum muss man ihnen schon<br />

zu Beginn der Planung geben. Später<br />

muss man dann konkret darauf<br />

reagieren und ihnen Räume zur Verfügung<br />

stellen, die sie in Besitz nehmen<br />

und weiterentwickeln können.<br />

Gibt es in letzter Zeit verstärkt Interesse<br />

an partizipativen städtebaulichen<br />

Projekten?<br />

Partizipation in der Planung ist fast<br />

nicht mehr wegzudenken. Bei uns<br />

gibt es nahezu keine Projekte mehr,<br />

die keinen partizipativen Teil haben.<br />

Nur einen Plan zu machen und dann<br />

umzusetzen funktioniert nicht mehr.<br />

Man hat entdeckt, dass die Leute ihre<br />

Lebensweise selber gestalten und<br />

mitreden wollen. Politik und Planung<br />

sollen keine neutralen Räume schaffen,<br />

sondern Projekte, die von der Bevölkerung<br />

mitgetragen werden.<br />

Stadlau<br />

Bad<br />

Sauerbrunn<br />

FRIEDBERG<br />

Deutsch Wagram<br />

Zentralfriedhof<br />

Laxenburg<br />

Traiskirchen<br />

Trumau<br />

Weigelsdorf<br />

Civitas Nova<br />

L<br />

N<br />

Hirschstetten<br />

Wiesen - Sigleß<br />

GÄNSERNDORF<br />

International<br />

P+R Airport<br />

Vienna<br />

M<br />

Blumental<br />

Hennersdorf<br />

Achau<br />

Mattersburg<br />

Raasdorf<br />

Lanzendorf<br />

Rannersdorf<br />

Münchendorf<br />

Fischamend<br />

Himberg<br />

Mitterndorf<br />

Unterwaltersdorf<br />

Ebreichsdorf<br />

Wampersdorf<br />

Ebenfurth<br />

Neufeld an der Leitha<br />

Müllendorf<br />

South District<br />

Schattendorf<br />

Gramatneusiedl<br />

Central<br />

Park<br />

Eisenstadt<br />

Wulkaprodersdorf<br />

Ágalfa<br />

F<br />

Siebenbrunn-Leopoldsdorf<br />

P<br />

Maria Ellend<br />

Orth<br />

Klein-Neusiedl<br />

Enzersdorf<br />

an der Fischa<br />

Schwadorf<br />

Götzendorf<br />

MANNERDORF AM<br />

LEITHAGEBIRGE<br />

Central Park<br />

S<br />

L<br />

Draßburg<br />

Baumgarten<br />

SOPRON<br />

Regelsbrunn<br />

Trautmannsdorf<br />

an der Leitha<br />

Sarasdorf<br />

Schützen<br />

P+R<br />

Untersiebenbrunn<br />

National Park<br />

Delta<br />

Park<br />

Wilfleinsdorf<br />

Petronell-Carnuntum<br />

Rohrau<br />

Gerhaus<br />

Beach<br />

Neusiedl am See<br />

Purbach<br />

Food Park<br />

Winden<br />

Breitenbrunn<br />

Welche Bedeutung hat<br />

Mischnutzung für eine Stadt?<br />

Mischnutzungen sind das Herz einer<br />

Stadt. Auch im Sinne der Nachhaltigkeit<br />

ist es wichtig, dass es vor<br />

Ort einen Austausch gibt. Wohnen<br />

und Arbeiten sollten gemischt sein<br />

mit zusätzlichen Räumen, die auch<br />

Möglichkeit zur Entfaltung geben.<br />

Das bezieht sich dann bewusst auf<br />

den Freiraum. Bei Stadtentwicklungsgebieten<br />

ist der Übergang von<br />

Freiraum zum Gebäude von Mischnutzungen<br />

betroffen. Da kann man<br />

Schwerpunkte setzen und bewusste<br />

Verbindungen schaffen, um die Vielfalt<br />

zu stärken.<br />

Pachfurt<br />

Jois<br />

Schönfeld-Lassee<br />

MALACKY<br />

Bad Deutsch Altenburg<br />

Bruck an der Leitha<br />

F<br />

L<br />

Weiden am See<br />

Lake<br />

Neusiedl<br />

Gols<br />

B<br />

Hainburg<br />

Breitensee<br />

Mönchhof<br />

Parndorf<br />

Lower<br />

East Side<br />

B<br />

Wolfsthal<br />

Plavecký<br />

Štvrtok<br />

Marchegg Zohor<br />

Bratislava<br />

Harbour<br />

Pama<br />

Gattendorf<br />

Neudorf bei Parndorf<br />

Frauenkirchen<br />

Zurndorf<br />

St. Andrä am Zicksee<br />

Pamhagen<br />

FERTÖSZENTMIKLÓS<br />

192 193<br />

Das Konzept der SuperWien Metropole betrachtet<br />

die Städte Wien, Bratislava und Wiener Neustadt<br />

in einem überregionalen Zusammenhang, für die<br />

raumplanerische Ideen und Konzepte entwickelt<br />

wurden. Die nationalen Grenzen dieser Metropolenregion<br />

wurden dabei überwunden.<br />

New European<br />

P+R Park & Ride<br />

High-Speed Rail A Alps-Carpathians Line<br />

SuperRing Line B Beach Line<br />

Local Mobility Ring C Central Line<br />

Airport<br />

D Delta Line<br />

Kittsee<br />

Pernek pri Zohore<br />

Jablonové<br />

Lozorno<br />

Petrzalka<br />

Nickelsdorf<br />

E<br />

CSORNA<br />

KUCHÝNA<br />

Hegyeshalom<br />

Mosonszolnok<br />

Jánossomorja<br />

Hanság-Nagyerdö<br />

Hanságliget v.m.<br />

Bösárkány<br />

E<br />

East<br />

District<br />

East Port<br />

Bratislava<br />

Energy Park<br />

Svätý Jur<br />

Rača<br />

Nové Mesto<br />

Levél<br />

Warsaw<br />

ÚNS<br />

Rusovce<br />

E East Line<br />

F Urban Farming Line<br />

G Golf Line<br />

L Leitha Line<br />

M Marchfeld Farming Line<br />

Myslenice<br />

Vajnory<br />

P+R<br />

Rajka<br />

Podunajské<br />

Biskupice<br />

Mosonmagyarórvár<br />

C<br />

Ivanka pri Dunaj<br />

Bezenye v.m.<br />

GYÖR<br />

PEZINOK<br />

Rovinka<br />

A<br />

Bernolákovo<br />

SENEC<br />

Theresienfeld<br />

Oberwaltersdorf<br />

MILO-<br />

SLAVDVOR<br />

DANUBE<br />

N<br />

M<br />

Budapest<br />

metro map<br />

N National Park Line<br />

P Central Park Line<br />

S Semmering Line<br />

S Shopping Line<br />

W Wellness & Wine Line


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

9<br />

Stefan Mayr<br />

Öffentliche Einrichtung<br />

Fassadentransparenz<br />

und Zugänglichkeit<br />

ÖV-Knotenpunkt<br />

Quartiersmanagement<br />

Mindestgeschoßhöhe<br />

Ausgleich kommerzielle und<br />

nicht-kommerzielle Nutzungen<br />

Möglichkeitsraum<br />

Mietausgleichsmodell für<br />

die EG-Nutzungen<br />

Klimarelevante Freiraumgestaltung<br />

Konzeptwettbewerb für<br />

Baufelder mit hoher<br />

Bedeutung<br />

Ausbildung einer Vorzone<br />

Die Studie von superwien urbanism über die Entwicklung von neuen Zentren ist in das Fachkonzept der MA 18 -<br />

Stadtentwicklung und Stadtplanung „Mittelpunkte des städtischen Lebens - Polyzentrales Wien“ eingeflossen,<br />

das im Dezember 2019 vom Gemeinderat beschlossen und <strong>2020</strong> veröffentlicht wurde. Dabei wurde untersucht,<br />

welche Instrumente es bedarf, um das städtische Leben in einem polyzentralen Wien zu gestalten.<br />

© Ma18, Stadt Wien<br />

Welche Möglichkeiten bieten diese<br />

Schwellenräume?<br />

Der Freiraum ist das Grundgerüst<br />

von Stadtentwicklung, Lebensraum<br />

und Öffentlichkeit. Er verbindet<br />

einzelne Gebäude und Nutzungen<br />

miteinander. Wenn man den Schwellenbereichen<br />

Aufmerksamkeit gibt,<br />

dann muss man seine Nutzungen<br />

aktivieren. Man kann sie bewusst<br />

organisieren und auch zusammenführen,<br />

um daraus Urbanität entstehen<br />

zu lassen. Die Nutzungen auf<br />

Straßenniveau spiegeln sich natürlich<br />

im Freiraum wider. Bei unseren<br />

Projekten geht es darum, über Baufelder<br />

hinaus zu denken. Durch Straßenaufweitungen<br />

entstehen soziale<br />

Infrastruktur und Treffpunkte, die<br />

dann auch die Nutzung der Erdgeschosszone<br />

betreffen. Daraus entstehen<br />

dann Grätzelplätze, die einige<br />

Funktionen des Miteinanderlebens<br />

aufnehmen können.<br />

Gibt es Aufgabenbereiche, mit denen<br />

Sie sich besonders gerne beschäftigen?<br />

Ich beschäftige mich mit großmaßstäblichen<br />

Aufgaben, aktuell mit<br />

der Metropolenregion Wien-Bratislava-Wiener<br />

Neustadt. Das ist ein<br />

spannender Raum, weil es die administrativen<br />

Grenzen fast unmöglich<br />

machen diesen Raum zu planen. Die<br />

Realität des Austausches ist aber<br />

ein ganz anderer. Das betrifft die<br />

Menschen, die innerhalb der Region<br />

zur Arbeit pendeln, sowie auch<br />

Landschafts- und Freiräume. Auf<br />

der anderen Seite sind es auch ganz<br />

kleinmaßstäbliche Projekte, wie Placemaking.<br />

Dabei werden konkrete<br />

Räume durch Interventionen aktiviert,<br />

um so Urbanität zu stimulieren<br />

und zu initiieren.<br />

Von welchen Aufgabenstellungen<br />

sollte es mehr geben?<br />

Bei der Entwicklung von Stadtteilen<br />

gibt es strategische Überlegungen,<br />

wie groß Freiräume sind und wie sie<br />

zusammenhängen. Diese Strategie<br />

setzt man dann für Quartiersentwicklungen<br />

in konkreten Projekten<br />

um. An der Schnittstelle zwischen<br />

strategischer und räumlicher Umsetzung,<br />

die dann wirklich zu Wohnraum<br />

und Freiraum führt, da könnte<br />

man noch einiges mehr tun. Es geht<br />

um Partizipation und den Dialog mit<br />

der Bevölkerung, der Politik und den<br />

Bauenden. Darauf muss man sich<br />

einlassen. Daraus lässt sich eine<br />

Stadt entwickeln und mit Inhalten<br />

räumlich programmieren.<br />

Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?<br />

Die Stadt braucht mehr Freiraum und<br />

mehr Möglichkeiten, um vielseitig zu<br />

sein. Politische Grenzen braucht sie<br />

weniger, weil sich die Stadtgrenze<br />

und die Nutzungen im realen Raum<br />

widersprechen. Diese ist im täglichen<br />

Leben nicht vorhanden, schränkt<br />

aber doch ein. Die Klimagerechtigkeit<br />

ist der große Anspruch, den wir<br />

jetzt an die Stadt haben. •<br />

www.superwien.com


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

10<br />

DI Alice Größinger<br />

Mehrwert durch<br />

Landschafts<strong>architektur</strong><br />

Interview mit Landschaftsarchitektin DI Alice Größinger<br />

Was macht eine Stadt aus?<br />

Die Stadt steht für mich für Vielfalt<br />

und das Leben in allen Bereichen. Sie<br />

ist ein Zusammenspiel aus Anonymität<br />

und gleichzeitiger Vertrautheit,<br />

durch die ihr auch ein dörflicher Charakter<br />

zugeschrieben werden kann.<br />

Eine eigene Architektursprache und<br />

ein breites Angebot an Freiräumen<br />

gehören dazu. Die Vielseitigkeit einer<br />

Stadt schlägt sich auch in der<br />

Lebensqualität nieder.<br />

Sehen Sie Landschafts<strong>architektur</strong><br />

als eine städtische Disziplin?<br />

Es muss nicht immer ein städtischer<br />

Kontext vorhanden sein, doch meist<br />

arbeiten wir in urbanen Räumen. Als<br />

Landschaftsarchitektin beschäftige<br />

ich mich mit der Umgebung gebauter<br />

Räume, also mit Allem, was sich zwischen<br />

den Gebäuden abspielt. Der Bezug<br />

ist dabei immer objektspezifisch.<br />

Im Unterschied zur Landschafts<strong>architektur</strong><br />

beschäftigt sich die Landschaftsplanung<br />

mit übergeordneten<br />

Konzepten in größeren Maßstäben.<br />

© Fotostudio Wilke<br />

Die Landschaftsarchitektin Alice Größinger beschäftigt sich mit ihrem Büro idealice seit 2001 mit der<br />

Gestaltung der Freianlagen von Wohnbauten, Bildungsbauten, Gesundheitseinrichtungen, privaten<br />

Außenräumen und auch öffentlichen Räumen. Die Projekte entstehen dabei immer ergänzend zur<br />

Architektur. Viele Architekturbüros schätzen ihre Kompetenz – unter ihnen querkraft, caramel, StudioVlayStreeruwitz,<br />

Rüdiger Lainer, Feichtinger Architectes. Ergänzend lehrt Alice Größinger auch an<br />

österreichischen Hochschulen und übernimmt Jurytätigkeiten bei Wettbewerben.<br />

Warum ist Landschafts<strong>architektur</strong><br />

wichtig für Städte?<br />

Vom ökologischen Standpunkt her<br />

leistet Landschafts<strong>architektur</strong> wichtige<br />

Arbeit im Bereich Nachhaltigkeit<br />

und Verbesserung des (Mikro)<br />

Klimas. Hinzu kommen soziale Aspekte,<br />

die große Auswirkung darauf<br />

haben, ob sich Menschen in einer<br />

Stadt wohlfühlen und wie Freiräume<br />

genutzt werden können. Großes<br />

Potenzial bieten hierbei kooperative<br />

Planungsverfahren, in welche auch<br />

die Landschafts<strong>architektur</strong> einge-


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

11<br />

DI Alice Größinger<br />

bunden wird. In interdisziplinären<br />

Planungsteams wird zusammen mit<br />

den BauträgerInnen, der Gemeinde<br />

oder auch den Magistratsabteilungen<br />

die Gestaltung des öffentlichen<br />

Raumes konzipiert. Wenn man für<br />

viele Menschen plant, braucht man<br />

gut funktionierende öffentliche Orte<br />

für Kommunikation, als Treffpunkt,<br />

zur Erholung und beispielsweise<br />

auch für sportliche Betätigung. Gendergerechte<br />

Planung verhindert die<br />

Entstehung von Angsträumen oder<br />

schafft es solche aufzuheben. Bei der<br />

Landschafts<strong>architektur</strong> geht es aber<br />

nicht nur um die Menschen und den<br />

klimasensitiven Städtebau, denn man<br />

kann durch ausgewählte Pflanzen<br />

auch die Artenvielfalt der Flora und<br />

Fauna fördern. Das betrifft zudem<br />

auch Insekten oder Vögel. Dafür arbeiten<br />

wir mit Ökologen und - im speziellen<br />

mit Tierökologen - zusammen.<br />

Welche urbanen Bereiche besitzen Potenzial<br />

für die Landschafts<strong>architektur</strong>?<br />

Teilweise ungenutzte Bereiche oder<br />

Baulücken, die oft jahrelang leer stehen,<br />

könnten eine Zwischennutzung<br />

oder temporäre Nutzung erfahren.<br />

Das wäre aus meiner Sicht eine große<br />

Qualität und würde die Außenräume<br />

aufwerten. Solche Flächen könnten<br />

von der Stadtverwaltung temporär<br />

freigegeben werden, um zwischenzeitlich<br />

alternative Nutzungsmöglichkeiten,<br />

wie zum Beispiel temporäre<br />

zusätzliche Grünräume oder<br />

Spielplätze, zu schaffen.<br />

Welcher Zusammenhang besteht<br />

zwischen Architektur und Landschafts<strong>architektur</strong>?<br />

In der Architektur liegt der Schwerpunkt<br />

bei Gebäuden, in der Landschafts<strong>architektur</strong><br />

in der Gestaltung<br />

des Außenraumes und der Auswahl<br />

der Bepflanzung. Um einen qualitätsvollen<br />

urbanen Raum zu schaffen,<br />

benötigt es eine enge Zusammenarbeit<br />

beider Disziplinen, damit ansprechende<br />

Ergebnisse erzielt werden<br />

können.<br />

Welche Rolle spielt die Lehre für die<br />

Zusammenarbeit beider Disziplinen?<br />

Unterschiedliche Disziplinen ergänzen<br />

und bereichern sich im Berufsalltag<br />

gegenseitig – deshalb sollten<br />

Studierende bereits im Studium<br />

lernen, effektiv zusammen zu arbeiten.<br />

Beispielsweise sollten bei Projektarbeiten<br />

KulturtechnikerInnen hinzugezogen<br />

werden, wenn es um Fragen<br />

des Wassermanagements geht. Das<br />

sollte mehr in den Fokus rücken.<br />

© Bruno Klomfar<br />

Ist es mittlerweile selbstverständlich,<br />

dass Landschaftsarchitekten in die<br />

Planung einbezogen werden?<br />

In Deutschland ist das bei allen Bauprojekten<br />

Grundvoraussetzung, in<br />

Österreich basiert es oft noch auf<br />

Freiwilligkeit. Trotzdem werden<br />

LandschaftsarchitektInnen aber zunehmend<br />

einbezogen – vor allem in<br />

Städten. Wenn Landschaftsarchitekt-<br />

Innen von Anfang an in die Planung<br />

miteinbezogen sind, wirkt sich das<br />

auf die Qualität der Ergebnisse aus.<br />

Das ist leider nicht immer der Fall -<br />

derzeit arbeiten wir an einem Projekt,<br />

wo das vom Gestaltungsbeirat gefordert<br />

wurde. Leider waren wir nicht<br />

von Beginn an dabei und als wir mit<br />

der Planung begonnen haben, waren<br />

uns die ArchitektInnen bereits einige<br />

Planungsschritte voraus. Bei Wettbewerben<br />

sind wir jedoch immer von<br />

Anfang an eingebunden. u<br />

Wohnen mit Naturbezug im Mio – (d)ein<br />

lässiger Typ. Der Außenraum übernimmt<br />

die Funktion eines Quartiersplatzes<br />

für die Bewohnerinnen und Bewohner,<br />

auch der Dachgarten steht zu ihrer<br />

Verfügung. Seit kurzem befinden sich im<br />

ersten Stockwerk des Gebäudes auch die<br />

Büroräumlichkeiten der Landschaftsarchitektin<br />

Alice Größinger.


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

12<br />

DI Alice Größinger<br />

Im Ladinigpark im 22. Wiener Gemeindebezirk gestalten idealice mit ihrem Projekt die „Perle von Kagran“ einen lebendigen und<br />

vielfältigen Ort für Kinder und Jugendliche. Die Grundidee dabei ist eine „Spielperle“, die sich durch die gesamte Parkanlage zieht.<br />

© Bruno Klomfar<br />

Wie kann die Wertschätzung für Landschafts<strong>architektur</strong><br />

gefördert werden?<br />

In einigen österreichischen Städten<br />

wird mittlerweile gefordert, dass<br />

ein/e LandschaftsarchitektIn beim<br />

Gestaltungsbeirat dabei ist. Auch bei<br />

Wettbewerben ist das zunehmend<br />

gewünscht – sowohl bei der Auslobung<br />

als auch bei der Zusammensetzung<br />

einer Jury. Für unsere Branche<br />

ist das ein positiver Trend, denn<br />

dadurch werden wir stärker wahrgenommen.<br />

Viele Architekturbüros<br />

sind sich bereits dessen bewusst,<br />

dass die Zusammenarbeit mit LandschaftsarchitektInnen<br />

einen Mehrwert<br />

darstellt, der sich auf die Ergebnisse<br />

sehr bereichernd auswirkt.<br />

Welche Disziplinen spielen im städtischen<br />

Umfeld mit der Landschafts<strong>architektur</strong><br />

zusammen?<br />

Bei der Projektarbeit ist Interdisziplinarität<br />

ein wichtiges Thema. Wir<br />

kooperieren mit den Disziplinen Architektur,<br />

Raumplanung, Städtebau,<br />

Bauingenieurswesen, Statik, Beleuchtungsplanung<br />

und Kulturtechnik.<br />

Auch die Zusammenarbeit mit<br />

VerkehrsplanerInnen ist zentrales<br />

Thema bei der Freiraumgestaltung.<br />

Die Zusammenhänge sind sehr facettenreich<br />

und vielseitig.<br />

Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?<br />

Die Stadt benötigt ersichtliche<br />

Stadtgrenzen, um eine Zersiedelung<br />

zu verhindern. Sie soll einen<br />

qualitätvollen urbanen Raum bilden.<br />

Ein solcher kann durch Projekte in<br />

Wohngebieten gemeinsam mit LandschaftsarchitektInnen<br />

entwickelt<br />

werden. Die Förderung des urbanen<br />

Lebens, in dessen Mittelpunkt der<br />

Mensch steht, bedeutet für eine<br />

Stadt ein Plus an Qualität. •<br />

www.idealice.com<br />

Durch einen partizipativen<br />

Planungsprozess konnte<br />

herausgefunden werden, was<br />

sich die Bewohnerinnen und<br />

Bewohner des Baufelds D12<br />

in Wien Aspern von ihrem<br />

zukünftigen Freiraum wünschen.<br />

Berger + Parkkinen<br />

und querkraft architekten<br />

zeichnen für die Architektur<br />

verantwortlich, idealice für<br />

die Landschafts<strong>architektur</strong>.<br />

Die Höfe wurden als<br />

Großraum gedacht, in dem<br />

auch einige Terrassen als<br />

Außenraum der Wohnungen<br />

vorhanden sind. Sollten diese<br />

nicht privat genutzt werden,<br />

können sie der öffentlichen<br />

Fläche zugeschrieben werden.<br />

© Hertha Hurnaus


duscholux.at


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

14<br />

Andreas Fogarasi<br />

Materialien quer durch<br />

die Zeit beobachten<br />

Interview mit Künstler Andreas Fogarasi<br />

Als bildender Künstler arbeitet und lebt<br />

Andreas Fogarasi in Wien. Für seine<br />

Arbeit bedient er sich einer Vielzahl an<br />

Medien: Fotografie, Film, Skulptur oder<br />

auch mit gefundenen Gegenständen<br />

(sog. Object trouvé). Als sein primäres<br />

Medium bezeichnet er aber die Ausstellung,<br />

weil ihm die physische Konfrontation<br />

und der Maßstab wichtig sind. Sein<br />

Interesse gilt der Architektur, der Stadt,<br />

sowie den darin enthaltenen gesellschaftlichen<br />

und urbanen Transformationsprozessen.<br />

Seine Kunst wurde<br />

bislang in zahlreichen internationalen<br />

Ausstellungen und Einzelausstellungen<br />

präsentiert. 2007 wurde er auf der 52.<br />

Biennale di Venezia mit dem Goldenen<br />

Löwen ausgezeichnet, 2016 erhielt er<br />

für sein Werk den Otto Mauer Preis.<br />

© Prae.hu / Oláh Gergely Máté<br />

Was macht eine Stadt aus?<br />

Das wesentliche ist die Dichte und<br />

die Gleichzeitigkeit von vielen Dingen,<br />

die man sich nicht aussucht<br />

und denen man sich aussetzt. Eine<br />

segregierte Stadt ist keine Stadt.<br />

Man muss Dingen begegnen, die<br />

einem gefallen oder auch nicht,<br />

und die gleichzeitig am selben Ort<br />

stattfinden. Es gibt ein menschli-<br />

ches Bedürfnis, sich mit Ähnlichem<br />

zu umgeben. Deshalb gibt es auch<br />

immer die Tendenz, Stadtviertel zu<br />

homogenisieren. Es ist die Stärke<br />

der Stadt, dem entgegenzusteuern,<br />

sodass man immer auch mit dem<br />

Fremden und Anderen konfrontiert<br />

ist. Ich finde es extrem wichtig, dass<br />

man mit Dingen zu tun hat, die man<br />

nicht kennt. Das ist der Schlüssel<br />

dazu, um in der Welt intelligent<br />

agieren zu können. Was mich außerdem<br />

an der Stadt interessiert,<br />

ist dass man alles was in der Gesellschaft<br />

passiert, in komprimierter<br />

Form beobachten kann. Dort wird<br />

es gelebt, gebaut, ausverhandelt.<br />

Gesellschaftliche Entwicklungen<br />

werden in der Stadt wie unter einem<br />

Vergrößerungsglas sichtbar.


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15<br />

Andreas Fogarasi<br />

Die Ausstellung „Nine<br />

Buildings, Stripped“ in der<br />

Kunsthalle Wien untersuchte<br />

die architektonischen Oberflächen<br />

der Stadt. Materialien<br />

von Gebäuden, die abgerissen<br />

oder umgebaut wurden,<br />

kombiniert Andreas Fogarasi<br />

mit den Materialien, die<br />

stattdessen hinkommen. So<br />

einstehen zeitübergreifende<br />

Portraits bestimmter Orte<br />

und Gebäude.<br />

© Jorit Aust<br />

Woher kommt Ihr Interesse<br />

für Architektur?<br />

In der Architektur treffen künstlerische<br />

Kreativität und finanzielle<br />

Macht aufeinander. In gebauter<br />

Form manifestiert sich dann etwas,<br />

das in einem größeren Maßstab für<br />

lange Zeit präsent ist. Es beginnt ja<br />

mit Ideen und einer gewissen Unschuld<br />

und Freiheit in ihrer Entwicklung.<br />

Es gibt die Machtstrukturen,<br />

die diese Ideen herausfordern und<br />

ermöglichen. Diese beiden Faktoren<br />

in ihrem Zusammenspiel zu betrachten,<br />

bestimmt mein dokumentarisches<br />

Interesse an Architektur. Ich<br />

habe ja auch Architektur studiert,<br />

mich aber dafür entschieden, vor<br />

dem Diplom aufzuhören, um nicht<br />

Architekt werden zu können. Die<br />

Ausbildung hat mich aber stark geprägt.<br />

Meine Arbeit ist häufig nahe<br />

an Architektur, sowohl im Maßstab<br />

als auch in der Strategie, folgt aber<br />

einer anderen Logik. Es sind isolierte<br />

architektonische Gesten, die versuchen,<br />

für Dinge eine Wahrnehmung<br />

zu schaffen, die man nicht sieht, die<br />

gerade unpopulär sind oder von denen<br />

wir abgelenkt werden, durch die<br />

medienübergreifende Gesellschaft<br />

des Spektakels.<br />

Wie sehen Sie die Vielfalt der Materialien,<br />

die aktuell in der Architektur in<br />

Verwendung sind?<br />

Es gibt das komplette Spektrum<br />

von einfach und billig zu teuer und<br />

spektakulär, und jeweils die ökonomischen<br />

Logiken dahinter. Ein<br />

Traumprojekt von mir wäre eine<br />

umfangreiche Materialbibliothek<br />

einer Stadt anzulegen. Einen Raum<br />

zu schaffen, wo die ganze Vielfalt<br />

architektonischer Oberflächen zu<br />

betrachten ist, ein komprimiertes<br />

Bildnis der Stadt, radikal abstrahiert.<br />

Meine Ausstellung „Nine Buildings,<br />

Stripped“ in der Kunsthalle Wien war<br />

ein bescheidener Versuch so etwas<br />

zu machen, ein Art „Case Study“ zur<br />

Materialität von neun ausgewählten<br />

Bauten in Wien.<br />

Gibt es Veränderungen, die sie<br />

bei der Materialwahl erkennen?<br />

Materialien sind häufig gewissen<br />

Zeiten zuzuordnen und auch die<br />

Wertschätzung für sie ist zeitgebunden.<br />

Da gibt es typische Zeiträume,<br />

wo etwas modern, neu, spannend<br />

und attraktiv ist. Dann tritt es aus<br />

der Avantgarde in den Mainstream.<br />

Irgendwann wird es dann altbacken<br />

und uninteressant. Später kommen<br />

sie dann wieder. Dieser Kreislauf ist<br />

in der Mode schneller als in der Architektur,<br />

man kann ihn aber in allen<br />

kreativen Bereichen, quer durch die<br />

Zeit beobachten. Ich vermeide es,<br />

eine Wertung über ein bestimmtes<br />

Material oder über das was neu ist<br />

abzugeben. Die unkritische Begeisterung<br />

für das Neue ist für mich<br />

eine starke Erinnerung aus dem Architekturstudium.<br />

Die Faszination<br />

des Neuen, die die Architektenseele<br />

durchdringt, ist ein wichtiger Impuls<br />

für Kreativität, aber natürlich auch<br />

gefährlich, weil sie genau so viel zerstört,<br />

wie sie schafft. Als Nicht-Architekt<br />

habe ich da die Möglichkeit,<br />

dem ein bisschen den Spiegel vorzuhalten,<br />

beziehungsweise dieses Alt<br />

und Neu nebeneinander zu betrachten,<br />

dem Zeitfluss zu entziehen.<br />

Wird es in Zukunft hauptsächlich<br />

um das Bauen im Bestand gehen?<br />

Versiegelte Flächen gibt es genug.<br />

Die Stadt verträgt wesentlich mehr<br />

Dichte, in Wien ist da schon noch<br />

einiges möglich. In dieser Stadt hat<br />

man urbane Entwicklungen im Vergleich<br />

zu anderen Städten immer wie<br />

in Zeitlupe betrachten können, aber<br />

das ist vorbei, die Dynamik hat in<br />

den letzten zehn Jahren enorm zugenommen.<br />

Was mich schmerzt ist,<br />

dass ganz viele Sachen aus der Stadt<br />

verschwinden. Das Gewerbe zieht an<br />

den Stadtrand, das ist ein großer Verlust,<br />

denn Großhändler und Handwerksbetriebe<br />

mitten in der Stadt<br />

erzeugen eine unglaubliche Qualität<br />

durch funktionale Vielfalt. Es werden<br />

reihenweise Hallen abgerissen, da<br />

geht natürlich auch bauliche Vielfalt<br />

verloren. Aber es genügt nicht, nur<br />

die industriell-schicke Ziegelfassade<br />

zu erhalten und mit demselben Inhalt<br />

der umliegenden Gebäude zu füllen.<br />

Wie man tatsächliche Vielfalt und<br />

nicht nur eine Vielfalt der Oberflächen<br />

erhält ist die Herausforderung.<br />

Wie schätzen Sie aktuell den Umgang<br />

mit schon vorhandener Bausubstanz<br />

ein?<br />

Es wird immer nur dort etwas erhalten,<br />

wo es als vermarktbare Oberfläche<br />

profitabel ist. Hinter alten<br />

Fassaden neue Strukturen zu bauen<br />

ist vielleicht einen Deut besser als<br />

sie ganz abzureißen, es bleibt dann<br />

aber eben nur Fassade. Man müsste<br />

genauer hinschauen, was die räumlichen<br />

und funktionalen Qualitäten abseits<br />

der Oberflächen sind. Es wäre<br />

spannender, bestehende Funktionen<br />

u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

16<br />

Andreas Fogarasi<br />

am Ort zu behalten und intelligent<br />

nachzuverdichten. Alle Akteure sind<br />

gefordert, Entscheidungen, z.B. ob<br />

ein Umbau oder Neubau überhaupt<br />

sein muss, stärker zu hinterfragen. In<br />

den 1960er Jahren hat der britische<br />

Architekt Cedric Price propagiert,<br />

das Aktionsfeld der Architektur dahin<br />

zu erweitern, dass man den Vorschlag<br />

machen kann, nicht zu bauen.<br />

Auch das ist Architektur. Dinge<br />

nicht zu tun, ist oft die unsichtbarste,<br />

stärkste und kraftvollste Geste, die<br />

man setzen kann.<br />

© Jorit Aust<br />

Inwiefern wird die Identität einer<br />

Stadt durch die Transformation von<br />

Gebäuden beeinflusst?<br />

Landläufig glaubt man, die Stadtidentität<br />

wird von den wichtigen<br />

Gebäuden ausgemacht, die sich als<br />

Landmark präsentieren oder man als<br />

Tourismusikone vermarkten kann.<br />

Ich glaube aber, dass architektonische<br />

Oberflächen - Fassaden, Pflasterungen,<br />

Fliesen, Dächer, die man<br />

oft kaum wahrnimmt, sehr viel dazu<br />

beitragen, wie sich eine Stadt anfühlt,<br />

wie sie klingt, das Licht reflektiert,<br />

etc. In meiner Arbeit sammle<br />

und dokumentiere ich diese Oberflächen<br />

und Materialien, ordne sie<br />

neben- und übereinander an, hänge<br />

sie den Leuten vor die Augen, wie ein<br />

dysfunktionales Moodboard.<br />

Welche Wünsche, Ideen und Utopien<br />

erkennt man an den Fassaden, die<br />

aktuell entstehen?<br />

Eine Weile war es ganz klar die<br />

Transparenz. Glas bedeutet Transparenz,<br />

was man auch an vielen politischen<br />

Gebäuden gesehen hat. Im<br />

Moment möchte man mit der starken<br />

Konjunktur von Naturmaterialien<br />

eine gewisse Erdverbundenheit und<br />

Nachhaltigkeit signalisieren, vielleicht<br />

auch Beständigkeit. Im Moment<br />

ist alles in Grautönen. Es gibt<br />

viel Naturstein oder häufiger noch<br />

Keramikfliesen, die wie Naturstein<br />

aussehen. Dabei geht es sicherlich<br />

darum zu kommunizieren, dass man<br />

sich der Ressourcen bewusst ist. Bei<br />

Fassaden betrifft das aber häufig nur<br />

die äußersten zwei Zentimeter eines<br />

Gebäudes. Da muss man genauer<br />

hinsehen.<br />

Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?<br />

Eine Stadt braucht so viel wie möglich<br />

frei nutzbaren öffentlichen<br />

Raum. Der Einfluss von privaten und<br />

kommerziellen Interessen auf dessen<br />

Nutzung muss begrenzt werden. Da<br />

ist die Politik gefordert, dagegenzuhalten,<br />

und auch selbstorganisierte<br />

Initiativen zu unterstützen. Vor<br />

allem aber muss eine Stadt Platz<br />

für viele Sprachen, Kulturen und<br />

Lebensweisen haben. Man kann in<br />

ihr mehrere Identitäten und Gesellschaften<br />

gleichzeitig leben. Die informelle<br />

Vielfalt der Stadt muss auch<br />

formell sichtbar werden. Es braucht<br />

eine Sichtbarkeit für Minderheiten<br />

in Medien und Politik, für das, was<br />

oft angstvoll Parallelgesellschaft genannt<br />

wird, und es auch bleiben wird,<br />

wenn es an den Rand gedrängt wird.<br />

All diese Vielfalt, die es gibt, muss<br />

positiv umgewertet werden, damit<br />

sie auch positiv wirken kann. •<br />

Das Materialpaket der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft von Carl Appel<br />

verweist auf das Material und die Gestalt der ursprünglichen Fassade: ornamentierte und mehrfach<br />

geknickte Kassetten aus Aluminiumblech. Diese besondere Oberfläche wurde für dieses Gebäude<br />

mit dem Künstler Helmut Gsöllpointner entwickelt und fand später auch noch an anderen Fassaden<br />

Verwendung. Das Gebäude wurde bis auf den Stahlbetonkern rückgebaut und nach Plänen von ATP<br />

Architekten neu gestaltet.


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17<br />

Dipl.-Ing. Helumt Koch<br />

Dusch-WC SensoWash ® Starck f.<br />

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<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

18<br />

Vera Enzi<br />

Das Recht<br />

auf Grün<br />

Interview mit Landschaftsplanerin Vera Enzi<br />

Als CEO des Innovationslabors<br />

grünstattgrau setzt sich die Landschaftsplanerin<br />

Vera Enzi für Bauwerksbegrünungen<br />

ein, die sie als<br />

Notwendigkeit sieht, um mit dem<br />

Klimawandel umgehen zu können.<br />

Sie möchte in der Stadt eine grüne<br />

Infrastruktur entstehen lassen und der<br />

Landschaftsplanung mehr Bedeutung<br />

zuschreiben. Stadtverwaltungen,<br />

Investoren, sowie Planerinnen und<br />

Planer werden von grünstattgrau zum<br />

Thema Bauwerksbegrünung weitervernetzt<br />

und in der Ausführung ihrer<br />

Projekte unterstützt.<br />

© grünstattgrau


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19<br />

Vera Enzi<br />

Dachbegrünungen sind<br />

eine Möglichkeit die Stadt<br />

grüner zu machen, dafür<br />

bieten auch historische<br />

Gebäude Potenzial. Hier<br />

eine extensive bis intensive<br />

Dachbegrünung auf<br />

einem Wiener Gebäude<br />

von 1870.<br />

© grünstattgrau<br />

Was macht eine Stadt aus?<br />

Dazu möchte ich ein paar Schlagworte<br />

nennen: Lebensqualität, Wasser<br />

und Mikroklima, Ökologie und<br />

Umwelt, Energie und Ökonomie als<br />

auch Innovation.<br />

Wofür stehen für Sie die Farben<br />

Grau und Grün?<br />

Die Farbe Grau steht für etwas,<br />

das veraltet und nicht mehr zeitgemäß<br />

ist, vor allem in Zeiten des<br />

Klimawandels. Es geht um die Herangehensweise,<br />

wie wir Städte als<br />

Siedlungen und als unser Umfeld<br />

gestalten. Da gibt es eine Notwendigkeit<br />

für eine Transformation von<br />

Grau zu Grün. Grün steht für Innovation<br />

und Leistung. Begrünung muss<br />

als strategisches Instrument für eine<br />

nachhaltige und an den Klimawandel<br />

angepasste Stadttransformation eingesetzt<br />

werden.<br />

Wie sieht Ihre Vision einer grünen<br />

Stadt der Zukunft aus?<br />

Die grüne Stadt der Zukunft vereint<br />

das Alte mit dem Neuen. Grau<br />

soll man dabei nicht wegdenken,<br />

denn Grau ist auch die Gebäudeund<br />

die Infrastruktur. Aber auch<br />

Grün ist Infrastruktur. Die grüne<br />

Stadt der Zukunft beinhaltet, dass<br />

wir Begrünungen als notwendigen<br />

Infrastrukturausbau für die Gesellschaft<br />

und unseren Naturhaushalt<br />

verstehen. Dabei geht es nicht um<br />

eine grüne Decke, die alles überwuchert,<br />

sondern ein grünes Netzwerk,<br />

das höchst effizient die geforderten<br />

Leistungen erbringt.<br />

Wie unterscheidet sich die Umsetzung<br />

von Begrünung beim Bestandsbau<br />

und Neubau?<br />

Begrünung beim Neubau mitzudenken<br />

ist eine ziemlich simple<br />

Angelegenheit. Wenn das Grün im<br />

Planungsprozess sehr früh eingebunden<br />

ist, haben wir alle Möglichkeiten,<br />

um sehr kostenoptimiert<br />

Anpassungsmaßnahmen zu setzen.<br />

Im Unterschied dazu ist im Bestand<br />

schon vieles vorgegeben, oft jedoch<br />

hier der Leidensdruck am höchsten.<br />

Da muss man genau überprüfen, was<br />

technisch möglich und sinnvoll ist.<br />

Wichtig ist es, das Gebäude immer<br />

im Kontext seiner Wechselwirkung<br />

mit der Umgebung zu betrachten.<br />

Welche Zusammenhänge bestehen<br />

bei der Umsetzung von Begrünungen?<br />

Es gilt den Bestand mit einem nachhaltigen<br />

Entwicklungsziel für die<br />

Anpassung an den Klimawandel zu<br />

erschließen. Das hängt mit Sanierungen,<br />

Energie, Mobilität und Digitalisierung<br />

zusammen. Es geht aber<br />

auch um die Nachbarschaft und sehr<br />

viele soziale Aspekte, mit dem Ziel,<br />

lebenswerte Umstände zu schaffen,<br />

die uns auch helfen mit den bereits<br />

stattfindenden Auswirkungen des<br />

Klimawandels besser umgehen zu<br />

können. Das muss diskriminierungsfrei<br />

sein, denn eine Stadt bedeutet ja<br />

auch, dass sehr viele unterschiedliche<br />

Menschen mit verschiedenen<br />

Hintergründen zusammenkommen.<br />

Meistens wird Begrünung da am<br />

meisten gebraucht, wo das Geld<br />

knapp ist. Begrünung ist also auch<br />

eine Art von Recht und sollte dementsprechend<br />

Jedem und Jeder zur<br />

Verfügung stehen.<br />

Wieso gehört Begrünung<br />

nicht längst zum Standard?<br />

In Österreich haben wir da teilweise<br />

einen ganz unterschiedlichen<br />

Entwicklungsstand. Es gibt Verwaltungen,<br />

die Grün bereits im Bebauungsplan<br />

vorsehen und auch Bauordnungen<br />

sowie Förderzuschüsse<br />

dementsprechend angepasst haben.<br />

Andere stecken gerade erst in diesem<br />

Prozess drinnen. Ganz wenige haben<br />

die Problemstellung noch gar nicht<br />

erkannt und starten erst jetzt. Aus<br />

meiner Sicht liegt das Problem dabei,<br />

dass auch Länder und Bund Maßnahmen<br />

setzen müssten und nicht nur die<br />

einzelnen Stadtverwaltungen. Es geht<br />

um ein gemeinsames Herangehen an<br />

Ziele, Gesetzgebung und Förderung,<br />

was wir durch unseren Green Market<br />

Report festgestellt haben. u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

20<br />

Vera Enzi<br />

Stadt sehen wir, dass Begrünungen<br />

innerhalb der Verwaltung zunächst<br />

in der Grünraumabteilung verankert<br />

sind. Dabei bleibt es aber im Falle der<br />

Bauwerksbegrünung fast nie. Eine<br />

interdisziplinäre Herangehensweise<br />

und eine sehr gute Kooperation zwischen<br />

den unterschiedlichen Dienststellen<br />

sind daher gefragt.<br />

© grünstattgrau<br />

Fassadenbegrünungen leisten nicht nur einen wichtigen Beitrag um den Straßenraum<br />

attraktiver zu gestalten, sie dienen auch als natürliche Beschattung. Hier<br />

ausgeführt als eine Regalkonstruktion auf einem öffentlichen Gebäude in Wien.<br />

Welche anderen städtischen Komponenten<br />

müssen aktiv werden, um die<br />

Stadt grüner zu machen?<br />

Raumplanung, Verkehrsplanung und<br />

Lichtplanung, sowie auch die Wasserwirtschaft.<br />

Auch Förderungen,<br />

Zuschüsse, steuerliche Erleichterungen<br />

und Finanzierungen sind sehr<br />

wichtig. Es geht darum, alles mit den<br />

Entwicklungsstrategien der Stadt in<br />

Einklang zu bringen. Konkret denke<br />

ich dabei an erneuerbare Energie<br />

und alternative Mobilitätskonzepte<br />

in Kombination mit Begrünung.<br />

Durch die kann eine Änderung im<br />

Straßenquerschnitt erzielt werden<br />

und Platz für Bäume geschaffen<br />

werden. Flächen müssen multifunktional<br />

genutzt werden, Fotovoltaik<br />

kann mit Begrünung auch am Dach<br />

einfach kombiniert werden. Die Energieraumplanung<br />

einer Stadt ist hier<br />

ebenso wichtig. Es geht darum, ein<br />

attraktiveres und besseres Mikroklima<br />

rund um das Gebäude zu schaffen<br />

und Gebäude zuerst einmal zu<br />

optimieren, bevor man aktiv technisch<br />

kühlt.<br />

Ist Ihr Green Market Report<br />

Ihre wichtigste Grundlage?<br />

Er ist sehr wichtig, weil er untersucht<br />

hat, wie die städtische Vision in diesem<br />

Zusammenhang zu schärfen<br />

ist und wie man sie umsetzen kann.<br />

Er hat gezeigt, dass Bauwerksbegrünung<br />

ein marktwirtschaftliches<br />

Potenzial besitzt. Das ist in den vergangenen<br />

Jahrzehnten entstanden<br />

und ist ein Teil der Bauwirtschaft.<br />

Es ist eine sehr große Palette an<br />

planenden, produzierenden Unternehmen<br />

und auch an ausführenden<br />

Unternehmen. Diese können Bauwerksbegrünungen<br />

umsetzen und<br />

auch pflegen. Darüber hinaus gibt es<br />

in Österreich auch eine sehr bunte<br />

Forschungslandschaft von unterschiedlichen<br />

Institutionen, die wir<br />

auch laufend begleiten. Eines der<br />

größten Hindernisse ist, dass viele<br />

öffentliche Apparate noch keine sehr<br />

umfassende Datengrundlage zum<br />

Thema haben.<br />

Inwiefern muss Bauwerksbegrünung<br />

Grenzen überschreiten?<br />

Natürlich ist es ein sehr starkes<br />

Schnittstellenthema, weil Bauwerksbegrünung<br />

nicht nur am Bauwerk<br />

oder in einer Eigentümerschaft stattfindet.<br />

Wenn man an eine typische<br />

zur Straße orientierte Fassadenbegrünung<br />

denkt, dann befinden sich<br />

die Wurzeln der Pflanze im Bodenraum<br />

auf öffentlichem Gut, die Fassade<br />

selbst ist aber privates Eigentum.<br />

Es bedarf eigentümer- und liegenschaftsübergreifende<br />

Umsetzungsmaßnahmen,<br />

auch passender Vertragsgestaltung.<br />

Auch innerhalb der<br />

Fassaden, Dächer, Innenräume. Welche<br />

weiteren Bereiche können in Zukunft<br />

grün werden?<br />

Die Straßenräume schätze ich dabei<br />

als absolut wichtig ein. Sie bieten<br />

Raum für Baumpflanzungen und das<br />

Anlegen von Regengärten. Dabei<br />

wird das Regenwasser gezielt genutzt,<br />

damit mikroklimatisch wirksame<br />

Pflanzen wachsen können. Auch<br />

das Kanalsystem wird dadurch entlastet.<br />

Es geht aber nicht nur darum<br />

Leistung zu schaffen, sondern auch<br />

um wertvollen Lebens- und Aufenthaltsraum.<br />

In Zukunft werden sicherlich<br />

auch Pocket-Parks und Urban<br />

Orchards als auch Urban Farming<br />

an Bedeutung gewinnen. Ich denke<br />

auch, dass hin und wieder temporäre<br />

Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung<br />

stattfinden können, um sich zu


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

21<br />

Vera Enzi<br />

© Oliver Wolf/UNIQA<br />

Die Fassade dieses Grazer Gebäudes wird mit Bäumen und Kletterplanzen begrünt.<br />

fragen, wieviel Raum man dem ruhenden<br />

Verkehr denn noch überlassen<br />

möchte. Wie die Wanderbaumallee,<br />

die es in München gibt. Darauf<br />

müssen aber Entsiegelung und dauerhafte<br />

Baumstandorte folgen.<br />

Wie kann man den Menschen und<br />

vor allem auch den Planern die Bedeutung<br />

von Grün näher bringen?<br />

Das sehen wir als eine Hauptaufgabe<br />

unseres Innovationslabors. Seit einem<br />

halben Jahr bilden wir Planerinnen<br />

und Planer mit unterschiedlichen<br />

Hintergründen, sowie auch Stadtverwaltungen<br />

zu diesem Thema weiter.<br />

Wir möchten sicherstellen, dass die<br />

transdisziplinäre Arbeit zwischen den<br />

unterschiedlichen Sphären stattfinden<br />

kann. Denn Bauwerksbegrünung<br />

bedeutet auch, dass unterschiedliche<br />

planende Disziplinen miteinander<br />

arbeiten müssen. Es braucht ein<br />

Umdenken und Respekt füreinander,<br />

damit das Fachwissen der Landschaftsplanung<br />

auch tatsächlich<br />

im Planungsprozess landet. Auch<br />

wichtig ist uns die Vermittlung der<br />

Standardisierung von Bauwerksbegrünungen<br />

aller drei Teilbereiche, die<br />

eben noch nicht alle kennen. Die Normen<br />

regeln den Minimumstandard.<br />

Unser mobiler Ausstellungsraum<br />

MUGLI, der von Stadt zu Stadt reist<br />

und die Türen für alle Interessierten<br />

öffnet, hilft uns, jede/n in Österreich<br />

mit dem Thema zu erreichen.<br />

Welche Rolle spielen dabei<br />

die Universitäten?<br />

Es ist notwendig, Planerinnen und<br />

Planer unterschiedlicher Fachdisziplinen<br />

sehr früh miteinander in Austausch<br />

zu bringen. Man muss wissen,<br />

wo das jeweilige Know-how und wo<br />

die Schnittstellen liegen. Bis zu Ende<br />

durchdachte Projekte können nur<br />

entstehen, wenn an diesen Nahtstellen<br />

ordentlich zusammengearbeitet<br />

wird. Da gibt es sehr viele spannende<br />

Entwicklungen in der Lehre, wie etwa<br />

Kooperationslehrveranstaltungen.<br />

Wenn viele Köpfe über ein gutes Projekt<br />

nachdenken, kommt am Ende<br />

des Tages ein viel besseres Projekt<br />

heraus, als wenn nur Einer ein paar<br />

Details zusammenstellt. Zudem ist<br />

es immer wichtig, auch zum Thema<br />

lebende Baustoffe den Studierenden<br />

den Stand der Forschung zu vermitteln,<br />

damit auch Innovation Einzug<br />

halten kann in der Planungskultur.<br />

Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?<br />

Die Städte in Österreich sind grau<br />

und versiegelt genug, ebenso gibt<br />

es genug Individualverkehr. Der ruhende<br />

Verkehr verhindert sehr stark<br />

die Umsetzung eines sinnvollen grünen<br />

Infrastrukturnetzwerkes für die<br />

Stadt, da muss ein Umdenken erfolgen.<br />

Die Städte müssen sich Ziele<br />

und Visionen setzen, wo sie langfristig<br />

hinwollen. Das muss die Politik<br />

dementsprechend aufgreifen. Es<br />

geht darum die Stadt lebenswerter<br />

zu machen und sinnvoll in Grün zu<br />

investieren. Mit Grün sind wir noch<br />

heftig unterversorgt. Da dürfen wir<br />

uns keine Grenzen setzen, da muss<br />

wirklich sehr viel Innovation, Umdenken<br />

und gemeinschaftliche Zusammenarbeit<br />

her.<br />

•<br />

www.gruenstattgrau.at


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

22<br />

Caren Ohrhallinger<br />

Den sozialen Kontext<br />

einer Stadt betrachten<br />

Interview mit Architektin Caren Ohrhallinger<br />

Caren Ohrhallinger ist Architektin, Prozessbegleiterin,<br />

Moderatorin und Mediatorin und<br />

seit 2003 Partnerin bei nonconform. Die für<br />

das Büro für Architektur und partizipative<br />

Raumentwicklung charakteristische Planungsmethode<br />

der nonconform ideenwerkstatt<br />

konnte mit ihr als Mitbegründerin ins Leben<br />

gerufen werden, ebenso wie die nonconform<br />

akademie, ein Weiterbildungsangebot für<br />

innovative Bürgerbeteiligung, bei dem sie auch<br />

die Funktion als Lehrende einnimmt. nonconform<br />

begleitet Orte und Organisationen bei<br />

räumlichen Veränderungen und beschäftigt<br />

sich dazu neben der Architektur auch mit<br />

Raumplanung, Gemeinde- und Stadtentwicklung,<br />

Prozessbegleitung und Kommunikation,<br />

Pädagogik, Kulturmanagement und den<br />

Schnittstellen dazwischen. Genauso vielseitig<br />

sind auch die Arbeitsschwerpunkte von Caren<br />

Ohrhallinger, sie liegen vor allem in der partizipativen<br />

Ortskern- und Stadtentwicklung,<br />

Schulraumentwicklung und in der Schnittstelle<br />

zur Organisationsentwicklung.<br />

© Julia Puchegger<br />

Was macht eine Stadt aus?<br />

Die soziale Netzwerkdichte. Es ist die Komplexität,<br />

resultierend aus der Vielfalt und<br />

Verweildauer der Menschen, die sich im<br />

Stadtraum aufhalten, und damit das Potential,<br />

Gruppen verschiedener sozialer Identität<br />

zu vernetzen. Das ist wichtig für eine nachhaltig<br />

soziale Gesellschaft: Je mehr abgegrenzt<br />

agierende, nicht vernetzte Gruppen<br />

verschiedener sozialer Identität, je größer<br />

die Schere zwischen Arm und Reich, desto<br />

mehr wird die Freiheit aller beschnitten.<br />

Sinkende soziale Sicherheit beeinflusst die<br />

Bewegungsfreiheit aller und befeuert die<br />

Überwachung des öffentlichen Raums und<br />

Enklavenbildung wie Gated Communities.<br />

Und die räumliche Segregation sozialer<br />

Gruppen wirkt sich wiederum auf das Potential<br />

des öffentlichen Raums aus, die verschiedenen<br />

Gruppen zu vernetzen.<br />

Was macht die Qualität einer Stadt aus?<br />

Ausschlaggebend ist, was die Stadt an öffentlichen<br />

Räumen bietet: Abhängig von der<br />

(Klein)teiligkeit und räumlichen Qualität der<br />

gebauten Struktur, der Erdgeschosszonen<br />

und der Angebote, die es gibt, und ob es<br />

konsumfreie oder von Konsum (und welcher<br />

Art!) besetzte Räume sind. Wir brauchen dabei<br />

Räume und Orte, an denen Überschneidungen<br />

verschiedener sozialer Gruppen mit<br />

dem Anspruch der Gleichwürdigkeit stattfinden<br />

können. Das betrifft u.a. die Frage, für<br />

welche Nutzungsgruppen der öffentliche<br />

Raum geplant wird, wie wir mit Randgruppen,<br />

wie etwa Obdachlosen, umgehen. Dazu<br />

reicht eine rein physische Überlagerung


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

23<br />

Caren Ohrhallinger<br />

nicht aus und ein reibungsloses Nebeneinander<br />

ist auch nicht das Ziel<br />

- vielmehr müssen wir uns als Gesellschaft<br />

mit diesen Herausforderungen<br />

aktiv auseinandersetzen anstatt sie<br />

zu verdrängen und räumlich zu verlagern.<br />

Das bedeutet Arbeit und ist<br />

auch nicht mit einem Mal erledigt,<br />

sondern ist ein kontinuierlicher Prozess.<br />

Dieses Problembewusstsein zu<br />

haben, den sozialen Kontext genauso<br />

zu betrachten wie den baulichen<br />

Kontext, gehört auch zu den Aufgaben<br />

der Planerinnen und Planer.<br />

Für den sozialen Austausch mit Personen,<br />

mit denen wir sonst keine<br />

Berührungspunkte hätten, brauchen<br />

wir Anlässe und Gelegenheiten zum<br />

Andocken. Ein Aspekt dabei ist die<br />

Aneigenbarkeit des öffentlichen Raumes:<br />

Dazu braucht es niederschwellig<br />

zugängliche Angebote zur Aneignung<br />

mit Verantwortungsübernahme – in<br />

öffentlichen Räumen, die genügend<br />

Alltagsfrequenz für Sichtbarkeit und<br />

Zufallsbegegnungen haben. Das kann<br />

z.B. das Stück Gehsteig vor der eigenen<br />

Haustür sein. Verantwortungsübernahme<br />

bedeutet dabei, dass es<br />

Personen gibt, die sich für das, was<br />

sozial dort geschieht, verantwortlich<br />

fühlen und sich darum kümmern. Die<br />

Initiative der Grätzloase der Stadt<br />

Wien ist da ein Schritt in die richtige<br />

Richtung: Private nehmen temporär<br />

ein Stück öffentlichen Raums unter<br />

ihre Obhut und werden zum Gastgeber<br />

für ihre Nachbarn. Solche Aktionen,<br />

die sich auf bereits bestehende<br />

Nachbarschaften beziehen, sind sehr<br />

kleinräumig und haben gerade dadurch<br />

hohe Wirkungskraft in die Tiefe.<br />

Welche Rolle spielt die soziale<br />

Durchmischung in einer Stadt?<br />

Es sollen Räume und Möglichkeiten<br />

geschaffen werden, damit man im Alltag<br />

möglichst vielen Lebensrealitäten<br />

begegnet. Ein Weg dazu ist, die verschiedenen<br />

Organisationsweisen von<br />

Wohnformen zueinander kleinteiliger<br />

in Bezug setzen. Freifinanzierte, geförderte<br />

und selbstverwaltete Organisationen<br />

haben verschiedene Zielgruppen.<br />

Wenn man es schafft, diese<br />

gebäudeweise oder sogar geschossweise<br />

zu mischen und eine Hausgemeinschaft<br />

aufzubauen, dann ist das<br />

ein Schritt in Richtung alltagsnaher<br />

erlebbarer Durchmischung.<br />

In welchen Bereichen braucht es<br />

mehr Partizipation in der Stadt?<br />

Wir arbeiten viel mit Stadtverwaltungen<br />

und auch Bauträgern zusammen<br />

und merken, dass es oft Unsicherheit<br />

gibt, wie man Partizipation einsetzen<br />

kann. Oft geht man erst in einer<br />

sehr fortgeschrittenen Projektphase<br />

an die Öffentlichkeit. Wir empfehlen,<br />

so frühzeitig und gleichzeitig so offen<br />

wie möglich hinauszugehen. Aus<br />

unserer jahrelangen Erfahrung in<br />

auch konfliktbehafteten Prozessen<br />

wissen wir, dass Offenheit letztendlich<br />

Vertrauen und Glaubwürdigkeit<br />

fördert und man Bürgern auch Ungewissheiten<br />

und Komplexität zumuten<br />

darf. Wichtig ist der offene Diskurs<br />

und das nachvollziehbar machen,<br />

warum manche Dinge nicht möglich<br />

sind. Andere Perspektiven müssen<br />

sichtbar gemacht werden, dazu gehört<br />

auch der globale Blick des Flächen-<br />

und Ressourcenverbrauches.<br />

Wenn diese Perspektive kein anderer<br />

einnimmt, vertreten wir sie – wir sind<br />

nicht nur Prozessbegleiter, sondern<br />

auch Anwälte der Zukunft. u<br />

Eine Insel in der<br />

Stadt – die private<br />

Initiative im<br />

zweiten Wiener<br />

Gemeindebezirk<br />

schafft einen<br />

konsumfreien<br />

Aufenthalts- und<br />

Begegnungsort<br />

im öffentlichen<br />

Raum.<br />

© Caren Ohrhallinger


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

24<br />

Caren Ohrhallinger<br />

Muss die Vielfalt der Wohnformen<br />

weitergedacht werden?<br />

Das Thema Wohnformen ist schon<br />

stark im Wandel, doch die Umsetzung<br />

ist aus den verschiedensten Gründen<br />

– Sicherheitsdenken, Kostengründe,<br />

Trägheit – zeitverzögert. Die innovativsten<br />

Ansätze sehen wir dort, wo<br />

Lebensraum mit persönlichem Bezug<br />

geschaffen wird – also entweder (von<br />

einer Baugruppe) für sich selbst gebaut<br />

wird, oder (von einem Investor)<br />

in einem Ort gebaut wird, zu dem er<br />

einen Bezug hat, dessen Entwicklung<br />

ihm am Herzen liegt.<br />

Wichtig ist, Vielfalt nicht nur auf<br />

Ebene der Wohnformen zu denken,<br />

sondern ein Gebäude auf struktureller<br />

Ebene nutzungsoffen zu bauen,<br />

sodass es nicht nur für Wohnen, sondern<br />

genauso für gewerbliche und<br />

andere Nutzungen funktioniert und<br />

so auf sich ändernde Nachfrage von<br />

Nutzungen reagieren kann.<br />

Welche neuen Wohnformen<br />

werden gebraucht?<br />

Es müssen vermehrt neue Wohnformen<br />

entwickelt werden, die eine<br />

Weiterentwicklung der klassischen<br />

Wohngemeinschaft mit eigenem<br />

Zimmer und geteilter Küche und Bad<br />

sind – die „WG 2.0“: Es geht um gemeinschaftliches<br />

Zusammenleben<br />

mit wenig Flächenverbrauch, um den<br />

Trend zu immer mehr Fläche je Bewohner<br />

und gleichzeitiger Anonymität<br />

und Vereinsamung entgegenzuwirken.<br />

Dabei wird sich das Verhältnis<br />

von Privatheit und Gemeinschaft<br />

ändern und die Bedürfnisse, die Ansprüche<br />

an Exklusivität der Funktionen<br />

werden differenzierter. Gleichzeitig<br />

möchte und kann nicht jeder<br />

wie in einer Baugruppe alles von<br />

Grund auf gemeinsam entwickeln<br />

und gestalten. Das heißt, es braucht<br />

reproduzierbare Modelle, bei denen<br />

die Balance zwischen Individualität<br />

und Gemeinschaft anpassbar bleibt.<br />

Auch Menschen in anderen Lebensaltern,<br />

abgesehen von Studierenden,<br />

werden zunehmend gemeinschaftliche<br />

Wohnformen nutzen. Dabei versprechen<br />

vor allem altersgerechtes<br />

und generationenübergreifendes<br />

Zusammenwohnen spannende symbiotische<br />

Lösungsansätze - nicht nur<br />

aufgrund der demografischen Entwicklung,<br />

sondern für ein besseres<br />

gesellschaftliches Miteinander.<br />

Wieso erfahren gemeinschaftliche<br />

Wohnformen aktuell ein so großes<br />

Interesse?<br />

Wir beobachten vermehrt die Forderung<br />

der Menschen nach mehr<br />

Mitbestimmung und Gestaltung des<br />

eigenen Lebensumfeldes; und auch<br />

der generelle Trend in verschiedenen<br />

Bereichen der Gesellschaft, selbstorganisiert<br />

und flachhierarchisch zu<br />

agieren, nimmt zu. Das betrifft Unternehmen<br />

wie Vereine und andere Organisationen,<br />

und ist sicherlich auch<br />

ein Grund, wieso Baugruppen mehr<br />

nachgefragt sind.<br />

Was macht eine funktionierende<br />

Gemeinschaft aus?<br />

Eine funktionierende Gemeinschaft<br />

braucht zum einen als Basis ein gemeinsames<br />

Verständnis des Zwecks<br />

– dessen, was die Gemeinschaft ausmacht;<br />

und zum anderen eine flache<br />

Organisationsstruktur. Das bedeutet,<br />

als Teil einer Gemeinschaft soll jede<br />

Person einen Teil der Arbeit und der<br />

Zuständigkeiten - und damit auch der<br />

Verantwortung und Entscheidungskompetenz<br />

– übernehmen. Nur so<br />

kann gegenseitiges Verständnis für<br />

Arbeit, Transparenz und damit Vertrauen<br />

entstehen.<br />

Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?<br />

Begrenzt sein soll sie im Flächenverbrauch,<br />

unbegrenzt in der sozialen<br />

und geistigen Aufgeschlossenheit! •<br />

www.nonconform.at<br />

© nonconform<br />

Organigramm aus Wohnbedürfnissen und Bewegungslinien<br />

einer neuen Wohnform, die im Ideenlabor<br />

– einer Beteiligungssimulation mit Betroffenen<br />

und Expertenvertreter*innen - für ein Bestandsentwicklungsprojekt<br />

in Berlin entwickelt wird.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

25<br />

Najjar & Najjar Architekten<br />

BE PART<br />

OF<br />

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<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

26<br />

Iris und Michael Podgorschek<br />

Die Stadt mit Licht<br />

modellieren<br />

Interview mit den Lichtgestaltern<br />

Mag. art Iris Podgorschek und Mag. art Michael Podgorschek<br />

© Christoph Meinschäfer Fotografie<br />

podpod design ist ein international renommiertes, vom Geschwisterpaar<br />

Iris und Michael Podgorschek gegründetes Lichtplanungsbüro<br />

aus Wien. Das Tätigkeitsfeld überspannt eine große Bandbreite, von<br />

Projekten für Innen- und Außenbeleuchtung für historische, denkmalgeschützte<br />

und zeitgenössische Bauten, urbane Lichträume, öffentliche<br />

Beleuchtung bis hin zu Leuchtendesign. Im Rahmen des Deutschen<br />

Lichtdesignpreises gingen podpod design als Preisträger vieler Projekte<br />

hervor und wurden als Lichtplaner des Jahres 2014 ausgezeichnet.<br />

Der Schwerpunkt liegt in hochwertigen, maßgeschneiderten Beleuchtungslösungen,<br />

die in enger Zusammenarbeit mit den Auftraggebern<br />

und Architekten, basierend auf technischem Know-How und künstlerischem<br />

Feingefühl, entwickelt werden.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

Was macht für Sie eine Stadt aus?<br />

Michael Podgorschek (MP): Die<br />

Dichte und die vielen Möglichkeiten<br />

machen eine Stadt aus. Auf engem<br />

Raum sind viele Optionen möglich,<br />

sei es beruflich, in Bezug auf Freizeit,<br />

kulturell oder kulinarisch. In der<br />

Stadt geht es um eine gewisse Anonymität<br />

kombiniert mit einer Enge,<br />

die viele Reibungspunkte erzeugt,<br />

denen man dauernd ausgesetzt ist.<br />

27<br />

Iris und Michael Podgorschek<br />

Iris Podgorschek (IP): Die Herausforderung<br />

ist das Zusammenspiel all<br />

dieser Strukturen, Interessen und Lebensformen.<br />

Es geht um die Verdichtung<br />

von Leben und um die Balance<br />

zwischen Freiheit und Rücksicht.<br />

Welche Herausforderungen gibt<br />

es bei der Gestaltung von Licht im<br />

Stadtraum?<br />

MP: In einem Stadtraum ist es wichtig<br />

zu wissen, von wo aus das zu beleuchtende<br />

Objekt gesehen wird. Es<br />

gibt sicherlich eine Hauptrichtung,<br />

aber im Prinzip ist es eine komplexe<br />

Wechselwirkung aus verschiedenen<br />

Richtungen, die eine räumliche<br />

Struktur aufspannen. Ob man an<br />

dem Gebäude nah dran ist oder es<br />

mehr auf die Ferne wirken muss, ist<br />

auch mitzubedenken.<br />

IP: In der Stadt ist es immer wichtig,<br />

nicht nur einzelne Räume oder Objekte<br />

zu berücksichtigen, sondern<br />

zusammenhängende Lichträume.<br />

Oft sind auf Plätzen nur einzelne<br />

Gebäude beleuchtet. Uns wäre es<br />

ein Anliegen, mehr den ganzen Platz<br />

zu betrachten, denn es ist immer ein<br />

Zusammenspiel aller Beleuchtungselemente.<br />

Ganz wichtig ist auch, wie<br />

die Leuchten tagsüber aussehen.<br />

Es kommt dabei technisch nicht<br />

nur darauf an, wo die Leuchte sitzt,<br />

sondern auf die Detaillösung wie sie<br />

sich integriert. Leuchten gehören zur<br />

Stadtmöblierung.<br />

Das großvolumige Gebäude wie die Wiener Staatsoper wird nicht flächig angestrahlt, sondern durch<br />

nahe an der Fassade angebrachte Beleuchtungskörper mit Licht und Schatten modelliert.<br />

Wie kann Licht eine Stadt<br />

lebenswerter machen?<br />

IP: Die Stadt ist auch in der Nacht<br />

ein Lebensraum. Es geht dabei um<br />

das Sicherheitsempfinden, das emotional<br />

ist, aber auch real. Das Licht<br />

ermöglicht, dass man sich furchtfrei<br />

durch die Stadt auch bei Nacht bewegen<br />

kann. Einerseits gibt es also<br />

die sicherheitsrelevanten Beleuchtungen.<br />

Dann gibt es aber auch solche,<br />

die kulturell relevant sind und<br />

sich damit beschäftigen, wie man<br />

eine Stadt bei Nacht zeigen möchte.<br />

Manche Gebäude treten dabei in<br />

den Vordergrund, andere bleiben im<br />

Hintergrund. Für die Identität und<br />

Kultur der hier lebenden Menschen<br />

ist das total wichtig und eben auch<br />

für Besucher und Touristen. Es ist<br />

auch wichtig zu sagen, dass man<br />

diese Art der Beleuchtung ab Mitternacht<br />

abschaltet und die Nacht<br />

Nacht sein darf. Für Orientierung<br />

und Sicherheit muss aber die ganze<br />

Nacht gesorgt sein.<br />

Besitzt Licht einen sozialen Aspekt?<br />

MP: Ein wichtiges Schlagwort dazu<br />

ist das Gender Mainstreaming. Ein<br />

Stadtraum ist ein geteilter Raum,<br />

den man gemeinsam nutzt. Es muss<br />

also auf alle Rücksicht genommen<br />

und auch die Schwächeren geschützt<br />

werden. Vor allem in Wien<br />

wird sehr viel Wert darauf gelegt,<br />

dass die Beleuchtung flächendeckend<br />

hochwertig ist, egal ob in den<br />

äußeren Bezirken oder im Zentrum.<br />

Für alle muss gutes Licht da sein.<br />

Als Gegensatz dazu gilt Paris, wo im<br />

Stadtzentrum alles funkelt und weiter<br />

weg vom Zentrum wird es trist.<br />

Man muss aufpassen, dass sich alle<br />

in der Stadt lebenden Menschen<br />

wohlfühlen und dass keine Ausgrenzungszonen<br />

entstehen.<br />

Kann man Licht als Ressource sehen?<br />

IP: Es geht um einen intelligenten<br />

Einsatz von Licht und der Leuchten.<br />

Zu hell zu beleuchten ist kontraproduktiv,<br />

denn wenn etwas zu<br />

hell ist kann ich es auch schlechter<br />

wahrnehmen. Das Licht soll nicht nur<br />

einfach in den Himmel gestrahlt werden,<br />

in der Hoffnung, dass dann auch<br />

etwas davon am zu beleuchtenden<br />

Objekt ankommt. Durch den Einsatz<br />

von LED kann man immer präziser<br />

arbeiten und das Licht wirklich dorthin<br />

bringen, wo es hin muss, Licht ist<br />

Berührung. Dadurch gibt es weniger<br />

Lichtemission in den Nachthimmel<br />

und zusätzlich braucht man auch viel<br />

weniger Energie.<br />

MP: Viele glauben, dass etwas besser<br />

sichtbar ist, wenn es heller ist.<br />

Es ist aber oft eher im Gegenteil<br />

schlechter sichtbar.<br />

Benötigt es Konzepte auch<br />

für die Dunkelheit?<br />

IP: Wenn am Abend alles herunterfährt<br />

finde ich es wichtig, dass der<br />

Konsens ist, dass alle gemeinsam reduzieren<br />

und abschalten. Es ist viel<br />

spannender, wenn eine Auslage zur<br />

Bühne wird. Es geht mehr um das Inszenieren,<br />

was sich jemand gestalterisch<br />

überlegen muss. Es geht nicht<br />

nur um das hell machen, sondern<br />

um das Modellieren und das fein Arbeiten<br />

mit Fingerspitzen. Die Arbeit<br />

mit Licht hat zwar eine technische<br />

Basis, sie braucht aber wirklich viel<br />

Gefühl, künstlerisches Verständnis<br />

und Erfahrung. Das macht dann die<br />

Qualität aus.<br />

u<br />

© Jansenberger digitalimage.at


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

28<br />

Iris und Michael Podgorschek<br />

steigt immer weiter. Man weiß immer<br />

mehr, wie wichtig Licht ist und wie<br />

es Emotion und Wahrnehmung beeinflusst.<br />

Es gab eine Befliegung der<br />

Stadt Wien, bei der die Lichtemission<br />

gemessen wurde. Ein Drittel stammt<br />

dabei von der öffentlichen Beleuchtung<br />

und zwei Drittel vom Verkehr,<br />

privaten Gebäuden und Auslagen.<br />

Berücksichtigen muss man dabei<br />

auch Gebäude mit Glasfassaden, die<br />

durch ihre Innenbeleuchtung auch<br />

eine Auswirkung nach außen haben.<br />

Eigens entwickelte Bodeneinbauleuchten mit einer Lichtverteilung entlang der Fassade verleihen der<br />

Alten Residenz in Salzburg einen dezenten Lichtschimmer. Die Wege werden von unauffälligen Leuchten<br />

am Dach und unter den Fensterbänken den denkmalpflegerischen Anforderungen gerecht beleuchtet.<br />

Die Außenanlagen der<br />

neuen BUWOG-Zentrale in<br />

der Rathausstraße – von<br />

den Architekten Schubert &<br />

Schubert, Atelier Heiss und<br />

den Landschaftsarchitekten<br />

Lindle Bukor gestaltet – vermittelt<br />

eine wohnliche Wohlfühlatmosphäre,<br />

die auch am<br />

Abend durch die Handschrift<br />

der Lichtplaner podpod<br />

design vermittelt wird.<br />

Welchen Einfluss haben andere<br />

Disziplinen auf das städtische Licht?<br />

MP: Der Verkehr hat einen extremen<br />

Einfluss, der wird aber nicht einberechnet.<br />

Das Licht der Autoscheinwerfer<br />

wird immer stärker und schärfer<br />

gerichtet. Wenn man in einen<br />

solchen Lichtkegel kommt wird man<br />

sehr geblendet.<br />

IP: Während des Corona-Lockdowns<br />

gab es viel weniger Lichtemission.<br />

Was sich dabei verändert hat, ist der<br />

Verkehr, denn Fassaden-, Straßenoder<br />

Auslagenbeleuchtungen wurden<br />

nicht abgeschaltet. Es geht um einen<br />

sinnvollen und intelligenten Umgang<br />

mit Licht. Man muss sich überlegen,<br />

wo Licht lebenswert und wichtig ist<br />

und wo man es lieber abschaltet.<br />

© podpod<br />

Welchen Bezug gibt es zwischen<br />

Lichtverschmutzung und Stadt?<br />

MP: Es gibt zwei Arten von Lichtverschmutzung.<br />

Die eine ist die naturbezogene,<br />

wo Licht in den Himmel<br />

strahlt und die Lichtglocke verstärkt.<br />

Das ist eine Frage der Qualität der<br />

Scheinwerfer und der Lichtplanung.<br />

Dann gibt es auch noch die menschenbezogene<br />

Lichtverschmutzung,<br />

die sich auf die Emission<br />

bezieht, durch die Menschen sich<br />

gestört fühlen. Bei guten Projekten<br />

werden Lichtgestalter schon von<br />

Beginn an in den Planungsprozess<br />

einbezogen, um diese Dinge zu berücksichtigen.<br />

IP: Das Bewusstsein für Licht ist<br />

auch schon sehr gestiegen und<br />

Haben Sie Veränderungen beim Umgang<br />

mit Licht in der Stadt feststellen<br />

können?<br />

IP: Die Straßenbeleuchtung hat große<br />

Fortschritte gemacht in den letzten<br />

Jahren, mit besserer Ausblendung<br />

und bedeutend weniger Lichtemission<br />

in den Nachthimmel. Man kann<br />

aber alles immer noch besser machen.<br />

In der Stadt könnte man auch<br />

wärmere Farbtemperaturen verwenden.<br />

Die Effizienz wird auch immer<br />

besser. Dabei darf man aber auf die<br />

Qualität nicht vergessen. Durch die<br />

steigende Effizienz wird man sich<br />

auch mehr gute Qualität leisten können.<br />

Es gibt aber in der Stadt noch<br />

immer viele Sünden, wo Lichtquellen<br />

nicht gut ausgeblendet sind.<br />

Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?<br />

IP: Die Stadt muss mehr in Lichträumen<br />

gedacht werden. Auf einem<br />

Platz versucht der Eine oft heller zu<br />

sein als der Andere. Wenn man ihn<br />

als etwas Gemeinsames betrachtet,<br />

dann kann man mit dem Beleuchtungsniveau<br />

hinunterkommen, weil<br />

es dann ausgewogener ist. Es geht<br />

nicht nur darum einzelne Objekte zu<br />

betrachten, sondern ganze Bereiche.<br />

MP: Die Plätze sind genauso Akzente<br />

der Stadt. Es darf nicht die<br />

gesamte Aufmerksamkeit und das<br />

Geld dorthin fließen. Sie sind wieder<br />

ein Teil des Ganzen und werden als<br />

Schmuckstücke hervorgehoben. Es<br />

ist wie ein Musikstück zu mixen. Da<br />

darf nichts besonders hervorstechen,<br />

es muss eher als organisches<br />

Ganzes funktionieren.<br />

•<br />

www.podpoddesign.at<br />

© podpod


Seit 70 Jahren arbeitet Zumtobel kontinuierlich am Licht von<br />

morgen und wird dabei unentwegt von einem einzigartigen Gestaltungsanspruch<br />

geleitet. Zumtobel strebt stets danach, die Lebensqualität<br />

des Menschen durch Licht zu verbessern und stellt für jede Tätigkeit zu<br />

jeder Tages- und Nachtzeit das richtige Licht zur Verfügung.<br />

Zumtobel. Das Licht.<br />

#70 YEARSZUM TOBEL<br />

MOUNTAIN.CABIN, LATERNS - VORARLBERG (AT) | FOTO: JENS ELLENSOHN | ZUMTOBEL.COM


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

30<br />

Hohengasser Wirnsberger Architekten<br />

Den ländlichen Raum im<br />

menschlichen Maßstab denken<br />

Interview mit Architektin Sonja Hohengasser<br />

und Architekt Jürgen Wirnsberger<br />

Seit 2008 arbeiten Sonja Hohengasser und Jürgen Wirnsberger<br />

zusammen, 2017 folgt die Gründung der Hohengasser<br />

Wirnsberger ZT GmbH. In Spittal an der Drau angesiedelt<br />

widmen sie sich regionalen Projekten im ländlichen<br />

Kontext. An der FH Kärnten, der österreichweit einzigen<br />

Hochschule mit Architekturausbildung im ländlichen Raum,<br />

geben Sonja Hohengasser als Professorin und Jürgen<br />

Wirnsberger als Lehrender ihre Erfahrungen und Wissen<br />

zum Thema Rurales Bauen an die Studierenden weiter.<br />

© Christian Brandstätter


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

31<br />

Hohengasser Wirnsberger Architekten<br />

© Christian Brandstätter<br />

Für den Käsehof Zankl gestalteten Hohengasser Wirnsberger Architekten eine Hofkäserei im landwirtschaftlichen Kontext.<br />

Was macht eine Stadt aus?<br />

Sonja Hohengasser (SH): Was meine<br />

persönlichen Erfahrungen während<br />

der Studienzeit in Wien betrifft,<br />

bedeutet Stadt für mich einerseits<br />

Freiheit, Anonymität, ein großes kulturelles<br />

und kulinarisches Angebot<br />

anderseits aber auch Reizüberflutung<br />

durch gestresste Menschen,<br />

enormen Autoverkehr, schrille Beleuchtungen<br />

– einfach ein Überangebot<br />

von Allem. Ich habe sie sowohl<br />

kreativitätsfördernd als auch als<br />

Energieräuber erlebt. Man muss sich<br />

mehr mit den Dingen auseinandersetzen<br />

und herausfinden, was wirklich<br />

wichtig ist und was nicht.<br />

Jürgen Wirnsberger (JW): Um über<br />

die Qualtäten einer Stadt sprechen<br />

zu können, muss man aus meiner<br />

Sicht zuerst deren Größenordnung<br />

definieren. Eine Kleinstadt im ländlichen<br />

Kontext kann andere Qualitäten<br />

bieten als eine Großstadt. Für<br />

mich ist die Großstadt immer inspirierend,<br />

weil das Angebot vielfältig<br />

ist. Ich habe aber nie, wie Sonja, lange<br />

in einer größeren Stadt gelebt.<br />

Was sind die Grenzen zwischen dem<br />

ländlichen und dem städtischen Raum?<br />

SH: Schwierig zu sagen. In Wien<br />

habe ich die Stadtgrenze dort erlebt,<br />

wo auch die Straßenbahn geendet<br />

hat. Wenn man mit dem Auto unterwegs<br />

ist, ist das wieder anders – die<br />

Grenzen verschwimmen mehr. Die<br />

Distanz ist viel kürzer und man fährt<br />

auch aus der Stadt raus in die Natur,<br />

um Sport zu betreiben.<br />

JW: Ich glaube, dass es die definierte<br />

Grenze nicht mehr gibt. Früher gab<br />

es Stadtmauern oder andere Befestigungsanlagen,<br />

durch die ganz klar<br />

war, bis wohin die Stadt reicht und<br />

wo die Landschaft beginnt. Heute<br />

ist, durch den Umraum der Stadt, die<br />

Festlegung einer Grenze viel schwieriger<br />

geworden, wenn nicht unmöglich.<br />

Braucht eine Stadt<br />

dörfliche Strukturen?<br />

SH: Ja, ich finde schon. Wenn man<br />

länger in einem Stadtbezirk wohnt,<br />

wird er zum Dorf. Man findet seine<br />

Stammläden und seine Stammlokale,<br />

die meist fußläufig erreichbar sind.<br />

Ich habe Stadt erlebt, als mehrere<br />

kleinere dörfliche Strukturen, die aneinandergereiht<br />

sind.<br />

JW: Ich denke, dass es in der Stadt<br />

oft sogar besser funktionieren kann<br />

als großteils am Land. Dort gibt es<br />

die dörflichen Strukturen oft gar<br />

nicht mehr oder sie sind am Verschwinden.<br />

In vielen Dörfern gibt es<br />

seit Jahren ein Sterben der Wirtshäuser<br />

– was sich natürlich negativ<br />

für das gesellschaftliche Zusammenleben<br />

auswirkt.<br />

Kann man nicht nur von „Landflucht“<br />

sprechen, sondern auch schon von<br />

„Stadtflucht“?<br />

SH: Das kann ich nicht sagen, aber<br />

was zu beobachten ist, ist dass fast<br />

alle meine Freunde und Bekannte<br />

aus Wien einen Zweitwohnsitz am<br />

Land oder außerhalb der Stadt haben.<br />

Sobald eine Familie gegründet<br />

wird, verstärkt sich der Wunsch nach<br />

Leben in oder mit der Natur dann<br />

noch mehr. Auch die Corona-Krise<br />

hat den Wunsch sicherlich noch verstärkt,<br />

denn alle, die einen Garten<br />

haben, konnten sich glücklich schätzen.<br />

Ich sehe die Stadt als Erhalter,<br />

um Geld zu verdienen und sich weiterzubilden.<br />

Die Freizeit verbringen<br />

viele Leute dann am Land. u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

32<br />

Hohengasser Wirnsberger Architekten<br />

JW: Wenn man einen Zweitwohnsitz<br />

hat, ist das für mich noch keine<br />

Stadtflucht. Stadtflucht würde für<br />

mich bedeuten, dass man die Zelte<br />

in der Stadt tatsächlich abbricht und<br />

aufs Land zieht. Das kann ich in einem<br />

größeren Ausmaß nicht beobachten.<br />

Viele ziehen von der Stadt in<br />

die Speckgürtel, wo sie dann einen<br />

eigenen Garten haben. In Wirklichkeit<br />

gehört das aber noch immer zur<br />

Stadt, weil sie von der Stadt versorgt<br />

werden. Vielleicht sollte man diese<br />

Tendenz eher als eine Freizeit-Stadtflucht<br />

bezeichnen.<br />

Wie kann der ländliche Raum als zukunftsfähige<br />

Lebensumgebung gefördert<br />

werden?<br />

JW: Es muss ein Bewusstsein für die<br />

Qualitäten eines Miteinanders und<br />

von intakten Ortskernen gebildet<br />

werden. Um überlebensfähig zu bleiben<br />

braucht ein Ortszentrum, neben<br />

öffentlichen Funktionen, wie einen<br />

Kindergarten, vor allem auch bewohnte<br />

Häuser. Ein Dorf hält die Außenentwicklung<br />

auf Dauer nicht aus.<br />

Um Ortskerne zu erhalten und zu<br />

beleben, benötigt es viel strengere<br />

Widmungsvorschriften mit mehr Gemeinwohl-<br />

als Privatinteressen. Ein<br />

weiterer wichtiger Punkt ist für mich<br />

der öffentliche Raum – diese wichtigen<br />

Orte für das gesellschaftliche<br />

Leben sind nicht nur ein Stadtthema,<br />

sondern gerade fürs Land wichtig<br />

und notwendig!<br />

SH: Die Wahrnehmung der Enge<br />

spielt dabei auch mit. Am Land hält<br />

man die Enge oft nicht aus, vor allem,<br />

wenn zwei Autos nicht nebeneinander<br />

vorbeifahren können. Gerade die<br />

Enge bietet aber oft eine hohe Qualität.<br />

Es benötigt Bewusstseinsbildung<br />

und Schulung, damit der Mensch<br />

und nicht immer das Auto der Maßstab<br />

ist. Das ist ganz wesentlich, um<br />

die dörflichen Strukturen und deren<br />

Qualitäten zu erhalten.<br />

Können alternative Wohnkonzepte<br />

zum Einfamilienhaus am Land funktionieren?<br />

SH: Mehrparteienhäuser gibt es<br />

schon, aber verdichtete Wohnformen<br />

wie Reihenhäuser oder Hofhäuser<br />

gibt es relativ wenig. Viele können<br />

sich nicht vorstellen so zu wohnen,<br />

weil sie es nicht kennen. In der Lehre<br />

versuchen wir die Studierenden mit<br />

solchen Typologien zu konfrontieren.<br />

Sie sind dann immer erstaunt, welche<br />

Qualitäten solche alternativen<br />

Wohnkonzepte haben können. Diesbezüglich<br />

muss noch viel Bildungsund<br />

Vermittlungsarbeit geleistet<br />

werden. Gut wäre natürlich, wenn die<br />

Förderungen die Entwicklung alternativer<br />

Typologien mehr unterstützen<br />

würden.<br />

JW: Ich finde, dass beim Wohnen<br />

gerade das genaue Gegenteil passiert.<br />

Das Land wird für die Stadt als<br />

Erholungsraum gesehen. In Kärnten,<br />

wie vermutlich in vielen touristischen<br />

Regionen Österreichs, wird<br />

viel gebaut, aber leider meist nur<br />

Zweitwohnsitze. Durch diese dann<br />

überwiegend leerstehenden Häuser,<br />

die wenige Male im Jahr genutzt<br />

werden, wird auch die touristische<br />

Infrastruktur zerstört. Als Nebeneffekt<br />

steigen die Grundstückspreise<br />

und das Wohnen wird für die Jungen<br />

Die Schaukäserei Kaslab‘n mit<br />

Hofladen entstand im Kärntner<br />

Ort Radenthein. Der Bereich<br />

vor dem Gebäude funktioniert<br />

als öffentlicher Vorplatz.<br />

© Christian Brandstätter


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

33<br />

Hohengasser Wirnsberger Architekten<br />

© Christian Brandstätter<br />

Die bäuerliche Stube wird bei der Kaslab‘n als öffentlicher Ort neu interpretiert.<br />

am Land nicht mehr leistbar. Einige<br />

haben das Glück, entweder das Haus<br />

von den Eltern weiterbauen zu können<br />

oder einen Baugrund zu erben.<br />

Wirklich verdichtete oder alternative<br />

Wohnkonzepte am Land gibt<br />

es wenige, aber vielleicht entsteht<br />

gerade auf Grund der hohen Kosten<br />

für Wohnraum in Zukunft vermehrt<br />

Innovatives.<br />

Sind alternative Wohnkonzepte in<br />

der Stadt einfacher umzusetzen?<br />

JW: Ja, ich denke schon. Die Offenheit<br />

für zukunftsfähige Konzepte<br />

sehe ich eher in der Stadt, da die<br />

Menschen dort auch verschiedenste<br />

Wohnmodelle und Milieus kennen<br />

lernen. Ich hoffe aber, dass auch im<br />

ländlichen Raum neue Wohnkonzepte<br />

probiert werden, die eine Alternative<br />

bieten zum alleinstehenden<br />

Haus mit Abstandsgrün.<br />

SH: Vielleicht wird es am Land zukünftig<br />

mehr Wohngemeinschaften<br />

oder Alterswohngemeinschaften<br />

geben. Die bestehenden Häuser werden<br />

den Bewohner*innen ja zu groß.<br />

Man braucht solche Konzepte, die<br />

dann vielleicht über ein Dorfservice<br />

betreut werden. In der Stadt sind sie<br />

aber sicherlich einfacher umzusetzen,<br />

denn dafür am Land Nutzer zu<br />

finden ist nicht so leicht. Vielleicht<br />

sind das dann eher Leute, die einmal<br />

in der Stadt gelebt haben und wieder<br />

aufs Land zurückkommen.<br />

Sehen Sie Ihre Tätigkeit als Lehrende<br />

oder als Bauende unterstützender<br />

für den ländlichen Raum an?<br />

JW: Ich glaube es wäre schwierig in<br />

der Lehre authentisch zu sein, ohne<br />

in diesem Bereich auch zu bauen. Am<br />

Land ist Authentizität aus meiner Erfahrung<br />

wesentlich, um die Leute zu<br />

erreichen. Ich habe das Gefühl, dass<br />

das dann bei den Studierenden auch<br />

so ankommt.<br />

SH: Bei uns hängt beides stark zusammen.<br />

Viele Gemeindevertreter*innen<br />

kommen mit ihren Problemstellungen<br />

zu uns. Diese werden<br />

dann auch von den Studierenden als<br />

Studienprojekte oder Diplomarbeiten<br />

behandelt.<br />

Worin soll das Land unbegrenzt sein?<br />

SH: Generell sollte das Land auch<br />

eine bauliche Struktur haben, damit<br />

die Qualität erhalten bleibt. Daher<br />

sollte die Bebauung begrenzt sein.<br />

Es muss strenge Widmungen und<br />

Abgrenzungen der unterschiedlichen<br />

Nutzungen geben, damit es<br />

wirkliche Zentren und auch wieder<br />

Freiflächen gibt. Die Architektur darf<br />

nicht an der Gebäudegrenze enden,<br />

sondern auch die Zwischenräume<br />

müssen gestaltet werden.<br />

Nicht begrenzt sein soll das Land<br />

beruflich, denn man kann manche<br />

Berufe nicht ausüben, wenn man<br />

hier wohnen möchte. Mit der Digitalisierung<br />

ist dann auch am Land viel<br />

mehr machbar.<br />

JW: Unbegrenzt an Möglichkeiten<br />

und Visionen!<br />

•<br />

www.hwarchitekten.at


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

34<br />

DI Stefan Nussmüller<br />

Sich den Übergängen<br />

einer Stadt widmen<br />

Interview mit Architekt DI Stefan Nussmüller<br />

Die Nussmüller Architekten<br />

setzten unter<br />

der Leitung von Stefan<br />

Nussmüller verschiedene<br />

Schwerpunkte.<br />

Zu ihnen zählen<br />

lebenswerte Quartiersentwicklungen,<br />

Revitalisierungen<br />

und Sanierungen,<br />

genauso wie Holzbau.<br />

Der Grundgedanke<br />

dabei lautet stets:<br />

Architektur als Produkt<br />

unserer gemeinsamen<br />

Vorstellung. Diese<br />

Haltung sieht man den<br />

Projekten des Grazer<br />

Architekturbüros<br />

auch an, die stets von<br />

besonderer Kreativität,<br />

Sensibilität und Nachhaltigkeit<br />

zeugen.<br />

© Miriam Raneburger


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

35<br />

DI Stefan Nussmüller<br />

© Oberhofer<br />

In der Grazer Max-Mell-Allee gestalteten die Nussmüller Architekten einen Wohnbau in Holzmassivbauweise,<br />

für den sie 2019 den Steirischen Holzbaupreis erhielten. Jede der 38 Wohnungen ist von zwei<br />

Seiten belicht- und belüftbar, an der Außenfassade steht jeder Wohnung eine private Freifläche mit<br />

Blick ins Grüne zur Verfügung.<br />

Was macht eine Stadt aus?<br />

Eine Stadt ist für mich gekennzeichnet<br />

durch den Begriff der Urbanität.<br />

Urbanität hat mit dem Erleben von<br />

Andersartigkeit, Diversität und Interkulturalität<br />

zu tun. In der Stadt<br />

treffen verschiedene Meinungen<br />

aufeinander und daraus entsteht<br />

ein Dialog. Der urbane Raum wird<br />

dadurch beeinflusst und bereichert,<br />

auch Konfrontationen gehören dazu.<br />

Die Stadt hängt mit dem Leben in<br />

einer Gemeinschaft aus verschiedenen<br />

Personengruppen zusammen. Im<br />

Unterschied steht dazu das Dorf, wo<br />

es eine gewisse Homogenität der Bewohner<br />

gibt. Der Austausch und die<br />

Dichte an Möglichkeiten ist in einer<br />

Stadt ungleich höher.<br />

Wodurch wird die Qualität eines<br />

Stadtquartiers beeinflusst?<br />

Es geht dabei einerseits um die<br />

räumliche Zusammensetzung des<br />

Quartiers an sich, also um die Programmierung.<br />

Diese bezieht sich<br />

darauf, welche Arten von Wohnungen<br />

für wen vorhanden sind, wie viel<br />

öffentlichen Außenraum und sonstige<br />

Angebote es für das tägliche<br />

Leben gibt. Viel wahrnehmbarer und<br />

manchmal auch wichtiger ist aber<br />

andererseits die Qualität der Aufenthaltsbereiche<br />

des öffentlichen Raumes<br />

innerhalb eines Stadtquartiers.<br />

Welches Potenzial bieten Stadtentwicklungsgebiete<br />

für eine Stadt?<br />

Ich habe festgestellt, dass Stadtentwicklungsgebiete<br />

in Wien anders<br />

verhandelt werden als im Rest<br />

Österreichs. In Wien macht man<br />

sich weitschichtiger über kooperative<br />

Verfahren Gedanken und beschäftigt<br />

sich damit, was ein neues<br />

Stadt entwicklungsgebiet können<br />

soll. Das passiert bevor der eigentliche<br />

Stadtteil entwickelt wird. Dieser<br />

Schritt vor der Planung hat für mich<br />

großes Potenzial. Wir Planer beobachten<br />

Stadtentwicklungsgebiete<br />

über längere Zeit und erkennen,<br />

dass jedes Stadtentwicklungsgebiet<br />

immer versucht, am Puls der Zeit<br />

zu sein und die besten Möglichkeiten<br />

für die Zukunft zu kreieren. Ein<br />

Stadtentwicklungsgebiet ist immer<br />

auch ein kleiner Abdruck von dem,<br />

was die Stadt schon bieten kann und<br />

den Wunschvorstellungen, was sie in<br />

Zukunft sein soll. Wenn man das vernünftig<br />

diskutieren, verhandeln und<br />

in Vorgaben zu Planungsprozessen<br />

umsetzen kann, dann kommen sicher<br />

gelungene Beispiele dafür heraus. u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

36<br />

DI Stefan Nussmüller<br />

Wird Stadtentwicklung zu sehr auf<br />

das Thema Wohnen reduziert?<br />

Von öffentlicher Seite wird immer<br />

versucht, eine stark durchmischte<br />

Stadt zu formen, was unbestritten<br />

gut und verfolgenswert ist. Der<br />

freie Markt entwickelt aber gerne<br />

ausschließlich Wohnungen, weil diese<br />

am besten zu verkaufen sind. Es<br />

braucht ein Regelset, womit zum<br />

Beispiel die Nutzung von Sockelgeschossen<br />

reguliert wird. Im Hinblick<br />

auf die resiliente Stadt müssen auch<br />

die Geschosshöhen so angepasst<br />

werden, dass in den Wohnungen<br />

auch andere Nutzungen ermöglicht<br />

werden. Auch die Wohnungsgrößen<br />

sollen unterschiedliche Möglichkeiten<br />

zulassen, damit man Wohnungen<br />

zusammenlegen und auch wieder<br />

kleiner machen kann. Die Nutzungsart<br />

sollte also über die Größe und Geschosshöhe<br />

offengehalten werden.<br />

Das Innere des Wohnblocks öffnet sich als gemeinschaftlicher Innenhof, von dem<br />

aus alle Wohnungen erschlossen werden. Zusätzlich stellt er auch das soziale<br />

Zentrum der Hausbewohner dar, die die Möglichkeit haben, sich die großzügige<br />

Fläche vor ihrer Wohnung anzueignen.<br />

Braucht es mehr Vielfalt<br />

an Wohnformen?<br />

Nicht jedes Gebiet verträgt die gleiche<br />

Vielfalt hinsichtlich der Wohnungsgrößen<br />

und sozialen Bedingungen.<br />

Fest steht: Je höher die<br />

Vielfalt ist, desto mehr soziologische<br />

Betreuung benötigt man. Denn es<br />

müssen unterschiedliche Personengruppen,<br />

unterschiedliche Wünsche<br />

des Wohnens und des sich Ausbreitens<br />

berücksichtigt werden. Die Vielfalt<br />

hat auch immer den positiven<br />

Aspekt der gegenseitigen Beeinflussung,<br />

aber den negativen Aspekt<br />

der Konfrontation und beides muss<br />

man bedenken. Gebiete in der Stadt<br />

verlangen dabei ein höheres Maß an<br />

Heterogenität. In den Randbezirken<br />

sind gewisse Altersgruppen vorhanden,<br />

die dann aber auch wieder vielfältig<br />

durchmischt sein können.<br />

Welche zukünftigen Herausforderungen<br />

sehen Sie im Bereich Wohnen?<br />

Es muss mit den unterschiedlichen<br />

Lebenssituationen klarkommen<br />

und dafür verschiedene Angebote<br />

liefern. Natürlich soll auch die sich<br />

verändernde Form des Wohnens,<br />

Arbeitens und der Freizeitgestaltung<br />

mitgedacht werden. Büroarbeit<br />

für viele Arbeitsbereiche kann auch<br />

von Zuhause gut abgearbeitet werden,<br />

was uns die Corona-Pandemie<br />

und der Lockdown gezeigt haben.<br />

Die Entwicklung der Wohngebiete<br />

auch hinsichtlich der Freizeit ist ein<br />

wichtiger Punkt. Das betrifft vor allem<br />

auch Kinder, die sich innerhalb<br />

des Viertels frei bewegen können<br />

und auch mehr Erlebnisbereiche bekommen<br />

sollen, die über das Erlebnis<br />

einer Kinderschaukel hinausgehen.<br />

Dafür muss sich der Verkehr weitläufig<br />

verändern. Wir merken jetzt<br />

schon, dass der KFZ-Anteil in gut<br />

erschlossenen städtischen Gebieten<br />

stark zurückgeht und sich die Wohnbereiche<br />

autofrei gestalten, damit<br />

mehr Raum den dort lebenden Menschen<br />

überlassen wird.<br />

© Oberhofer


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

37<br />

DI Stefan Nussmüller<br />

Wie lassen sich diese Anforderungen<br />

räumlich übersetzen?<br />

Die unterschiedlichen Bewohnungsund<br />

Nutzungsformen können durch<br />

Extraflächen ergänzt werden, die<br />

man zusätzlich zu seiner Wohnung<br />

buchen kann. Aktuell gibt es servicierte<br />

Gemeinschaftsflächen, die<br />

über die Betriebskosten abgerechnet<br />

werden. Für individuelle Zusatzflächen<br />

gibt es derzeit wenig bis gar<br />

kein Geschäftsmodell, obwohl es<br />

ein sehr großes Potenzial hat. Man<br />

hätte dadurch die Möglichkeit eine<br />

Wohnung seinen Bedürfnissen anzupassen<br />

und zusätzlichen Raum zuzumieten,<br />

der etwa als Arbeitsraum,<br />

Lagerraum oder Bastelwerkstatt genutzt<br />

werden könnte.<br />

Werden wir in Zukunft nur noch im<br />

Bestand bauen?<br />

Das Bauen im Bestand wird zunehmen,<br />

aber nicht der bestimmende<br />

Teil sein. Viele Bestandsbauten können<br />

aufgrund ihrer Substanz nicht so<br />

ein adäquater Wohnraum sein, wie<br />

Neubauten. Damit geht natürlich die<br />

energetische und ökologische Frage<br />

einher. Bei Bauten, die thermisch<br />

saniert werden müssen, ist abzuwägen,<br />

in welcher Art und Weise gebaut<br />

worden ist und ob es sich lohnt, den<br />

Bau zu sanieren.<br />

Welche Bedeutung hat die energetische<br />

Betrachtung der Architektur?<br />

Der energetische Aspekt muss unbedingt<br />

betrachtet werden und<br />

wird es natürlich auch. Man muss<br />

sich vergegenwärtigen, dass circa<br />

45 Prozent der Treibhausgasemissionen<br />

durch den Neubau, Betrieb,<br />

den Erhalt und die Entsorgung von<br />

Gebäuden entstehen. All diese Bereiche<br />

müssen sukzessive in den Griff<br />

gebracht werden. Derzeit wird rein<br />

der Energieverbrauch der Gebäude<br />

betrachtet, was nur ein sehr kleiner<br />

Teil des Ganzen ist. Der Lebenszyklus<br />

der Gebäude muss betrachtet<br />

werden, was sich wiederverwenden<br />

lässt und was wie entsorgt wird. Es<br />

braucht ein Bewusstsein für beides,<br />

sowie eine Herkunftsbezeichnung,<br />

ein Energielabel des Bauelements<br />

und auch ein entsprechendes Entsorgungslabel.<br />

Es reicht nicht, wenn<br />

sich ausschließlich Wissenschaftler<br />

damit beschäftigen, wie viel CO 2<br />

in einem Material vorhanden ist. Es<br />

muss auch beim praktischen Einsatz<br />

der Bauprodukte ablesbar sein.<br />

Wie beeinflusst die Energiewende<br />

das Aussehen und die Identität einer<br />

Stadt?<br />

Das Aussehen unserer gebauten Umwelt<br />

wird stark darauf ausgerichtet<br />

sein, was es zum Teil jetzt schon ist.<br />

In Stadtentwicklungsgebieten gibt es<br />

eine sehr hohe Varianz an gerasterten<br />

Fassaden. Es geht dabei um das<br />

Verhältnis von Außenfläche und Volumen,<br />

das als kompaktes Volumen<br />

für energetische Gebäudeformen<br />

ansprechend in den Stadtraum übersetzt<br />

werden soll. Für grüne Fassaden<br />

und die Nutzung von lokalen dezentralen<br />

Energienetzen müssen die<br />

Designwege dann auch noch weiter<br />

gedacht werden. Generell hinkt das<br />

Design immer ein bisschen hinterher,<br />

denn man braucht immer erst ein gewisses<br />

Erfordernis, um neue Dinge zu<br />

designen. Grundsätzlich braucht es<br />

immer Zeit, bis dafür in der Ästhetik<br />

eine entsprechende Formulierung<br />

gefunden wird. Das Beste setzt sich<br />

dann hoffentlich durch.<br />

0 5 10<br />

20<br />

Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?<br />

Die Grenze zwischen öffentlich und<br />

privat, wo sich das Halböffentliche<br />

befindet, ist ein ganz wesentlicher<br />

Bestandteil für die Entwicklung einer<br />

Stadt. Es muss mehr Ausverhandeln<br />

und bewusstes Ausgestalten dieser<br />

Räume an der Schwelle zwischen öffentlich<br />

und privat geben. Im Idealfall<br />

gibt es keine Grenze, sondern etwas<br />

Individuelles und Erlebbares. Ein guter<br />

Wohnbau hat keine Zäune. Durch<br />

diese Sperren würden zum Zaun hin<br />

Leerräume entstehen, die verlorene<br />

Bereiche sind. Wenn die Grenze<br />

verhandelbar ist, dann können diese<br />

Zwischenräume neu entdeckte halböffentliche<br />

Bereiche sein. Es geht<br />

dabei um die Übergänge zwischen<br />

der eigenen Wohnung, dem Haus als<br />

Wohnungsverbund, dem Block und<br />

auch dem gesamten Stadtviertel.<br />

Diese sind interessant für eine Stadt<br />

und ich würde mich ihnen gerne<br />

mehr widmen.<br />

•<br />

www.nussmueller.at<br />

N


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

38<br />

Angelika Psenner<br />

Stadt<br />

transdisziplinär<br />

begreifen<br />

Statement von Assoc. Prof. DI Dr. habil. Angelika Psenner<br />

Angelika Psenner ist Professorin für<br />

Stadtstrukturforschung am Institut<br />

für Städtebau, Landschafts<strong>architektur</strong><br />

und Entwerfen an der TU Wien.<br />

Sie hat Architektur und Soziologie<br />

studiert und zu Städtebau habilitiert.<br />

Ihre Forschungsschwerpunkte liegen<br />

bei Erdgeschoss- und Straßenraumproblematik,<br />

Resilienz im Städtebau,<br />

nutzungsoffene Architektur, Mobilität,<br />

Wahrnehmung von Architektur und<br />

öffentlichem Raum und Stadtstrukturen<br />

des 19. bis 20. Jahrhunderts.<br />

© bene-croy; FoB Städtebau


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

39<br />

Angelika Psenner<br />

Mariahilfer Straße, Wien<br />

– Erdgeschossnutzung<br />

und öffentlicher Raum<br />

stehen in Wechselwirkung<br />

zueinander. Sie sind<br />

deshalb systemisch als<br />

Einheit zu behandeln, die<br />

man als Stadtparterre<br />

bezeichnen kann.<br />

© Psenner<br />

Eine Stadt ist ein Lebensraum, den ich aus unterschiedlichen<br />

Perspektiven heraus erfahren kann<br />

und der mir Rätsel aufgibt. Sie ist umgekehrt auch<br />

die Summe unzähliger Lebenswelten ihrer Bewohner*innen<br />

und Besucher*innen und damit eines der<br />

komplexesten aller menschlichen Artefakte. Stadt<br />

ändert sich einerseits ständig, andererseits weist sie<br />

aber auch (gebaute) Strukturen auf, die über lange<br />

Zeiträume hinweg Bestand haben. Das Spannende an<br />

urbanen Ballungsräumen ist, aus dem vorliegenden<br />

Material Zusammenhänge und Geschichten herauslesen<br />

zu können. Dazu bedarf es des aufmerksamen<br />

Hinschauens und Zuhörens. Dieses Aufnehmen sollte<br />

bestenfalls unvoreingenommen passieren und<br />

nicht von bestimmten Erwartungen und externen<br />

Labellings geleitet sein.<br />

Der in der österreichischen Stadtplanung seit Jahrzehnten<br />

gehegte K(r)ampf zwischen jenen die „Theorie“<br />

und jenen die „Praxis“ vertreten (in sich bereits<br />

ein Widerspruch) ist weder für das Fach noch für die<br />

Akteure hilfreich und bringt uns im Erkenntnisgewinn<br />

zu Architektur und Stadt nicht weiter. Auch der Stellungskampf<br />

zwischen den Disziplinen „Städtebau“<br />

und „Stadtplanung“ – den es in dieser Form sowieso<br />

nur im deutschsprachigen Raum gibt – ist sinnwidrig.<br />

Am Land sozialisiert, zog ich mit 18 nach London.<br />

Es dauerte Monate, bis ich verstand, wie diese<br />

Stadt – oder überhaupt eine Stadt – funktioniert<br />

und wie ich mich darin zurechtfinden konnte. Das<br />

learning-by-doing war anstrengend, da mir das Verständnis<br />

für Vieles fehlte. Aber das Lesen-Können,<br />

das Zusammenhänge-Verstehen, das Mitspielen im<br />

städtischen Habitus-Gefüge, das ich mir über die<br />

Zeit meines Aufenthalts aneignete, war letztendlich<br />

zutiefst befriedigend und erfüllend.<br />

Diese Erfahrung war für mich dermaßen prägend,<br />

dass ich das Erforschen von Stadt zu meinem Beruf<br />

machte: Nach wie vor interessiert mich, wie bestimmte<br />

vom Menschen geschaffene komplexe Lebensräume<br />

funktionieren, wie ich und andere damit umgehen<br />

und sie gestalten können.<br />

Als ich nach meinem einjährigen London-Aufenthalt<br />

nach Wien zog – in der Annahme, nun eine weitere<br />

Hauptstadt „auszuprobieren“ – war ich zutiefst irritiert<br />

von der Struktur, die ich damals, im Jahr 1987,<br />

vorfand. Wien lag, an den Rand Europas gedrängt,<br />

fernab jedes international durchmischten Gezappels,<br />

das ich von der Commonwealth-Metropole kannte.<br />

Eine ältere Dame sprach mich in den ersten Tagen<br />

meines Hierseins in der Straßenbahn kritisch auf<br />

mein Äußeres an und mir wurde erklärt, was sich<br />

ziemt und schickt. Hier herrschte ein gemächliches<br />

Gebrodel von durchschnittlichem, nicht aneckendem<br />

Mittelmaß. Zumindest nahm ich das so wahr – bis mir<br />

meine Kommilitonen das „andere Wien“ zeigten, jenes<br />

der Musikszene, des Underground. Und wieder<br />

lernte ich, dass es darum geht, eine Stadt gleich einem<br />

Instrument „spielen“ zu können.<br />

Auch Paris und New York City machte ich mir im<br />

Rahmen meiner Ausbildung „zu eigen“. Paris im<br />

Megastreikjahr 1995/96 – es war eine Stadt, die ich<br />

durch-die-Straßen-wandernd erforschte – und NYC<br />

im Jahr darauf für die Recherche zu meinem Diplom<br />

„4/5 NYC“ – ein spannender dystopischer Ort,<br />

der noch nicht gänzlich unter Giulianis „law and order“-Motto<br />

„bereinigt“ war.<br />

Derzeit sind mir zwar keine ausgedehnten monatelangen<br />

Stadtstudien möglich, jedoch werden meine<br />

Kongressreisen zu kleinen Kurzaufnahmen in den<br />

jeweiligen Städten umfunktioniert; sodass mich die<br />

vergangenen Jahre eine ganze Reihe von mitteleuropäischen<br />

und einigen nordamerikanischen Städten<br />

anknabbern ließen.<br />

u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

40<br />

Angelika Psenner<br />

© Psenner<br />

Nutzungsstrukturplan: Untersucht werden von Angelika Psenner unter anderem auch Nutzungsstrukturen von Erdgeschosszonen.<br />

Meine Forschungsarbeit führt mich immer wieder<br />

zu Themen, die bis dato durch das Erkennungsraster<br />

der einzelnen, sie behandelnden Fachbereiche<br />

gefallen sind: Warum weisen gründerzeitliche Mietwohnungen<br />

überdurchschnittliche Raumhöhen auf?<br />

Warum scheinen in Wien manche alten Gebäude in<br />

ihrer Umgebung zu versinken? Was hat es mit den<br />

Niveauregulierungen des 19. Jahrhunderts auf sich?<br />

Warum haben spekulativ agierende Immobilienentwickler<br />

in die Fassadengestaltung gewöhnlicher<br />

Zinshauskasernen investiert? Seit wann ist das<br />

Parkieren in Straßen erlaubt und wem war dieser<br />

öffentliche Raum davor zugewiesen? Warum sind<br />

gründerzeitliche Mietskasernen in Europas Städten<br />

im Grundriss unterschiedlich, obwohl ihre Fassaden<br />

zum Verwechseln ähnlich sind? Warum ist Wien um<br />

vieles kompakter verbaut als jede andere Stadt des<br />

19. Jahrhunderts?<br />

Es sind Umstände und Zusammenhänge, die uns,<br />

wenn wir sie (er)kennen, in unserem Schaffen, im<br />

Städte-bauen und im Städte-planen weiterbringen.<br />

Deren Erforschung wir jedoch bis dato nicht in Angriff<br />

genommen haben, da sich diese Fragen erst<br />

stellen, wenn wir einen möglichst holistischen Zugang<br />

zum Thema „Stadt“ versuchen; sie lassen sich<br />

auch nur dann beantworten, wenn wir eine systemische,<br />

fächerübergreifende Herangehensweise wählen.<br />

Das ist nicht möglich, wenn wir einzelne Teile der<br />

Stadt bzw. die Zuständigkeiten dafür (sowohl in der<br />

Verwaltung als auch in der Planungs- und Baupraxis)<br />

grundsätzlich getrennt behandeln.<br />

Sonach kennt Stadt als Forschungsobjekt keine<br />

Grenzen; zumindest keine von permanenter Art. Was<br />

einzig wirklich begrenzt ist, sind die uns zur Verfügung<br />

stehenden Ressourcen. Wobei dieser Umstand<br />

nicht nur städtische Agglomerationen betrifft, aber<br />

vielleicht dort besonders deutlich erfahrbar wird.<br />

Wenn wir die Begrenztheit von Ressourcen als Grundfaktor<br />

für unsere Entscheidungen hinsichtlich unserer<br />

Lebensweise – nicht nur in Städten – anerkennen, so<br />

ergibt sich folgerichtig eine klare Antwort darauf, was<br />

Städte brauchen: Städte brauchen Entscheidungsträger*innen,<br />

die die Endlichkeit unserer Ressourcen<br />

als unumstößliche Wahrheit anerkennen und den Mut<br />

haben, entsprechende Taten zu setzen. Auch wenn<br />

das heißt, dass die aktuell machthabende Ökonomie<br />

diese Entscheidungen (vorerst) nicht zu unterstützen<br />

droht. Wenn sich das Wertebild neu justiert,<br />

werden sich – so, wie sich in den vergangenen Monaten<br />

vor dem Hintergrund der weltumspannenden,<br />

Handlungsraster-brechenden Corona-Krise gezeigt<br />

hat – die Argumentationslinien automatisch Richtung<br />

nachhaltige Mobilität und Energieversorgung, resiliente<br />

Lebensmittel- und Güterversorgung, und Stärkung<br />

der lokalen Kleinökonomie und Kreislaufwirtschaft<br />

verschieben und infolge das städtische Umfeld<br />

entsprechend grundlegend verändern.<br />

•<br />

© Wimberger, Schremmer, Psenner<br />

Wie das Stadtparterre aussehen könnte ist hier<br />

dargestellt. Die Fußgängerbereiche sind erweitert<br />

und die Nutzung der Erdgeschosszonen<br />

tritt auch in den angrenzenden Außenraum.


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

42<br />

Steinkogler Aigner Architekten<br />

Potentiale und Möglichkeiten<br />

der Stadt(Landschaft)<br />

Statement von Architekt DI Rudolf Steinkogler<br />

und Architekt DI Michael Aigner<br />

© Martin Bilinovac<br />

Das Architektenduo Steinkogler Aigner Architekten legt Wert auf einen behutsamen Umgang mit der Umgebung, die Anpassung an den<br />

lokalen Maßstab und auf den Bezug zu traditionellen Bauweisen und Bauformen. Rudolf Steinkogler und Michael Aigner sind dabei überwiegend<br />

im ländlichen Raum tätig. Für ihre Architektur setzen sie auf einen nachhaltigen und verantwortungsvollen Einsatz der Baustoffe und<br />

Materialien. So soll über den Zweck der Gebäude hinaus ein sozialer Wert geschaffen werden.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

43<br />

Steinkogler Aigner Architekten<br />

Eine Antwort auf die Frage nach den Grenzen der<br />

Stadt hängt vom Betrachtungsstandpunkt ab. In den<br />

letzten Jahren etablierten sich verschiedene Theorien,<br />

um jene Städtethematik neu zu bewerten. Denn<br />

die Trennlinien zwischen Stadt und Land verschwimmen<br />

immer mehr zu einer gemeinsamen (Stadt)landschaft,<br />

deren Bewohner je nach Bedarf und Bedürfnis<br />

zwischen den einzelnen Polen hin und her pendeln.<br />

Polemisierend könnte man gar die ganz Welt als eine<br />

Stadt betrachten.<br />

Statistisch gesehen ist es einfach, Stadt und Land<br />

auseinander zu halten: In Österreich leben ca. 58%<br />

der Bevölkerung in Städten, wobei per Definition<br />

hierzulande Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohner<br />

als Städte gelten. International gesehen liegt<br />

Österreich somit etwas über dem Durchschnitt – allerdings<br />

weist es verglichen mit anderen (west-)europäischen<br />

Ländern einen deutlich geringeren Urbanisierungsgrad<br />

auf.<br />

Die Verstädterung, gepaart mit fortschreitender Digitalisierung,<br />

generiert die Frage, inwieweit es heutzutage<br />

überhaupt noch sinnvoll ist, eine Aufteilung in Stadt<br />

und Land vorzunehmen? Das Bild vom Gegensatzpaar<br />

Stadt vs. Land ist weitestgehend überholt, denn weder<br />

die Eine noch das Andere stehen heute ausschließlich<br />

für Fortschritt, Konsum, Tradition oder Natur.<br />

Deutlich drückt sich das in der Angleichung der Lebensstile<br />

aus - speziell das Landleben hat sich weit<br />

vom althergebrachten Idyll entfernt, folgt nicht mehr<br />

im gleichen Maß dem Lauf der Jahreszeiten und ist<br />

unabhängig von Vieh und Ernteertrag. Selbst das<br />

gesteigerte Interesse an Selbstversorgung, lässt Supermärkte<br />

und Einkaufszentren als Grundlage der<br />

Versorgungssicherheit nicht obsolet werden.<br />

Eine auffällige Veränderung der letzten Jahre ist die<br />

vermehrte Nutzung von Möglichkeitsräumen außerhalb<br />

der dichten, urbanen Zentren. Waren es etwa<br />

einstmals in Vergessenheit geratene Stadtviertel oder<br />

von Industrie und Gewerbe geprägte Zonen, sind es<br />

heute oft kleine Gemeinden im Umland der alten Stadtzentren,<br />

in denen sich entsprechende Freiheiten bieten.<br />

Dabei haben sich auch die Formen der Aneignung<br />

mit der Zeit verändert – waren frühere Werkzeuge der<br />

Urbanisierung etwa Underground Clubs, so sind dies<br />

heute Bäckereien oder Bekleidungsmanufakturen.<br />

Angetrieben wird diese Entwicklung von unterschiedlichen<br />

Fraktionen. Oft sind es gut ausgebildete<br />

Rückkehrer, die in der Stadt oder im Ausland berufliche<br />

Erfahrungen gesammelt haben, beziehungsweise<br />

engagierte Zugezogene, die Neues initiieren und<br />

entstehen lassen. War es im vergangenen Jahrhundert<br />

erstrebenswert, in einer Metropole zu leben, hat<br />

sich nun das Ideal dahingehend gewandelt, aus dem<br />

Hamsterrad auszubrechen und Ruhe und Beschaulichkeit<br />

zu finden. Tatsächlich kommt es dabei aber<br />

vielfach zu einer Vermischung städtischer Gedankenwelten<br />

und Lebensweisen auf dem Land.<br />

Wo aber lassen sich die hierfür nötigen Möglichkeitsräume<br />

finden? Eine wesentliche Strategie ist dabei<br />

die Nutzung bereits bestehender Gebäude. Die Beispiele<br />

reichen vom ungenutzten Feuerwehrdepot<br />

oder Bezirksgericht über umgebaute Hotels bis hin<br />

zum Co-Working-Space im ehemaligen Stadel. Aber<br />

nicht jeder Leerstand hat das gleiche Potential, weil<br />

dessen Nutzung auch immer stark von den handelnden<br />

Personen abhängt. Oft sind es eben jene zugezogenen<br />

Einzelpersonen oder kleine Gruppen, die<br />

Projekte lancieren und Initiativen starten.<br />

Hier gilt es, Anreize für die Nutzung jener Leerstände<br />

zu setzen. Darauf können Gemeinden durchaus steuernd<br />

und unterstützend Einfluss nehmen – selbst<br />

jenseits einer aktiven Bodenpolitik. So können Ortszentren<br />

gestärkt werden, indem man dort Funktionen<br />

konzentriert und verdichtet. Dies lässt sich beispielsweise<br />

über Umbau und Sanierung erreichen, aber<br />

ebenso gut über Neubau und Rückbau. Dabei wäre<br />

es jedoch wesentlich, auf eine Mischung der Nutzungen<br />

in den Gebäuden zu achten, damit bei Fluktuation<br />

erneuter Leerstand vermieden werden kann. Wenig<br />

Erfahrung, aber großes Potential gibt es darüber<br />

hinaus auch bei der Umnutzung technischer Anlagen<br />

und stillgelegter Infrastrukturen.<br />

Der Fokus des Architekturdiskurses liegt nach wie vor<br />

auf den urbanen Zentren, die jedoch nur einen Teil<br />

Stadtlandschaft ausmachen. Und in dieser entstehen<br />

auch abseits der Netzwerkknoten spannende Projekte,<br />

welche den neuen Lebenswelten gerecht werden.<br />

•<br />

www.steinkogleraigner.at<br />

© www.bokehdesign.at<br />

Am Ortsplatz gelegen<br />

bietet das „Arzthaus“ als<br />

Neubau an Stelle eines<br />

nicht mehr nutzbaren<br />

eingeschossigen Gebäudes<br />

Raum für Wohnungen,<br />

Praxen und Co-Working-Büros.


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

44<br />

Dr. Mathias Mitteregger<br />

Veränderte Straßen<br />

für lebenswerte Städte<br />

Interview mit Architekturtheoretiker Dr. Mathias Mitteregger<br />

Das Forschungsprojekt Avenue21 der<br />

TU Wien erforscht die Entwicklungen<br />

des Verkehrs und der Mobilität in<br />

den urbanen Räumen Europas. Der<br />

Architekturtheoretiker Mathias Mitteregger<br />

leitete dieses über vier Jahre<br />

andauernde Projekt. Für ihn steht<br />

der Wandel, hin zum automatisierten<br />

und vernetzten Fahren, unmittelbar<br />

bevor. Dieser soll genutzt werden, um<br />

die Städte positiv zu verändern und<br />

vor allem dem Straßenraum eine neue<br />

Bedeutung zuzuschreiben.<br />

© Daniel Trindl


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

45<br />

Dr. Mathias Mitteregger<br />

Was macht eine Stadt aus?<br />

Durch meinen <strong>architektur</strong>theoretischen<br />

Hintergrund habe ich einen<br />

stark von der Geschichte geprägten<br />

Blick darauf. Für mich ist Stadt<br />

der Inbegriff des Politischen. Stadt<br />

bedeutet Öffentlichkeit und eine arbeitsteilige<br />

Gemeinschaft, die auf<br />

Dichte und Diversität beruht. Das<br />

bringt auch immer ein Konfliktpotenzial<br />

mit sich.<br />

Wie sieht der Verkehr<br />

der Zukunft aus?<br />

Wie wir uns den Verkehr der Zukunft<br />

vorstellen müssen, ist ganz klar davon<br />

geprägt, wie wir als globale<br />

Gesellschaft auf die Klimakrise reagieren.<br />

Der Entscheidungshorizont<br />

hat nun deutliche Grenzen. Gerade<br />

im Verkehrssektor müssen wir jetzt<br />

unverzüglich reagieren. Das ist nicht<br />

nur eine Frage der Verkehrsmittel,<br />

sondern auch eine entscheidende<br />

Frage der Architektur und Raumplanung.<br />

Wir müssen also nicht zwingend<br />

neue Verkehrsmittel erfinden<br />

oder einführen, dazu fehlt uns in vielen<br />

Fällen einfach die Zeit. Die Städte<br />

und der ländliche Raum müssen so<br />

geplant werden, dass wir zuallererst<br />

Verkehr vermeiden.<br />

Wie kann Verkehr<br />

vermieden werden?<br />

Verkehrsprobleme lösen wir nicht<br />

durch den Verkehrssektor alleine,<br />

man muss integriert denken. Davon<br />

ist die Raumplanung, die Architektur<br />

und der Städtebau betroffen. Aber<br />

auch viele andere Sektoren, wie mittlerweile<br />

die Informatik und Energiewirtschaft.<br />

Da muss man bestehende<br />

Grenzen einbrechen und in vielen<br />

Fällen ganz neu denken. Man vermeidet<br />

Verkehr z.B. durch kompakte<br />

Städte oder – wie wir jetzt gerade erleben<br />

– durch virtuelle Treffen. Wobei<br />

hier die CO 2 -Bilanz unklar ist und<br />

das nicht für alle Berufsgruppen ein<br />

gangbarer Weg ist.<br />

Wie wird sich die Mobilität verändern?<br />

Der Schlüssel zu einer erfolgreichen<br />

Mobilitätswende und auch für lebenswerte<br />

Städte ist meiner Ansicht<br />

nach der öffentliche Raum der Straße.<br />

Wir müssen uns dabei ihre historische<br />

Entwicklung präsent halten<br />

und sie anders denken. Es war nicht<br />

immer so, dass Straßen so eindeutig<br />

dem Verkehr zugeordnet waren wie<br />

heute. Bei der Bedeutung des Straßenraumes<br />

als öffentlicher Raum<br />

spielen Straßen und auch Plätze eine<br />

entscheidende Rolle. Es braucht sie,<br />

damit sich eine Öffentlichkeit formieren<br />

kann, die sich kennt, sich austauscht,<br />

die divers ist und mit sich<br />

selbst konfrontiert bleibt. Es geht<br />

nicht darum den Zustand vor dem<br />

Automobil zu rekonstruieren, sondern<br />

darum, neue Straßen zu schaffen,<br />

die hochqualitative und großartige<br />

Aufenthaltsräume in Städten<br />

sein können. Das ist eine unglaublich<br />

reizvolle gestalterische Aufgabe.<br />

Wem soll die Straße in<br />

Zukunft gehören?<br />

Wir haben immer zwei Nutzungsansprüche<br />

an den Straßenraum. Es<br />

gibt die Transportnotwendigkeit.<br />

Städte müssen versorgt und das<br />

Produzierte und Konsumierte muss<br />

auch verteilt bzw. entsorgt werden.<br />

Auf der anderen Seite steht der Anspruch<br />

der Personen, die die Städte<br />

bewohnen, dort arbeiten oder dort<br />

ihre Freizeit verbringen. Wir brauchen<br />

die Straße als Erweiterung des<br />

Raums, der uns innerhalb von Gebäuden<br />

zur Verfügung steht! Beide<br />

Ansprüche müssen berücksichtigt<br />

und auch unterschiedlich gewichtet<br />

werden. Die Notwendigkeit des<br />

Aufenthaltsraumes muss heute viel<br />

stärker berücksichtigt werden. Dies<br />

ist möglich, wenn wir den Verkehr<br />

vermeiden und Fahrten bündeln.<br />

Wie lässt sich das räumlich umsetzen?<br />

Da gibt es ganz interessante Konzepte,<br />

wie etwa den Superblock. Es<br />

geht dabei darum Quartierszentren<br />

zu stärken, indem man den motorisierten<br />

Verkehr explizit draußen<br />

hält. In der Stadt werden Inseln geschaffen,<br />

die sich zu einem Netz<br />

verbinden, in dem das lebenswerte<br />

Quartier im Zentrum steht. Mobilität<br />

von Personen, Gütern und Informationen<br />

wird es immer geben und sind<br />

auch notwendig für das Überleben<br />

von Städten. Sie müssen und können<br />

aber eine lokalere Komponente haben,<br />

damit sie sich stärker im Quartier<br />

abspielen.<br />

Welche Rolle spielen selbstfahrende<br />

Autos in Zukunft?<br />

An der TU Wien haben wir uns in<br />

einem von der Daimler und Benz<br />

Stiftung geförderten Forschungsprojekt<br />

als interdisziplinäres Forschungsteam<br />

angeschaut, was Automatisierung<br />

und Vernetzung für den<br />

Verkehr und auch für die Mobilität<br />

in europäischen Städten bedeutet.<br />

In der technologischen Entwicklung<br />

von selbstfahrenden Autos stehen<br />

wir heute soweit, dass ihnen gewisse<br />

Eigenschaften unterstellt werden.<br />

Die Technologie dazu ist aber noch<br />

nicht in einem Maß entwickelt, wie es<br />

medial kommuniziert wurde. Deshalb<br />

mussten in den letzten Jahren gewisse<br />

Hoffnungen relativiert werden.<br />

Beispielsweise können selbstfahrende<br />

Autos heute nur im geschützten<br />

Areal zum Einsatz kommen und vielleicht<br />

in näherer Zukunft auf Autobahnen.<br />

Das Fahren in belebten innerstädtischen<br />

Räumen bei höheren<br />

Geschwindigkeiten liegt aber noch<br />

viele Jahre in der Zukunft.<br />

Welche anderen Entwicklungen<br />

sind greifbarer?<br />

Am Mobilitätsmarkt gibt es eine<br />

hochdynamische Entwicklung, was<br />

beispielsweise Carsharing, Bikesharing,<br />

E-Scooter-Anbieter und Fahrdienstleister<br />

betrifft. Es gibt überhaupt<br />

neue Organisationsformen,<br />

die sich davon wegbewegen, dass<br />

Mobilität besessen werden muss,<br />

sondern eher als Service konsumiert<br />

wird. Ich bin davon überzeugt, dass<br />

wir in einer Wende leben, die ähnlich<br />

grundlegend verlaufen wird, wie die<br />

der Entwicklung des Automobils vor<br />

etwa einhundert Jahren. Wir müssen<br />

heute von einem grundlegenden<br />

Wandel der Städte ausgehen, der zu<br />

dem jetzigen, frühen Zeitpunkt noch<br />

gestaltbar ist. Diese Verantwortung<br />

muss von der Stadtverwaltung und<br />

Planung gesehen und es muss eine<br />

Position bezogen werden, bevor der<br />

Zug abgefahren ist.<br />

u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

46<br />

Dr. Mathias Mitteregger<br />

das größte Potenzial für automatisierte<br />

und vernetzte Anwendungen.<br />

Dort ist es bislang noch relativ unattraktiv<br />

den öffentlichen Verkehr zu<br />

nutzen. Am Stadtrand können wir<br />

neue Alternativen gegenüber dem<br />

Individualverkehr entwickeln, die<br />

hochattraktiv sein können und damit<br />

helfen, dass die Verkehrswende auch<br />

akzeptiert wird. Radfahren und zu<br />

Fuß gehen müssen gleichzeitig immer<br />

gestärkt werden.<br />

© Jonathan Fetka<br />

Erste Tests für selbstfahrende Autos haben in Österreich in Koppl nahe Salzburg stattgefunden.<br />

Derzeit können selbstfahrende Autos nur in geschützten Arealen eingesetzt werden, der nächste<br />

Schritt wäre ein Einsatz auf Autobahnen. Für die automatisierte und vernetzte Mobilität stellen<br />

sie nur einen Aspekt von vielen dar, der weiterhin näher erforscht wird.<br />

Wie beeinflusst die sich verändernde<br />

Mobilität die Architektur?<br />

Wenn es nur annähernd stimmt, dass<br />

die Entwicklungen so weitreichend<br />

sein könnten wie beim Auto vor<br />

einhundert Jahren, dann entstehen<br />

ganz neue Gebäudetypen. Mit der<br />

externen Erschließung hängt die interne<br />

Erschließung von Gebäuden<br />

untrennbar zusammen. Auch die<br />

Erdgeschosszone ist davon abhängig,<br />

was draußen passiert. Wenn die<br />

verkehrliche Belastung sehr hoch<br />

ist, betrifft es natürlich auch die Geschosse<br />

darüber. Die Frage ist, was<br />

wir im Erdgeschoss unterbringen<br />

können und welche Rolle dabei der<br />

Handel spielt. Auch in dieser Hinsicht<br />

müssen wir integrierter denken.<br />

Was ist automatisierter und<br />

vernetzter Verkehr?<br />

Automatisierung bedeutet, dass ein<br />

System vorhanden ist, das die Fahrerin<br />

oder den Fahrer entlastet bzw.<br />

Fahraufgaben selbstständig übernimmt.<br />

Vernetzung heißt, dass ich als<br />

Konsument und auch die Fahrzeuge<br />

untereinander kommunizieren. Beides<br />

muss zusammen gedacht werden.<br />

Betrifft das Konzept den Individualverkehr<br />

und den öffentlichen Personennahverkehr?<br />

Ein zentraler Baustein der anstehenden<br />

Verkehrsrevolution ist, dass<br />

Kategorien, die wir heute kennen, an<br />

Bedeutung verlieren und ineinanderfließen.<br />

Das betrifft den Individualverkehr<br />

und öffentlichen Verkehr,<br />

als auch Personenverkehr und Güterverkehr.<br />

Welche Probleme bringt<br />

dieses Konzept mit sich?<br />

Sharing-Konzepte und Mobilität als<br />

Service bergen alle Gefahren des<br />

Plattformkapitalismus. Ich habe den<br />

Eindruck, dass der Wandel hin zur<br />

Mobilität teilweise zu blauäugig behandelt<br />

wird. Da gibt es zuhauf Datenschutz-<br />

und Überwachungsprobleme<br />

und auch eine Prekarisierung<br />

des Arbeitsmarktes, die zu wenig berücksichtigt<br />

werden. Der politische<br />

Kern der Stadt wird dadurch essenziell<br />

angegriffen. Zudem sind die Hoffnungen<br />

bezüglich einer Dekarbonisierung<br />

des Verkehrs überzogen.<br />

Sind neue Mobilitätskonzepte besser<br />

im städtischen oder ländlichen<br />

Raum umsetzbar?<br />

Am besten kommen sie im Zwischenraum<br />

zum Einsatz. Der Stadtrand hat<br />

Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?<br />

Sie braucht mehr Lebensraum, der<br />

unterschiedliche Nutzungen zulässt.<br />

Sicherheit ist auch ein großes Thema,<br />

denn wir brauchen Straßen, wo z.B.<br />

Kinder spielen können, ohne durch<br />

den Verkehr gefährdet zu sein und die<br />

Ruhepole nicht Stressfaktoren sind.<br />

Die Stadt braucht Diversität, was sie<br />

im Grunde schon immer ausgemacht<br />

hat. Wir müssen nicht alles kontrollieren<br />

und vordenken, einschränken und<br />

lenken. Es benötigt mehr Vertrauen<br />

in die Selbstverantwortung und Eigenständigkeit<br />

der Bürgerinnen und<br />

Bürger, denn die kann hochproduktiv<br />

sein. Solche Städte sind in Zukunft<br />

möglich, aber sie kommen garantiert<br />

nicht von selbst.<br />

•<br />

www.avenue21.city<br />

www.futurelab.tuwien.ac.at


Berker Drehschalter mit Beleuchtung<br />

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<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

48<br />

DI Dr. Ida Pirstinger<br />

Vielfältig dichte<br />

Städte schaffen<br />

Interview mit Stadtforscherin DI Dr. Ida Pirstinger<br />

© Rudolf Fric<br />

In Graz lebend ist Ida Pirstinger als<br />

Stadtforscherin tätig und widmet sich<br />

als Vorsitzende der IG Architektur<br />

auch verschiedenen anderen Themen<br />

des aktuellen Architekturdiskurses.<br />

Ihre Dissertation an der TU Graz im<br />

Jahr 2013 widmete sie der Nachverdichtung<br />

von Gründerzeitquartieren.<br />

Zum Thema urbane Nachverdichtung,<br />

Städtebau und Stadtentwicklung<br />

forscht und lehrt sie auch an verschiedenen<br />

österreichischen Hochschulen.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

49<br />

DI Dr. Ida Pirstinger<br />

Wien, Barcelona und Manhatten mit ihrer Einwohnerdichte und ihrem Flächenbedarf im Vergleich mit Graz.<br />

© Ida Pirstinger, Michael Renner, Johannes Kerschner, Thierry Draus<br />

Was macht eine Stadt aus?<br />

Die Stadt ist ein hochkomplexes<br />

menschliches Artefakt als physisch<br />

gebaute Struktur und vor allem als<br />

soziales Gemeinwesen. Man kann sie<br />

am ehesten mit einem lebendigen<br />

Metabolismus vergleichen, der fähig<br />

ist, sich ständig zu verändern und<br />

erneuern. Die Stadt ist ein Möglichkeitsraum<br />

für Vieles und für Viele,<br />

deshalb ist sie schon seit den Frühzeiten<br />

der Menschheit ein Erfolgsmodell.<br />

Jede Stadt hat dabei ihren<br />

eigenen Charakter und ihren eigenen<br />

Code. Auch die Offenheit für Neues<br />

und Unbekanntes zeichnet sie aus,<br />

ebenso wie ihre Dichte. Die Dichte<br />

an Menschen, an Gebautem, an Angeboten<br />

und Interaktionen, also in<br />

vielerlei Hinsicht. Das alles führt zu<br />

einer gewissen Heterogenität, die für<br />

ihr Funktionieren wichtig ist.<br />

Wie hängt Urbanität mit<br />

Dichte zusammen?<br />

Urbanität steht für das städtische<br />

Leben und auch für die Summe aus<br />

Gebautem, Sozialräumlichem und<br />

Gemeinschaftlichem und dem alltäglich<br />

Gelebten. Da gibt es natürlich einen<br />

Zusammenhang mit der Dichte,<br />

der wieder entsprechend vielschichtig<br />

ist. Das fängt schon beim Dichtebegriff<br />

an, bei dem wir Architekten<br />

zuerst an die Bebauungsdichte<br />

in Geschossflächenzahlen denken.<br />

Er ist aber nicht wirklich definiert<br />

und wird von den unterschiedlichen<br />

Fachrichtungen verschieden eingesetzt.<br />

Trotzdem entsteht Urbanität<br />

aus Dichte, aber nicht bedingungslos.<br />

Die Urbanität spüren wir dort,<br />

wo sich das Leben abspielt, also auf<br />

der Straße im öffentlichen Raum. Nur<br />

dicht zu bauen reicht dafür nicht aus.<br />

Wir müssen Straßenräume schaffen,<br />

die für menschliche Interaktionen<br />

attraktiv sind, mithilfe von Durchmischung<br />

und Vielfalt.<br />

Ist es problematisch, dass man sich<br />

immer nur auf die bauliche Dichte<br />

bezieht?<br />

Jede isolierte Betrachtung vermittelt<br />

ein unvollständiges Bild. Die statistischen<br />

Werte der Dichte beschreiben<br />

nicht annähernd die unterschiedlichen<br />

Bedürfnisse und Empfindungen<br />

hinsichtlich verschiedener Situationen<br />

im urbanen Raum. Dichte<br />

wird individuell sehr unterschiedlich<br />

wahrgenommen. Andererseits<br />

braucht man diese Zahlenkennwerte,<br />

um Regeln und Grenzen zu definieren.<br />

Ich würde mir wünschen, dass<br />

man nicht nur die Grenzen festlegt,<br />

sondern auch die Umfeldqualitäten.<br />

Menschliche Bedürfnisse sollen erfüllt<br />

werden. Stadtentwicklung handelt<br />

ja, so wie die Architektur auch,<br />

als erstes vom Menschen.<br />

Was macht eine dichte<br />

Stadt lebenswert?<br />

Dazu trägt Kompaktheit, Heterogenität<br />

und Vielfalt bei. Wir brauchen eine<br />

Breite und Diversität von Angeboten<br />

auf einem relativ engen Raum in kleinen<br />

Distanzen. Dazu gehören unterschiedliche<br />

Gebäude, Nutzungen und<br />

Funktionen, sowie soziale Diversität<br />

und Kontaktmöglichkeiten. Man befindet<br />

sich in einem offenen sozialen<br />

Gefüge, in dem man Kontakt haben<br />

oder auch anonym bleiben kann. Natürlich<br />

spielt auch das Stadtbild eine<br />

Rolle, allerdings nur sekundär. Primär<br />

halten sich Menschen dort auf, wo<br />

schon Menschen sind. Wichtiger als<br />

die optische Gestalt sind dafür die<br />

Funktion und das Gefühl der Sicherheit<br />

und Sauberkeit. In Zeiten des Klimawandels<br />

muss man die Stadt auch<br />

viel mehr als Ökosystem verstehen<br />

und denken.<br />

u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

50<br />

DI Dr. Ida Pirstinger<br />

Verschiedene horizontale und vertikale Möglichkeiten der Nachverdichtung, vorgeführt an einem<br />

Grazer Gründerzeitblock. Die Zahlen stehen für die damit erreichte Bebauungsdichte.<br />

© Ida Pirstinger<br />

Warum sollen Städte<br />

verdichtet werden?<br />

Nachverdichtung ist im Hinblick auf<br />

den Klimawandel, die Ressourcenverknappung<br />

und auch in Verantwortung<br />

der nachfolgenden Generationen gegenüber,<br />

ein Gebot der Stunde. Wir<br />

müssen Bauland verantwortungsbewusst<br />

und sparsam einsetzen<br />

und auch mehr mit Brachen und der<br />

vorhandenen Bausubstanz arbeiten.<br />

Durch Verdichtung ist deren Sanierung<br />

und Erhalt möglich. Auch was<br />

die technische und soziale Infrastruktur<br />

betrifft können wir uns weitere<br />

Zersiedelung eigentlich nicht leisten.<br />

Diese zu Errichten und zu Erhalten<br />

kostet extrem viel Geld. Fakt ist, dass<br />

Stadtbewohner pro Person weniger<br />

als Landbewohner brauchen, besonders<br />

was das Mobilitätsverhalten und<br />

den Flächenverbrauch betrifft.<br />

Welche urbanen Bereiche<br />

betrifft Nachverdichtung?<br />

Sie kann überall dort sinnvoll sein,<br />

wo die Bewältigung des Alltags für<br />

die Bewohnerinnen und Bewohner<br />

einfacher und wo ein Klimaschutzziel<br />

adressiert wird.<br />

Den Begriff der Nachverdichtung<br />

verwende ich nicht mehr so gerne,<br />

denn dieser wird sehr oft nur mit<br />

Flächen- und Profitmaximierung<br />

verbunden. Eher sollte man über<br />

die Aufwertung des Bestehenden<br />

sprechen, also Quartiers- oder Gebietsaufwertung.<br />

Dabei kann Verdichtung<br />

auch bedeuten, dass man<br />

mehr öffentliche Freiräume oder<br />

kürzere Wege durch Nutzungsmischung<br />

innerhalb der Stadt schafft.<br />

Nachverdichtung ist nicht nur in<br />

wachsenden Städten sinnvoll, sondern<br />

auch in schrumpfenden. Das<br />

klingt paradox ist aber notwendig,<br />

um diese wieder kompakter auf bestimmte<br />

Orte zu konzentrieren. Um<br />

positive Nachverdichtung schaffen<br />

zu können braucht man die Bevölkerung<br />

und die Politik. Grundsätzlich<br />

sehe ich schon auch ein generelles<br />

Umdenken der Menschen hinsichtlich<br />

ihrer persönlichen Ansprüche als<br />

notwendig an – einen individuellen<br />

„Nachverdichtungsbedarf“.<br />

Was sind verfolgenswerte Konzepte,<br />

um Städte nachzuverdichten?<br />

Es müssen dabei immer die Aspekte<br />

beachtet werden, die eine Stadt lebenswert<br />

machen. Die Verdichtung<br />

gibt in dieser Hinsicht noch nicht so<br />

gut funktionierenden Stadtquartieren<br />

die Möglichkeit, sie hochwertiger<br />

zu machen. Zum einen sind das<br />

Konzepte, die keine bislang unbebauten<br />

Bodenflächen beanspruchen,<br />

sondern bestehende Strukturen<br />

weiterbauen, beispielsweise durch<br />

Aufstockung, oder sie auch ersetzen.<br />

Zum anderen gehören die Flächen<br />

von leerstehenden oder verfallenen<br />

Gebäuden neu genutzt oder neu<br />

bebaut. Wenn das nicht passiert, gehören<br />

sie zumindest abgerissen und<br />

der Natur zurückgegeben. Ebenso<br />

gehören Baulücken geschlossen.<br />

Alles was im Bestand passiert hilft<br />

auch, Sanierungsrückstau zu beseitigen,<br />

der ohne Nachverdichtung nicht<br />

wirtschaftlich umsetzbar wäre, vor<br />

allem wenn es sich um kleinteilige<br />

Strukturen handelt.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

51<br />

DI Dr. Ida Pirstinger<br />

Bieten der innerstädtische oder der<br />

periphere Bereich der Stadt mehr<br />

Potenzial für Nachverdichtung?<br />

Das kann man sicher nicht verallgemeinern,<br />

denn unterschiedliche<br />

Städte und Bautypen sind unterschiedlich<br />

gut für verschiedene<br />

Nachverdichtungsformen geeignet.<br />

In unseren Städten ist die Bebauungsdichte<br />

zu den Zentren hin üblicherweise<br />

höher als in der Peripherie.<br />

In der Peripherie wäre also was Quadratmeter<br />

und Volumen betrifft mehr<br />

möglich, vor allem durch horizontales<br />

Verdichten. Allerdings ist die<br />

Infrastruktur in Zentrumsnähe viel<br />

umfangreicher vorhanden, Urbanität<br />

wäre dort also leichter entwickelbar.<br />

In der Peripherie ist es schwieriger,<br />

lebenswerten und gut strukturierten<br />

Stadtraum zu erzeugen. Konzepte<br />

zur Transformation von monofunktionalen<br />

Wohnsiedlungen wären eine<br />

wichtige Zukunftsaufgabe.<br />

Wird es in Städten in Zukunft nur<br />

noch um das Bauen im Bestand und<br />

seine Nachverdichtung gehen?<br />

Grundsätzlich ist die Stadtentwicklung<br />

immer der Umgang mit dem<br />

Vorgefundenen. Es könnte für mitteleuropäische<br />

Städte ein Ansatzpunkt<br />

sein, dass man klare Siedlungsgrenzen<br />

festlegt und erst, wenn alles<br />

verbraucht ist, über die Ausdehnung<br />

in die Breite nachdenkt. Die Realität<br />

sieht leider anders aus. Durch das<br />

sehr große Wachstum der Städte ist<br />

es derzeit schneller und unkomplizierter,<br />

diese in die Breite auszudehnen.<br />

Global betrachtet entstehen in<br />

Asien und Amerika auch viele Reißbrettstädte<br />

auf freiem Feld, da geht<br />

es also in die umgekehrte Richtung.<br />

Im europäischen Kontext reden wir<br />

hauptsächlich über die Weiterentwicklung<br />

schon bestehender Städte<br />

in ökonomischer, finanzieller und<br />

verkehrstechnischer Hinsicht. Wir<br />

müssen Städte anders denken als<br />

bisher. Manchmal habe ich den Eindruck,<br />

dass die Fachwelt und die<br />

Stadtbewohner und Stadtbewohnerinnen<br />

diesbezüglich schon weiter<br />

sind als die Politik.<br />

Wann ist eine Stadt zu dicht?<br />

Ich denke sie ist zu dicht, wenn sie<br />

räumlich oder hinsichtlich der anwesenden<br />

Personen, die da wohnen<br />

oder arbeiten, erschöpft ist<br />

und gleichzeitig etwas fehlt, um sie<br />

lebenswert zu machen. Das kann<br />

Freiräume, Rückzugsmöglichkeiten,<br />

Jobs, Perspektiven und Ausweichmöglichkeiten,<br />

usw. betreffen. Das<br />

ist auch sehr vom individuellen Empfinden<br />

abhängig. Im Prinzip geht es<br />

darum, dass die Ressourcen ausgeschöpft<br />

sind.<br />

Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?<br />

Die Möglichkeitsräume für das Gemeinwesen<br />

der Stadt in Bezug auf<br />

Chancen, Entwicklungsmöglichkeiten<br />

und visionäres Denken sollen<br />

immer unbegrenzt sein. In der Umsetzung<br />

muss man sich dabei an<br />

die Grenzen des Vernünftigen und<br />

Machbaren halten. Man muss überlegen,<br />

was der Entwicklung des sozialen<br />

Gemeinwesens gut tut und was<br />

nicht. Die Stadt ist deshalb ein Anziehungspunkt,<br />

weil die Menschen in<br />

ihr mehr Zukunftshoffnungen sehen.<br />

In dem Sinne sollte die Stadt immer<br />

als offene Gemeinschaft denken und<br />

im Sinne des Gemeinwohls handeln.<br />

www.urbandensity.at<br />

•<br />

Typische Gründerzeitquartiere aus Berlin, Wien und Graz sind hier einander gegenübergestellt.<br />

© Ida Pirstinger


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

52<br />

Martin Rauch<br />

Den Lehmbau die<br />

Stadt aneignen lassen<br />

Interview mit Martin Rauch<br />

Der Lehmbau wird von Martin Rauch seit über drei<br />

Jahrzehnten theoretisch und praktisch erforscht,<br />

mit dem Ziel, ihn an den heutigen Stand der Technik<br />

anzupassen und in der zeitgenössischen Architektur<br />

zu etablieren. Sein Interesse gilt dabei vor allem auch<br />

Stampflehmbauten. Durch seinen Ehrgeiz und sein<br />

Wissen zählt er zu den wichtigsten Lehmbauexperten<br />

weltweit. Er unterstützt Architekturbüros bei der<br />

Umsetzung von Lehm<strong>architektur</strong> und leistet mit seiner<br />

Lehrtätigkeit, seinen Publikationen und Fachvorträgen<br />

einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung von<br />

Lehm als bedeutendes Baumaterial.<br />

© Alexandra Grill


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

53<br />

Martin Rauch<br />

Was begeistert Sie an Lehm<br />

als Baumaterial?<br />

Lehm ist eines der ersten Baumaterialien<br />

überhaupt und es ist auf der<br />

ganzen Welt unbegrenzt verfügbar.<br />

Es ist ein sehr ursprüngliches Material,<br />

leicht formbar, nachhaltig und<br />

gesund. Lehm ist sehr verkannt, das<br />

macht es spannend ihn neu zu entdecken.<br />

Inwiefern ist Lehm ein begrenzt<br />

eingesetztes Baumaterial?<br />

Gesellschaftsbedingt und auch<br />

durch die Industrialisierung ist es so,<br />

dass jedes neue Baumaterial besser<br />

angesehen wird als das alte. Das Alte<br />

hat man eigentlich immer wieder<br />

vergessen. Lehm hat natürlich auch<br />

seine Limits. Er ist relativ schwach<br />

und praktisch wasserlöslich. Das hat<br />

man oft als negatives Kriterium gesehen,<br />

wobei die Wasserlöslichkeit<br />

eigentlich auch die größte Tugend<br />

ist. Dadurch kann er recycelt und so<br />

oft man möchte wiederverwendet<br />

werden. Wir haben verlernt mit den<br />

Limits des Baumaterials zu arbeiten.<br />

Die Grenzen von Lehm muss man<br />

kennen, um mit ihm arbeiten zu können.<br />

Lehm ist noch nicht zertifiziert,<br />

wodurch es kompliziert ist ihn anzuwenden.<br />

Etwas was man nicht kennt,<br />

wird oft nicht in Erwägung gezogen.<br />

Wieso ist Lehmbau wieder<br />

verstärkt präsent?<br />

Im Zuge der Klimafrage und der<br />

Nachhaltigkeitsdebatte sucht man<br />

natürlich neue Wege. Wir wissen,<br />

dass die herkömmlichen Baumaterialien<br />

zu viel CO 2 verursachen. Die<br />

wirklichen Alternativen sind dabei<br />

Holz und Lehm. In Bezug auf das<br />

gesamte Bauvolumen in Europa ist<br />

Lehm noch nicht wirklich präsent,<br />

das Interesse ist aber ganz stark vorhanden.<br />

Bei der Wahl der Baumaterialien<br />

ist die Kostenfrage noch immer<br />

größer als die nach Ökologie oder<br />

Nachhaltigkeit.<br />

Sehen Sie es als Ihre Aufgabe, Vorzeigeprojekte<br />

aus Stampflehm für den<br />

„Eigenbedarf“ zu bauen, um zu zeigen,<br />

was mit Lehm alles möglich ist?<br />

Als Planer, Bauherr und Baumeister<br />

kann ich ein Projekt mit mir selbst<br />

ausmachen. Ich kann an die Grenzen<br />

gehen und das Material ausloten. Das<br />

sehe ich als Selbstversuch und Forschungsprojekt,<br />

um aufzuzeigen, was<br />

mit Lehm alles möglich ist. Der Selbstversuch<br />

war immer ein wichtiges Instrument,<br />

um Projekte risikofrei umzusetzen.<br />

Die Projekte und Elemente<br />

wurden ausprobiert und werden dann<br />

weiterentwickelt. Denn Lehmbau<br />

überzeugt durch gebaute Beispiele.<br />

Sind Lehmbauten im städtischen<br />

Umfeld denkbar?<br />

In Zukunft werden immer mehr Leute<br />

in der Stadt wohnen, es ist also<br />

wichtig, den Lehm dorthin zu bringen.<br />

Die Lehmbautechniken müssen<br />

der Stadt gemäß entwickelt werden.<br />

In der Stadt gibt es immer auch einen<br />

gewissen Platzmangel, der es<br />

erforderlich macht, dass man mit<br />

vorgefertigten Modulen die Städte<br />

zusammenfügt. Genauso wie man<br />

Betonelemente zusammenfügt, kann<br />

ich mir vorstellen, dass man Lehmbau<br />

mit Modulen und Systembauweisen<br />

städtisch weiterentwickeln wird.<br />

Welche Eigenschaften des Lehmbaues<br />

sind für die Stadt wichtig?<br />

Er hat eine sehr gute akustische<br />

Schutzfunktion, könnte also im Innenraum<br />

gut für Wohnungstrennwände<br />

verwendet werden. Er ist<br />

feuchtigkeits- und klimaregulativ sowie<br />

geruchsabsorbierend, was wichtige<br />

Voraussetzungen für gesundes<br />

Wohnen auch in der Stadt sind. Lehm<br />

als Baustoff kann effektiv mithelfen,<br />

mit weniger Technik und weniger<br />

Energieeinsatz behagliche Behausungen<br />

zu ermöglichen. Die Kombination<br />

zwischen Holz und Lehm<br />

könnte eine ideale Kombination<br />

sein für zukünftiges Bauen in Städten.<br />

Holz ist konstruktiv wahnsinnig<br />

stark, ist aber sehr leicht und braucht<br />

dazu eine entsprechende Speichermasse.<br />

Lehm speichert die Wärme<br />

und hat einen sehr guten Feuerschutz.<br />

Wenn der Wille da ist, könnte<br />

man aus dieser Materialkombination<br />

neue Konstruktionen entwickeln. u<br />

u<br />

Vor mittlerweile fast 15 Jahren baute<br />

Martin Rauch sein eigenes Wohnhaus in<br />

Vorarlberg aus Stampflehm. Heute würde<br />

er es zwar genauso bauen, aber noch konsequenter<br />

und radikaler umsetzen.<br />

© Beat Bühler


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

54<br />

Martin Rauch<br />

Wieso wurden bis jetzt noch keine<br />

größeren Lehmbauten im innerstädtischen<br />

Bereich umgesetzt?<br />

Die Voraussetzung der Machbarkeit<br />

muss da sein. Es muss einen Bauteilkatalog<br />

und genug Firmen geben, die<br />

diese Produkte anbieten. Eine Zertifizierung<br />

ist auch dringend notwendig.<br />

Wenn das Einbauen von Lehmelementen<br />

einfacher wird und ökologische<br />

Vorgaben gesetzt werden, dann<br />

ist es nur noch eine Frage der Zeit<br />

bis sich der Lehmbau durchsetzt. Die<br />

Qualität des Lehmbaues selbst ist<br />

schon präsent, auch in den Köpfen<br />

der Menschen und Planer. Das Bauen<br />

mit Lehm ist in der Umsetzung noch<br />

schwierig und hat noch Prototypcharakter.<br />

Aus diesem müssen wir den<br />

Lehm befreien, damit er zum Standardmaterial<br />

werden kann.<br />

© Benedikt Redmann<br />

© Benedikt Redmann<br />

Für welche Bauaufgaben kann der<br />

Lehm in der Stadt eingesetzt werden?<br />

Zuerst braucht es Pilotprojekte, was<br />

Schulen, Kirchen oder Versammlungshallen<br />

sein können. Die große<br />

Masse liegt aber im Wohnbau. Damit<br />

das in Zukunft möglich ist, arbeiten<br />

wir an einem Bauteilkatalog, damit<br />

man mehrgeschossige Wohnsiedlungen<br />

mit Lehm und Holz relativ<br />

einfach umsetzen kann. Das Bauen<br />

mit Lehm und Holz muss einfacher<br />

werden und es braucht Prototypen,<br />

damit er im größeren Stil im Wohnbau<br />

eingesetzt werden kann. Ich bin<br />

überzeugt, dass sich das durchsetzen<br />

kann und zu einem praktikablen<br />

Konzept wird, damit ehrlich nachhaltiger<br />

Wohnraum geschaffen wird.<br />

Wird Lehm in Zukunft andere Baumaterialien<br />

ersetzen?<br />

Man darf nicht den Fehler machen<br />

und glauben, dass Lehm Beton oder<br />

andere Baumaterialien ersetzt, denn<br />

er ist immer eine Hybridkonstruktion.<br />

Beton ist eigentlich ein geniales Material,<br />

wird aber zu inflationär verwendet<br />

und muss auf das Minimum re-<br />

Für das Ricola Kräuterzentrum schätzten<br />

die Schweizer Architekten Herzog & de<br />

Meuron die Expertise von Martin Rauch,<br />

der sie bei der Umsetzung der Stampflehmfassade<br />

einbrachte.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

55<br />

Martin Rauch<br />

© Olaf Wiechers<br />

Der Alnatura Campus in Darmstadt wurde von haascookzemmrich STUDIO 2050 als Firmensitz für die gleichnamige Marke<br />

gestaltet. Durch die Expertise von Martin Rauch konnte hier mit industrieller Vorfertigung Europas größtes Gebäude mit<br />

Lehmfassade geschaffen werden. Dafür erfolgte die Auszeichnung mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2019.<br />

duziert werden. Beton benötigt man<br />

aber auch im Lehmbau, etwa als Fundament,<br />

Tragkonstruktion oder Ringbalken.<br />

Der Lehm ist in Kombination<br />

stark, vor allem mit Holz oder Beton.<br />

Um große Strukturen zu schaffen, benötigt<br />

er immer eine Verbindung mit<br />

verschiedenen Bautechniken. Dann<br />

wäre Lehm im städtischen Kontext<br />

auch ein Hauptmaterial, aber es ist<br />

eben nicht das Alleinige.<br />

Wie kann sich die Identität der Stadt<br />

durch den Lehmbau verändern?<br />

Der Lehmbau eignet sich die Stadt<br />

an. Wir müssen uns als Benutzer und<br />

Bauherr ändern und weg vom Überperfektionismus<br />

kommen. Die Natur<br />

und die Vergänglichkeit muss mehr<br />

zugelassen werden. Die Außenwände<br />

von Stampflehmbauten erodieren<br />

und es werden die feinen Teile ausgewaschen.<br />

Diese Veränderung ist<br />

kein technisches Problem, denn die<br />

Erosion kann kalkuliert werden. Es<br />

ist eher ein psychologisches Problem.<br />

Verwitterte Holzfassaden finden<br />

schon langsam Akzeptanz, beim<br />

Lehmbau ist das aber oft noch nicht<br />

so. Da muss noch mehr geforscht,<br />

vermittelt und vor allem mehr Beispiele<br />

gesetzt werden. Dass man<br />

vierzig Prozent der Baumasse einer<br />

Stadt in Lehmbau ausführt ist durchaus<br />

möglich. Diese Stadt schaut<br />

dann aber anders aus als die, die wir<br />

heute kennen.<br />

Wie kann sich der Lehmbau in der<br />

Architektur etablieren?<br />

Für den Lehm müssen wir eine andere<br />

Architektursprache entwickeln für<br />

den Innen- und auch den Außenraum,<br />

die diese Veränderungen des Lehmbaues<br />

zulässt. Bei Wohnungsgrundrissen<br />

muss man beispielsweise mit<br />

dickeren Wänden arbeiten. Das heißt<br />

wir müssen weg von Investoren dominierten<br />

Quadratmeterkalkulationen,<br />

hin zu Raumqualität durch Architektur<br />

und Material. Wenn wir tiefgreifend<br />

eine Stadt ökologisieren wollen,<br />

dann schaut diese Stadt anders aus,<br />

ist aber sicherlich lebenswerter. •<br />

www.lehmtonerde.at<br />

Die Werkhalle Erden wurde als Hybridkonstruktion von Holz und Lehm realisiert. In dieser<br />

Technik konnte man die enorme Größe der 64 m langen und bis zu 24 m breiten Halle umsetzen.<br />

In ihr möchte Martin Rauch Stampflehmelemente vorfertigen.<br />

© Hanno Mackowitz


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

56<br />

DI Franz Denk<br />

Gedanken über die Zukunft für<br />

nachhaltige Städte machen<br />

Interview mit Architekt DI Franz Denk<br />

Was macht eine Stadt aus?<br />

Stadt bedeutet für mich Schönheit,<br />

Vielfalt, Möglichkeiten, Stress, und<br />

Konsum. Stadt ist ein Ort des Fortschritts<br />

und Experiments, der Attraktion<br />

und des Angebots. Adolf Loos<br />

hat die Stadt qualitativ als Möglichkeitsraum<br />

beschrieben, dessen Einrichtungen<br />

man nicht nutzen muss,<br />

aber jederzeit nutzen könnte. Die<br />

Stadt bietet, soziologisch betrachtet,<br />

vielfältige Räume für Interaktion in<br />

unterschiedlichsten sozialen Milieus.<br />

Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?<br />

Nachhaltigkeit ist für mich die Gegenthese<br />

zur Globalisierung: Wachstum,<br />

Profitmaximierung, Konzentration,<br />

Kapitaldominanz. Wenn ich von<br />

all diesen Begriffen das Gegenteil<br />

nehme, dann komme ich schnurstracks<br />

in nachhaltiges Fahrwasser.<br />

Globalisierung bedeutet ja permanentes<br />

Stadtwachstum, aber diesen<br />

Entwicklungen muss man entgegenwirken.<br />

Gefragt sind vielmehr Dezentralisierung,<br />

Kleinteiligkeit in den<br />

Zentren oder umweltfreundlicher<br />

Verkehr. Hauptziel muss es sein, unsere<br />

Städte für möglichst viele Menschen<br />

lebenswert zu gestalten.<br />

© Franz Denk<br />

Seit 2001 widmet sich der Architekt Franz Denk interdisziplinären Projekten zu den Themenschwerpunkten<br />

Stadtentwicklung, Stadterneuerung und öffentlicher Raum. Als Sitz im<br />

Stadtnachhaltigkeitsausschuss der Kammer der Ziviltechniker Wien-NÖ-Bgld leistet er einen<br />

wichtigen Beitrag, um österreichische Städte nachhaltig für die Zukunft zu entwickeln. Zusätzlich<br />

ist er auch Vorstandsmitglied im Architekturnetzwerk ORTE-NÖ, das unter dem Dach der Architekturhäuser<br />

Österreich eine wichtige Vermittlerrolle für die Baukultur übernimmt.<br />

Ist es am Land oder in der Stadt<br />

leichter nachhaltig zu leben?<br />

Der Unterschied zwischen beiden<br />

verschwimmt ja zusehends. Die Stadt<br />

verländert und das Land verstädtert.<br />

Die Wege sind in der Stadt kürzer,<br />

am Land komme ich ohne Auto fast<br />

nirgends hin. Für die Stadt habe ich<br />

eine viel konkretere Zukunftsvision,<br />

bei der die Vorteile auf der Hand liegen:<br />

etwa effiziente Energieversor-


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

57<br />

DI Franz Denk<br />

Bei dieser Vision stellt sich Franz Denk ein verdichtetes „Wien an die Donau“ vor, deren Ausgangspunkt<br />

die drei dortigen U-Bahn-Standorte sind. Die städtebauliche Grundkonzeption umfasst<br />

unterschiedliche konzentrierte Bauformen zwischen Hoch- und Reihenhäusern.<br />

© Franz Denk<br />

gung, geringerer Bodenverbrauch,<br />

Marktakkumulation. Insofern bin ich<br />

ein bekennender Urbanist.<br />

Woran erkennt man eine<br />

nachhaltige Stadt?<br />

Auf den ersten Blick erkennt man sie<br />

nicht. Die Nachhaltigkeit in Städten<br />

umfasst Prozesse, Lebensweisen<br />

und Regeln, die man erst nach längerem<br />

Aufenthalt begreift. Wie der<br />

Verkehr funktioniert, durchschaut<br />

man ja relativ schnell, aber wie sind<br />

die Wirtschaftskreisläufe geregelt?<br />

Wie funktioniert die Mülltrennung?<br />

Wie wird Partizipation gelebt? Diese<br />

gesellschaftlichen Konventionen<br />

entschlüsselt man nicht so schnell.<br />

Die Frage ist ja, welche Strategien,<br />

Konzepte und Szenarien bietet eine<br />

Stadt an? Wie ist der Umgang mit Öffentlichkeit?<br />

Eine Stadt, die sich solchen<br />

Zukunftsfragen stellt, ist schon<br />

auf dem richtigen Weg.<br />

Wie lässt sich die Nachhaltigkeit<br />

der Städte bewerten?<br />

Nachhaltigkeit ist ein Bekenntnis,<br />

das für jede Stadt subjektiv und spezifisch<br />

ist. Jede Stadt muss selbst<br />

entscheiden, welchen Themen sie<br />

sich wann widmet. Wenn wir im<br />

Stadtnachhaltigkeitsausschuss Flächenwidmungs-<br />

und Bebauungspläne<br />

bekommen, prüfen wir diese auf<br />

Übereinstimmung mit den Zielen der<br />

Stadt. Diese ist oft, aber nicht immer<br />

gegeben. Ist es wirklich nachhaltig,<br />

Schulfreiflächen mit Turnhallen zu<br />

verbauen? Die bekannten Stadtrankings,<br />

die man durchaus kritisieren<br />

kann, basieren meist auf ziemlich<br />

nachhaltigen Bewertungskriterien:<br />

etwa das politische und soziale Umfeld,<br />

die sozio-kulturelle Situation,<br />

auf Gesundheit und medizinische<br />

Versorgung, Sicherheit, Schule und<br />

Bildung. Konsumgüter und Ökonomie<br />

bilden da oft nicht die großen<br />

Schwerpunkte.<br />

u<br />

Im Zuge des kooperativen Verfahrens<br />

entwickelte Franz Denk für<br />

das Sonnwendviertel ein Szenario,<br />

bei dem Bebauung und Landschaft<br />

miteinander verzahnt werden.


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

58<br />

DI Franz Denk<br />

© Franz Denk<br />

Durch offene<br />

Übergänge kann<br />

der öffentliche<br />

Raum erweitert<br />

werden, hier am<br />

Beispiel eines<br />

Schulvorplatzes<br />

in der Wiener<br />

Kauergasse.<br />

Welche Aufgabe haben Stadtentwicklungs-<br />

und Flächenwidmungspläne?<br />

Auf Basis von Konzepten und anderen<br />

Grundlagen formulieren diese<br />

die räumliche Entwicklung der Stadt.<br />

Stadtentwicklungskonzepte sind in<br />

Wien nicht verbindlich. Flächenentwicklungs-<br />

und Bebauungspläne<br />

schon, haben aber mit dem Bestand<br />

mitunter wenig zu tun. Im Prinzip<br />

geht es um ein Zukunftsszenario, das<br />

vom Baulichen über den Freiraum<br />

bis hin zu Infrastruktur und Konsum<br />

reicht. Alle Bereiche des Zusammenlebens<br />

sind betroffen.<br />

Welche Punkte fehlen auf der Agenda,<br />

um nachhaltige Städte zu schaffen?<br />

Im Neubau sind die Baulose oft zu<br />

groß und das führt in vielen Stadterneuerungsgebieten<br />

zu ähnlichen<br />

Strukturen mit reinen Wohngebieten.<br />

Nicht die Dichte an sich, sondern die<br />

unausgewogene Verteilung derselben<br />

führt zu fragwürdigen Ergebnissen<br />

mit omnipräsenten „Freien Mitten“<br />

als Kompensation. In der aktuellen<br />

Stadtplanung fehlen mir einfach echte<br />

Zentren und urbane Stadtparks.<br />

Man denkt zu wenig darüber nach,<br />

wie man „Stadt“ durch Kleinteiligkeit<br />

entwickeln kann. Das beinhaltet auch<br />

das Thema der Durchmischung. Wo<br />

bleiben Gewerbe und Kultur, wo gibt<br />

es leistbaren Platz für Selbstinitiative?<br />

Die Gründerzeitstadt hat uns<br />

gezeigt, wie Durchmischung funktionieren<br />

kann. Zugegeben, man ist zu<br />

schnell mit Urteilen, denn es braucht<br />

oft 10 - 20 Jahre, die man Stadtentwicklungsgebieten<br />

zur Entfaltung<br />

Zeit geben muss.<br />

Was sind verfolgenswerte Konzepte,<br />

um nachhaltige Städte zu schaffen?<br />

Übergeordnete Konzepte sind<br />

sehr intelligent, wie in Zürich die<br />

2000-Watt-Gesellschaft oder das<br />

Ziel von Kopenhagen bis 2025 CO 2 -<br />

frei zu sein. Solche Langzeitkonzepte<br />

geben Spielraum für Adaptierungen<br />

und Korrekturen. Es gibt kein<br />

Generalkonzept für Nachhaltigkeit,<br />

aber jede Stadt muss ihre spezifischen,<br />

ortsbezogenen Ziele festlegen<br />

und umsetzen. Ich denke auch,<br />

der internationale Städtewettbewerb<br />

um Ideen ist hier sehr befruchtend.<br />

Welches Potenzial hat Partizipation<br />

in einer Stadt?<br />

Eine qualitätvolle Stadt ist ein Mini-Modell<br />

für Demokratie. In partizipativen<br />

Prozessen soll die Bevölkerung<br />

informiert und mit ihr eine<br />

Entscheidungsgrundlage entwickelt<br />

werden. Vorab müssen die Prozessgrenzen<br />

dafür aber genau definiert<br />

sein. Es geht um Vermittlung, um<br />

Nachvollziehbarkeit und um Bewusstseinsbildung.<br />

Je transparenter<br />

ein Beteiligungsprozess, desto größer<br />

die Akzeptanz der Bevölkerung.<br />

Ich denke, die Leute müssen sich<br />

artikulieren können und die eigentlichen<br />

Entscheidungen müssen dann<br />

die Verantwortlichen fällen. Bei partizipativen<br />

Prozessen geht es auch<br />

um das voneinander Lernen, denn<br />

die Leute wissen am besten über<br />

ihre Umgebung Bescheid. Sie sind<br />

die wahren Experten.<br />

Kann Architekturvermittlung<br />

die Stadt verändern?<br />

Architektur und Städtebau sind untergeordnete<br />

Kategorien in der österreichischen<br />

Kultur. Die Bewusstmachung<br />

dieser Begriffe ist aber<br />

unglaublich wichtig, denn erst damit<br />

entstehen Problembewusstsein und<br />

der Wille zur Auseinandersetzung.<br />

Die Menschen verkennen ja den<br />

großen Einfluss von Architektur und<br />

Städtebau auf ihr Leben. Sie denken<br />

viel zu wenig darüber nach, dass man<br />

seine Wohn- und Umweltsituation in<br />

Frage stellen könnte. Deshalb ist Architekturvermittlung<br />

schon ab dem<br />

Kindergartenalter wichtig. Und vermutlich<br />

noch wichtiger für Politiker<br />

und Entscheidungsträger. Denn die<br />

Zukunft des städtischen und ländlichen<br />

Raumes liegt in deren Händen.<br />

Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?<br />

Eine Stadt soll in ihren Möglichkeiten<br />

der Entfaltung unbegrenzt sein. Aber<br />

es gibt Grenzen: Megacities können<br />

nie umfassend nachhaltig sein. Dort<br />

überlagern die technischen Infrastrukturen<br />

dann soziologische, städtebauliche<br />

und stadträumliche Milieus.<br />

Wasserversorgungsnetze oder<br />

Flughafenzubringer dominieren die<br />

Stadtplanung. Zu große Agglomerationen<br />

sind schlicht unplanbar sind.<br />

Daher setzt die Größenausdehnung<br />

eine natürliche Grenze für die Nachhaltigkeit.<br />

•<br />

www.franzdenk.at


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

59<br />

Maximilian und Julia Kneussl<br />

untermStrich ®<br />

das Organisations- und Führungstool<br />

der Architekten und Ingenieure<br />

Mark Jenewein<br />

LOVE architecture & urbanism Ziviltechniker Ges.m.b.H.<br />

So geht Plan A!<br />

7 Architekten. 7 Ingenieure. 7 Fragen.<br />

14 international erfolgreiche Planer öffnen die Türen zu ihren kreativen Zentralen und verraten,<br />

was sie an die Spitze ihrer Branche befördert hat. Was macht gerade sie erfolgreicher als andere?<br />

Im Interview Mark Jenewein von LOVE architecture.<br />

www.untermstrich.com/de/so-geht-plan-a


Andreas Jäger<br />

Klimaexperte<br />

Klimaschutz made in Austria.<br />

Schützt viele Generationen.<br />

Dass sich ein traditionelles<br />

Familienunternehmen für die Zukunft<br />

interessiert, liegt in der Natur der<br />

Sache: Wie es den Kindern unserer<br />

Kinder einmal gehen wird, liegt uns<br />

eben am Herzen. Deshalb sorgen wir<br />

mit unseren innovativen Dämmstoffen<br />

schon heute für ein gutes Klima – und<br />

auch morgen.<br />

austrotherm.com<br />

Gutes Klima. Gutes Leben.

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