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82 <strong>ST</strong>/A/R<br />
Buch XI - Literatur<br />
Nr. <strong>13</strong>/2007<br />
Eine Kinokarte<br />
(Phantasie<br />
Lukas Cejpek<br />
und Pornographie)<br />
Ich habe mir den Film Romance von Catherine Breillat<br />
in einer Videothek ausgeliehen, die französische<br />
Originalfassung mit englischen Untertiteln, und für<br />
mich übersetzt. Ich habe sofort verstanden, daß Paul kein<br />
Geschlecht hat. Da war seine Freundin Marie noch nicht<br />
im Bild. Am Anfang des Films wird Paul geschminkt,<br />
ich glaube, von einer Frau – man sieht nur ihre Hand<br />
und auf ihrem T-Shirt japanische Schriftzeichen, die<br />
unübersetzt bleiben. Die Farben Weiß und Rot und<br />
Schwarz dominieren: Pauls (und Maries) schwarzes Haar,<br />
sein (und ihr) weißes Gesicht (ihre gemeinsame Wohnung<br />
ist weiß, nicht nur das Bett), und sein rotgeschminkter<br />
Mund (das rote Kleid, mit dem sie sich schließlich auf<br />
ihn setzt, um schwanger zu werden, beim ersten Mal).<br />
Im japanischen Theater wird das Gesicht des Schauspielers<br />
(die Frauen werden von Männern dargestellt)<br />
weiß geschminkt, um es beschriften zu können, schreibt<br />
Roland Barthes in seinem Bild-Text-Buch Das Reich der<br />
Zeichen. Der Mann spielt die Frau nicht, sondern bedeutet<br />
sie nur. Die Frau ist eine Idee (und keine Natur). Maries<br />
Gesicht ist verwischt (die Strähne, die ihr ins Gesicht<br />
fällt). Das Filmplakat zeigt ihre Hand zwischen ihren<br />
Schenkeln, den Mittelfinger in der Scham, die mit einem<br />
roten X verdeckt (oder hervorgehoben) oder ausgelöscht<br />
wird (x-rated heißt pornographisch). Marie sagt, daß<br />
sie die Beine gekreuzt hält, wenn sie masturbiert. Und<br />
wenn sie sich ficken läßt, dann nur von hinten. Damit<br />
sie nicht sieht, wer sie fickt (das Gesicht). Ich möchte<br />
ein Loch sein, sagt sie. Je mehr es klafft, je obszöner<br />
es ist, umso mehr bin ich es (nichts). Ich verschwinde<br />
im Verhältnis zu dem Schwanz, der in mir ist, sagt sie,<br />
während die 23 Zentimeter Rocco Siffredis in ihr sind.<br />
(Rocco Siffredi ist laut Wikipedia einer der bekanntesten<br />
Pornodarsteller der Welt, mit einer Vorliebe für Analsex.)<br />
Willst du einer Frau in den Arsch, mußt du zuerst in ihren<br />
Kopf eindringen, sagt er im Interview mit der Weltwoche.<br />
Ein großer Schwanz ist für die Glaubwürdigkeit (einer<br />
Szene) durchaus hilfreich. Die Autorin und Regisseurin<br />
Catherine Breillat hat ihn zum ersten Mal als Schauspieler<br />
engagiert, in der Rolle von Maries erstem richtigen Mann,<br />
weil der erste Mann noch nicht an seiner Männlichkeit<br />
zweifeln mußte. Ich glaube, sagt Catherine Breillat im<br />
Interview mit der taz, daß die Sprache der Liebe, also<br />
die menschliche Sexualität, nicht so sehr zum Bereich<br />
des Animalischen, sondern vor allem zum Bereich des<br />
Denkens gehört. Warum interessiert uns der Sex ganz<br />
unabhängig von der Fortpflanzung? Weil wir uns dabei<br />
eine andere Identität, Existenz und Zukunft vorstellen<br />
können. Rocco Siffredi hat sehr viel Phantasie aufbringen<br />
müssen, um sechs Stunden lang neben Caroline Ducey<br />
(Marie) seine Erektion halten zu können. Ich habe mir<br />
fünfzig Millionen Phantasien zurechtgebastelt, um keinen<br />
Hänger zu bekommen. Am Schluß blieb mir der Blick der<br />
Kameraassistentin, der Einzigen, die mich ansah.<br />
(Aus dem Romanprojekt Wo ist Elisabeth?)<br />
Lucas Cejpek, geboren 1956 in Wien, Studium der Germanistik in<br />
Graz (Wahn und Methode. Robert Musils Mann ohne Eigenschaften<br />
als Kulturtheorie), lebt als freier Schriftsteller, Theater- und<br />
Hörspielregisseur in Wien.<br />
Essays (Diebsgut), Romane (Keine Namen), Gesprächsbücher<br />
(Zettelwerk). 1998 ist seine Poetik mit dem Titel 16.000 Kilometer.<br />
Selbstbeschreibung erschienen.<br />
1 FOTO X 1 GEDICHT<br />
Wolfgang Sysak<br />
Wolfgang Sysak, geboren 1958, lebt nach Aufenthalten in Brighton,<br />
Amsterdam und Berlin heute in Wien. Jazz-Gitarre-Studium am Konservatorium<br />
der Stadt Wien. Musikprojekte in England und Österreich (Dick Damage,<br />
Sprays, Version City Bronx, Blue Chip, Nova Express, pvc sound & lyric<br />
constructions). Schreibt derzeit Lyrik und Kurzgeschichten (Veröffentlichungen<br />
in Literaturzeitschriften und Anthologien, Publikationsliste siehe<br />
http://members.chello.at/pvc_sound_and_lyric/).