ST:A:R_13
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Nr. <strong>13</strong>/2007<br />
Buch XI - Literatur <strong>ST</strong>/A/R 83<br />
Populäre<br />
Panoramen<br />
Brigitta Falkner<br />
Angenommen, ich würde allmählich schrumpfen, wie der Typ<br />
in dem Film, der bei einer Bootsfahrt in einen radioaktiven<br />
Nebel gerät, The incredible shrinking man, der unaufhaltsam<br />
schrumpft, und wäre, derweil ich hier sitze und die<br />
vorbeifahrenden Züge zähle, auf die Größe einer Stubenfliege<br />
geschrumpft, wobei ich nun winzige Äuglein hätte, keine<br />
Facettenaugen, sondern um den Faktor zweihundert<br />
verkleinerte Linsenaugen mit einer Pupillenweite von<br />
fünfundzwanzigtausend Nanometer, und die vorbeifahrenden<br />
Züge infolge der Lichtbeugung an den Pupillenrändern<br />
nur noch schemenhaft wahrzunehmen in der Lage wäre,<br />
erst bei näherer Betrachtung das gelbe Ding am Boden als<br />
Banane identifizieren oder den Mann neben mir als den<br />
Mann von vorhin wiedererkennen, die Bemerkung über den<br />
epistemologischen Referenzrahmen indes schon nicht mehr<br />
verstehen würde, weil die Schrumpfung der Membrane – so<br />
wie der Ton einer Trommel mit einem kleinen Durchmesser<br />
heller klingt, als der Ton einer großen Trommel – eine<br />
Frequenzverschiebung nach oben zur Folge hätte, der hörbare<br />
Frequenzbereich somit um etwa das Vierzehnfache, um den<br />
Faktor der Quadratwurzel aus zweihundert hinaufgerutscht<br />
wäre, was bei zwanzig Schwingungen pro Sekunde,<br />
welche die untere Hörschwelle markieren, einen Wert von<br />
zweihundertachtzig Hertz ergäbe, wobei das Pfeifen einer<br />
Lok noch im Bereich der für mich hörbaren Frequenzen,<br />
der normale Sprechton mit einer Frequenz von zweihundert<br />
Hertz indes schon darunter läge und vom Brummen einer<br />
Fliege kaum noch zu unterscheiden wäre, The incredible<br />
shrinking man also über ein geradezu phänomenales Gehör<br />
verfügen müsse, dem Supergehör der Kryptonier vergleichbar<br />
(unsereins wäre, hätte er superempfindliche, mit superfeinen<br />
Rezeptoren ausgestattete Ohren, vom Dröhnen der<br />
aufeinanderprallenden Luftmoleküle längst schon ertaubt),<br />
wenn er Frequenzen von zwanzig Hertz noch wahrzunehmen<br />
vermag, während eine trampelnde Kinderschar meinen<br />
winzigen Körper schon erbeben lassen würde, wie eine<br />
Elefantenhorde, was indes als unzulässiger Vergleich<br />
gelten muß, da Elefanten auf Zehenspitzen gehen, wobei<br />
ihnen die elastischen Fettpolster hinter den Zehenspitzen<br />
als Stoßdämpfer dienen. Feinste Bodenschwingungen<br />
vermögen diese sensiblen Tiere gleichsam mit ihren<br />
Fußsohlen zu hören. Manchmal, wenn ich das Ohr an meine<br />
Eisenbahnschiene lege, wo der Schall sich superschnell<br />
fortfpflanzt, den Schwingungen im Metall lausche und warte,<br />
gelingt es mir, die Ankunft eines herannahenden Zuges auf<br />
die Sekunde genau vorauszusagen.<br />
Brigitta Falkner, geb. 1959 in Wien. Lebt in Wien. TOBREVIERSCHREIVERBOT<br />
– Palindrome, Ritter-Verlag, Wien – Klagenfurt 1996; Fabula rasa oder Die methodische Schraube,<br />
Ritter-Verlag, Wien – Klagenfurt 2001; Bunte Tuben – Anagramm, Urs Engeler-Editor, Basel<br />
2004. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, Arbeiten für den Rundfunk,<br />
Ausstellungen.<br />
copyright Brigitta Falkner ©