ST:A:R_13
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Städteplanung / Architektur / Religion Buch XI - Literatur<br />
<strong>ST</strong>/A/R 85<br />
ZWEI MANIFE<strong>ST</strong>E<br />
Michaela Falkner<br />
Stoßkraft und Signalcharakter des Manifests sind aktivistisch<br />
geprägt: Anstoß nehmen! Manifeste operieren an der Grenze<br />
zwischen Kunst und Leben, berauschend durch die Radikalität<br />
und Phantasie einer Person, die Offenbarung eines Willens – per<br />
Manifest Stellung beziehend.<br />
Manifest 09<br />
Ich kommandiere zehntausend<br />
Mann prahle ich – Warlord and<br />
Warlady<br />
Es war nach den Manövern dörrt die<br />
Nasenschleimhaut und trocknet den Mund<br />
in Pervertierung dieser reichlich eklektisch<br />
geratenen Stadt.<br />
Laternenglas zerschmettern.<br />
In Sehnsucht über die Welt kommen.<br />
Erschrecken ist leichter als singen.<br />
Die Geschichte die ist hier zu Ende.<br />
„Ich bin verprügelt worden.“<br />
„Zeig mir das Loch in deinem Schädel zeig.“<br />
Laufen und gelegentliche Sprünge sind erlaubt<br />
verfahren wie vereinbart.<br />
Fliegen scheißen beispielsweise.<br />
Ein Dritter schließlich meint „Das war nicht<br />
entscheidend“.<br />
Der Stadtteil im Norden flog am Donnerstag in<br />
die Luft tags zuvor klammheimlich noch drehen<br />
in Wahrheit aber mit schroffen Kopfwendungen<br />
sich absondern.<br />
In einer schwermütigen Fernsehsprache<br />
„Mother do you think they got the Bomb?”.<br />
„Ich war nie im selben Raum mit ihnen selten<br />
dass Menschen mit mir sprechen manchmal<br />
rede ich einen ganzen Monat mit niemandem es<br />
sagt sich so leicht dass die Welt ein Dorf.“<br />
Innerhalb dieses rabiaten Rahmens „Das war<br />
wunderbar“ flüstern.<br />
A little bit stronger.<br />
A little bit thicker.<br />
A little bit.<br />
Nein hier wäre nicht der Ort an dem das Gute<br />
mit dem Schönen verhandelte.<br />
Das ist kein Liebeslied.<br />
Krepiert ist das feine Unbehagen vor langer<br />
langer Zeit.<br />
Das publikumsträchtige Element drückt sich in<br />
Legenden aus auf einem Hügel über der Stadt<br />
und gegen jede Form von Schlamperei.<br />
Auf der Suche nach unangemessenen<br />
Gegenständen ungeschützt der Sonne<br />
aussetzen.<br />
Zurückweisung muss mit Sonnenbrand<br />
vergolten werden.<br />
Unter Androhung von Repression stellen<br />
Hinterherweinen durch ausufernde Lektüre<br />
aneignen.<br />
Geschichten monumentalisieren bis in den Juni<br />
hinein.<br />
„I declare War on You.“<br />
Stühle umwerfen Unterarme brechen<br />
Flüssigkeit aus dem Gehirn über die Nase<br />
austreten lassen nein es tut einem nicht gut hier<br />
in diesem Zimmer zu warten.<br />
Bestaunen in Ermangelung eines Zeugen<br />
verschafft die Inszenierung dennoch keine<br />
glaubhafte Vorstellung wie es denn gewesen<br />
sein könnte im Grobkörnigen zu den<br />
Aufständischen überlaufen unter sich begraben<br />
der verbliebene chronologische Halt.<br />
Kommt als Heldengeschichte daher verfolgen<br />
und verbeißen Heimatstadt das innovative<br />
Potential einer Großaufnahme die Anmutung<br />
einer Überforderung Guess whos coming.<br />
Das Zahnschema erheben Berge von Kleidern<br />
und Essensresten.<br />
A little less Hot.<br />
Mein Name sei gepriesen.<br />
My Christmas Vacation.<br />
Bring the Boys home.<br />
Vorhut.<br />
One Day come along one fine Song.<br />
Was aber passiert wenn einer verliert von einer<br />
ähnlichen Reinheit des Herzens kündet einem<br />
hoheitlichen Akt folgend in jemandes Herz<br />
gelangt und seine Faust in diese Stadt schlüge?<br />
„Mich sehen und jubeln“ sanft erschöpften<br />
Beifall spenden.<br />
„Jenseits von Beherrschung gibt es keinerlei<br />
Einverständnis.“<br />
Sorgfältig zugerichtet.<br />
Was ist eine Nachricht was eine Danksagung?<br />
Gewaltaufreizung Vorstoß Sprung meinetwegen<br />
Feldzug aber Vaterland gibt es keines.<br />
Runter mit dem Kopf.<br />
Fertig aus.<br />
I have a Dream.<br />
(Ein Text zum Irak-Krieg)<br />
Manifest 11<br />
Schwarz ist die Nacht mit<br />
zwei drei simplen Parolen<br />
– Measuring your own Grave<br />
Strafe muss sein Missratenes beseitigen bringt<br />
die Außenminister zu mir Namen Bilder Briefe!<br />
Der einfache Steinsockel.<br />
„The greatest Story ever told“ war etwas in der<br />
Geschichte ursprünglich nicht Vorgesehenes.<br />
Tollheit jenseitiger Furor das Orchester<br />
energisch aufpeitschen es ist dies der<br />
ergreifendste Moment des Abends.<br />
Das Verbrechen liegt darin dass Ihr nur durchs<br />
brutalst eingestrichene Stück watet spartanisch<br />
in Szene gesetzt und heraus kommt ein Monster<br />
allenfalls Referenzen.<br />
Vom Einzug der Überschwänglichkeit in dieser<br />
Welt es „Verfassung“ nennen.<br />
Ein Schnitt quer über das Gesicht ein Stich ins<br />
Kinn ein tiefer Stich ins Fußgelenk.<br />
Die Zugabe endet mit einer Version von „Und<br />
das künftige Elend beweinen können“.<br />
Jedes Mal aufs Neue zwei<br />
drei Sätze ernst nehmen<br />
mitten in Gesprächen zu<br />
Boden fallen.<br />
Bereits abgedrehte Sequenzen.<br />
Mit bloßen Händen geschworen bindet schnell<br />
ab wird sehr hart und leuchtkräftig.<br />
Gereinigt plan geschliffen spiegelblank poliert<br />
die Oberfläche für nachfolgende Rituale<br />
empfindlich machen.<br />
Bei Neonlicht kommt es auf den<br />
Konzentrationsgrad der Säure an.<br />
Schraffuren so setzen dass in ihnen das<br />
Zähflüssige dominiert gekalkt gekreidet oder<br />
weiß eingefärbt nahm Ich den Schädel mit und<br />
nun trage Ich die Farben zurück.<br />
Jemand an der Grenze hüfthoch im gelben<br />
Wasser nur entgeistert schaun die Lähmung<br />
noch verbergen sich drängen und schieben.<br />
Oh immerzu diese Überschwänglichkeit!<br />
Die wärmsten Plätze im inneren des Haufens<br />
fortwährend tauschend.<br />
Schlachtplatte ein Abenteuer wittern über<br />
die Welt kommen Schotterpisten das ist die<br />
alltägliche Hackordnung unter Hunden ganz<br />
großes Kino.<br />
Bang Bang.<br />
Vielleicht durch Mitklatschen in Schwingung<br />
versetzen lassen dann Zweitausendneun.<br />
Abbinden blau etwas dumm dastehen<br />
strategische Interessen vernarbt Volk steht auf<br />
Sturm bricht los.<br />
Alle drei Minuten den Platz mit dem Nachbarn<br />
tauschen mögen das Spiel so lange wiederholen<br />
bis alle im inneren Kreis tot oder das Orchester<br />
ungeduldig wird.<br />
Unsichere Kantonisten bisschen Drama<br />
geschmückt demjenigen vorbehalten die<br />
gleichen Namen verwenden zum Zweck der<br />
Drangsal vereint.<br />
Unterwürfigkeit korpulente<br />
Kontrollmechanismen.<br />
Schenkt mir ein Abenteuer!<br />
Dem Format ordentlich zuarbeiten.<br />
Steht ganz still Ich mag das.<br />
Runter mit dem Kopf.<br />
Welcome welcome.<br />
Schaden nehmen auf der Suche nach der<br />
avanciertesten Tonspur.<br />
Und wenn Ihr dann noch immer im Trüben<br />
fischet?<br />
Fragen stellt über Mikrophon.<br />
Lange dumme Geschichten erzählt.<br />
So ist dies der herzloseste Film seit langem.<br />
I have a Dream!<br />
Doch die aus meinen Liedern bin Ich nicht.<br />
Bang Bang.<br />
Nur eine Träne auf dem Antlitz deutet Opferung<br />
im Séparée an: Was soll das noch werden mit<br />
uns?<br />
Jedes Mal aufs Neue zwei drei Sätze ernst<br />
nehmen mitten in Gesprächen zu Boden fallen.<br />
Eine Laune Spontangabe einfach das erledigen<br />
von Dingen Europa herunterreden.<br />
Schwarz ist die Nacht mit zwei drei simplen<br />
Parolen.<br />
Nun geht hinaus und sagt es allen anderen!<br />
(Ein Text zum EU-Außenministertreffen in Klosterneuburg)<br />
Michaela Falkner, geboren 1970 lebt und arbeitet<br />
in Wien. Promoviert in Politischer Psychologie.<br />
Dekliniert in ihren Arbeiten Taktiken der<br />
Konfrontation, Pathos und Utopie.<br />
A Fucking Masterpiece (Czernin-Verlag, 2005);<br />
Falkner II. Eine Moritat in 17 Bildern (Czernin-Verlag,<br />
2006); The Execution of Ludwig. Eine theatralische<br />
Hymne (Performance & Installation, MAK, Wien,<br />
2006); Yearning Creatures (2007) Ein Zyklus an<br />
Texten, Manifesten, Performances & Interventionen;<br />
An Angel went up in Flames. Eine theatralische Hymne<br />
(2007), 11-teiliges Video.<br />
Die »Enzyklopädie des Wiener Wissens«<br />
Träum nicht!<br />
Bettina Klix<br />
Einmal hatte sie mit einer älteren Freundin darüber<br />
gesprochen, wann Träume vorzuziehen waren.<br />
„Hast du denn noch nie Angst gehabt, dass der<br />
Traum von einer Sache besser ist als sie selbst?“,<br />
fragte diese sie.<br />
„Natürlich, ich habe es auch schon erlebt. Aber<br />
wenn der Traum falsch war, was verliere ich dann<br />
schon?“, meinte die Jüngere, ohne wirklich zu<br />
wissen, was sie sagte.<br />
„Sehr viel. Und der Traum muss gar nicht falsch<br />
gewesen sein. Ich weiß, dass es nicht so einfach<br />
ist. Aber dreh es doch mal um. Wenn sich jemand<br />
deinen Geschmack schon bis in jede Einzelheit<br />
vorgestellt hat, warum sollte er dich noch kosten<br />
wollen?“, fragte die Freundin.<br />
„Hast du denn schon mal erlebt, dass der Traum<br />
übertroffen wurde?“<br />
„Ja, und das war so schön, dass ich gar nicht wagte,<br />
daran zu glauben. Und als ich es endlich glaubte,<br />
war es schon wieder vorbei. Trotzdem hat die<br />
Geschichte mir eine Hoffnung hinterlassen. Ich<br />
habe keinen Namen dafür. Es ist bestimmt nichts,<br />
was sich weitergeben lässt.“<br />
„Würdest du mir eine solche Erfahrung wünschen?“,<br />
fragte sie beklommen und fühlte sich nicht bereit<br />
dafür.<br />
„Wenn du stark genug bist, die Erfüllung zu finden<br />
und dann alles wieder zu verlieren und nichts davon<br />
behalten zu können?“<br />
„Das klingt ja grauenhaft!“<br />
***<br />
Sie träumte einfach zu viel und nicht nur nachts.<br />
Natürlich hatte sie auch Träume, während sie schlief<br />
und nicht zu knapp. Aber die waren da, wo sie<br />
hingehörten, sie bewachten, was sie sollten oder sie<br />
weckten, wenn es nötig war, aus der Gefahr.<br />
Sie dachte manchmal darüber nach, was die beiden<br />
Arten von Träumen unterschied, aber vergleichen<br />
konnte sie natürlich nur ihre eigenen.<br />
Sie wusste, dass nicht viele Menschen ihre<br />
Nachtträume erinnerten. Und wenige Menschen<br />
kannte sie so gut, dass diese ihr ihre Träume<br />
erzählten. Und noch seltener geschah es, dass<br />
ihr jemand einen Tagtraum anvertraute. Wohl<br />
deswegen, weil der, der ihn hatte, dafür so eindeutig<br />
die Verantwortung trug wie für einen Nachttraum<br />
nicht.<br />
Und doch vergaß sich das während des Träumens<br />
tagsüber so leicht. Und nicht nur, wenn sie im<br />
Bett lag. Würde sie es sonst so oft getan haben?<br />
Irreführend war es auch gewesen, dass sie immer<br />
schon ermahnt worden war, wenn sie nicht<br />
aufpasste: Träum nicht! Oder wenn sie etwas<br />
abwesend war oder nur so schien: Träum nicht so<br />
viel! Wenn sie vielleicht nur bei sich war. So wurde<br />
ihre Welt abgesteckt, ohne dass sie das selbst tat.<br />
Es gab eine Verwandtschaft zwischen Traum und<br />
Lüge, die schwer zu fassen war. Der Nachttraum<br />
schien nicht zu lügen, höchstens wenn sie einen<br />
so strengen Maßstab anlegte, dem auch kein<br />
menschliches Gefühl standhalten würde.<br />
Bei Tagträumen war das ganz anders. Sie wusste,<br />
dass sie manchmal träumte, um nicht sehen,<br />
nicht sprechen oder nicht lügen zu müssen, aber<br />
irgendwie tat sie träumend doch oft genau das. Es<br />
gab niemanden, dem sie die Erlaubnis abtrotzen<br />
musste, solange sie nicht völlig untauglich für<br />
das Leben wurde. Sie spürte auch nicht, was sie<br />
dabei verlor, weil es sich so oft wie eine Belohnung<br />
anfühlte. So schickte sie die Suchbilder ihrer<br />
Träume hinaus, ohne zu wissen, was sie tat.<br />
Es war eine Art von Wunschdenken, oder auch<br />
schon Wunschwissen. Vielleicht ließ es sich gar<br />
nicht mehr vergessen, vielleicht konnte sie ihre<br />
Wünsche gar nicht so bei sich haben, wie sie wollte,<br />
als etwas, was ihr gehörte und niemanden etwas<br />
anging, solange sie es nicht äußerte. Licht schien gar<br />
nicht mehr nötig, das von außen kam oder in das die<br />
Wünsche hinausgehen mussten.<br />
***<br />
Was unter der Haut geschlafen hatte zu entdecken<br />
- danach waren die beiden Träumer süchtig<br />
geworden.<br />
Nach diesen Stunden oder Minuten, in denen sich<br />
die Körper nicht schuldig fühlten.<br />
Es war dann absurd, etwas Schönes verstecken zu<br />
wollen.<br />
Es schien verrückt, dass sie sich eben noch<br />
voreinander schützen mussten.<br />
Und doch veränderte es sie nicht genug, und die<br />
Angst kehrte zurück.<br />
Es war eben doch nur ein Traum, dachte er.<br />
Ich darf nichts besitzen, glaubte sie.<br />
Und wenn sie zu schnell aufwachten, gab es<br />
manchmal sogar Streit, wessen Traum es gewesen<br />
sei.<br />
Sie waren beide zu sehr davon überzeugt, dass etwas<br />
so Schönes nicht auch noch wahr sein könne. Und<br />
wenn die Wahrheit einfach unbestreitbar stark war,<br />
leugneten sie lieber die Schönheit.<br />
Aus Angst, verrückt zu werden.<br />
Sie waren zwar süchtig. Aber nach etwas, von dem<br />
sie nicht wussten, was es war.<br />
Und nicht, ob sie es jemals wieder bekommen<br />
konnten.<br />
So wie nur wenige Menschen - und selbst diese auch nur<br />
selten<br />
- einen schönen Nachttraum nach einer<br />
Unterbrechung weiterträumen können.<br />
So fürchteten sie, ihren Tagtraum nicht gemeinsam<br />
fortsetzen zu können.<br />
Deshalb auch träumten sie immer eine Weile<br />
getrennt weiter, das war viel leichter.<br />
***<br />
Vielleicht war es leichter, sich von einem Traum zu<br />
befreien, wenn nur einer ihn träumte.<br />
Dann konnte dem Träumer jeder andere Mensch<br />
helfen - wenn dieser nur nicht denselben Traum<br />
hatte.<br />
Wenn aber zwei denselben Traum nährten, ihn<br />
aber weder leben, noch aufgeben konnten,<br />
genügte es nicht, dies zu bemerken.<br />
Es reichte auch nicht, wenn nur einer<br />
aufwachte.<br />
Sie müssten wirklich beide aufhören zu<br />
träumen.<br />
Das war schwer festzustellen: dass<br />
weitergeträumt wurde.<br />
Auch ohne Aufsicht, ohne Absicht.<br />
Denn die beiden getrennten Leben konnten so<br />
aussehen, als hätten beide sich abgefunden oder<br />
etwas Besseres gewählt.<br />
Oder es schien, jeder habe einen neuen Traum<br />
begonnen.<br />
Nur Krankheiten, Unfälle, Rückfälle<br />
konnten dann zeigen, dass keiner von<br />
beiden befreit war.<br />
Aber wem wurde es gezeigt? Da<br />
müsste auch jemand hinsehen,<br />
aber es gab niemanden außen.<br />
Ein halbes Begreifen half nicht.<br />
Dann nahmen die Warnzeichen nur zu.<br />
Manchmal überlebte das einer nur mit Bettina Klix, Autorin und Sozialpädagogin, lebt in<br />
Mühe.<br />
Berlin und Darmstadt.<br />
Letzte Veröffentlichungen in Anthologien: Mein<br />
Oder beide, aber weit voneinander entfernt,<br />
heimliches Auge, Konkursbuch 2006/2007. Die Rampe,<br />
ohne sich helfen zu können.<br />
Porträt Elfriede Czurda, Stifterhaus, Linz, 2006.<br />
Minutentexte, The Night of the Hunter, Brinkmann und<br />
Bose, Berlin, 2006.<br />
publication PN°1<br />
im Verlag Bibliothek der Provinz:<br />
Band I<br />
Matthias Marschik<br />
Band II<br />
Peter F. N. Hörz<br />
Band III<br />
Christian H. Stifter<br />
Band IV<br />
Natalia Wächter<br />
MASSEN, MENTALITÄTEN, MÄNNLICHKEIT<br />
Fußballkulturen in Wien<br />
ISBN 3 902416 03 3<br />
15/21 cm, 162 Seiten, mit Abb., 18 € / 30 sfr<br />
KUNDE VOM VOLK<br />
Forschungen zur Wiener Volkskultur im 20.<br />
Jahrhundert<br />
ISBN 3 902416 05 X<br />
15/21 cm, <strong>13</strong>4 Seiten, 15 € / 25 sfr<br />
GEI<strong>ST</strong>IGE <strong>ST</strong>ADTERWEITERUNG<br />
Eine kurze Geschichte der Wiener<br />
Volkshochschulen, 1887–2005<br />
ISBN 3 902416 06 8<br />
15/21 cm, 184 Seiten, 18 € / 30 sfr<br />
WUNDERBARE JAHRE? JUGENDKULTUR IN WIEN<br />
Geschichte und Gegenwart<br />
ISBN 978 3 902416 09 4<br />
15/21 cm, 176 Seiten, mit z.T. farbigen Abb.,<br />
22 € / 38 sfr<br />
Band I<br />
Matthias Marschik<br />
MASSEN, MENTALITÄTEN, MÄNNLICHKEIT<br />
Fußballkulturen in Wien<br />
Enzyklopädisches Stichwort:<br />
Importiert als Schulspiel zur Ertüchtigung der männlichen Jugend in den 1880er Jahren, wurde<br />
der Fußball um 1890 von in Wien tätigen Engländern aufgegriffen. Im Spannungsfeld zwischen<br />
bürgerlich-ökonomischem und sozialdemokratisch-politischem Fußball entstand ein weites Feld<br />
eines genuinen Arbeiterfußballs, der fast die ganze männliche Wiener Bevölkerung in seinen<br />
Bann zog und dabei als Popularkultur im Dreieck Wien-Prag-Budapest spezifisch wienerische<br />
Eigenschaften entwickelte.<br />
Mit dem Verbot des sozialdemokratischen Sportes im Februar 1934 wurde die bürgerlichzweckfreie,<br />
kapitalistische Variante des Fußballs durchgesetzt. Die Ära des Nationalsozialismus<br />
brachte zwar massive Eingriffe in Sportkonzepte und -praxen mit sich, die Massenkultur des<br />
Wiener Fußballs tangierte sie aber kaum. In einem Zusammenspiel von resistentem Fußball<br />
und instrumentalisierendem Regime blieb dieser Sport ein Wiener Phänomen und wurde zu<br />
einer wesentlichen Form des Aufbegehrens gegen die ›Deutschen‹. Auch noch der dritte Endrang<br />
bei der WM 1954 war Ergebnis der Wiener Mischung aus letztem Einsatz und ballverliebtem<br />
Scheiberlspiel.<br />
Erst Ende der 1950er Jahre begannen veränderte Rahmenbedingungen die Wiener Fußballpraxen<br />
im Sinne einer »Verösterreicherung« zu beenden. Dieser Prozess wurde bald darauf durch eine<br />
»Europäisierung« weitergeführt, die den Wiener Fußball in die zweite Reihe zurückstufte. Mit einer<br />
kurzen Unterbrechung an der Wende von den 1970er zu den 1980er Jahren musste sich der Wiener<br />
Fußball seitdem mit einem Schattendasein und einer meist nur mehr lokalen Präsenz bescheiden.<br />
Doch trotz mäßiger Leistungen, massiven Zuschauerrückgängen und der Einbettung in<br />
europäische bzw. globale Strukturen, die ihm nur mehr Chancen des Reagierens auf internationale<br />
Entwicklungen offen lassen, ist der Wiener Fußball nicht untergegangen: Finden wir seine<br />
konkreten Manifestationen nur mehr im lokalen Fußball und im Stadthallenturnier, lebt er ideell<br />
in den Mythen und Geschichten rund um den Fußball weiter und diese Traditionen und Mythen<br />
haben in der enormen alltagskulturellen Bedeutung des Wiener Fußballs ebenso ihren Niederschlag<br />
gefunden, wie sie (bislang) dem Phänomen Frank Stronach Paroli boten: »Seine« Austria ist noch<br />
immer die launische Diva wie ehedem und die kampfbereite Rapid ist ihr eherner Widerpart.<br />
Band III<br />
Christian H. Stifter<br />
GEI<strong>ST</strong>IGE <strong>ST</strong>ADTERWEITERUNG<br />
Eine kurze Geschichte der Wiener Volkshochschulen, 1887–2005<br />
Enzyklopädisches Stichwort:<br />
Das zentrale Anliegen der zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegründeten ersten Volks-Universitäten<br />
auf Wiener Boden – der Volkshochschulen – scheint wenig von seiner einstigen emanzipatorischen<br />
Bedeutung verloren zu haben. Nach wie vor, und womöglich mehr denn je, kommt der Demokratisierung<br />
des Zugangs zu Wissen, Bildung und Kunst eine wichtige gesellschaftliche Bedeutung zu. Obwohl<br />
Wissenschaft und Technik tief in unsere lebensweltlichen Zusammenhänge vorgedrungen sind,<br />
die mediale Berichterstattung über Wissenschaft zu einer ungeheuren Informationsdichte geführt<br />
hat und das öffentliche Bildungswesen auf grundsätzlicher Chancengleichheit beruht, nimmt die<br />
kognitive und soziale Kluft zwischen dem Expertenwissen und dem Wissensstand der breiten<br />
Bevölkerung tendenziell eher zu denn ab.<br />
Ähnlich wie vor mehr als hundert Jahren, als höhere Bildung und akademisches Wissen einer<br />
verlag@bibliothekderprovinz.at<br />
kleinen gesellschaftlichen Elite vorbehalten waren, stellen sich auch heute vor dem Hintergrund<br />
der »Informationsgesellschaft« vielfältige Herausforderungen für eine emanzipatorische<br />
Erwachsenenbildung.<br />
Das große historische Verdienst der freien Wiener Volksbildung liegt darin, die traditionelle Kluft<br />
zwischen Experten und Laien erstmals in der Geschichte Österreichs durch eine institutionalisierte<br />
Form allgemein zugänglicher Volksbildung überbrückt zu haben. Die »geistige Stadterweiterung«<br />
(Eduard Leisching) führte zu einer Demokratisierung von Bildung und Wissen in einer bisher nie<br />
da gewesenen Qualität und Quantität.<br />
Der vorliegende Band behandelt die wissenschaftszentrierte Erwachsenenbildung, wie sie in<br />
Wien gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Reaktion auf die vielfältigen<br />
Herausforderungen der Moderne entstanden ist, und zeichnet deren Entwicklungsgeschichte bis in<br />
die Gegenwart nach.