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CHECK Berlin #3

CHECK wendet sich an Schwule und Trans*-Männer jeden Alters, jeder Herkunft oder Weltanschauung. • umfassender Serviceteil mit allen wichtigen Adressen von Beratungsstellen, Apotheken und Ärzt*innen

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Diversity<br />

GELEBTE VIELFALT IM<br />

ST. JOSEPH-KRANKENHAUS<br />

Die Klinik für Infektiologie im St. Joseph Krankenhaus<br />

in <strong>Berlin</strong>-Tempelhof ist eine der wenigen<br />

stationären Einrichtungen in Deutschland, die sich<br />

auf das Gebiet der Infektionsmedizin spezialisiert<br />

hat. Nun wurde der Station zudem das Gütesiegel<br />

„Praxis Vielfalt“ verliehen. Diese Initiative der Deutschen<br />

AIDS-Hilfe (DAH) zeichnet Arztpraxen und Versorgungseinrichtungen<br />

aus, die Menschen mit HIV sowie mit vielfältigen<br />

sexuellen, sprachlichen und kulturellen Hintergründen willkommen<br />

heißen und eine diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung sicherstellen.<br />

Wir sprachen mit Chefarzt Dr. med. Hartmut Stocker, MBA.<br />

Wie sind sie dazu gekommen<br />

und welche Voraussetzungen<br />

muss man erfüllen,<br />

um das Siegel „Praxis<br />

Vielfalt“ zu erhalten? Wir<br />

arbeiten bereits durch „Let’s<br />

Talk About Sex“ seit Anfang<br />

des Jahres eng mit der DAH<br />

zusammen und dadurch war<br />

das Thema schon die ganze<br />

Zeit präsent.<br />

Für „Praxis Vielfalt“ waren<br />

wir eigentlich gar nicht vorgesehen,<br />

denn es handelt<br />

sich ja um ein Gütesiegel<br />

speziell für Praxen. Aber Inge<br />

Banczyk, die pflegerische<br />

Leitung der Tagesklinik, hat<br />

sich so ins Zeug gelegt, dass<br />

wir auch als Krankenhaus<br />

mitmachen durften. Wir sind<br />

jetzt das zweite Krankenhaus<br />

deutschlandweit, das<br />

diese Auszeichnung erhalten<br />

hat. Es geht vor allem darum,<br />

zu lernen, wie man mit seiner<br />

Sprache und der ganzen<br />

Attitüde und dem Herangehen<br />

an die Menschen schon<br />

mal signalisiert: Wir verurteilen<br />

euch nicht, wir sind offen<br />

für eure Anliegen. Es ist uns<br />

nicht egal, was ihr macht,<br />

aber wir bewerten es nicht.<br />

Man ist mit seiner Sprache<br />

einfach manchmal sorglos<br />

und sagt Dinge, die automatisch<br />

beim Empfänger<br />

ein Bild von „der will mich da<br />

nicht haben“ entstehen lassen.<br />

Ein Sensibilisieren für<br />

derartige Belange ist daher<br />

enorm wichtig.<br />

Wie kann man sich diese<br />

Art von Sensibilisieren vorstellen?<br />

Kommt ein Experte<br />

ins Team und klärt auf? Das<br />

Ganze fand webbasiert statt,<br />

es gab viele Vorträge, aber<br />

mir mussten auch einige<br />

Aufgaben lösen und Rollenspiele<br />

machen. Ärzt*in wird<br />

also Pfleger*in und umgekehrt.<br />

Oder Ärzt*in nimmt die<br />

Rolle von Patient*in ein. Da<br />

werden dann verschiedene<br />

Situationen durchgespielt.<br />

Welche Art von Situationen?<br />

Ein Mann berichtet<br />

etwa der Ärzt*in, er lebe<br />

seit zwei Jahren in einer<br />

monogamen Beziehung,<br />

wobei sein Partner HIV-positiv<br />

auf Therapie unter der<br />

Nachweisgrenze ist. Der<br />

Mann sagt, sie haben seit<br />

zwei Jahren ungeschützten<br />

Sex, aber jetzt will er eine<br />

PrEP verschrieben bekommen.<br />

Als Ärzt*in stellt man<br />

sich die Frage, warum?<br />

Liegt es an der Frage der<br />

Monogamie, oder traut er<br />

seinem Partner nicht mehr<br />

zu, dass er regelmäßig seine<br />

Tabletten nimmt? Aber die<br />

Frage lautet natürlich: Stellt<br />

man dem Patient*in eine<br />

solche Frage überhaupt?<br />

Der Patient hat sicherlich<br />

einen Grund, aber geht mich<br />

das etwas an? Kann ich das<br />

thematisieren? Wie kann ich<br />

es thematisieren, ohne dass<br />

es blöd ist und der Patient<br />

sich unwohl fühlt und wieder<br />

geht? So etwas durchzuspielen<br />

ist natürlich klasse,<br />

weil man auch sein eigenes<br />

Verklemmtsein konfrontieren<br />

muss und sich fragt, wie<br />

gehe ich damit um? Dieses<br />

spezielle Szenario ist für uns<br />

natürlich weniger relevant<br />

als etwa für niedergelassene<br />

Ärzt*innen, weil hier in der<br />

Klinik solche Fragen nicht<br />

unbedingt vorkommen.<br />

Was sind die Themen, die<br />

hier im Krankenhaus auftauchen?<br />

Wir behandeln Patient*innen<br />

mit Infektionskrankheiten,<br />

die teilweise<br />

schwer krank sind. Eben<br />

genannte Themen tauchen<br />

da zunächst nicht unbedingt<br />

auf. Aber diese Patient*innen<br />

werden irgendwann im<br />

Laufe des Krankenhausaufenthalts<br />

wieder gesünder. Da<br />

beraten wir natürlich wieder<br />

zu diesen Belangen. Daher<br />

sehen wir auch den großen<br />

Nutzen der Workshops. Es<br />

hat unserem gesamten<br />

Team geholfen und auch<br />

Spaß gemacht, besonders<br />

die Rollenspiele waren großartig.<br />

Kommt es vor, dass zwar<br />

die Kolleg*innen auf der<br />

Station geschult sind, aber<br />

es eventuell bei der Einweisung<br />

in der Notaufnahme<br />

zu Schwierigkeiten, Diskriminierung<br />

oder Stigmatisierung<br />

kommt? Die Pflicht<br />

zum Abbau von Diskriminierung<br />

und Stigma zieht sich<br />

durch alle Bereiche der Gesellschaft.<br />

Und der Prozess<br />

ist auch keiner, der irgendwo<br />

und irgendwann einmal am<br />

Ende angelangt ist. Sobald<br />

man den Fuß vom Gaspedal<br />

nimmt, fährt das Auto langsamer<br />

oder wieder zurück.<br />

Wir sehen es durchaus als<br />

unsere Aufgabe, den anderen<br />

Abteilungen hier im<br />

Krankenhaus unsere neuen<br />

Erkenntnisse weiterzugeben.<br />

Vielen Menschen ist<br />

nicht unbedingt klar, dass<br />

diese Art von Sensibilisieren<br />

wichtig und berechtigt<br />

ist. Es stimmt halt nicht,<br />

dass bereits alles gut läuft<br />

und es keine Schwierigkeiten<br />

gibt.<br />

Patient*innen werden aufgrund<br />

ihrer sexuellen Identität<br />

oder Orientierung<br />

oder schlichtweg aufgrund<br />

ihrer Herkunft<br />

in Einrichtungen des<br />

Gesundheitswesens<br />

diskriminiert. Selbst<br />

wenn diese Diskriminierungen<br />

ohne böse Absicht<br />

erfolgen, etwa weil nicht<br />

ausreichend dahingehend<br />

sensibilisiert wurde. Fehltritte<br />

passieren überall, wir<br />

müssen uns dafür stark<br />

machen, dass diese nicht<br />

mehr vorkommen.<br />

Welche Krankheiten<br />

werden hier im St. Joseph<br />

Krankenhaus behandelt?<br />

Wir behandeln alle Art von<br />

Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik<br />

für Infektiologie am St. Joseph<br />

Krankenhaus <strong>Berlin</strong> Tempelhof<br />

© Manuel Tennert<br />

Infektionskrankheiten.<br />

Infektionen gab es schon<br />

immer und sind mit Sicherheit<br />

der häufigste Grund,<br />

warum Menschen sterben.<br />

Bakterien und Pilze leben<br />

auf und in uns und sie gehören<br />

zu uns wie die Leber und<br />

das Herz zu uns gehören. Der<br />

humane Teil des Menschen<br />

macht sogar einen kleineren<br />

Teil des Körpers aus als<br />

der Teil, den die Bakterien<br />

ausmachen. Es gibt ein<br />

perfektes Zusammenspiel<br />

zwischen denen und uns.<br />

Für die meiste Zeit herrscht<br />

also Liebe, Man kann sagen,<br />

dass wir eine Art Wohngemeinschaft<br />

sind. Irgendwann,<br />

aus Gründen die nicht<br />

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