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Berghofer Blick 2021-1

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HISTORISCHES

Arnold Haumann:

Ein Leben gegen den Strom der Zeit

„Die Bergpredigt ist die unanfechtbare Rechtsurkunde

des freisinnigen Christentums.“

Albert Schweitzer

Begegnungen mit Arnold Haumann in Berghofen

Wahrscheinlich haben wir – Arnold Haumann und der Autor – manchmal

in Berghofen Aufsehen erregt, etwa bei lauter, fröhlicher Begegnung in der

Ortsmitte: Nie gingen wir ohne längeres Gespräch auseinander; es wurde

immer intensiv diskutiert. Nein, wir waren nicht immer einer Meinung,

aber es war ein Gedankenaustausch, trotz des Generationenunterschiedes

ohne Vorbehalte, auf Augenhöhe und mit Gewinn – jedenfalls für mich.

Wir hatten eine gemeinsame Basis: das Evangelium, das christliche Liebesgebot,

das auch die Feindesliebe fordert, und die Überzeugung, dass

Kriege keine Lösungen bringen, sondern immer nur neue Verwicklungen,

neues Unglück heraufbeschwören. Die christliche Botschaft war uns auch

Aufforderung zur Zivilcourage. Volle Übereinstimmung sicherte ich ihm

zu, wenn er Grundgedanken vortrug wie: „Demokratie ist nicht unter allen

Umständen funktionsfähig, sie setzt die Mitwirkung einer angemessenen

Zahl von Bürgern voraus. Es hat keinen Sinn, Politik pauschal zu kritisieren

und Fehlentwicklungen zu beklagen. Notwendig ist die Bereitschaft,

einen neuen Denkprozeß in Gang zu bringen, das Bewußtsein zu schärfen

und Verbesserungen der gesellschaftlichen Gegebenheiten in Gang

zu bringen. Dabei müssen Gefährdungen ertragen, Ereignisse hinterfragt

und Zusammenhänge erkannt werden.“ (S. 7) Diese im Gespräch frei vorgetragenen

Gedanken nutzte er dann für das Vorwort zu seinem Buch:

„,Gott mit uns´? – Zwischen Weltkrieg und Wende“, das 1992 in Bonn

erschien. (Um Arnold Haumanns Meinungen möglichst authentisch wiederzugeben,

wird, wo das möglich ist, nicht aus dem Gedächtnis referiert,

sondern aus seinem Buch zitiert. Zitate ohne weiteren Zusatz, nur mit der

Seitenzahl, beziehen sich auf das genannte Buch.)

Besonders aufmerksam beachtete er einige Gedanken über die Vergangenheit,

die ich ihm nahebringen konnte: Vergangenheit – weder die eigene,

individuelle, noch die eines Volkes, zu dem man gehört, oder die eines

Landes, in dem man lebt, ist zu „bewältigen“; man kann ihrer nicht nachträglich

Herr werden, man muss mit ihr leben, wie sie ist. – Man kann

die Vergangenheit erforschen, Fakten benennen, sie bestenfalls verstehen

und Folgerungen ziehen, aber mit Letzterem verlässt man den zweifelsfreien

Boden, denn Folgerungen beruhen in der Regel auf Fragen, die man

an die Geschichte stellt, die zeitbedingt sind und vielleicht auch einen

individuellen Bezug haben. – Die Vergangenheit ist vergangenes Geschehen,

das sich jeder Beeinflussung

entzieht; daher ist es auch

nicht möglich, Geschichte wie

ein altes Möbel oder wie einen

Anzug „aufzuarbeiten“, es gibt

an ihr nichts zu polieren oder

auszubessern. Es kommt darauf

an – wie dies schon Leopold von

Ranke formulierte – zu erkennen,

wie es eigentlich (d. h. im

Wesentlichen) gewesen ist; daraus

wird man „nicht klug werden

für ein anderes Mal“, wie

Jakob Burckhardt feststellte, ja

man muss auch in Zweifel ziehen,

ob man „weise für immer“

werden kann, wie Burckhardt

Arnold Haumanns Buch

„Gott mit uns“?

noch meinte.

Als Lehrer an unterschiedlichen

Schulformen hatten Arnold Haumann

und der Autor Gelegenheit, junge Menschen auf ihre Teilhabe an der

Demokratie vorzubereiten. Haumann schöpfte dabei aus der Lebenserfahrung,

die ihn als Wehrmachtsoffizier nach Russland geführt hatte. Mir

standen die Auswirkungen des Krieges vor Augen, dessen Zerstörungen in

meiner Kindheit noch allgemein sichtbar waren und in dessen Folge sich

meine Eltern zur Flucht aus ihrer Heimat entschieden. Jean Lasseres Buch

„Der Krieg und das Evangelium“, schon 1956 in München erschienen,

wurde mir zum Wegweiser. Unterschiedlich bewerteten wir unsere durchaus

ähnlichen Erfahrungen mit Kommunisten: Während Arnold Haumann

als parteiloser Kandidat für den nordrhein-westfälischen Landtag 1995

für die DKP antrat, weil er „ein Zeichen für die zu Unrecht verurteilten

Kommunisten setzen möchte, die im Kampf gegen den Faschismus viele

Opfer gebracht haben“ (Ruhr-Nachrichten 12. Mai 1995), hatte ich nach

der Mitorganisation des Dortmunder Friedensmarsches 1973, in den sich

kommunistische Gruppen

mit Plakaten wie „Tod den

Amerikanern“ gedrängt

hatten und die den Redner

der Kundgebung auf dem

Dortmunder Markt, Pfarrer

Ernst August Bücker, wegen

seiner Aufforderung

zur absoluten Gewaltlosigkeit

auspfiffen, den

Schluss gezogen, nie wieder

an einer Aktion mitzuwirken,

die in solcher Form

pervertiert werden könnte.

Buchwidmung für den Verfasser

Trotz – oder vielleicht gerade wegen – solcher Unterschiede diskutierten

wir immer erneut unsere Erfahrungen und Positionen, durchaus mit der

Freude daran, sie in Frage stellen zu lassen und sie begründen zu müssen.

Arnold Haumanns Buch und mein Aufsatz „Berghofen 1914“ (Berghofer

Blick 3/1994) belebten unsere Gespräche und befeuerten einen Dialog,

der latent bis zu Arnold Haumanns Lebensende weitergeführt wurde.

Kindheit in Berghofen

Der am 23. Oktober 1923 geborene Arnold Haumann berichtete: Meine

Eltern haben in Berghofen „zu sehr günstigem Preis ein schönes großes

Grundstück am Südhang des Busenberges erworben. Der Kaufpreis je

Quadratmeter betrug weniger als 20 Reichspfennig, bis heute [1992] ist

er auf 350 DM gestiegen.“ (S. 8) Solche Angaben machte Arnold Haumann

nicht beiläufig, er wendete sich gegen jede Bodenspekulation und vertrat

die Meinung: „Da Grund und Boden nicht vermehrbar sind, ist es nicht

zulässig, ihn als Ware zu behandeln.“ (S. 229) Arnold Haumann erinnerte

sich: „Oft wandern wir [er mit der Mutter und seinen beiden älteren Brüdern]

mit dem Vater nach Berghofen, um beim Ausschachten und dann

auch beim Bau des Hauses etwas zu helfen. Der Vater, der im Ort seit zehn

Jahren Lehrer ist, will gern in der Nähe der Schule wohnen. Im Januar 1930

ist der Umzug. Wir freuen uns auf unser Einfamilienhaus und helfen bei

der Gestaltung des Gartens, dem Einpflanzen der Sträucher und Bäume

und lernen die Umgebung kennen. Ein besonderer Reiz sind drei große

Steinbrüche in unmittelbarer Nähe. Der schönste ist in eine kleine Parklandschaft

verwandelt, mit viel Getier, vor allem Eidechsen und einem See

mit Goldfischen.“ (S. 8)

Das eigene Haus war nur dadurch zu finanzieren, dass Heinrich Haumann

nach dem Schuldienst zur Mittagsschicht – nach einer 15-Kilometer-Fahrt

mit dem Fahrrad – die Arbeit auf der Zeche Hansa aufnahm. Die Großeltern

hatten in der Inflation des Jahres 1923 alle Ersparnisse verloren.

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