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HISTORISCHES

Wegen der verhältnismäßig kurzen Vorbereitungszeit bin ich einigermaßen

besorgt. Ich unternehme alle möglichen Schritte, um innerhalb von

zwei Tagen die Einladungen in das ganze Bundesgebiet verteilen zu lassen.

Besondere Sorgen macht mir die antikommunistische Propaganda

der offiziellen Stellen.“ (S. 99)

Haumann meldete die Veranstaltung offiziell an, sprach mit dem Essener

Oberbürgermeister Dr. Toussaint, dem Leiter des Amtes für öffentliche

Ordnung Kappel, dem Vorsitzenden der SPD Landtagsfraktion Heinz

Kühn und Mitgliedern der CDU-Fraktion. Kurt Baurichter, der Düsseldorfer

Regierungspräsident, riet, den Verfassungsschutz zu kontaktieren, dort

aber wurde Haumann als kommunistischer Agent angesehen. Gegen alle

Zusagen wurde die Veranstaltung kurzfristig am Freitagabend verboten.

Haumann erfuhr zunächst gerüchteweise vom Verbot der Veranstaltung,

zu der sich viele der erwarteten etwa 15.000 Jugendlichen auf den Weg

gemacht hatten. Eine Vorbereitungsgruppe beschloss, die Kundgebung

nicht gegen das Verbot durchzuführen, aber rechtliche Schritte dagegen

einzuleiten. Den bereits angereisten Jugendlichen wurde ein Besuch der

Gruga (Große Ruhrländische Gartenbau-Ausstellung) empfohlen. Das

Verbot der Veranstaltung wurde damit begründet, dass schon zuvor eine

katholische Jugendkundgebung angemeldet worden war. In Essen trafen

nun rechtsgerichtete und linksgerichtete Jugendliche aufeinander. Arnold

Haumann beobachtete, dass die Polizei einseitig zu Gunsten der rechtsgerichteten

Jugendlichen brutal in die Auseinandersetzungen eingriff. Haumann

schrieb dazu: „Erschreckend ist für mich zu erfahren und dieses

an mehreren Stellen im Laufe des Sonntags zu hören, mehrfach auch von

Polizisten selbst, daß diese Bereitschaftspolizei sehr kurzfristig informiert

und nach Essen in Marsch gesetzt wurde, ,belehrt´, es handele sich in

Essen um eine Veranstaltung von Kommunisten und Anarchisten, die zu

Gewalttätigkeit entschlossen seien.“ (S. 102)

Bei vielen Jugendlichen war der Hinweis auf einen Gruga-Besuch so gedeutet

worden, als würde dort die Kundgebung doch noch stattfinden

können. Haumann fuhr nun in einem Wagen der Essener Polizei durch die

Stadt, um per Lautsprecher über das Missverständnis aufzuklären. Dennoch

kam es zu heftigen Prügeleien. Haumann, der begütigend eingreifen

wollte, wurde so geschlagen, dass er für etwa eine Viertelstunde die Besinnung

verlor. Umringt von Polizeibeamten wachte Haumann schließlich

wieder auf: „Unter ihnen erkenne ich auch den Schläger. Er leugnet zunächst,

wird aber dann von einem Essener Kollegen gedrängt, es zuzugeben,

weil er sich wohl vorher mit dieser Tat gebrüstet hat. Der Schläger

ist ebenfalls von der Bereitschaftspolizei. Er erschrickt, als ich ihm sage,

er möge nun mit mir zu ,meinem´ Polizeiwagen gehen, der mir als Versammlungsleiter

vom Chef der Essener Polizei zur Verfügung gestellt ist.

Jetzt passiert etwas Typisches, wie ich es nicht selten erlebe: Das schroffe

Wesen dieses Menschen schlägt um in eine Art Unterwürfigkeit. Er bittet,

ja bestürmt mich, nichts gegen ihn zu unternehmen. Tatsächlich habe

ich das auch nicht getan. Später bin ich unsicher geworden, ob diese Reaktion

grundsätzlich richtig gewesen ist.“ (S. 104)

Vor der Gruga versuchten Polizeibeamte, die Jugendlichen abzudrängen,

die sich immer wieder auf den Eingang zubewegten. Einige Jugendliche

mussten, wegen der Härte des Polizeieinsatzes, mit Krankenwagen abtransportiert

werden. Aus der Menge der Jugendlichen flogen Steine gegen

die Polizisten, die nun gezielt in die Menge schossen: „Tödlich getroffen,

und zwar in den Rücken, wird Philipp Müller, ein Jugendlicher aus München.

Mehrere sind verletzt... Die makabere Frage bleibt unklar..., ob der

Schuß auf Philipp Müller doppelt gezielt war, auf den Teilnehmer und

insbesondere auf ihn als Mitglied der verbotenen FDJ. Sein Tod wird von

vielen als erster politischer Mord in der BRD... angesehen. Es wird wohl

nie mehr möglich sein, dieses zu beweisen oder zu widerlegen.“ (S. 105)

Durch Vermittlung von Gustav Heinemann kam es zu einer Aussprache

mit dem Staatssekretär des Ministers für Gesamtdeutsche Fragen Jakob

Kaiser, Thedick, bei der dieser erklärte: „Meine Herren, Sie müssen

nicht glauben, daß wir überzeugt sind, daß Sie kommunistisch gesteuert

werden. Aber wir sind gegen Ihre Aktivitäten und Demonstrationen, und

welches Mittel ist da wirksamer, als Sie in der Öffentlichkeit als kommunistisch

unterwandert darzustellen.“ (S. 114)

Dennoch organisierte Haumann, angetrieben von dem Bekenntnis, „daß

ich mich schuldig fühle, Hitlers Soldat und Offizier in Rußland gewesen zu

sein“ (S.116), gemeinsam mit Freunden eine erneute Kundgebung gegen

die Wiederbewaffnung Deutschlands in Essen schon am 25. Mai 1952 mit

15.000 bis 20.000 Teilnehmern. Eigene Ordner sorgten für einen friedlichen

Verlauf, obwohl sich wiederum Provokateure unter den Versammelten

befanden. Die Bereitschaftspolizei wurde nicht eingesetzt.

Arnold Haumann musste die Erfahrung machen, dass die Evangelische

Kirche seine Friedensarbeit zuließ und unterstützte, aber sich zu keiner

einheitlichen Auffassung bekannte und zu einem nicht unerheblichen Teil

die Adenauer-Politik unterstützte. Viele seiner Mitstreiter gaben den gesellschaftlichen

Widerständen nach und machten Karriere in der Publizistik,

bei den Parteien oder auch in kirchlichen Organisationen.

Auf dem von etwa 1.500 Teilnehmern besuchten Völkerkongress in Wien

konnte Arnold Haumann die Idee von der „Wiedervereinigung Deutschlands

in einem von Ost und West unabhängigen Europa mit friedlichen

Beziehungen zu allen Nachbarstaaten“ (S. 126) vortragen, die er gemeinsam

mit seinem Freund Nikolaus Koch erarbeitet hatte. Koch hatte im Jahre

zuvor in seinem Buch „Die moderne Revolution“ (Tübingen/Frankfurt

1951) beachtenswerte Gedanken zur gewaltfreien Selbsthilfe des deutschen

Volkes dargelegt. – Im politischen Alltag musste Haumann erleben,

wie Adenauers Politik der Westintegration Ulbricht unterstützte und wie

wiederum dessen inflexibler Kommunismus Adenauer half und wie sich

dabei die beiden deutschen Staaten immer weiter voneinander entfernten.

Haumann, der gemeinsam mit Koch den „Conscientia-Verlag“ betrieb, beteiligte

sich am Aufbau der von Gustav Heinemann am 29. November 1952

gegründeten „Gesamtdeutschen Volkspartei“, in der sich viele kritische

Individualisten zusammenfanden. Dabei lernte er Edith Germann kennen,

die als Sekretärin in Heinemanns Kanzlei arbeitete; sie wurde vertraute

Mitstreiterin und schließlich seine Ehefrau. Als die GVP ein Wahlbündnis

mit dem „Bund der Deutschen“, der sich jeder Kritik am DDR-System

enthielt, anstrebte, beauftragte das GVP-Präsidium (Gustav Heinemann,

Helene Wessel, Diether Posser und Adolf Scheu) Haumann mit der Kontaktaufnahme.

Haumann und Koch entwarfen eine Vereinbarung, die eine

klare Abgrenzung zu kommunistischen Positionen enthielt. Dennoch wurde

von der CDU immer wieder die Behauptung aufgestellt: „Die GVP wird vom

Osten bezahlt.“ Die Partei wollte Europa zu einer Brücke zwischen Ost und

West machen, strebte ein unabhängiges freies Gesamtdeutschland an

und propagierte eine aktive Friedensarbeit. Trotz einiger Achtungserfolge

für Heinemann, Wessel, Erhard Eppler und Posser erhielt das Wahlbündnis

nur etwa ein Prozent der Stimmen, dennoch waren die Protagonisten zur

Weiterarbeit bereit. Haumann und Koch gründeten zusammen mit Maria

Eberhard in Witten-Bommern eine „Beratungsstelle für Friedensdienst e.

V.“, die bei Fortbestand der Aufrüstungspolitik nun das im Grundgesetz

verbürgte Recht auf Kriegsdienstverweigerung fördern wollte.

Im Frühjahr 1955 übernahm Arnold Haumann das Amt eines Generalsekretärs

der GVP; nun erst wurde er auch Mitglied der Partei. Obwohl

die GVP bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen in einigen

Kommunen stärkste Kraft werden konnte, wurde im Landesdurchschnitt

wiederum die Fünf-Prozent-Marke nicht erreicht. Beim rheinland-pfälzischen

Landtagswahlkampf des Jahres 1955 kam es in der Pfalz zu einem

Wahlbündnis der GVP mit der SPD und zu gemeinsamen Wahlkampfauftritten

von Ollenhauer und Heinemann. Der CDU-Landtagsabgeordnete

Dr. Ecarius warb mit der Parole „Gustav Heinemann wird von Moskau

bezahlt.“ Haumann konnte gerichtlich veranlassen, dass Ecarius seine

Behauptung widerrufen musste. Trotz intensiver Bemühungen, gelang es

Haumann aber nicht, größere Geldbeträge zur Finanzierung der Partei einzuwerben.

Im Vorfeld der Bundestagswahl 1957 sondierte Haumann für

die GVP ein Zusammengehen mit der SPD; dabei machte er die Erfahrung,

dass sich vor allem Herbert Wehner und Fritz Erler mit der Aufrüstung und

der NATO-Mitgliedschaft arrangiert hatten. Die Mehrheit der GVP-Mitglieder

stimmte für eine Auflösung der Partei und einen Eintritt in die SPD,

rechtzeitig vor der Bundestagswahl 1957, so dass Gustav Heinemann,

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