24HISTORISCHESWegen der verhältnismäßig kurzen Vorbereitungszeit bin ich einigermaßenbesorgt. Ich unternehme alle möglichen Schritte, um innerhalb vonzwei Tagen die Einladungen in das ganze Bundesgebiet verteilen zu lassen.Besondere Sorgen macht mir die antikommunistische Propagandader offiziellen Stellen.“ (S. 99)Haumann meldete die Veranstaltung offiziell an, sprach mit dem EssenerOberbürgermeister Dr. Toussaint, dem Leiter des Amtes für öffentlicheOrdnung Kappel, dem Vorsitzenden der SPD Landtagsfraktion HeinzKühn und Mitgliedern der CDU-Fraktion. Kurt Baurichter, der DüsseldorferRegierungspräsident, riet, den Verfassungsschutz zu kontaktieren, dortaber wurde Haumann als kommunistischer Agent angesehen. Gegen alleZusagen wurde die Veranstaltung kurzfristig am Freitagabend verboten.Haumann erfuhr zunächst gerüchteweise vom Verbot der Veranstaltung,zu der sich viele der erwarteten etwa 15.000 Jugendlichen auf den Weggemacht hatten. Eine Vorbereitungsgruppe beschloss, die Kundgebungnicht gegen das Verbot durchzuführen, aber rechtliche Schritte dagegeneinzuleiten. Den bereits angereisten Jugendlichen wurde ein Besuch derGruga (Große Ruhrländische Gartenbau-Ausstellung) empfohlen. DasVerbot der Veranstaltung wurde damit begründet, dass schon zuvor einekatholische Jugendkundgebung angemeldet worden war. In Essen trafennun rechtsgerichtete und linksgerichtete Jugendliche aufeinander. ArnoldHaumann beobachtete, dass die Polizei einseitig zu Gunsten der rechtsgerichtetenJugendlichen brutal in die Auseinandersetzungen eingriff. Haumannschrieb dazu: „Erschreckend ist für mich zu erfahren und diesesan mehreren Stellen im Laufe des Sonntags zu hören, mehrfach auch vonPolizisten selbst, daß diese Bereitschaftspolizei sehr kurzfristig informiertund nach Essen in Marsch gesetzt wurde, ,belehrt´, es handele sich inEssen um eine Veranstaltung von Kommunisten und Anarchisten, die zuGewalttätigkeit entschlossen seien.“ (S. 102)Bei vielen Jugendlichen war der Hinweis auf einen Gruga-Besuch so gedeutetworden, als würde dort die Kundgebung doch noch stattfindenkönnen. Haumann fuhr nun in einem Wagen der Essener Polizei durch dieStadt, um per Lautsprecher über das Missverständnis aufzuklären. Dennochkam es zu heftigen Prügeleien. Haumann, der begütigend eingreifenwollte, wurde so geschlagen, dass er für etwa eine Viertelstunde die Besinnungverlor. Umringt von Polizeibeamten wachte Haumann schließlichwieder auf: „Unter ihnen erkenne ich auch den Schläger. Er leugnet zunächst,wird aber dann von einem Essener Kollegen gedrängt, es zuzugeben,weil er sich wohl vorher mit dieser Tat gebrüstet hat. Der Schlägerist ebenfalls von der Bereitschaftspolizei. Er erschrickt, als ich ihm sage,er möge nun mit mir zu ,meinem´ Polizeiwagen gehen, der mir als Versammlungsleitervom Chef der Essener Polizei zur Verfügung gestellt ist.Jetzt passiert etwas Typisches, wie ich es nicht selten erlebe: Das schroffeWesen dieses Menschen schlägt um in eine Art Unterwürfigkeit. Er bittet,ja bestürmt mich, nichts gegen ihn zu unternehmen. Tatsächlich habeich das auch nicht getan. Später bin ich unsicher geworden, ob diese Reaktiongrundsätzlich richtig gewesen ist.“ (S. 104)Vor der Gruga versuchten Polizeibeamte, die Jugendlichen abzudrängen,die sich immer wieder auf den Eingang zubewegten. Einige Jugendlichemussten, wegen der Härte des Polizeieinsatzes, mit Krankenwagen abtransportiertwerden. Aus der Menge der Jugendlichen flogen Steine gegendie Polizisten, die nun gezielt in die Menge schossen: „Tödlich getroffen,und zwar in den Rücken, wird Philipp Müller, ein Jugendlicher aus München.Mehrere sind verletzt... Die makabere Frage bleibt unklar..., ob derSchuß auf Philipp Müller doppelt gezielt war, auf den Teilnehmer undinsbesondere auf ihn als Mitglied der verbotenen FDJ. Sein Tod wird vonvielen als erster politischer Mord in der BRD... angesehen. Es wird wohlnie mehr möglich sein, dieses zu beweisen oder zu widerlegen.“ (S. 105)Durch Vermittlung von Gustav Heinemann kam es zu einer Aussprachemit dem Staatssekretär des Ministers für Gesamtdeutsche Fragen JakobKaiser, Thedick, bei der dieser erklärte: „Meine Herren, Sie müssennicht glauben, daß wir überzeugt sind, daß Sie kommunistisch gesteuertwerden. Aber wir sind gegen Ihre Aktivitäten und Demonstrationen, undwelches Mittel ist da wirksamer, als Sie in der Öffentlichkeit als kommunistischunterwandert darzustellen.“ (S. 114)Dennoch organisierte Haumann, angetrieben von dem Bekenntnis, „daßich mich schuldig fühle, Hitlers Soldat und Offizier in Rußland gewesen zusein“ (S.116), gemeinsam mit Freunden eine erneute Kundgebung gegendie Wiederbewaffnung Deutschlands in Essen schon am 25. Mai 1952 mit15.000 bis 20.000 Teilnehmern. Eigene Ordner sorgten für einen friedlichenVerlauf, obwohl sich wiederum Provokateure unter den Versammeltenbefanden. Die Bereitschaftspolizei wurde nicht eingesetzt.Arnold Haumann musste die Erfahrung machen, dass die EvangelischeKirche seine Friedensarbeit zuließ und unterstützte, aber sich zu keinereinheitlichen Auffassung bekannte und zu einem nicht unerheblichen Teildie Adenauer-Politik unterstützte. Viele seiner Mitstreiter gaben den gesellschaftlichenWiderständen nach und machten Karriere in der Publizistik,bei den Parteien oder auch in kirchlichen Organisationen.Auf dem von etwa 1.500 Teilnehmern besuchten Völkerkongress in Wienkonnte Arnold Haumann die Idee von der „Wiedervereinigung Deutschlandsin einem von Ost und West unabhängigen Europa mit friedlichenBeziehungen zu allen Nachbarstaaten“ (S. 126) vortragen, die er gemeinsammit seinem Freund Nikolaus Koch erarbeitet hatte. Koch hatte im Jahrezuvor in seinem Buch „Die moderne Revolution“ (Tübingen/Frankfurt1951) beachtenswerte Gedanken zur gewaltfreien Selbsthilfe des deutschenVolkes dargelegt. – Im politischen Alltag musste Haumann erleben,wie Adenauers Politik der Westintegration Ulbricht unterstützte und wiewiederum dessen inflexibler Kommunismus Adenauer half und wie sichdabei die beiden deutschen Staaten immer weiter voneinander entfernten.Haumann, der gemeinsam mit Koch den „Conscientia-Verlag“ betrieb, beteiligtesich am Aufbau der von Gustav Heinemann am 29. November 1952gegründeten „Gesamtdeutschen Volkspartei“, in der sich viele kritischeIndividualisten zusammenfanden. Dabei lernte er Edith Germann kennen,die als Sekretärin in Heinemanns Kanzlei arbeitete; sie wurde vertrauteMitstreiterin und schließlich seine Ehefrau. Als die GVP ein Wahlbündnismit dem „Bund der Deutschen“, der sich jeder Kritik am DDR-Systementhielt, anstrebte, beauftragte das GVP-Präsidium (Gustav Heinemann,Helene Wessel, Diether Posser und Adolf Scheu) Haumann mit der Kontaktaufnahme.Haumann und Koch entwarfen eine Vereinbarung, die eineklare Abgrenzung zu kommunistischen Positionen enthielt. Dennoch wurdevon der CDU immer wieder die Behauptung aufgestellt: „Die GVP wird vomOsten bezahlt.“ Die Partei wollte Europa zu einer Brücke zwischen Ost undWest machen, strebte ein unabhängiges freies Gesamtdeutschland anund propagierte eine aktive Friedensarbeit. Trotz einiger Achtungserfolgefür Heinemann, Wessel, Erhard Eppler und Posser erhielt das Wahlbündnisnur etwa ein Prozent der Stimmen, dennoch waren die Protagonisten zurWeiterarbeit bereit. Haumann und Koch gründeten zusammen mit MariaEberhard in Witten-Bommern eine „Beratungsstelle für Friedensdienst e.V.“, die bei Fortbestand der Aufrüstungspolitik nun das im Grundgesetzverbürgte Recht auf Kriegsdienstverweigerung fördern wollte.Im Frühjahr 1955 übernahm Arnold Haumann das Amt eines Generalsekretärsder GVP; nun erst wurde er auch Mitglied der Partei. Obwohldie GVP bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen in einigenKommunen stärkste Kraft werden konnte, wurde im Landesdurchschnittwiederum die Fünf-Prozent-Marke nicht erreicht. Beim rheinland-pfälzischenLandtagswahlkampf des Jahres 1955 kam es in der Pfalz zu einemWahlbündnis der GVP mit der SPD und zu gemeinsamen Wahlkampfauftrittenvon Ollenhauer und Heinemann. Der CDU-LandtagsabgeordneteDr. Ecarius warb mit der Parole „Gustav Heinemann wird von Moskaubezahlt.“ Haumann konnte gerichtlich veranlassen, dass Ecarius seineBehauptung widerrufen musste. Trotz intensiver Bemühungen, gelang esHaumann aber nicht, größere Geldbeträge zur Finanzierung der Partei einzuwerben.Im Vorfeld der Bundestagswahl 1957 sondierte Haumann fürdie GVP ein Zusammengehen mit der SPD; dabei machte er die Erfahrung,dass sich vor allem Herbert Wehner und Fritz Erler mit der Aufrüstung undder NATO-Mitgliedschaft arrangiert hatten. Die Mehrheit der GVP-Mitgliederstimmte für eine Auflösung der Partei und einen Eintritt in die SPD,rechtzeitig vor der Bundestagswahl 1957, so dass Gustav Heinemann,
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