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Ein Fürstbischof mit großer Demut im Herzen<br />
Vor genau 100 Jahren wurde der gebürtige Roppner Johannes Raffl zum Oberhirten der Diözese Brixen geweiht<br />
Vor genau 100 Jahren, nämlich am 28. April 1921, wurde der aus<br />
Roppen gebürtige Geistliche Johannes Raffl völlig überraschend<br />
durch den damaligen Papst Benedikt XV. zum Oberhirten der Diözese<br />
Brixen ernannt und am 23. Juni im Brixner Dom inthronisiert.<br />
Für den Roppner Pfarrer Johannes Laichner Grund genug,<br />
Umstände und Zeit der Bestellung des letzten gemeinsamen Fürstbischofs<br />
von Tirol, Südtirol und Vorarlberg näher zu beleuchten.<br />
Von Gebi G. Schnöll<br />
Glaubt man den Zeitungsberichten<br />
jener Tage, so wurde Johannes<br />
Raffls Ernennung im ganzen Bristum<br />
mit großer Freude aufgenommen<br />
– auch deshalb, weil der Bixner<br />
Bischofsstuhl seit drei Jahren vakant<br />
gewesen war. Man lobte Raffls Demut<br />
und sprach von einer „bezwingenden<br />
Liebenswürdigkeit“ des neuen<br />
Oberhirten. Zugleich war sich die<br />
Öffentlichkeit auch der Bürde dieses<br />
Bischofsamtes bewusst, besonders in<br />
diesen schwierigen Zeiten mitten im<br />
Wiederaufbau nach einem verheerenden<br />
Weltkrieg. „Der lange Krieg<br />
hatte das christliche Kultur- und<br />
Geistesleben verwüstet. Vieles, was<br />
im christlichen Sittengesetz bisher<br />
selbstverständlich verankert war, lag<br />
nun sprichwörtlich in Trümmern.<br />
Hinzu kam der Schmerz über die<br />
Trennung des Landes am Brennerpass.<br />
Durch die Entmachtung der<br />
früheren politischen Akteure nach<br />
der Annexion 1919 verblieb die<br />
Kirche als wohl letzte bedeutende<br />
Trägerin des Tiroler Landesbewusstseins.<br />
Die Kirche sah sich in den<br />
folgenden Jahren gedrängt, für die<br />
Rechte der benachteiligten Bevölkerung<br />
einzutreten und besonders die<br />
Deutsch und Ladinisch sprechenden<br />
Südtiroler vor den zunehmenden<br />
Repressionen der faschistischen Regierung<br />
in Schutz zu nehmen“, erklärt<br />
der Roppner Pfarrer Johannes<br />
Laichner.<br />
AMTSANTRITT. Raffls Amtsantritt<br />
fiel aber nicht nur in die<br />
bewegte Zeit der Neuordnung aller<br />
staatlichen Angelegenheiten<br />
durch den Friedensvertrag von St.<br />
Germain und der willkürlich aufgezwungenen<br />
und zutiefst schmerzhaften<br />
Spaltung Tirols und seiner<br />
Bevölkerung, sondern war auch<br />
geprägt vom Ende einer mehr als<br />
1000-jährigen Geschichte eines Bistums.<br />
Hatten seine Vorgänger bei ihrer<br />
Inthronisation noch ein riesiges<br />
Diözesangebiet übernommen und<br />
reichte ihre bischöfliche Jurisdiktion<br />
vom Bodensee bis zum Zillerfluss,<br />
von Reutte bis Ampezzo und vom<br />
Achensee bis in den Obervinschgau,<br />
Sanft und demütig im Herzen: Fürstbischof<br />
Raffl.<br />
so sah sich Raffl infolge der Abtrennung<br />
von Österreich mit dem<br />
allmählichen Verlust von drei Viertel<br />
des ursprünglichen Diözesangebietes<br />
konfrontiert. Zwar sollten die<br />
Verbindungen zwischen Innsbruck-<br />
Feldkirch und Brixen bis 1925 eng<br />
bleiben, trotzdem war schon 1921<br />
absehbar, dass sich die in Österreich<br />
verbliebenen Diözesangebiete in<br />
wenigen Jahren zu einem selbstständigen<br />
kirchlichen Verwaltungssprengel<br />
entwickeln würden.<br />
Bischof Johannes Raffl (vorne Mitte) 1923 in Roppen, als die Glocke geweiht wurde.<br />
Fotos: Pfarre Roppen<br />
ERFAHRUNG FÜRS BI-<br />
SCHOFSAMT. Wohl auch in<br />
Reaktion auf die Neuordnung der<br />
Staatsgrenzen und der daraus resultierenden<br />
Schwierigkeiten einer<br />
länderübergreifenden Seelsorge<br />
übertrug Papst Benedikt XV. dem<br />
bisherigen Generalvikar von Vorarlberg,<br />
Sigmund Waitz, mit dem<br />
Dekret vom 9. April 1921 die geistliche<br />
Amtsgewalt für den österreichischen<br />
Teil der Diözese Brixen,<br />
aber immer noch in Unterordnung<br />
zu Fürstbischof Johannes Raffl, der<br />
nur drei Wochen später sein neues<br />
Hirtenamt annehmen sollte. Im Unterschied<br />
zu den Vorgängern im Bischofsamt<br />
war Raffl weder Domherr<br />
noch Theologieprofessor gewesen.<br />
Trotz seiner demütigen Selbsteinschätzung<br />
brachte er aber dennoch<br />
genügend Erfahrung mit ins Bischofsamt,<br />
vom Präfektendienst im<br />
Vinzentinum über die Pfarrseelsorge<br />
in Jenbach, Mieming und Oberhofen<br />
zum diözesanen Kanzlei- und<br />
Wirtschaftsressort, dabei der ständige<br />
Haus- und Tischgenosse mehrerer<br />
Fürstbischöfe und als solcher<br />
in alle Einzelheiten der episkopalen<br />
Geschäfte und Angelegenheiten eingeweiht,<br />
von der Seelsorge niemals<br />
losgelöst, weder vom Beichtstuhl<br />
noch vom katholischen Vereinsleben.<br />
„In der öffentlichen Wahrnehmung<br />
galt Raffl daher von Anfang<br />
an als ein Mann aus dem Volk, ganz<br />
nach dem Wunsch vieler Gläubigen.<br />
Bis zu seinem allzu frühen Ableben<br />
1927 war seine Amtszeit von großen<br />
politischen und kirchlichen Veränderungen<br />
geprägt“, weiß Pfarrer<br />
Laichner. Die Annexion Südtirols<br />
durch Italien führte 1925 zur Teilung<br />
der Diözese Brixen und längerfristig<br />
zur Errichtung der Diözesen Bozen-<br />
Brixen, Innsbruck und Feldkirch.<br />
Trotz dieser schmerzhaften Teilung<br />
der Diözese oder gerade auch deshalb<br />
suchte Fürstbischof Johannes<br />
nach 1925 noch intensiver die Nähe<br />
zum gläubigen Volk. Er blieb im<br />
Grunde der eifrige Landpfarrer, der<br />
sich als guter Hirte um die ihm Anvertrauten<br />
kümmerte.<br />
ZEITNAH UND GÜTIG. Er<br />
galt zeitlebens als volksnaher und<br />
gütiger Oberhirte. Seine Predigten<br />
und Katechesen waren wortgewaltig<br />
und prophetisch zugleich. Seine<br />
Analysen wirken zeitlos aktuell. Raffl<br />
beklagt grundsätzlich den Glaubensabfall<br />
seiner Zeit. Die Auswirkungen<br />
dieser Entwicklung treffen die Gesellschaft<br />
im Kern. Familien und<br />
Ehen zerbrechen an den Folgen der<br />
sich ausbreitenden Sittenlosigkeit,<br />
die Gottvergessenheit bedroht die<br />
Würde der Frau und den Schutz des<br />
ungeborenen Lebens. Mag Raffls<br />
Predigt heute für einige Ohren restaurativ<br />
und antiliberal klingen, so<br />
wies er doch mutig auf Missstände<br />
hin und verurteilte zurecht menschenverachtende<br />
Zustände. Für<br />
den Fürstbischof stand fest: Die Abkehr<br />
von Christus, und damit von<br />
der letzten Wahrheit, bedeutet am<br />
Ende auch die Abkehr von einer<br />
humanen und freien Gesellschaft.<br />
Wahrheit muss es geben. Sie stellt<br />
auch keine Bedrohung der Freiheit<br />
dar, sondern ermöglicht sie erst.<br />
Gefährlich sind vielmehr der wachsende<br />
Individualismus und der Relativismus,<br />
die auf Wahrheit verzichten<br />
und zu keinem erfüllten Leben<br />
führen. „Im Blick auf Christus, der<br />
ewigen Wahrheit schlechthin, kann<br />
uns ein Leitwort von Fürstbischof<br />
Johannes Raffl auch heute in diesen<br />
bedrängten und mitunter verwirrenden<br />
Zeiten Hoffnung und Mut<br />
schenken: Verzagt nicht, jede Zeit<br />
hat ihre Schwierigkeiten“, schließt<br />
Pfarrer Johannes Laichner ab.<br />
Pfarrer Johannes Laichner stammt aus<br />
Telfs. Er betreut im Seelsorgeraum Inntal<br />
auch die Pfarre Roppen. Dort taufte<br />
er nun den Widum-Vorplatz zum „Fürstbischof-Johannes-Raffl-Platz“.<br />
RUNDSCHAU Seite 20 28./29. April 2021