doktorinwien 2022/03
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COVERSTORY AM PULS<br />
Foto: Shendart/iStock<br />
► Die Ärztekammer sieht einen<br />
dringenden Bedarf für eine Verbesserung<br />
und Modernisierung der<br />
Medikamentenversorgung in Österreich.<br />
Im Februar <strong>2022</strong> sind diesbezüglich<br />
zwei große Kampagnen angelaufen: Die<br />
Ärztekammer für Wien mobilisiert für<br />
die Abgabe von Arzneimitteln direkt bei<br />
den niedergelassenen Ärztinnen und<br />
Ärzten, während die Österreichische<br />
Ärztekammer auf die gefährliche Entwicklung<br />
aufmerksam macht, die die<br />
von Rechnungshof und Gesundheitsminister<br />
Wolfgang Mückstein aufs Tapet<br />
gebrachte Wirkstoffverschreibung bringen<br />
könnte.<br />
Dispensierrecht in der Praxis<br />
„Für die beste, schnellstmögliche, diskrete,<br />
sichere und nahe Versorgung<br />
unserer Patientinnen und Patienten<br />
mit den für ihre Gesundheit nötigen<br />
Medikamenten fordern wir die direkte<br />
Abgabe von Medikamenten durch Ärztinnen<br />
und Ärzte in Österreich“, betonte<br />
Johannes Steinhart, Vizepräsident der<br />
Österreichischen und Wiener Ärztekammer<br />
sowie Obmann der Kurie niedergelassene<br />
Ärzte, anlässlich des Starts<br />
der Informationskampagne „Medikamentenabgabe<br />
in Ordinationen“.<br />
Die Ärztekammer will damit eine zusätzliche<br />
Schiene für die Arzneimittelversorgung<br />
der österreichischen Bevölkerung<br />
legen. Viele Gründe sprechen für<br />
ein neues „duales System“, als kundenfreundliches<br />
Neben- und Miteinander<br />
von öffentlichen Apotheken und der direkten<br />
ärztlichen Medikamentenabgabe<br />
an die Patientinnen und Patienten.<br />
Alle niedergelassenen Ärztinnen und<br />
Ärzte – egal, ob mit oder ohne Kassenvertrag<br />
– sollen das gesetzlich verbriefte<br />
Recht, das sogenannte Dispensierrecht,<br />
zur direkten Abgabe apotheken- und<br />
verschreibungspflichtiger Arzneimittel<br />
in ihren Ordinationen erhalten. „Wir<br />
sehen das als sinnvolle Ergänzung und<br />
nicht als Konkurrenz zu den öffentlichen<br />
Apotheken“, so Steinhart.<br />
Ein zentrales Argument für das Dispensierrecht<br />
für Ordinationen ist, dass es zu<br />
einer besonders patientenfreundlichen<br />
Abgabeform führt. Kranken Menschen<br />
und ihren Angehörigen werden damit<br />
oft lange Wege bis zur nächsten<br />
diensthabenden Apotheke erspart.<br />
„Die direkte Abgabe von Medikamenten<br />
in Ordinationen wäre ein Vorteil<br />
vor allem, aber nicht nur, für immobile<br />
Menschen, chronisch Kranke oder Eltern<br />
mit kleinen Kindern“, so Naghme<br />
Kamaleyan-Schmied, Obfrau der Sektion<br />
Allgemeinmedizin der Ärztekammer<br />
für Wien und niedergelassene Kassenärztin<br />
in Wien. Das erspare unnötige<br />
Wege und schütze andere Menschen vor<br />
Ansteckung. Auch angesichts der demografischen<br />
Entwicklung und einer steigenden<br />
Zahl älterer Patientinnen und<br />
Patienten gewinne die direkte Medikamentenabgabe<br />
beim Arzt- oder Hausbesuch<br />
an Bedeutung.<br />
Belastung für Ältere und Kranke<br />
Speziell im städtischen Bereich ist es für<br />
kranke, ältere oder immobile Menschen<br />
oft eine fast unüberwindbare Herausforderung,<br />
nach dem Ordinationsbesuch<br />
noch einmal in die Straßenbahn,<br />
den Bus oder die U-Bahn zu steigen,<br />
um etliche Straßenzüge weit entfernt<br />
eine Apotheke zu finden. „Aber auch<br />
wenn eine Apotheke vielleicht nur wenige<br />
Gassen entfernt von der Ordination<br />
liegt, ist der Weg dorthin für Menschen,<br />
die sich zum Beispiel nur mehr mit<br />
einem Rollator oder anderen Gehhilfen<br />
fortbewegen können, eine kaum mehr<br />
bewältigbare Belastung“, betont Kamaleyan-Schmied,<br />
die auch darauf hinweist,<br />
dass im ländlichen Bereich unnötige<br />
Fahrten mit dem Pkw wegfielen<br />
– „ein Argument, dass gerade in Zeiten<br />
der Diskussion um Klimaerwärmung eine<br />
zunehmende Rolle spielt“.<br />
Best Point of Service<br />
Die Medikamentenversorgung durch<br />
Ärztinnen und Ärzte ist eine Realisierung<br />
des Konzepts „Best Point of Service“,<br />
denn, so Steinhart: „Nicht nur<br />
Aufklärung, Information und Beratung<br />
über die medikamentöse Therapie,<br />
sondern auch die Abgabe erfolgt dann<br />
aus einer kompetenten Hand.“ Dies<br />
liege nicht nur im Interesse des Patientenkomforts,<br />
sondern könne auch die<br />
Therapietreue durch die Stärkung der<br />
Arzt-Patienten-Beziehung wesentlich<br />
unterstützen. Für die beste Patientensicherheit<br />
sei es daher optimal, wenn<br />
Patientinnen und Patienten ihre Medikamente<br />
direkt in der Ordination erhielten.<br />
Zudem könnten dadurch, etwa<br />
bei Grippewellen, unnötige Infektionen<br />
vermieden werden, und es sei ein wesentlicher<br />
Beitrag dafür, bei einer möglichen<br />
weiteren COVID-19-Welle die<br />
Infektionskurve flacher zu halten.<br />
„Die direkte<br />
Abgabe von<br />
Medikamenten<br />
in<br />
Ordinationen<br />
wäre<br />
ein Vorteil<br />
vor allem,<br />
aber nicht<br />
nur, für<br />
immobile<br />
Menschen,<br />
chronisch<br />
Kranke oder<br />
Eltern mit<br />
kleinen Kindern.“<br />
Absolute Diskretion<br />
Aus ihrem Ordinationsalltag berichtet<br />
Kamaleyan-Schmied, dass viele Patientinnen<br />
und Patienten Medikamentenverschreibungen<br />
bei für sie als tabuisiert<br />
erlebten Krankheiten in weit entfernten<br />
Apotheken einlösen, um nicht vom<br />
Apothekenpersonal oder anderen Kunden<br />
erkannt zu werden: „Die Medikamentenabgabe<br />
durch verschreibende<br />
Ärztinnen und Ärzte würde diesem<br />
Diskretionsbedürfnis entsprechen, da<br />
Ärztinnen und Ärzte mit ihren Patientinnen<br />
und Patienten allein im Behandlungszimmer<br />
sind und intime Details<br />
dort ohne Zuhörer besprochen werden<br />
können.“<br />
In der Apotheke hören viele Ohren mit.<br />
„Nur Hausärztinnen und Hausärzte<br />
bürgen für absolute Diskretion. Ich<br />
persönlich möchte nicht, dass die Menschen<br />
in der Apotheke in der Schlange<br />
hinter mir erfahren, welche Medikamente<br />
ich nehme oder welche Krankheit<br />
ich habe“, so Kamaleyan-Schmied.<br />
Höhere Therapietreue<br />
Die direkte ärztliche Medikamentenabgabe<br />
ist in zahlreichen Staaten global gelebte<br />
Praxis. Ein Beispiel ist die Schweiz,<br />
wo in der Mehrheit der Kantone die<br />
direkte Medikamentenabgabe in Ordinationen<br />
erlaubt ist. Hier berichten<br />
Ärztinnen und Ärzte, dass in den Kantonen,<br />
wo die uneingeschränkte Arzneimittelabgabe<br />
in Ordinationen gestattet<br />
ist, eine höhere Therapietreue der Patientinnen<br />
und Patienten sowie eine bessere<br />
Kontrolle bei Dauermedikationen<br />
erreicht wurde.<br />
Auch in den Niederlanden existiert seit<br />
jeher die Selbstdispensation, ebenso in<br />
Liechtenstein, wo alle Ordinationen das<br />
uneingeschränkte Recht haben, ihren<br />
Patientinnen und Patienten Medikamente<br />
direkt abzugeben. In den USA<br />
gibt es nur mehr in den wenigsten Bundesstaaten<br />
ein absolutes Verbot der direkten<br />
ärztliche Medikamentenabgabe.<br />
Unterstützung der Bevölkerung<br />
Die Forderung der Ärzteschaft nach der<br />
Medikamentenabgabe in Ordinationen<br />
wird auch von der Mehrheit der Österreicherinnen<br />
und Österreicher unterstützt.<br />
Die Ergebnisse einer aktuellen<br />
Umfrage des Hajek Instituts sprechen<br />
für sich:<br />
•68 Prozent der Befragten, also mehr<br />
als zwei Drittel, stimmen der Aussa-<br />
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