doktorinwien 2022/03
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INTERN NEWS<br />
Prävention<br />
Sprechen wir über Suizid<br />
Der Umgang mit Suizidalität ist keinesfalls auf Psychiatrie und Notfallmedizin beschränkt, sondern<br />
betrifft in der klinischen Praxis alle Fachbereiche. Besonders betont werden muss, dass sich die gesellschaftliche<br />
Einstellung zum Suizid in den letzten Jahren geändert hat.<br />
Von Renate Heinz und Kurt Stastka<br />
► Gesellschaftsrelevantes<br />
Thema<br />
Suizidale Ideen haben viele Menschen,<br />
aber die wenigsten sprechen<br />
darüber und nur wenige benötigen<br />
eine stationäre Krisenintervention.<br />
Das Reagieren auf versteckte Ankündigungen<br />
erfordert zunächst Einfühlungsvermögen<br />
und Offenheit – auch<br />
im privaten Umfeld. Die Angst, etwas<br />
falsch zu machen, kann die realistische<br />
Einschätzung einer möglichen Gefährdung<br />
Betroffener behindern. Das<br />
Internet – heute oft erster Ansprechpartner<br />
für Patientinnen, Patienten,<br />
Ärztinnen und Ärzte – bietet neben<br />
zahlreichen akzeptablen Informationen<br />
auch zahllose Möglichkeiten, die<br />
als hochgradig problematisch zu werten<br />
sind. Die Kenntnis der Faktoren,<br />
die Suizid begünstigen (siehe Tabelle<br />
rechts oben) und der Interventionen,<br />
die präventiv wirken (siehe Tabelle<br />
rechts unten) sind hilfreich. Die Entscheidung,<br />
sich das Leben zu nehmen,<br />
ist ein komplexer Prozess, der auch gesellschaftlichen<br />
Einflüssen unterliegt.<br />
Der vollendete Suizid überrascht dann<br />
doch oft Angehörige und Freunde.<br />
Komplizierte Trauerreaktionen und<br />
Schuldgefühle bei den Hinterbliebenen<br />
können die Folge sein.<br />
Medizinisches Thema<br />
Die noch immer relevante Stigmatisierung<br />
psychischer Erkrankungen in unserer<br />
Gesellschaft verhindert oft frühe<br />
Hilfe. Dies gilt auch und besonders<br />
für Menschen, die in Gesundheitsberufen<br />
arbeiten. Ärzte und noch mehr<br />
Ärztinnen sind besonders gefährdet.<br />
In den USA nimmt sich täglich ein<br />
Mediziner das Leben. Permanente<br />
physische und psychische Überforderung<br />
im Beruf – und oft auch als Folge<br />
eines Burnouts – im Privatleben, for-<br />
Faktoren, die das Suizidrisiko erhöhen<br />
Alter<br />
Soziale Faktoren<br />
Isolation, Diskriminierung<br />
Weltanschauliche Strömungen<br />
Psychische Belastungen durch<br />
Konsum von Suchtmitteln<br />
Krankheiten mit Suizidrisiko<br />
Relevante Zusatzfaktoren<br />
•Gesellschaftliche Exklusion<br />
durch Stigmatisierung<br />
• Therapieversagen<br />
• Drehtürmedizin ohne<br />
Möglichkeit einer adäquaten<br />
häuslichen Versorgung<br />
Nutzlosigkeit, Sinnlosigkeit und Leere können in jedem Lebensalter<br />
auftreten. Die höchste Suizidrate wird bei alleinstehenden<br />
Männern >80 beobachtet<br />
Fehlende Beziehungen, übermäßiger Medienkonsum (Internet)<br />
Einsamkeit, Gefängnisaufenthalte, Mobbing, Gruppenselbstmord,<br />
Terrorismus<br />
Arbeitsdruck, fehlende Erfolgserlebnisse<br />
Verlusterlebnisse: Arbeitslosigkeit, Trennungen, Krisen<br />
Alkohol, Medikamente, Drogen<br />
Psychiatrische Erkrankungen: Suizidale Einengung nach Diagnose<br />
und Therapiebeginn, wiederholte stationäre Aufenthalte<br />
Hauterkrankungen, Chronische Krankheiten, die mit einer permanenten<br />
Abnahme der Lebensqualität einhergehen: z.B. in der<br />
Neurologie, Onkologie, selten auch bei geheilten Patientinnen<br />
und Patienten (Nachsorge), fehlende ambulante Strukturen zur<br />
Weiterversorgung<br />
Pflegenotstand, Palliativmedizin<br />
Interventionen, die präventiv wirken<br />
Wer ein Warum zu leben hat, erträgt auch jedes Wie. (Viktor Frankl)<br />
Suizid und Suizidprävention SUPRA (sozialministerium.at)<br />
Fakten statt Mythen<br />
Mythen und Fakten – IFSG<br />
Stabile Beziehungen aufbauen<br />
Fachärztliche Hilfe in Anspruch nehmen<br />
Kontrolle des Konsums von Internet,<br />
Suchtmittel usw.<br />
Konsum von Suchtmittel Diagnostik und<br />
Therapie zugrundeliegender Krankheiten<br />
Differenzierte Medienberichterstattung<br />
Die Suizidgefahr wird durch das Ansprechen auf<br />
Suizidalität nicht verstärkt, meist wirken Gespräche<br />
entlastend<br />
Hilft, stationäre Aufnahmen zu vermeiden<br />
Soziales Netz auch jenseits der Krisenintervention<br />
neu knüpfen oder ausbauen<br />
Sozialer Rückzug? Problematische Kontakte<br />
Achtung: Depressionen kommen auch im Verlauf<br />
nicht psychiatrischer Krankheiten vor.<br />
Werthereffekt: Verhinderung von<br />
Nachfolgeselbstmorden<br />
Papagenoeffekt: gezielte Berichterstattung,<br />
um präventiv zu wirken<br />
Fotos: Srdjanns74/iStock<br />
16 doktor in wien <strong>03</strong>_<strong>2022</strong>