doktorinwien 2022/03
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BRIEF DES KURIENOBMANNS IN EIGENER SACHE<br />
Sehr geehrte Kollegin! Sehr geehrter Kollege!<br />
Bitte gehen Sie wählen!<br />
Foto: AEK Wien<br />
„Immer mehr<br />
Gesundheitsberufe drängen mit<br />
ihren Forderungen in die<br />
Öffentlichkeit und lobbyieren<br />
gegenüber der Politik, der<br />
Verteilungskampf wird also an<br />
Schärfe zulegen.“<br />
Weitere standespolitische Themen ab Seite 9.<br />
► Ich nütze diesen Brief für einen Aufruf: Bitte machen Sie von Ihrem Wahlrecht im<br />
Rahmen der aktuell stattfindenden Ärztekammerwahl Gebrauch! Wir alle brauchen<br />
eine starke und gut legitimierte Standesvertretung mit politischem Gewicht, und dabei ist<br />
auch jede Stimme von Bedeutung. Das gilt natürlich grundsätzlich immer, aber in Zeiten der<br />
Corona-Pandemie und der großen sonstigen politischen Herausforderungen, die vor uns<br />
liegen, ganz besonders. Denn es steht wohl außer Zweifel, dass die kommenden Jahre für uns<br />
Ärztinnen und Ärzte alles andere als einfach sein werden.<br />
Immer mehr Gesundheitsberufe drängen mit ihren Forderungen in die Öffentlichkeit und<br />
lobbyieren gegenüber der Politik, der Verteilungskampf wird also an Schärfe zulegen.<br />
Staat und Regierung werden sich die Euro-Milliarden an Steuergeld, die sie im Zuge der Pandemie<br />
ausgegeben haben, zurückholen wollen. Und wir werden dagegen auftreten und dafür<br />
kämpfen müssen, dass das nicht auf dem Rücken der Gesundheitsversorgung im Allgemeinen<br />
und von uns Ärztinnen und Ärzten im Besonderen geschieht.<br />
Eine politisch abhängige und bewegungsunfähige Österreichische Gesundheitskasse, die<br />
ständig über Geldmangel und Defizite klagt, lässt bei jeder Gelegenheit ihren Sparwillen<br />
erkennen und fantasiert öffentlich von angeblich astronomischen Ärztehonoraren. Das lässt<br />
einiges befürchten. Sie wird wohl auf dem für die Versorgung hochproblematischen „Kostendämpfungspfad“<br />
hurtig weitereilen. Unter anderem, um die Zusatzkosten der „Kassenreform“<br />
wieder hereinzuspielen.<br />
Politische Gängelungsabsichten, bürokratische Kontrollwut und gewinnorientierte Privatisierungsabsichten<br />
werden uns weiter zusetzen, den Beruf erschweren und unsere Freiheiten<br />
einschränken. Ganz allgemein sehe ich die ärztliche Freiberuflichkeit, die ich für ein besonders<br />
hohes und schützenswertes Gut halte, schwer bedroht. Es darf nicht sein, dass wir von<br />
Nichtmedizinern vorgeschrieben bekommen, wie wir wann zu diagnostizieren und zu therapieren<br />
haben. Wir dürfen uns nicht zu Vollstreckenden einer bürokratisch oder betriebswirtschaftlich<br />
motivierten „Kochbuchmedizin“ degradieren lassen, die uninspiriert und ohne<br />
Ansehen individueller Patientenbedürfnisse Leitlinien anwenden. Ärztliche Freiberuflichkeit<br />
sieht völlig zu Recht eine evidenzbasierte Behandlungsfreiheit vor, und nicht das sture Umsetzen<br />
von irgendwelchen Direktiven.<br />
Gemeinsames über Trennendes stellen<br />
Es gibt also keinen Mangel an aktuellen und künftigen Herausforderungen, und wir<br />
müssen diese gemeinsam bestmöglich im Interesse der Ärztinnen und Ärzte meistern.<br />
Dabei hilft auch ein möglichst geschlossenes Auftreten, das Gemeinsames über Trennendes<br />
stellt. Das Bild, dass einige Ärztinnen und Ärzte im Laufe der Corona-Krise<br />
öffentlich geboten haben, war alles andere als optimal, von zum Teil unentschuldbar<br />
drastischen Anschuldigungen und Vorwürfen geprägt, und nicht zuletzt dazu angetan,<br />
das Vertrauen unserer Patientinnen und Patienten zu erschüttern. Wer unbestreitbare<br />
wissenschaftliche Erkenntnisse leugnet und impfende Ärztinnen und Ärzte als „Mörder“<br />
bezeichnet, beschädigt unser Ansehen. Deshalb mein Appell: Mäßigen wir uns bei<br />
Worten und Taten, führen wir sachliche und kollegiale Diskussionen, und zerstören wir<br />
auf keinen Fall unser Gesprächsklima. Denn auch das würde unser politisches Gewicht<br />
schwächen.<br />
Aus all diesen und vielen weiteren Gründen: Bitte gehen Sie wählen!<br />
Mit besten Grüßen,<br />
Johannes Steinhart<br />
<strong>03</strong>_<strong>2022</strong> doktor in wien 5