vsao Journal Nr. 3 - Juni 2022
Underground - Ratten, Tunnel, Dunkelmänner Politik - Arbeitsbedingungen: Etappenziele erreicht Gynäkologie - Infektionen in der Schwangerschaft Urologie - Metabolische Abklärung von Nierensteinen
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Politik<br />
Ändert die Widerspruchslösung<br />
etwas?<br />
Bild: zvg<br />
Am 15. Mai hat das Stimmvolk das revidierte Transplantationsgesetz<br />
angenommen. Neu soll die Ablehnung<br />
einer Spende zu Lebzeiten festgehalten werden.<br />
Liegt kein dokumentierter Wille vor, geht man<br />
grundsätzlich von einer Zustimmung aus.<br />
Im Vorfeld der Abstimmung haben die Gegner diesen<br />
Paradigmenwechsel scharf kritisiert. Die Angehörigen werden<br />
aber auch bei der neuen Regelung immer miteinbezogen,<br />
um den mutmasslichen Willen zu eruieren, und können unter<br />
dessen Berücksichtigung eine Spende weiterhin ablehnen.<br />
Gibt es keinen dokumentierten Willen und keine Angehörigen,<br />
die man fragen kann, ist eine Organentnahme nach<br />
wie vor nicht erlaubt. Im Vergleich zur bisherigen<br />
Praxis ändert sich faktisch also kaum<br />
etwas. Ziel bleibt, dem Willen der verstorbenen<br />
Person zu entsprechen.<br />
Die Gesetzesänderung ist demnach<br />
nicht bahnbrechend. Aber wie<br />
so oft hat eine Volksinitiative einen<br />
indirekten Gegenvorschlag bewirkt<br />
und dieser wiederum ein Referendum<br />
nach sich gezogen. Das hoffentlich<br />
zu einem breiten Diskurs<br />
über ein bisher wenig diskutiertes<br />
Thema in der Schweizer Bevölkerung<br />
führt. Die entscheidende Frage<br />
ist also nicht, ob Sie Ja oder Nein gestimmt,<br />
sondern aufgrund des Urnengangs<br />
für sich selbst eine Antwort gefunden<br />
und darüber gesprochen haben.<br />
Sind sich ihre liebsten und wichtigsten Menschen<br />
im engen Umfeld im Klaren darüber, dass Sie Ihre<br />
Organe spenden würden?<br />
Oder haben Sie mit ihnen darüber gesprochen, dass Sie das<br />
nicht tun möchten?<br />
Wissen Sie, ob Ihre Angehörigen eine Organspende befürworten?<br />
Für mich als (Intensiv-)Medizinerin ist es eine gewisse<br />
Selbstverständlichkeit, meine Organe nicht mit ins Grab zu<br />
nehmen – so selbstverständlich, dass ich es lange versäumt<br />
habe, meine Eltern, meine Geschwister und meinen Freund<br />
nach ihrer Haltung zu fragen. Das haben diese Abstimmung und<br />
dieser Artikel geändert … und ich wurde von meinen Nächsten<br />
in vielerlei Hinsicht überrascht.<br />
Für meine Mutter nämlich sollte der Sterbeprozess möglichst<br />
ungestört ablaufen. Entgegen meiner Annahme lehnt sie<br />
eine Organentnahme ab, weil sie befürchtet, dass damit etwas<br />
Entscheidendes verloren gehen und die letzte Ruhe gestört<br />
werden könnte.<br />
Auf den<br />
Punkt<br />
gebracht<br />
Mein Freund steht der Organspende ebenfalls skeptisch<br />
gegenüber. Er wünscht sich einen offeneren Umgang mit dem<br />
Sterben und der Endlichkeit des Lebens. Als Ziel sieht er nicht<br />
das Überleben mit einem fremden Organ, sondern die Vergänglichkeit<br />
des eigenen Seins anzunehmen. Er kritisiert sowohl<br />
unsere Gesellschaft als auch die Schulmedizin für die immer<br />
weitere Verschiebung der Machbarkeitsgrenze.<br />
Meine Stiefmutter lehnt eine Organspende entschieden<br />
ab und möchte selbst auch keinesfalls ein fremdes Organ<br />
bekommen.<br />
Mein Vater hingegen würde spenden. Nur stört ihn<br />
am Paradigmenwechsel, dass der Bürger jetzt<br />
gegenüber dem Staat sein Recht einfordern<br />
muss. Besser wäre für ihn das Prinzip<br />
Selbstverantwortung: Wer kein Organ<br />
spenden will, soll auch keines erhalten.<br />
Das findet er konsequent.<br />
Mein Stiefvater und meine<br />
Brüder schliesslich wären grundsätzlich<br />
bereit, ihre Organe zu<br />
spenden, haben sich aber bisher<br />
kaum damit auseinandergesetzt.<br />
So spiegelt sich in meinem<br />
engsten Familienkreis das ganze<br />
Spektrum der Diskussion. Einen<br />
Organspendeausweis hat jedoch<br />
in unserer Familie bisher niemand<br />
ausser ich. Und genau das ist das<br />
Problem der Transplantationsmedizin<br />
und bleibt es weiterhin, wenn wir nicht über<br />
Organspenden sprechen und unseren Willen<br />
nirgendwo festhalten.<br />
Das wird sich nach dieser Abstimmung vielleicht ändern.<br />
Es fragt sich allerdings, wie lange der Effekt anhält.<br />
Nora Bienz,<br />
Vizepräsidentin <strong>vsao</strong><br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 2/22 3/22 13