baby&co 01/2023

„Das Wichtige an Erzählungen ist, dass
Menschen nicht ohne sie leben können.“
So hat es der bedeutende amerikanische
Medienforscher Neil Postman formuliert
– und bis heute recht behalten: Inzwischen
hat sich flächendeckend die Erkenntnis
durchgesetzt, dass Geschichten eine wichtige
Funktion für unsere Persönlichkeitsentwicklung
haben und dass man gar
nicht früh genug mit der Leseförderung
beginnen kann.
FRÜH ÜBT SICH …
Da war zum Beispiel das Projekt „LOSlesen“,
das von Bibliotheken im Raum
Osnabrück ins Leben gerufen und von
der dortigen Universität wissenschaftlich
begleitet wurde. Schon Kinder ab
einem Jahr trafen sich dabei zu wöchentlichen
„Bücherbaby-Treffs“, um
den Spaß am Umgang mit Büchern zu
entdecken. Dabei ging es natürlich,
entsprechend dem Alter der Kinder,
um das Befühlen der Bücher und ums
Daran-Herumknabbern. So vollziehen
sie im besten Sinne die Erkenntnis des
Philosophen Rousseau nach, der schon
im 18. Jahrhundert sagte: „Unsere ersten
Lehrer sind unsere Augen und unsere
Hände.“ Und unsere zahn losen Münder,
könnte man an dieser Stelle hinzufügen.
Hinter dem Osnabrücker Projekt steht
– wie eigentlich bei allen aktuellen Forschungen
zum Thema Lesen – die Vermutung,
der beste Start für die spätere
eigene Lese-Karriere sei, schon im Babyund
Kleinkindalter mit dem Medium
Buch vertraut zu werden. Und ein ganz
elementarer Baustein ist dabei natürlich
vorgelesen zu bekommen.
Was Eltern längst vermuten, ist inzwischen
also auch durch wissenschaftliche
Studien bestätigt: Frühes Vorlesen sorgt
dafür, dass wir Bücher auch später
als positiv, interessant und spannend
wahrnehmen. Dennoch könnte man
annehmen, dass die Osnabrücker Babys
die angebotenen Bücher einfach
nur als ein weiteres Spielzeug gedeutet
und nicht von Bauklötzen, Rasseln und
Stofftieren unterschieden hätten. Gibt es
dann aber tatsächlich einen Lerneffekt?
Dr. Simone Ehmig, Leiterin des Instituts
für Lese- und Medienforschung der
Stiftung Lesen, zweifelt nicht daran:
„Es ist wichtig, dass das Buch so früh
wie möglich in die Erfahrungswelt des
Kindes gelangt. Wenn es das Buch mit
sich herumträgt, darauf herumbeißt,
es aufblättert, wird es Teil der Alltagswelt.
Und wenn das Buch früh ein
selbstverständlicher Begleiter ist, lernt
das Kind auch entsprechend früh, die
Besonderheiten zu erkennen, die es zu
bieten hat.“
ERSTES VERSTEHEN
Dabei übernehmen die Kinder den großen
Teil der Entdeckungsarbeit selbst,
indem sie bei Fühl- und Mitmachbüchern,
von der Neugier getrieben, sinnliche,
ganzheitliche Erfahrungen sammeln.
Und genau dieses Sich-Aneignen
des Buches legt den Grundstein für die
nächste Abstraktionsstufe, die meist
zu Anfang des zweiten Lebensjahres
erreicht wird: zu erkennen, dass die
Bilder im Buch realen Objekten l
BUCHTIPPS
Wolf Erlbruch: VOM
KLEINEN MAULWURF …
PETER HAMMER, 14 Euro.
Zu Recht ein Klassiker: Die
Geschichte vom erzürnten
Maulwurf mit der Wurst auf
Eric Carle: KLEINE
RAUPE NIMMERSATT,
GERSTENBERG, 10,50 Euro.
So hungrig ist die kleine
Raupe, dabei ist sie doch
erst geschlüpft! Der Klassiker
Janosch: DAS AUTO HIER
HEISST FERDINAND.
BELTZ, 6,90 Euro.
Mit den „Ferdinand“-Büchern
begann Janoschs Karriere als
Kinderautor. Die Abenteuer des
James Krüss: HENRIETTE
BIMMELBAHN.
KRÜSS-BÜCHER, 8,90 Euro.
Die liebevoll gezeichneten
Bilder und der heitere, einprägsame
Text machen den
dem Kopf amüsiert Eltern
lädt zum Zählen der üppigen
gelben Autos haben bis heute
Band zum Dauerbrenner.
ebenso wie die Kleinsten.
Raupenmahlzeiten ein.
ihren Witz nicht eingebüßt.
Gut zum Mitsprechen!
01/2023 BABY&CO 13