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DIALOG<br />
DIALOG<br />
OSTERN – ODER WIE KIRCHE<br />
UND DIAKONIE NEUE RELEVANZ<br />
GEWINNEN KÖNNEN<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
die evangelische Kirche leidet aktuell unter massivem<br />
Mitgliederschwund. Die meisten, die massenhaft aus<br />
der Kirche austreten, sind nicht mal mehr enttäuscht,<br />
sondern haben den Bezug zur Kirche längst verloren.<br />
Sie ist für viele schlicht und einfach nicht mehr relevant.<br />
Kirche erleidet eine Krise auch in ihren Kreisen:<br />
Nach Ende der Coronazeit bleiben viele weg, die sich<br />
früher noch engagierten. Gottesdienste und Gruppen<br />
werden deutlich weniger besucht als noch vor drei<br />
Jahren. Viele wissen nicht mehr, warum es für sie gut<br />
ist, in der Kirche zu sein. Sie verliert auch an Bedeutung,<br />
weil sie nicht zeigt, wofür sie steht, außer „für<br />
alle da zu sein“. Auch ihr diakonisches Profil überlässt<br />
Kirche oft der verfassten <strong>Diakonie</strong>. Die wiederum ist<br />
auch betroffen vom Relevanzverlust der Kirche. Denn<br />
<strong>Diakonie</strong> unterscheidet sich ja von anderen Trägern<br />
der Wohlfahrtspflege durch ihre kirchliche Prägung.<br />
Somit sollten Kirche und <strong>Diakonie</strong> zusammen daran<br />
arbeiten, gemeinsam neue Relevanz in unserer Zeit<br />
zu gewinnen. Worauf sollten sie sich dazu besinnen?<br />
Kirche und <strong>Diakonie</strong> gründen in der Überzeugung,<br />
dass Leiden und Hoffnung, Tod und Auferstehung<br />
eng zusammengehören. Passion und Ostern sind<br />
der Anfang von Kirche und <strong>Diakonie</strong> gewesen. In Leidenszeiten<br />
– auch in der gegenwärtigen Relevanzkrise<br />
– gibt es die Hoffnung auf Auferstehung zu neuem<br />
Leben. Darum lohnt es sich, eine Ostergeschichte näher<br />
zu betrachten. Das Lukasevangelium (24, 13-35)<br />
berichtet von zwei Freunden Jesu, die aus der Kirche<br />
austreten, noch bevor diese richtig gegründet worden<br />
ist. Enttäuscht verlassen sie die Stadt und kehren<br />
in ihr Dorf Emmaus zurück. Drei Tage zuvor wurde<br />
Jesus in Jerusalem gekreuzigt. Nun war er tot – welchen<br />
Sinn sollte die Gemeinschaft mit den anderen<br />
jetzt noch machen? Ja, Kirche macht ohne Jesus Christus<br />
in ihrer Mitte keinen Sinn! Aus seiner lebendigen<br />
Gemeinschaft lebt Kirche. Ohne ihn ist alles, was Kirche<br />
mit großem Aufwand so treibt, egal. Das können<br />
auch andere Vereine, Selbsthilfegruppen oder Organisationen<br />
leisten, oft sogar besser. Dafür braucht es<br />
keine Kirche. Deshalb ist es sachgemäß, dass die beiden<br />
Freunde die Gemeinschaft verlassen und in ihr altes<br />
Leben nach Emmaus zurückkehren. Sie treten aus<br />
der Kirche aus, weil sie Jesus dort nicht mehr erleben.<br />
Am Anfang der Kirche steht also eine Austrittsgeschichte.<br />
Austritte gefährden die Kirche <strong>im</strong> Kern,<br />
wenn diese selbst den lebendigen Gott in ihrer Mitte<br />
nicht mehr erwartet. Gott ist tot für viele – und die<br />
Kirche scheint ihre Überzeugungskraft für den lebendigen<br />
Gott bei vielen eingebüßt zu haben. Wie aber<br />
wird nun die Austritts- zur Gründungsgeschichte der<br />
Kirche? Die beiden sind auf dem Weg und begegnen<br />
einem Fremden – es ist der auferstandene Jesus Christus,<br />
den sie aber (noch) nicht erkennen. Dennoch<br />
nehmen sie ihn in ihre Mitte und teilen mit ihm ihr<br />
Leid. Sie zeigen, was relevante Kirche und <strong>Diakonie</strong><br />
ausmacht: Offenheit für Fremde, Weggemeinschaft,<br />
Mitteilung auch der eigenen Zweifel und Fragen. Und<br />
der Auferstandene wiederum zeigt, worauf es in relevanter<br />
Kirche und <strong>Diakonie</strong> ankommt: Er n<strong>im</strong>mt die<br />
beiden wahr, begleitet sie auf ihrem Weg der Abkehr<br />
und Enttäuschung; er lässt sie nicht einfach gehen,<br />
sondern geht mit ihnen.<br />
Er macht vor, was relevante Seelsorge auszeichnet:<br />
Mitgehen, empathisches Zuhören bei Geschichten<br />
von Trauer und Enttäuschung, Teilnahme am Leid<br />
anderer – dann aber auch Trost und Hoffnung vermitteln,<br />
die in der Auslegung der Bibel gefunden<br />
werden. Solche Seelsorgepraxis macht Kirche und<br />
<strong>Diakonie</strong> relevant, weil sie die Nähe des Auferstandenen<br />
spüren lässt. Dennoch gibt er sich in der Geschichte<br />
hier noch nicht zu erkennen. Es fehlt noch<br />
ein wesentliches Relevanzmerkmal: die diakonische<br />
Grundhaltung der Nächstenliebe, die sich in der<br />
Gastfreundschaft dem Fremden gegenüber erweist.<br />
Der Auferstandene gibt den beiden die Gelegenheit,<br />
ihn einzuladen. Hätten sie den Fremden weiterziehen<br />
lassen, hätten sie ihm nicht Tischgemeinschaft und<br />
Unterkunft angeboten – sie hätten den Auferstandenen<br />
in ihrer Mitte verpasst, trotz des guten Gesprächs<br />
auf dem Weg zuvor. In der gastfreundlichen Tischgemeinschaft<br />
gibt er sich zu erkennen. Im griechischen<br />
Urtext des Neuen Testamentes leitet sich das Wort<br />
für „<strong>Diakonie</strong>“ von „Tischdienst“ ab. Ohne <strong>Diakonie</strong><br />
wäre aus der Austrittsgeschichte nie eine Gründungsgeschichte<br />
der Kirche geworden.<br />
<strong>Diakonie</strong> kann also nie ausgelagert werden in die sogenannte<br />
verfasste, professionelle <strong>Diakonie</strong>, die sich<br />
dann stellvertretend für Kirche um die Armen und Bedürftigen<br />
kümmert. Das darf Kirche nie outsourcen.<br />
Sie würde den Auferstandenen aus ihrer Mitte verlieren,<br />
wenn sie sich selbst nicht diakonisch verstünde.<br />
Kirche wäre zurecht irrelevant in unserer Zeit.<br />
Die beiden Jünger aber machen vor, wie diakonisches<br />
Handeln geht: Sie laden den Fremden zu sich ein; sie<br />
teilen ihr Haus mit ihm und machen es für ihn zur<br />
Herberge auf Zeit. Dabei helfen sie dem fremden und<br />
obdachlosen Wegbegleiter nicht von oben herab<br />
als die Starken, die es sich leisten können, auch mal<br />
mildtätig zu spenden. Vielmehr machen sie den Gast<br />
zum Bruder auf Augenhöhe: Indem sie ihn den Segen<br />
sprechen und das Brot teilen lassen, lädt er sie an den<br />
Tisch ein. Deshalb erkennen sie <strong>im</strong> Bedürftigen den<br />
auferstandenen Christus und lebendigen Herrn seiner<br />
Kirche, die nun gegründet ist. In diesem Moment<br />
verschwindet er vor ihren Augen, um anzuzeigen:<br />
Kirche und <strong>Diakonie</strong> haben ihn nicht schon, weil es<br />
sie als Institutionen gibt. Er stellt sich in ihrer Mitte<br />
ein, wenn sie das Mahl in seinem Namen feiern, wenn<br />
sie gastfreundlich bleiben für Fremde und deren Weg<br />
durch die Zeit teilen. Er stellt sich in ihrer Mitte ein,<br />
wenn sie diakonisch handeln und dabei die Gemeinschaft<br />
der Geschwister leben.<br />
Kirche gewinnt Relevanz, wenn sie diakonisch handelt,<br />
indem sie sich als Herberge für die anderen versteht.<br />
Und <strong>Diakonie</strong> gewinnt christliches Profil, wenn sie bei<br />
ihrer diakonischen Arbeit mit der Nähe des Auferstandenen<br />
rechnet. Aber die Ostergeschichte zeigt noch<br />
einen Relevanzaspekt auf: Nachdem die beiden den<br />
lebendigen Christus erkannt haben, bleiben sie nicht<br />
zu Hause und erklären ihr Haus zur neuen „Kirche von<br />
Emmaus“. Vielmehr stehen sie sofort auf und laufen<br />
zurück nach Jerusalem – zurück zu den anderen Jüngerinnen<br />
und Jüngern. Ihnen müssen sie unbedingt<br />
mitteilen, dass Jesus lebt. Sie sind nicht nur in Sorge<br />
um ihr eigenes Wohlergehen. Kirche ist nicht nur relevant,<br />
wenn sie individuelle Seelenhygiene oder diakonische<br />
Dienste leistet. Vielmehr sorgen sich die beiden<br />
um die anderen, die noch ohne Hoffnung sind. So zeigen<br />
sie: Kirche und <strong>Diakonie</strong> werden relevant, wenn<br />
sie mit Tisch und Herberge auch ihre Hoffnung teilen.<br />
Moderne Kirche und <strong>Diakonie</strong> sind beides gemeinsam:<br />
Dienst- und Zeugnisgemeinschaft für andere,<br />
denen sie nicht nur mit Nächstenliebe, sondern auch<br />
mit Hoffnung dienen. Das ist es, was die Menschen<br />
heute so dringend brauchen: gelebte Nächstenliebe<br />
und geteilte Hoffnung. So wie in der Ostergeschichte:<br />
Als die beiden endlich bei den anderen eintreffen,<br />
um ihnen zu erzählen, dass sie den Auferstandenen in<br />
ihrer diakonischen Dienstgemeinschaft erlebt haben<br />
– da schallt ihnen schon das Zeugnis der anderen entgegen:<br />
„Der Herr ist auferstanden!“ Danach erst kommen<br />
sie dazu, ihre Glaubenserfahrung mitzuteilen.<br />
Und wieder ein Perspektivwechsel: So wie in Emmaus,<br />
als der Gast zum Gastgeber wurde, so wird hier die<br />
Gemeinde, die eigentlich zuhören sollte, selbst zur<br />
Verkündigerin. So entsteht Kirche, Kirche ohne Herrschaft<br />
der einen über andere, Kirche als Zeugnis- und<br />
Dienstgemeinschaft. So wird diese Ostergeschichte<br />
zum Modell für relevante Kirche und <strong>Diakonie</strong> unserer<br />
Zeit: Aus Enttäuschung wächst neue Hoffnung,<br />
aus Abkehr wird Umkehr zu neuer Gemeinschaft.<br />
Zur Kirche gehört schon <strong>im</strong>mer auch ihre Geschichte<br />
von Leid und Enttäuschung. Aber Kirche gewinnt<br />
neue Relevanz, indem sie mit der <strong>Diakonie</strong> handelt<br />
als Dienstgemeinschaft für andere. Und <strong>Diakonie</strong><br />
gewinnt neue Relevanz, indem sie mit der Kirche als<br />
Zeugnisgemeinschaft ihre Hoffnung auf neues Leben<br />
vermittelt. Superintendent Michael Mertins<br />
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