Roșia Montană - Stadtgespräche Rostock
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Keine Orte. Überall<br />
CORNELIA MANNEWITZ<br />
Eigentlich kann man nicht klagen. Theater wird demnächst sogar<br />
auf der internationalen Raumstation ISS gespielt. Zehn<br />
Episoden (kommt einem als Titel doch bekannt vor …) sollen<br />
im Sitcom-Format das erste Jahr der ISS nachzeichnen. Na gut,<br />
zugegeben, der Ort der Performance ist das „Ballhaus Ost“ in<br />
Berlin. Wer will, kann sich die Videos aber auch im Internet<br />
ansehen: www.monochrom.at/iss/. Theaterland ist überall!<br />
Aber sonst? Großes Haus weg, Kleines Haus weg, Intimes<br />
Theater weg (dort residiert seit Jahren bezeichnenderweise eine<br />
Bank), von früheren temporären Spielorten gar nicht zu reden.<br />
Aber es gibt das Theaterzelt. Erbaut auf der grünen Wiese, wo<br />
doch jeder Kreative bauen will. Sollte man künftige Diskussionsveranstaltungen<br />
über das Theater, die manchmal originalisierend<br />
„Was für ein Theater?!“ hießen, nun also „Was für ein<br />
Zirkus?!“ nennen? Nein, lieber nicht. Alle feinen Zelte heißen<br />
heute Theaterzelt, Zirkuszelte sind nur eine Unterart von ihnen.<br />
Weitere Vorteile: gute Akustik, behindertengerechter Zugang,<br />
großzügiger Backstagebereich.<br />
Man kann auch Firmenfeste darin veranstalten (Bari-Fruchtsäfte-Mitarbeiterevent<br />
Speyer, Hugo-Boss-Weihnachtsfeier Metzingen,<br />
Roland-Berger-Day München, … sind Beispielgeber),<br />
Produktpräsentationen organisieren (DaimlerChrysler S Klasse,<br />
Ergoline Solarien, Smirnoff Ice, …), Festivals veranstalten<br />
(St. Gallen Open Air, Schweiz, Sziget Festival Budapest, Ungarn,<br />
Treffen der Sterneköche Thionville, Frankreich, … - auch<br />
die Kirchen sind dabei: Christival Baunatal, …) und natürlich<br />
Theater spielen: „Cats“ hat natürlich sein eigenes Zelt, aber in<br />
Heidelberg soll seit 2009 das Musiktheater eine Sanierung im<br />
Zelt überbrücken, in Esch in Luxemburg das ganze Theater<br />
schon eine ganze Zeit, gut, da spielt man „Caveman“, aber es ist<br />
Theater … Und wahrscheinlich ist außerdem die Sicht wegen<br />
der amphitheatralischen Sitzanordnung und bei nur zwei Masten<br />
von allen Plätzen, egalitär, sehr gut – auch das wird, wenn<br />
dieses Heft erscheint, schon ausprobiert worden sein.<br />
Wo sind wir da hingeraten? Die richtige Antwort auf diese<br />
Frage ist sicher keine, die die Nachteile aufmacht: das Geld.<br />
Denn mit dem Geld sind alle unsäglichen Diskussionen über<br />
das Theater verbunden. „Für die Geldgeber (die <strong>Rostock</strong>er)<br />
wird es immer schwerer nachvollziehbar, dass sie zwar doppelt<br />
so viel Arbeitsstunden pro Woche leisten müssen (rund 40<br />
Stunden), jedoch nur die Hälfte oder weniger verdienen (bezogen<br />
auf Orchestermusiker, das Orchester verschlingt den Großteil<br />
der Personalkosten) und auch noch erheblich weniger Urlaub<br />
haben. Trotzdem soll jedoch regelmäßig nachgelegt wer-<br />
den für ein Haus, das die Geldgeber kaum aufsuchen“ – so ein<br />
<strong>Rostock</strong>er Anzeigenblatt in bester populistischer künstlicher<br />
Aufregung Mitte Juli 2011.<br />
Kein Gedanke daran, dass wenige <strong>Rostock</strong>er den Arbeitsalltag<br />
der Theaterleute wirklich kennen, kein Gedanke daran, dass<br />
lange nicht alle rund 40 Stunden arbeiten und wenig verdienen<br />
– es wird eine homogene Front gegen das Theater suggeriert,<br />
hinter der „die“ <strong>Rostock</strong>er, denen die Sozialgesetzgebung täglich<br />
das Geld nimmt, sich einmal „Geldgeber“ nennen dürfen,<br />
möglichst noch stolz darauf sein sollen, wie sehr sie auf dem<br />
Arbeitsmarkt ausgebeutet werden, und sich in der vermeintlichen<br />
gemeinsamen Tugend sonnen könnten, sich nicht um das<br />
Theater zu kümmern, bei deren Infragestellung ihnen das Blättchen<br />
(und manche andere) ja auch sonst nicht hilft.<br />
Nebenbei profilieren sich Aspiranten auf politische Posten mit<br />
Forderungen nach Haustarif („schon seit dem Jahr X von der<br />
Fraktion Y gefordert, warum macht Z es nicht“) und damit,<br />
nach der Aufkündigung letzter gewerkschaftlicher Errungenschaften<br />
im Kulturbereich oder mit dem Schrei nach Konzepten<br />
und damit dem Eingeständnis, dass man selbst, seit Jahr<br />
und Tag im politischen Geschäft, diesbezüglich ebenso lange<br />
noch nichts hinbekommen hat. Und, ach je, das Zelt kostet<br />
Miete. Ja, und wie viel kosten die Einnahmeausfälle des Theaters<br />
durch die Hals-über-Kopf-Schließung des Großen Hauses<br />
und wie viel die ewig verschleppte Sanierung?<br />
Ein Nachteil ist auf jeden Fall, dass in solchen Zelten normalerweise<br />
Shows veranstaltet werden. Aber das ist ja eher ein Argument,<br />
das der Stadtpolitik in die Hände spielt. Ausgefeilte Ensuite-Produktionen<br />
sind doch für viele Finanzstrategen das<br />
Non-plus-ultra (und leider auch für manche, die - unverständlicherweise,<br />
zu wessen wirklichem, langfristigen, Nutzen - in<br />
gleicher Weise neben ihrer eigenen Intelligenz diskutieren) –<br />
dann sollen sie auch zu einem Theaterzelt stehen!<br />
Für den Theaterfan gilt wie immer: Überall reingehen, wo<br />
Theater draufsteht! Und für alle, die es werden wollen: Ebenso.<br />
Irgendeine Art von Theater ist immer drin. Mögen sich die<br />
Blogs füllen, mögen die Kulturausschussmitglieder Weiterbildung<br />
in Sachen künstlerische Experimente fordern, möge irgendjemand<br />
irgendwo den ersten Pflock für den Theaterneubau<br />
einschlagen. Viel Spaß! ¬<br />
--<br />
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