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gab Juli 2023

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FILM<br />

INTERVIEW<br />

EMANUELE CRIALESE –<br />

L’IMMENSITÀ<br />

Schon lange gehört Emanuele<br />

Crialese, geboren 1965 in<br />

Rom und Absolvent der renommierten<br />

Tish School of Arts in New York,<br />

zu den international meistbeachteten<br />

Regisseuren Italiens. 1997 kam<br />

sein erster Spielfilm „Once We Were<br />

Strangers“ in die Kinos, anschließend<br />

wurden Werke wie „Lampedusa“,<br />

„Golden Door“ oder „Terraferma“ bei<br />

den Festivals in Cannes und Venedig<br />

mit Preisen bedacht. Doch noch<br />

nie wurde einem seiner Filme so<br />

viel Aufmerksamkeit entgegengebracht<br />

wie nun „L’immensità – Meine<br />

fantastische Mutter“. Was einerseits<br />

an Oscar-Gewinnerin Penélope Cruz<br />

in der (erwachsenen) Hauptrolle<br />

liebt. Aber andererseits auch daran,<br />

dass Crialese mit dieser autobiografischen<br />

Geschichte über ein Kind<br />

im Italien der 1970er Jahre, das mit<br />

seiner Genderidentität ringt, auch<br />

sein öffentliches Coming-out als<br />

trans Mann hatte. Wir trafen ihn in<br />

Venedig zum Interview.<br />

Herr Crialese, Sie drehen seit<br />

über 25 Jahren Filme. Warum<br />

erzählen Sie erst jetzt diese sehr<br />

persönliche Geschichte, um die es in<br />

„L’immensità“ geht?<br />

Tja, mit der Zeit ist das so eine Sache, man<br />

weiß nie, wann sie reif ist. Natürlich hatte ich<br />

über die Jahre immer wieder den Gedanken,<br />

Teile meiner eigenen Jugend in einen Film zu<br />

verwandeln. Und ich habe nie daran gezweifelt,<br />

dass es eines Tages so weit sein würde.<br />

Aber ich wusste auch immer, dass ich für<br />

diesen Film der bestmögliche Regisseur<br />

sein musste. Ich wollte so viel Erfahrung<br />

wie möglich haben, um die Geschichte<br />

möglichst überzeugend erzählen zu können.<br />

Mit 30 Jahren hätte ich mir diese wirklich<br />

delikate, zarte Thematik einfach noch nicht<br />

zugetraut.<br />

Interessanterweise setzen Sie, was<br />

Bilder und Atmosphäre angeht,<br />

nicht nur auf Wahrhaftigkeit und<br />

Realismus, sondern kombinieren das<br />

mit einer bewussten Künstlichkeit.<br />

Warum?<br />

Dafür <strong>gab</strong> es verschiedene Gründe, angefangen<br />

damit, dass ich mittels der Songs<br />

und Fernsehshows, die mich als Kind massiv<br />

geprägt haben, auch das Innenleben unserer<br />

jungen Protagonistin Adri erzählen wollte.<br />

Außerdem ging es mir dieses Mal darum,<br />

ein Gefühl von Klaustrophobie einzufangen,<br />

weswegen ich nicht wie sonst überwiegend<br />

draußen und mit natürlichem Licht, sondern<br />

im Studio und mit Scheinwerfern gedreht<br />

habe. Und letztlich ist ja auch die Besetzung<br />

schon ein Aufeinanderprallen von Realität<br />

und Fiktion, schließlich habe ich auf der<br />

einen Seite junge Laiendarsteller*innen, die<br />

noch nie vor einer Kamera und nicht einmal<br />

auf einer Schultheater-Bühne standen, und<br />

auf der anderen jemanden wie Penélope<br />

Cruz, die ein echter Superstar ist und<br />

natürlich alles spielen kann.<br />

Wo Sie gerade Kinder erwähnen: wie<br />

fanden Sie die ideale Besetzung für<br />

Adri, immerhin ja so etwas wie Ihr<br />

Alter Ego?<br />

Im Casting haben wir sicherlich 3.000 junge<br />

Mädchen gesehen. Anfangs suchten wir erst<br />

einmal in Rom, wo wir ja auch drehten. Aber<br />

ich merkte bald, dass heutige Großstadtkinder<br />

ganz anders ticken als wir damals<br />

in den 70er-Jahren. Deren Horizont hat<br />

sich wahnsinnig verengt, in jeder Hinsicht,<br />

sowohl weil sich das Stadtbild verändert hat<br />

als auch weil alle viel zu viel auf ihre Telefone<br />

und andere Bildschirme gucken. Ich hatte<br />

nicht den Eindruck, dass ich da jemanden<br />

finden würde, der die nötige Konzentration<br />

mitbringt. Oder das Gefühl von Freiheit<br />

kennt, mit dem ich aufgewachsen bin,<br />

diesem neugierig-explorierenden Bewegen<br />

durch die Natur. Also verlagerten wir die<br />

Suche mehr in ländliche Regionen und nicht<br />

zuletzt an Orten und in Milieus, die nicht so<br />

eindeutig von einer Geschlechterbinarität<br />

geprägt waren. In einem Dorf südlich von<br />

Rom stießen wir dann auf Luana Giuliani, die<br />

neben der Schule Motocross-Rennen fährt<br />

und dabei gegen Jungs antritt. Ein echter<br />

Tomboy, was für diese Rolle natürlich ideal<br />

war. Ich musste das Drehbuch für sie ein<br />

wenig anpassen, weil sie ein kleiner wenig<br />

älter und schon weiterentwickelt war als ich<br />

Adri ursprünglich angelegt hatte. Aber das<br />

war es wert, denn ansonsten brachte sie<br />

alles mit, wonach ich suchte.<br />

Und wie kreierten Sie zwischen<br />

Luana und Penélope Cruz die richtige<br />

Mutter-Kind-Beziehung?<br />

Penélope war sehr großzügig mit ihrer Zeit,<br />

was für mich wirklich wichtig war. Meine<br />

Art der Arbeit mit Schauspieler*innen,<br />

gerade wenn sie Laien sind, erfordert viele<br />

Proben. Wir reisten also alle nach Madrid<br />

und verbrachten etliche Tage bei Penélope<br />

und ihrer Familie. Wir probten, arbeiteten an

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