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gab Juli 2023

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MUSIK<br />

NACHGEFRAGT<br />

FOTO: AMELIA TROUBRIDGE<br />

GABRIELS:<br />

Beängstigend brillant<br />

Das amerikanisch-englische Trio<br />

hat mit „Angels & Queens“ eines der<br />

bisher außergewöhnlichsten und besten<br />

Alben des Jahres abgeliefert. Wir unterhielten<br />

uns mit dem Sänger Jacob Lusk.<br />

Jacob Lusk wuchs in einem Umfeld auf,<br />

in dem Pop verpönt war. „Meine Mutter<br />

und meine Großmutter haben weltliche<br />

Musik im Haus nicht gestattet“, sagt der<br />

Sänger von Gabriels, dessen Stimme<br />

man nicht mehr vergisst, sobald man sie<br />

auch nur einmal gehört hat. „Es ist keine<br />

Übertreibung zu sagen, dass meine Familie<br />

wirklich sehr, sehr christlich war. Ich wurde<br />

praktisch in die Kirche hineingeboren.“<br />

Lusk, der für das Gespräch um 9 Uhr morgens<br />

per Video aus London zugeschaltet<br />

ist, macht trotz der frühen Stunde einen<br />

sehr lebhaften Eindruck. Ein lustiger Kerl,<br />

fast schon übersprudelnd vor Begeisterung<br />

und Leidenschaft, hochmotiviert, um über<br />

sich selbst und seine Band zu sprechen.<br />

„Mein Spielplatz war der Kirchenchor. Ich<br />

sang drei, vier Mal die Woche, und das noch<br />

bevor ich überhaupt zur Schule ging.“<br />

Lusk, der sein Alter nicht verrät, wuchs<br />

im berühmt-berüchtigten Compton auf,<br />

einem Stadtteil von Los Angeles, der<br />

gleichermaßen für Banden- und Drogenkriminalität<br />

sowie als eine der bedeutendsten<br />

Standorte für Rapmusik und Hip-Hop-Kultur.<br />

Das 1988 veröffentlichte Debütalbum<br />

„Straight Outta Compton“ der Rap-Gruppe<br />

N.W.A. ist beispielsweise legendär. Auch<br />

Kendrick Lamar kommt aus Compton, er<br />

ging sogar auf dieselbe High School wie<br />

Jacob. „Ich selbst fing an, Popmusik zu<br />

hören und zu lieben, als ich fünfzehn war“,<br />

sagt er. „Ich war ganz verrückt nach Beyoncé,<br />

nach Jessica Simpson und ich liebte<br />

Stimme und Look von Gwen Stefani.“<br />

2011 entscheidet sich Jacob Lusk für eine<br />

Teilnahme in der Talentshow „American<br />

Idol“, er wird immerhin Fünfter und stellt<br />

fest, dass ihm das Leben außerhalb der<br />

Gospelchorblase zunehmend Freude<br />

bereitet. Als Backgroundsänger etwa von<br />

Nate Dogg hatte er sich zuvor bereits einen<br />

Namen gemacht, und eines Tages im Jahr<br />

2015 machte er die Bekanntschaft des<br />

kalifornischen Musikkomponisten und<br />

Multiinstrumentalisten Ari Balouzian sowie<br />

des in England geborenen Regisseurs und<br />

Produzenten Ryan Hope. Für ein Projekt<br />

suchten die beiden einen Chor und fanden<br />

– nach einigen Irrungen und Wirrungen –<br />

Jacob Lusk. „Wir sind drei<br />

sehr unterschiedliche<br />

Charaktere“, sagt dieser,<br />

„aber es gibt definitiv<br />

mehr Gemeinsamkeiten<br />

als Unterschiede<br />

zwischen uns. Wir drei<br />

zusammen, wir sind<br />

Gabriels.“<br />

Erst probten sie nur<br />

unregelmäßig, Jacob war<br />

inzwischen Leiter seines<br />

Kirchenchors, 2018<br />

aber trugen sie ihren Song „Loyalty“ für<br />

einen Werbefilm von Prada bei, und seither<br />

ist der Aufstieg von Gabriels geradezu<br />

atemberaubend. „Ich versuche, mich von<br />

dem Druck und dem Hype nicht zu sehr<br />

beeindrucken zu lassen“, sagt Lusk, „und<br />

ich habe es auch bisher nur ein einziges<br />

Mal geschafft, mir unser Album anzuhören.<br />

Irgendwie habe ich Angst davor.“ Dabei ist<br />

„Angels & Queens“, das Debütwerk von<br />

Gabriels vor allem eins: beängstigend brillant.<br />

Die Songs bieten eine vollumfängliche<br />

Betörungserfahrung, sehr geschickt<br />

wandeln die drei zwischen einem leichten<br />

Vintage-Gefühl, cineastisch ausgeklügelten<br />

Arrangements, mitreißenden Melodien<br />

und einer durch und durch modernen<br />

Produktion (für die Kendrick-Mitarbeiter<br />

Sounwave mitverantwortlich war). Genres<br />

bedeuten hier nicht viel, Gospel, Soul, Jazz<br />

und Pop sind die stilistischen Leitplanken,<br />

zwischen denen die Stimme von Jacob<br />

Lusk funkelt und stahlt. Zu den Bewunderern<br />

von Gabriels zählen bereits Koryphäen<br />

wie Steven Tyler von Aerosmith („Ich muss<br />

weinen, wenn ich dich singen höre“) und<br />

Elton John. In seinen Texten beschäftigt<br />

sich der Fashion-vernarrte Lusk (aktuell<br />

liebt er vor allem die<br />

Kombi aus Smoking und<br />

Käppi) indes nicht nur<br />

mit göttlichen, sondern<br />

auch sehr weltlichen<br />

Überlegungen. In „Taboo“<br />

etwa geht es um „die<br />

vertrackten Situationen,<br />

wenn du etwas mit<br />

einem Menschen<br />

anfängst, mit dem du<br />

besser nichts anfangen<br />

solltest“, der Titelsong<br />

ist eine warmherzige Ode an ein gefallenes<br />

Model (Lusk sagt nicht, wen er konkret im<br />

Sinn hatte), und die bislang bekannteste<br />

Nummer, das grandiose „Love And Hate<br />

In a Different Time“, schlägt einen weiten<br />

Bogen von Trauerfällen im Freundeskreis<br />

des Sängers bis zu den „Black Lives<br />

Matter“-Protesten und einer grundsätzlich<br />

hoffnungsvollen Einstellung bezüglich des<br />

Glaubens an eine Entwicklung hin zu mehr<br />

Gerechtigkeit und Diversität.<br />

*Interview: Steffen Rüth

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