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Benedikt Hensel | Christian Wetz (Hrsg.): Migration und Theologie (Leseprobe)

Im Kontext wissenschaftlich reflektierter Theologie sind Migration sowie die zugehörigen Themenfelder Flucht und Vertreibung im gesamten Fächerkanon zu einem breit diskutierten und hochaktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Ein Desiderat ist allerdings die konsequente Reflexion des Themas in der Theologie des Alten wie auch des Neuen Testaments. Die unterschiedlichen theologischen Prägungen der Bücher und Sammlungen der Bibel lassen das Thema Migration in je anderen, aber zentralen Akzentuierungen zum Vorschein kommen. Der innovative Band schließt diese Lücke, indem die Einzelbeiträge thematisch breit aufgestellt die Geltungsansprüche alt- und neutestamentlicher Migrationsthematik im Okular ihres komplexen Verhältnisses von Historie, Theologie und literarischer Genese der Traditionskomplexe betrachten und hermeneutisch reflektieren.

Im Kontext wissenschaftlich reflektierter Theologie sind Migration sowie die zugehörigen Themenfelder Flucht und Vertreibung im gesamten Fächerkanon zu einem breit diskutierten und hochaktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Ein Desiderat ist allerdings die konsequente Reflexion des Themas in der Theologie des Alten wie auch des Neuen Testaments. Die unterschiedlichen theologischen Prägungen der Bücher und Sammlungen der Bibel lassen das Thema Migration in je anderen, aber zentralen Akzentuierungen zum Vorschein kommen. Der innovative Band schließt diese Lücke, indem die Einzelbeiträge thematisch breit aufgestellt die Geltungsansprüche alt- und neutestamentlicher Migrationsthematik im Okular ihres komplexen Verhältnisses von Historie, Theologie und literarischer Genese der Traditionskomplexe betrachten und hermeneutisch reflektieren.

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62<br />

Michael Pietsch<br />

zwungene Bewegung, die von Jhwh aufgr<strong>und</strong> eines schuldhaften Verhaltens der<br />

Betroffenen initiiert wird, <strong>und</strong> zum anderen erfährt das Dasein des Menschen als<br />

homo migrans in ihnen eine mythische, d.h. zeitlose <strong>und</strong> existentiale, Begründung.<br />

3<br />

<strong>Migration</strong> gehört zur Alltagserfahrung des biblischen (bzw. ›israelitischen‹)<br />

Menschen. Er erlebt sie in unterschiedlicher Weise: als zeitlich begrenzt oder<br />

dauerhaft, als Einzelner im Kreis der Familie oder im nationalen Kollektiv, als<br />

›freiwillig‹ oder als ›erzwungen‹. 4 Letztere Unterscheidung bleibt jedoch insofern<br />

unscharf, als die Anlässe, die Menschen zur <strong>Migration</strong> bewegen, ihre Ursache<br />

häufig in einer drastischen Verschlechterung der ökonomischen oder sozialen<br />

Verhältnisse haben, die den Betroffenen kaum eine andere Wahl lassen (z.B.<br />

aufgr<strong>und</strong> von Hungersnöten in Folge von Dürre oder Missernten, vgl. Gen 12,10;<br />

Rut 1,1). Anders liegen die Dinge in jenen Fällen, in denen Einzelne oder Gruppen<br />

von anderen, höhergestellten oder übermächtigen Akteuren zum dauerhaften<br />

Verlassen ihres Wohnortes gezwungen werden (vgl. die Deportationspraxis<br />

der assyrischen <strong>und</strong> babylonischen Großkönige, denen Israel <strong>und</strong> Juda mehrfach<br />

zum Opfer fielen). Hier ist den Migranten jeder Spielraum zu eigener Entscheidung<br />

genommen.<br />

Die nachfolgenden Überlegungen beschränken sich auf solche <strong>Migration</strong>serfahrungen<br />

bzw. <strong>Migration</strong>sbewegungen, die sich im Narrativ der Königebücher<br />

niedergeschlagen haben. Dabei muss zwischen der ›erzählten Welt‹ des<br />

biblischen Textes <strong>und</strong> ihrer narrativen Inszenierung <strong>und</strong> den historischen Prozessen,<br />

die im Hintergr<strong>und</strong> der Erzählungen (re-)konstruiert werden können,<br />

sorgfältig unterschieden werden. Auch wenn letztere sich einer belastbaren<br />

Überprüfung häufig entziehen, kann in jedem Fall nach der literarischen Funktion<br />

einzelner <strong>Migration</strong>serzählungen oder -notizen im narrativen Diskursraum<br />

der Königebücher gefragt werden. Daher gliedern sich die folgenden Ausführungen<br />

im Anschluss an einige einleitende Vorbemerkungen zum Begriff der <strong>Migration</strong><br />

(1.) in zwei Hauptteile. Im ersten Teil sollen die einschlägigen Belege für<br />

<strong>Migration</strong> im Erzählgefüge der Königebücher vorgestellt <strong>und</strong> diskutiert werden<br />

(2.). Im zweiten Teil schließt sich eine historische Skizze jener kollektiven <strong>Migration</strong>serfahrungen<br />

Israels <strong>und</strong> Judas unter assyrischer <strong>und</strong> babylonischer Herrschaft<br />

an, die sich tief in das kulturelle Gedächtnis des biblischen ›Israel‹ eingeschrieben<br />

haben (3.).<br />

3<br />

Vgl. hierzu den Beitrag von Michaela Bauks in diesem Band.<br />

4<br />

Das Phänomen der <strong>Migration</strong> ist im Alten Testament nicht zuletzt im Konzept der<br />

»Fremdlingschaft« ‏,גֵּ‏ ר)‏ ‏(גּוּר präsent, das sowohl auf das biblische ›Israel‹ selbst als auch<br />

auf Personen, die nicht zum Sozialverband ›Israels‹ gehören, aber (zeitweise) auf dessen<br />

Territorium leben, angewandt wird (vgl. Bultmann, Der Fremde im antiken Juda; Steins,<br />

»Fremde sind wir …«; Rose, »… denn Fremde seid ihr gewesen im Land Ägypten!«).

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