03.07.2023 Aufrufe

Benedikt Hensel | Christian Wetz (Hrsg.): Migration und Theologie (Leseprobe)

Im Kontext wissenschaftlich reflektierter Theologie sind Migration sowie die zugehörigen Themenfelder Flucht und Vertreibung im gesamten Fächerkanon zu einem breit diskutierten und hochaktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Ein Desiderat ist allerdings die konsequente Reflexion des Themas in der Theologie des Alten wie auch des Neuen Testaments. Die unterschiedlichen theologischen Prägungen der Bücher und Sammlungen der Bibel lassen das Thema Migration in je anderen, aber zentralen Akzentuierungen zum Vorschein kommen. Der innovative Band schließt diese Lücke, indem die Einzelbeiträge thematisch breit aufgestellt die Geltungsansprüche alt- und neutestamentlicher Migrationsthematik im Okular ihres komplexen Verhältnisses von Historie, Theologie und literarischer Genese der Traditionskomplexe betrachten und hermeneutisch reflektieren.

Im Kontext wissenschaftlich reflektierter Theologie sind Migration sowie die zugehörigen Themenfelder Flucht und Vertreibung im gesamten Fächerkanon zu einem breit diskutierten und hochaktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Ein Desiderat ist allerdings die konsequente Reflexion des Themas in der Theologie des Alten wie auch des Neuen Testaments. Die unterschiedlichen theologischen Prägungen der Bücher und Sammlungen der Bibel lassen das Thema Migration in je anderen, aber zentralen Akzentuierungen zum Vorschein kommen. Der innovative Band schließt diese Lücke, indem die Einzelbeiträge thematisch breit aufgestellt die Geltungsansprüche alt- und neutestamentlicher Migrationsthematik im Okular ihres komplexen Verhältnisses von Historie, Theologie und literarischer Genese der Traditionskomplexe betrachten und hermeneutisch reflektieren.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

64<br />

Michael Pietsch<br />

Anschluss an Ayça Polat lassen sich vier Dimensionen des <strong>Migration</strong>sprozesses<br />

identifizieren 9 :<br />

a) die räumliche Distanz zwischen dem Herkunfts- <strong>und</strong> dem Zielort, d.h. die Unterscheidung<br />

zwischen ›Binnenmigration‹, die den Regelfall beschreibt, <strong>und</strong> ›internationaler‹<br />

oder ›kolonialer‹ <strong>Migration</strong>, die eine räumliche Bewegung über Staatsgrenzen<br />

hinweg umfasst 10 ,<br />

b) die zeitliche Dauer des <strong>Migration</strong>sgeschehens, d.h. die Frage, ob die Ortsveränderung<br />

dauerhaft oder temporär erfolgt 11 ,<br />

c) die Motivation, die den Anlass zur <strong>Migration</strong>sentscheidung gibt (z.B. Flucht- oder<br />

Arbeitsmigration) <strong>und</strong> die von verschiedenen Push- <strong>und</strong> Pull-Faktoren abhängig ist,<br />

<strong>und</strong><br />

d) die Anzahl der migrierenden Personen (individuelle oder kollektive <strong>Migration</strong>).<br />

Eine weitergehende Differenzierung im Sinne einer »Typologie der <strong>Migration</strong>«<br />

hat <strong>Christian</strong> Rose in Aufnahme soziologischer Studien von Dirk Hoerder <strong>und</strong><br />

Jan <strong>und</strong> Leo Lucassen vorgenommen 12 : »Für die Typologisierung von <strong>Migration</strong>en<br />

sind […] sechs Kategorien zu unterscheiden: das Motiv, die Distanz, die<br />

Richtung, die Dauer des Aufenthalts, der sozio-ökonomische Raum <strong>und</strong> der wirtschaftliche<br />

Sektor.« 13<br />

Über die bereits oben genannten Kategorien des Motivs,<br />

der Distanz <strong>und</strong> der Dauer des Aufenthalts hinaus scheint mir mit Blick auf die<br />

alttestamentliche Rede von <strong>Migration</strong> vor allem die Kategorie der Richtung der<br />

<strong>Migration</strong> von besonderem Interesse zu sein. Hierbei lassen sich nach Rose vier<br />

Varianten unterscheiden: »Die […] Richtung kann dadurch bestimmt sein, dass<br />

es (a) nur Hinwanderung gibt, dass die Bewegung (b) zirkulär ist, (c) multipel,<br />

also in mehrere Richtungen geht oder wiederholt an den gleichen Ort, oder dass<br />

es sich um (d) Rückwanderung handelt.« 14<br />

9<br />

Vgl. Polat, <strong>Migration</strong>, 2.1.<br />

10<br />

Damit von <strong>Migration</strong> gesprochen werden kann, muss der neue Wohnsitz in einer anderen<br />

politischen Gemeinde liegen als der bisherige (vgl. Han, Soziologie der <strong>Migration</strong>,<br />

6). – Die Unterscheidung von ›Binnenmigration‹ <strong>und</strong> ›internationaler‹ <strong>Migration</strong> setzt das<br />

Konzept moderner Nationalstaaten voraus, das für die Antike in dieser Form nicht in<br />

Anschlag gebracht werden kann. Hinzu kommt, dass politische oder territorialstaatliche<br />

Grenzen sich verschieben können oder unscharf bleiben, wie dies nicht zuletzt für die<br />

beiden Staaten Israel <strong>und</strong> Juda anzunehmen ist.<br />

11<br />

Die zeitliche Dauer des Wohnortswechsels spielt bei dieser Definition keine Rolle (vgl.<br />

Polat, <strong>Migration</strong>, 2).<br />

12<br />

Vgl. Hoerder/Lucassen/Lucassen, Terminologien, 37.<br />

13<br />

Rose, »… denn Fremde seid ihr gewesen im Land Ägypten!«, 120.<br />

14<br />

Ebd. – Die letzten beiden Kategorien des soziologischen Raumes bzw. des ökonomischen<br />

Faktors orientieren sich dagegen stärker an modernen gesellschaftlichen Strukturen <strong>und</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!