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Benedikt Hensel | Christian Wetz (Hrsg.): Migration und Theologie (Leseprobe)

Im Kontext wissenschaftlich reflektierter Theologie sind Migration sowie die zugehörigen Themenfelder Flucht und Vertreibung im gesamten Fächerkanon zu einem breit diskutierten und hochaktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Ein Desiderat ist allerdings die konsequente Reflexion des Themas in der Theologie des Alten wie auch des Neuen Testaments. Die unterschiedlichen theologischen Prägungen der Bücher und Sammlungen der Bibel lassen das Thema Migration in je anderen, aber zentralen Akzentuierungen zum Vorschein kommen. Der innovative Band schließt diese Lücke, indem die Einzelbeiträge thematisch breit aufgestellt die Geltungsansprüche alt- und neutestamentlicher Migrationsthematik im Okular ihres komplexen Verhältnisses von Historie, Theologie und literarischer Genese der Traditionskomplexe betrachten und hermeneutisch reflektieren.

Im Kontext wissenschaftlich reflektierter Theologie sind Migration sowie die zugehörigen Themenfelder Flucht und Vertreibung im gesamten Fächerkanon zu einem breit diskutierten und hochaktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Ein Desiderat ist allerdings die konsequente Reflexion des Themas in der Theologie des Alten wie auch des Neuen Testaments. Die unterschiedlichen theologischen Prägungen der Bücher und Sammlungen der Bibel lassen das Thema Migration in je anderen, aber zentralen Akzentuierungen zum Vorschein kommen. Der innovative Band schließt diese Lücke, indem die Einzelbeiträge thematisch breit aufgestellt die Geltungsansprüche alt- und neutestamentlicher Migrationsthematik im Okular ihres komplexen Verhältnisses von Historie, Theologie und literarischer Genese der Traditionskomplexe betrachten und hermeneutisch reflektieren.

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Fremde Heimat 139<br />

das Ende der Assyrerherrschaft (Tob 14,15). Ein Zeitpunkt zur Heimkehr liegt<br />

damit jedoch noch nicht im Blick. Wie sein Vater wird Tobias in Ninive begraben.<br />

In der Estererzählung ist der Diasporafokus am stärksten ausgeprägt. In den<br />

das Buch eröffnenden Szenen treten zunächst ausschließlich persische Figuren<br />

auf. Der Perserhof in Susa wird in schillernden Farben ausgemalt (Est 1,1---2,4).<br />

Die Verwendung persischer Lehnwörter <strong>und</strong> Namen sowie zahlreiche detaillierte<br />

Angaben über den Palastschmuck <strong>und</strong> über die innenpolitischen Vorgänge am<br />

Königshof führen der Leserschaft des Esterbuches den Achämenidenhof als<br />

exotische, eindeutig fremde Lebenswirklichkeit vor Augen. 14<br />

In Bezug auf die<br />

geographische Anlage der Erzählung fällt ferner auf, dass entweder der Hof bzw.<br />

die Hauptstadt Susa oder gleich das gesamte Perserreich in den Blick gerät.<br />

Beide Dimensionen sind im Esterbuch eng aufeinander bezogen: Die Ereignisse<br />

im politischen Machtzentrum haben stets reichsweite, universale Auswirkungen.<br />

Dies verstärkt den paradigmatischen Charakter der Erzählung. Es geht um<br />

das Überleben des einen Volkes, das überall im persischen Groß-/ Weltreich lebt.<br />

Wie im Tobitbuch fällt die Bewertung des Lebens fernab der Heimat dabei<br />

ambivalent aus. Auf der einen Seite stehen die Karrierechancen, die das Leben in<br />

der Fremde bietet, auf der anderen Seite Bedrohung <strong>und</strong> Anfeindung, die durch<br />

den genozidalen Plan Hamans innerhalb des Alten Testaments ihre wohl<br />

drastischste Form annehmen. Zunächst wird Mordechai vorgestellt. Unter viermaliger<br />

Verwendung der Wurzel גלה (»Kriegsgefangenschaft/Deportation«) betont<br />

Est 2,6, dass Mordechais Aufenthalt in Persien aus erzwungener <strong>Migration</strong><br />

resultiert. Dennoch kann er --- die Ähnlichkeiten zu Josef, Mose <strong>und</strong> Daniel (bzw.<br />

Tobit) sind augenfällig --- am Hof des persischen Königs arbeiten. 15 Er setzt sich<br />

sogar gegen den Hofbeamten Haman durch <strong>und</strong> steigt zum zweithöchsten Mann<br />

im Staat auf (Est 8,1---2; 10,2---3). Wie im Rutbuch gerät zudem eine Waise in den<br />

Blick, die eine exogame Ehe eingeht. Da die Eltern Esters gestorben sind, nimmt<br />

sie ihr Cousin Mordechai als Tochter an (Est 2,7). Nach ihrer Aufnahme in den<br />

königlichen Harem wird Ester sogar die neue Ehefrau des persischen Königs (Est<br />

2,8---18). Gemeinsam können Ester <strong>und</strong> Mordechai auf den Regenten einwirken<br />

<strong>und</strong> dadurch das Überleben ihres Volkes sichern. Dieses sieht sich dem<br />

grausamen Plan eines Einzelnen ausgeliefert: Haman hatte per Edikt die Vernichtung<br />

aller Juden angeordnet (Est 3,13). Ester <strong>und</strong> Mordechai verbreiten jedoch<br />

ein Gegenschreiben, das es den Mitgliedern ihres Volkes erlaubt, sich mit<br />

Waffengewalt gegen Hamans Plan zu wehren (Est 8,3---14). In einem großen<br />

Kampf töten sie mehr als 75.000 Gegner (Est 9,1---16). Mit diesem großen Sieg<br />

wandelt sich die Position des jüdischen Volkes nachhaltig: Es wird nun im gesamten<br />

Perserreich von den Völkern gefürchtet <strong>und</strong> unterstützt (Est 8,17; 9,2.3).<br />

In der Hauptstadt Susa bejubelt man den Auftritt Mordechais in königlicher Kleidung<br />

(Est 8,17).<br />

14<br />

Vgl. Mathys, Achämenidenhof.<br />

15<br />

Vgl. dazu Macchi, Esther, 62---65 mit weiterer Literatur.

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