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Benedikt Hensel | Christian Wetz (Hrsg.): Migration und Theologie (Leseprobe)

Im Kontext wissenschaftlich reflektierter Theologie sind Migration sowie die zugehörigen Themenfelder Flucht und Vertreibung im gesamten Fächerkanon zu einem breit diskutierten und hochaktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Ein Desiderat ist allerdings die konsequente Reflexion des Themas in der Theologie des Alten wie auch des Neuen Testaments. Die unterschiedlichen theologischen Prägungen der Bücher und Sammlungen der Bibel lassen das Thema Migration in je anderen, aber zentralen Akzentuierungen zum Vorschein kommen. Der innovative Band schließt diese Lücke, indem die Einzelbeiträge thematisch breit aufgestellt die Geltungsansprüche alt- und neutestamentlicher Migrationsthematik im Okular ihres komplexen Verhältnisses von Historie, Theologie und literarischer Genese der Traditionskomplexe betrachten und hermeneutisch reflektieren.

Im Kontext wissenschaftlich reflektierter Theologie sind Migration sowie die zugehörigen Themenfelder Flucht und Vertreibung im gesamten Fächerkanon zu einem breit diskutierten und hochaktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Ein Desiderat ist allerdings die konsequente Reflexion des Themas in der Theologie des Alten wie auch des Neuen Testaments. Die unterschiedlichen theologischen Prägungen der Bücher und Sammlungen der Bibel lassen das Thema Migration in je anderen, aber zentralen Akzentuierungen zum Vorschein kommen. Der innovative Band schließt diese Lücke, indem die Einzelbeiträge thematisch breit aufgestellt die Geltungsansprüche alt- und neutestamentlicher Migrationsthematik im Okular ihres komplexen Verhältnisses von Historie, Theologie und literarischer Genese der Traditionskomplexe betrachten und hermeneutisch reflektieren.

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<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Dislokation in den Königebüchern 65<br />

Sofern das <strong>Migration</strong>sgeschehen auf einen dauerhaften Wohnortswechsel abzielt,<br />

stellt sich ferner die Frage nach der Integration der Migranten in der Aufnahmegesellschaft,<br />

die graduell unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Im Anschluss<br />

an Robert E. Park 15<br />

ist dieser Vorgang als »ethnic-relations-cycle« beschrieben<br />

worden, der sich in die vier Phasen von Kontakt, Wettbewerb/Konflikt,<br />

Akkomodation <strong>und</strong> Assimilation unterteilt. 16 Je stärker die Anpassung der<br />

Herkunfts- an die Zielkultur gelingt, umso höher ist der Grad der Integration der<br />

migrierenden Personen in die Aufnahmegesellschaft. Gleichzeitig verändert der<br />

Eingliederungsprozess stets auch die Aufnahmegesellschaft. Ob der Prozess gelingt,<br />

hängt also nicht nur von der Bereitschaft der Migranten ab, sich an die<br />

kulturellen Praktiken <strong>und</strong> Werte der Aufnahmegesellschaft anzupassen, sondern<br />

mindestens in gleichem Maße von deren Bereitschaft, die Neusiedler in ihre<br />

Gemeinschaft aufzunehmen. Umgekehrt können Diskriminierung <strong>und</strong> ›Othering‹<br />

von Seiten der Aufnahmegesellschaft zu einer ›Re-Ethnisierung‹ unter den<br />

Migranten <strong>und</strong> zur Ausbildung von Parallelgesellschaften (»ethnische Kolonien«)<br />

führen. In der Praxis kommt es nicht selten zu Mischformen ethnischer<br />

Identitätskonstruktionen, in denen Merkmale der Herkunfts- <strong>und</strong> der Zielkultur<br />

miteinander verschmelzen, ohne dass das Bewusstsein der eigenen Herkunft<br />

ganz aufgegeben würde. 17<br />

2. <strong>Migration</strong>sbewegungen im literarischen Horizont<br />

der Königebücher<br />

Das Narrativ der Königebücher enthält eine ganze Reihe von Abschnitten, die<br />

auf <strong>Migration</strong>serfahrungen rekurrieren bzw. von <strong>Migration</strong>sbewegungen berichten.<br />

Neben kurzen Notizen <strong>und</strong> Anekdoten, die das Geschick einzelner Protagonisten<br />

zum Gegenstand haben (vgl. 1 Kön 11,14---22; 2 Kön 8,1---6 u.a.), stehen<br />

breitere Erzählungen <strong>und</strong> hermeneutische Reflexionstexte, in denen das traumatische<br />

Ereignis des Untergangs der beiden Staaten Israel <strong>und</strong> Juda <strong>und</strong> die<br />

dürften für die <strong>Migration</strong>serfahrung des biblischen ›Israel‹ insgesamt von nachrangiger<br />

Bedeutung sein. Diese Einschätzung ist jedoch insofern zu relativieren, als dass das soziale<br />

Herkunftsmilieu <strong>und</strong> die berufliche Qualifikation der Deportierten Israeliten <strong>und</strong><br />

Judäer für deren soziale Stellung <strong>und</strong> Integration in der assyrischen bzw. babylonischen<br />

Aufnahmegesellschaft kaum überschätzt werden können.<br />

15<br />

Vgl. Park, Nature.<br />

16<br />

Vgl. Treibel, <strong>Migration</strong>, 84–96.<br />

17<br />

Dieser Vorgang kann auch zur Ausbildung mehrerer Identitätskonstruktionen führen,<br />

die mit- <strong>und</strong> nebeneinander von derselben Person bzw. Gruppe übernommen werden<br />

(»multiple Identitäten«). Die Berücksichtigung multipler Identitäten könnte zu einer stärkeren<br />

Differenzierung bei der Frage nach dem Selbstverständnis der deportierten Israeliten<br />

<strong>und</strong> Judäer in der Gola verhelfen, die über den plakativen Gegensatz von ›Assimilation‹<br />

<strong>und</strong> ›Isolation‹ hinausführt.

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