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Benedikt Hensel | Christian Wetz (Hrsg.): Migration und Theologie (Leseprobe)

Im Kontext wissenschaftlich reflektierter Theologie sind Migration sowie die zugehörigen Themenfelder Flucht und Vertreibung im gesamten Fächerkanon zu einem breit diskutierten und hochaktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Ein Desiderat ist allerdings die konsequente Reflexion des Themas in der Theologie des Alten wie auch des Neuen Testaments. Die unterschiedlichen theologischen Prägungen der Bücher und Sammlungen der Bibel lassen das Thema Migration in je anderen, aber zentralen Akzentuierungen zum Vorschein kommen. Der innovative Band schließt diese Lücke, indem die Einzelbeiträge thematisch breit aufgestellt die Geltungsansprüche alt- und neutestamentlicher Migrationsthematik im Okular ihres komplexen Verhältnisses von Historie, Theologie und literarischer Genese der Traditionskomplexe betrachten und hermeneutisch reflektieren.

Im Kontext wissenschaftlich reflektierter Theologie sind Migration sowie die zugehörigen Themenfelder Flucht und Vertreibung im gesamten Fächerkanon zu einem breit diskutierten und hochaktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Ein Desiderat ist allerdings die konsequente Reflexion des Themas in der Theologie des Alten wie auch des Neuen Testaments. Die unterschiedlichen theologischen Prägungen der Bücher und Sammlungen der Bibel lassen das Thema Migration in je anderen, aber zentralen Akzentuierungen zum Vorschein kommen. Der innovative Band schließt diese Lücke, indem die Einzelbeiträge thematisch breit aufgestellt die Geltungsansprüche alt- und neutestamentlicher Migrationsthematik im Okular ihres komplexen Verhältnisses von Historie, Theologie und literarischer Genese der Traditionskomplexe betrachten und hermeneutisch reflektieren.

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Michael Pietsch<br />

<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Dislokation in den<br />

Königebüchern<br />

Eine literarische <strong>und</strong> historische Spurensuche<br />

Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der <strong>Migration</strong>. Wann immer<br />

sich die Lebensbedingungen des Menschen oder einzelner Gruppen nachhaltig<br />

verschlechterten, suchte er andere Orte <strong>und</strong> Regionen auf, um die Sicherung<br />

seiner Existenz oder die Verbesserung seiner Lebensqualität zu erreichen. Die<br />

Anlässe dafür können ganz unterschiedlich sein. Neben Veränderungen der klimatischen<br />

oder anderweitiger Umweltbedingungen wären vor allem eine Verknappung<br />

ökonomischer Ressourcen oder Konflikte mit rivalisierenden Clans zu<br />

nennen, die Menschen dazu bewegen, ihren angestammten Lebensraum zu<br />

verlassen. <strong>Migration</strong>serfahrungen können von daher als anthropologische<br />

Gr<strong>und</strong>konstanten des Menschseins begriffen werden. 1<br />

Sie waren den antiken<br />

Gesellschaften des östlichen Mittelmeerraums nicht weniger vertraut als der<br />

Moderne <strong>und</strong> konnten damals wie heute langzeitig wirksame, traumatische Spuren<br />

im individuellen oder kollektiven Gedächtnis hinterlassen. 2<br />

Das Wissen um die Existenz des Menschen als homo migrans ist in der zweigeteilten<br />

christlichen Bibel breit belegt. Es begegnet schon auf den ersten Seiten<br />

des Alten Testaments. Das erste Menschenpaar muss den Garten verlassen, zu<br />

dessen Pflege <strong>und</strong> Bebauung der Mensch einst erschaffen worden war, <strong>und</strong> lässt<br />

sich an einem ungenannten Ort östlich von Eden nieder (vgl. Gen 3,22---24). Das<br />

gleiche Schicksal widerfährt der zweiten Generation des Menschen, wenn Kain<br />

nach dem Mord an seinem Bruder Abel vom »Ackerboden« vertrieben wird, der<br />

ihm keine Nahrung mehr spendet (vgl. Gen 4,11f) <strong>und</strong> die erste städtische Siedlung<br />

gründet. Die Belege ließen sich leicht vermehren; soweit sie im literarischen<br />

Raum der so genannten ›Urgeschichte‹ (Gen 1---11) zu stehen kommen, ist<br />

daran zweierlei bemerkenswert: zum einen handelt es sich jeweils um eine er-<br />

1<br />

Vgl. Bade, <strong>Migration</strong>, 19.<br />

2<br />

Der Prozess der inneren, psychosozialen <strong>Migration</strong> ist als wesentlich langwieriger zu<br />

beurteilen als der Vorgang der äußeren, physischen <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> kann sich über Generationen<br />

hinweg erstrecken (vgl. Han, Soziologie der <strong>Migration</strong>, 7). Die Erfahrung des<br />

babylonischen Exils <strong>und</strong> ihre theologische Bearbeitung im Alten Testament ist dafür nur<br />

ein Beispiel unter vielen (vgl. Janzen, Trauma and the Failure of History; Markl, Babylonian<br />

Exile).

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