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Benedikt Hensel | Christian Wetz (Hrsg.): Migration und Theologie (Leseprobe)

Im Kontext wissenschaftlich reflektierter Theologie sind Migration sowie die zugehörigen Themenfelder Flucht und Vertreibung im gesamten Fächerkanon zu einem breit diskutierten und hochaktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Ein Desiderat ist allerdings die konsequente Reflexion des Themas in der Theologie des Alten wie auch des Neuen Testaments. Die unterschiedlichen theologischen Prägungen der Bücher und Sammlungen der Bibel lassen das Thema Migration in je anderen, aber zentralen Akzentuierungen zum Vorschein kommen. Der innovative Band schließt diese Lücke, indem die Einzelbeiträge thematisch breit aufgestellt die Geltungsansprüche alt- und neutestamentlicher Migrationsthematik im Okular ihres komplexen Verhältnisses von Historie, Theologie und literarischer Genese der Traditionskomplexe betrachten und hermeneutisch reflektieren.

Im Kontext wissenschaftlich reflektierter Theologie sind Migration sowie die zugehörigen Themenfelder Flucht und Vertreibung im gesamten Fächerkanon zu einem breit diskutierten und hochaktuellen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Ein Desiderat ist allerdings die konsequente Reflexion des Themas in der Theologie des Alten wie auch des Neuen Testaments. Die unterschiedlichen theologischen Prägungen der Bücher und Sammlungen der Bibel lassen das Thema Migration in je anderen, aber zentralen Akzentuierungen zum Vorschein kommen. Der innovative Band schließt diese Lücke, indem die Einzelbeiträge thematisch breit aufgestellt die Geltungsansprüche alt- und neutestamentlicher Migrationsthematik im Okular ihres komplexen Verhältnisses von Historie, Theologie und literarischer Genese der Traditionskomplexe betrachten und hermeneutisch reflektieren.

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140<br />

Helge Bezold<br />

Im vergleichenden Blick auf die Darstellung der Fremde zeigt sich, dass die<br />

Bücher Rut, Tobit <strong>und</strong> Ester das Leben fernab der Heimat differenziert bewerten.<br />

Zwar werden die israelitischen bzw. jüdischen Hauptfiguren allesamt durch äußeres<br />

Einwirken zur <strong>Migration</strong> gezwungen, <strong>und</strong> der Aufenthalt in der Fremde<br />

birgt große Gefahren. Die Fremdexistenz wird jedoch nicht als gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

ausweglos, trist oder hoffnungslos dargestellt. Sie eröffnet gleichermaßen Problemfelder<br />

wie neue Handlungsspielräume. Dabei entstehen die verhandelten<br />

Fragen wie die nach dem Umgang mit dem vorzeitigen Tod von Familienangehörigen,<br />

nach der Abwehr von Anfeindungen <strong>und</strong> Angriffen durch fremde Herrscher<br />

oder nach der Einhaltung der Tora nicht erst durch <strong>Migration</strong>serfahrungen,<br />

sie werden jedoch durch diese verstärkt. Der Beispielcharakter der Erzählungen<br />

tritt dadurch deutlich hervor. Ihre Botschaften können somit prinzipiell<br />

auch von denjenigen verstanden werden, die selbst keine Erfahrungen mit <strong>Migration</strong><br />

bzw. dem Leben in der Fremde gemacht haben.<br />

3. Die (alte) Heimat<br />

Mit dem Interesse an der alten Heimat verhält es sich genau umgekehrt wie mit<br />

der Fremde: Der Fokus des Rutbuches liegt auf Naomis einstigem Heimatort<br />

Bethlehem <strong>und</strong> seinen Äckern, während der Estererzählung ein »international<br />

flavor« 16 zu eigen ist, der sich nicht für das Leben in Brothausen, sondern für die<br />

Vorgänge im Machtzentrum des persischen Weltreichs interessiert. Dazwischen<br />

steht das Buch Tobit, dessen Hauptfigur für den assyrischen Großkönig auf diversen<br />

Geschäftsreisen ist, der sich jedoch zumindest in Vergangenheit <strong>und</strong> Zukunft<br />

um seine Jerusalemer Heimat sorgt.<br />

Im Esterbuch lässt sich die Bedeutung der judäischen Heimat recht kurz<br />

zusammenfassen: sie spielt für den Handlungsverlauf keine unmittelbare Rolle. 17<br />

In der Welt der Erzählung sind die Juden überall im persischen Reich zuhause.<br />

Die Fremde scheint wie selbstverständlich zu ihrer neuen Heimat geworden zu<br />

sein. Jerusalem wird allerdings einmal, bei der Einführung der Hauptfiguren in<br />

16<br />

Hagedorn, Presence, 55.<br />

17<br />

Das ändert sich in der Septuagintafassung der Estererzählung, auf der auch der »Alpha-<br />

Text« genannte, griechische Kurztext basieren dürfte. In beiden Texten finden sich an<br />

zentraler Position Gebete Esters <strong>und</strong> Mordechais (Zusatz C), die nicht nur eine theologische<br />

Dimension in die Erzählung eintragen, sondern auch Jerusalem auf die Karte der<br />

Erzählung setzen. U.a. bittet Ester Gott in C 20 darum, er möge »den Glanz deines Hauses<br />

<strong>und</strong> deinen Brandopferaltar« (δόξαν οἴκου σου καὶ θυσιαστήριόν σου) nicht vergehen lassen,<br />

womit eindeutig auf den Jerusalemer Tempel angespielt wird. Nur in der Langfassung<br />

findet sich ferner ein Kolophon, der besagt, das Esterbuch sei mit Jerusalemer Autorität<br />

übersetzt worden (vgl. Zusatz F 11).

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