BÖB WISSENSNETZWERK Fachinformation für das Rechnungswesen 94_2023
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CONTROLLING<br />
Hinweise zur Umsetzung der<br />
„doppelten Wesentlichkeit“<br />
Erste Schritte in die neue Welt der Nachhaltigkeitsberichterstattung<br />
Foto: Thomas Blazina<br />
Dr. Josef Baumüller<br />
Mitarbeiter an der TU Wien<br />
sowie Lehrbeauftragter an<br />
der TU Graz, der Universität<br />
Wien und der WU Wien.<br />
josef.baumueller@tuwien.ac.at<br />
Nachdem die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) im Jänner <strong>2023</strong><br />
in Kraft getreten ist, läuft <strong>für</strong> europäische Unternehmen bereits der Countdown<br />
zur neuen Ära der Unternehmensberichterstattung – die ganz im Zeichen der<br />
Ambition steht, finanzielle Leistung auf Augenhöhe mit ökologischer und sozialer<br />
Leistung zu etablieren. Als nächster Meilenstein wird die Finalisierung des ersten<br />
Sets an European Sustainability Reporting Standards (ESRS) bis zum Sommer<br />
<strong>2023</strong> erwartet. Und hiernach haben viele Unternehmen bereits die erstmalige<br />
Anwendung dieser neuen Vorgaben <strong>für</strong> eine Berichterstattung zum Geschäftsjahr<br />
2024 vorzubereiten.<br />
Doppelte Wesentlichkeit als Fundament der neuen Berichtspflichten<br />
Die neuen europäischen Berichtspflichten in<br />
puncto Nachhaltigkeit stellen in vielen Aspekten<br />
eine gravierende Erweiterung gegenüber<br />
dem Status quo dar – <strong>für</strong> jene Unternehmen,<br />
welche die gegenwärtig noch geltenden Vorgaben<br />
gem. Non-Financial Reporting Directive<br />
(NFRD) zur Anwendung bringen, und<br />
auch <strong>für</strong> jene, die ergänzend oder stattdessen<br />
freiwillige Berichtspraktiken wie GRI-basierte<br />
Nachhaltigkeitsberichte einsetzen. Schlüssel-<br />
Neu regelungen betreffen etwa die Ausweitung<br />
des (unmittelbaren wie mittelbaren) Anwendungsbereichs,<br />
die Einführung einer externen<br />
Prüfpflicht oder die verpflichtende Integration<br />
der Nachhaltigkeitsberichterstattung in den<br />
Lagebericht. 1 Ein Aspekt, der von den Anfängen<br />
der Arbeiten an der CSRD an im Zentrum<br />
der Aufmerksamkeit stand, ist die Verankerung<br />
des Grundsatzes der doppelten Wesentlichkeit<br />
im europäischen Bilanzrecht. 2<br />
Der Wesentlichkeitsgrundsatz ist bereits gem.<br />
NFRD <strong>das</strong> Fundament der Berichtspflichten.<br />
Seit der Erstanwendung der NFRD <strong>für</strong> <strong>das</strong> Geschäftsjahr<br />
2017 hat er sich jedoch auch zu einem<br />
der wichtigsten Streitpunkte entwickelt: Die Vorgaben<br />
der EU-Rechtsgrundlage sind in höchstem<br />
Maße auslegungsbedürftig, was die Operationalisierung<br />
dieses Wesentlichkeitsgrundsatzes<br />
betrifft. 3 Die Vagheit des Richtlinientextes selbst<br />
sowie die Umsetzung in <strong>das</strong> Recht zahlreicher<br />
EU-Mitgliedstaaten führten dazu, <strong>das</strong>s eine enge<br />
Auslegung des Umfangs von geforderten Informationen<br />
weitverbreitet war. Die EU-Kommission<br />
trat dem in Form von unverbindlichen<br />
Leitlinien entgegen. Von einem rechtlichen<br />
Standpunkt aus betrachtet erwiesen sich diese jedoch<br />
als untauglich – weswegen es mit ein Ziel<br />
der CSRD war, eine umfassende Verpflichtung<br />
<strong>für</strong> europäische Unternehmen zu etablieren: die<br />
besagte doppelte Wesentlichkeit.<br />
1 Weiterführend Baumüller, Die Endfassung der Corporate Sustainability Reporting Directive, <strong>BÖB</strong>-Journal 3/2022, 64<br />
2 Dazu grundlegend Baumüller/Sopp, Double materiality and the shift from non-financial to European sustainability<br />
reporting: review, outlook and implications, Journal of Applied Accounting Research 2022, 8<br />
3 Siehe Baumüller/Scheid, Unterschiedliche Auslegungen zur (selben) Wesentlichkeit in der nichtfinanziellen Berichterstattung<br />
in Deutschland und Österreich? PiR 2020, 122.<br />
42 <strong>BÖB</strong> Journal <strong>94</strong> | 23