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Gesundheitsregion_2023

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62 Demenz<br />

Für mehr Menschlichkeit<br />

Demenzbegleitung: Tamara Bitzer weiß, jedes Leben ist lebenswert<br />

E Bei Demenz fehlen den Betroffenen einzelne Puzzelteile aus dem eigenen Leben. <br />

Foto: LIGHTFIELD STUDIOS – stock.adobe.com<br />

<br />

Von Jasmin Lutz<br />

Etwa 1,8 Millionen Deutsche leben<br />

mit der Diagnose „Demenz“. Oftmals<br />

hinterlässt die Krankheit ein<br />

Gefühl der Machtlosigkeit – sowohl<br />

bei den Erkrankten als auch bei den<br />

Angehörigen. Wegen der höheren<br />

Lebenserwartung, bedingt durch den<br />

demografischen Wandel, ist in den<br />

nächsten Jahren mit einem kontinuierlichen<br />

Anstieg an Krankheitsfällen<br />

zu rechnen. Experten schätzen 2,8<br />

Millionen Fälle im Jahr 2050. Ein<br />

Umstand, der vor allem die Kliniken<br />

trifft. „Wir haben durchgehend mindestens<br />

zwei dementiell erkrankte<br />

Personen auf unseren Stationen. Ten-<br />

E Tamara Bitzer<br />

Foto: Angela Liebert<br />

denz steigend“, betont Tamara Bitzer,<br />

Demenzbegleiterin am Klinikum<br />

Kempten. Die Hauptursache für einen<br />

stationären Aufenthalt ist in der Regel<br />

nicht die Demenz. Aber dementielle<br />

Erscheinungen wie Vergesslichkeit,<br />

Aggressivität und Sturheit begleiten<br />

die Betroffenen. Eine Herausforderung<br />

für das Pflegepersonal.<br />

Im Krankenhaus fehlt der Alltag.<br />

Die fremde Umgebung und die<br />

fehlende Bezugsperson fördern die<br />

Angst der Patientinnen und Patienten.<br />

Orientierungslosigkeit und<br />

Gereiztheit sind meist die Folge.<br />

Aufgrund des Pflegenotstandes<br />

kann dieser besonderen Personengruppe<br />

nicht immer die Aufmerksamkeit<br />

geschenkt werden, die sie<br />

verdient hätte. „Viele betroffene<br />

Frauen und Männer wollen einfach<br />

nur laufen – kilometerlang. Eine<br />

Schwester oder ein Pfleger kann<br />

dies nicht stemmen“, erklärt Bitzer.<br />

Demenzbegleitung stellte sich in<br />

der Vergangenheit als gute Alternativlösung<br />

heraus. Sowohl die Angehörigen<br />

als auch das Klinikpersonal<br />

können dadurch zeitweise entlastet<br />

werden. Bei rund zwei Drittel<br />

übernehmen die Angehörigen die<br />

Pflege selbst – dies geht auf eine<br />

Schätzung der Deutschen Alzheimer<br />

Gesellschaft zurück. Als Demenzbegleiterin<br />

lernte Bitzer nicht<br />

nur die Krankheit besser zu verstehen,<br />

sondern auch das Denken und<br />

Fühlen der Betroffenen. Und sie<br />

weiß, das Pflegen von Demenzpatienten<br />

ist ein wahrer Kraftakt.<br />

Mit Herzblut kümmern<br />

Tamara Bitzer zählt bei der Arbeit auf<br />

die Hilfe ihres Teams – bestehend aus<br />

65 ehrenamtlich engagierten Frauen<br />

und Männern. Einige davon haben<br />

sich in der Vergangenheit zu Demenzbegleiterinnen<br />

und -begleitern<br />

ausbilden lassen. Über mehrere Unterrichtseinheiten<br />

verteilt, lernen die<br />

Teilnehmenden die verschiedenen<br />

Demenzformen sowie die typischen<br />

Symptome kennen. Danach ist es<br />

leichter, die Menschen zu verstehen.<br />

Das Gute: Die anfallenden Kosten<br />

für die Demenzbegleitkurse werden<br />

zu einhundert Prozent von der Klinik<br />

übernommen. Zwei Mal im Jahr gibt<br />

Bitzer selbst Fortbildungen - das Wissen<br />

wird vertieft und gefestigt. Voraussetzungen<br />

für ein Ehrenamt sind<br />

nicht von Nöten. Die praktischen Fähigkeiten<br />

erlernt man schnell.<br />

Für die Pflege hat das Ehrenamt<br />

eine große Bedeutung. Begrenzte<br />

Kapazitäten auf den Stationen lassen<br />

keine Rund-um-Betreuung zu.<br />

Die Ehrenamtlichen springen dort<br />

ein, wo im hektischen Klinikalltag<br />

oftmals die Zeit fehlt: Zeitung lesen,<br />

Spazierengehen, reden und zuhören.<br />

„Für mich als examinierte Krankenschwester<br />

ist die Demenzbegleitung<br />

eine Herzensangelegenheit. Ich habe<br />

einen Versorgungsauftrag zu erfüllen<br />

und möchte mich intensiv um<br />

die einzelnen Menschen kümmern“,<br />

betont Bitzer.<br />

Das Café Vergiss-mein-nicht auf dem<br />

dritten Stock des Klinikums Kempten<br />

bietet seit 2014 einen geselligen<br />

Rückzugsort für dementiell erkrankte<br />

Patienten. Die Einrichtung erinnert<br />

an frühere Zeiten: Eine Kuckucksuhr<br />

an der Wand schreit zu jeder vollen<br />

Stunde, ein nostalgischer Plattenspieler<br />

spielt Schlagerhits und Rock<br />

and Roll. Die Gäste des Cafés sind<br />

Menschen, die in ihrer eigenen kleinen<br />

Welt leben und das meist in der<br />

Vergangenheit. Tamara Bitzer weiß,<br />

am wichtigsten ist es, die Leute so<br />

zu nehmen, wie sie sind. Und das<br />

Café Vergiss-mein-nicht vermittelt<br />

ein Gefühl von Daheim. „Hier können<br />

die Patientinnen und Patienten<br />

ihre Geschichte erzählen. Wir hören<br />

ihnen zu – ganz gleich, ob wir diese<br />

schon zum wiederholten Male hören“,<br />

sagt Bitzer. Die Krankheit sucht<br />

man sich nicht aus, aber ein Leben<br />

mit Demenz ist dennoch lebenswert.<br />

Und genau hierauf basiert das Konzept<br />

des Cafés. Der Mensch wird<br />

auch als solcher wahrgenommen.<br />

Die Krankheit spielt keine zentrale<br />

Rolle. Zwischen 12 und 14 Uhr öffnet<br />

das Café von Montag bis Donnerstag<br />

seine Pforten. Dann wird gebastelt,<br />

gesungen, getratscht und gegessen.

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