Hildegard Reisig, Die Rolle der Bildung für die Befreiung des Proletariats, Dissertation 1933

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auszuschalten, sondern daß er sich grundsätzlich an das ganze
Proletariat wendet und ihm insgesamt die Fähigkeit zugesteht,
zum Kommunismus zu gelangen. Es kommt für die Dauer
weniger darauf an, einzelne Proletarier zu Kommunisten zu
machen, mit anderen proletarischen Parteien zu konkurrieren,
als darauf, das gesamte kämpfende Proletariat eines Landes auf
den kommunistischen Kampf als seinen Kampf einzustellen. 35)
Voraussetzung für diese dritte Schicht von Bildungsaufgaben ist
ein Proletariat, das schon zum Klassenbewußtsein im Sinne des
Kampfes um das Klasseninteresse gelangt is t39), denn es handelt
sich um eine Weiterbildung des Proletariats als Kämpfenden;
diese Bildung hat aber nicht — wie in der zweiten Schicht von
Bildungsaufgaben — die Blickrichtung primär auf die aktuelle
Revolution, sondern auf das Proletariat als Substanz politischer
Verwirklichung.
Der systematische Ort dieser dritten Bildungsschicht wird
hier nicht mehr bestimmt durch die Notwendigkeit der Theorie
in der Revolution, sondern durch ihre Notwendigkeit für das
politisch aktive Proletariat. In beiden Schichten fällt die Bildung
unter die Kategorie „theoretische Einsicht“, aber: theoretische
Einsicht ist hier nicht mehr Bildung der Revolutionäre, die durch
die notwendige theoretische Komponente der Revolution erfordert
und in ihrer Art bestimmt wird, sondern sie wird notwendig gemacht
und modifiziert durch den Charakter der geschichtlichen
Wirklichkeit des Proletariats. Die Aufgabe der Bildung ist, die
revolutionäre Disposition des Proletariats, wie sid durch Klassenbewußtsein
und Interessenkampf gegeben ist, in revolutionäre
Aktivität umzuwandeln. Hier ist also die Stelle, wo das Proletariat
aus dem „Material der Geschichte“ zu ihrem aktiven
Träger wird. Die Bildung erreicht das, indem sie Kräfte auslöst.
Sie schafft keine revolutionäre Energie, sie versetzt vielmehr
die mit der Interessenlage des Proletariats mitgegebene Energie
mit dem Ferment der theoretischen Einsicht. Ansatzpunkt der
Bildung ist also wiederum Interesse des Proletariats. Es darf
nicht vergessen werden, daß zu bilden ist stets das Proletariat
als Gesamtheit, nicht das — abstrakte — proletarische Individuum.
Die durch Bildung zu erweckenden Kräfte sind nicht
persönliche Kräfte, sondern historische. Nicht ein geschlossenes
Ganzes will die Bildung hervorbringen, weder in der individuellen
Person noch im historischen Subjekt; das Ganze hervorzubringen
hat die Bildung nicht die Macht; sie muß Kräfte auslösen, und
“) Siehe Anm. 2. — 36) Siehe Anm. 1.
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/ war muß sie diese durch den Filter der theoretischen Einsicht
schicken, um ihnen die nötige Sättigung und Spannkraft zu
geben.
Der Auflockerung, der Durchgliederung des Proletariats,
der Gewinnung des einzelnen Proletariers dient ein zweifaches
Verfahren der Kommunisten: Lehre und Beispiel.37) Der Bund
als Ganzes kann nur auf seine Mitglieder und die Novizen wirken;
durch einzelne ausgesandte Emissäre streckt er seine Fühler in
die Verzweigungen bestehender proletarischer Organisationen
aus, die an die noch unbewegte Masse herangelangen können.
Durch „Beispiel“ wirkt allein der Bund selbst, „Lehre“ soll durch
die anderen Organisationen vermittelt werden. — Die Bildung
mittels Beispiel hat nicht einmal die Absicht, Kräfte erst zu
wecken, sie will die bereits erwachten zu revolutionären
Kampfkräften bilden. Der erste Schritt dazu ist, die im Proletariat
lebendigen Kräfte überhaupt zu revolutionären zu
gestalten; das bedeutet, daß die Proletarier dauernd in einer
gesteigerten revolutionären Spannung erhalten werden müssen.
Alle Lebensenergie des Proletariats muß zu revolutionärer Energie
werden. Die Meinung ist nicht, daß das Proletariat bereit gemacht
werden müsse, jeden Augenblick und blindlings die Waffen
auizuheben. Es muß aber die Einsicht gewinnen, daß nur die
Revolution: also die radikale Umgestaltung der sozialen und
politischen Verhältnisse seine Erlösung bringen kann.38) Es muß
also anspruchsvoll gemacht werden: es hat Anspruch auf die
radikale Emanzipation der Klasse. Es muß alle Teilemanzipation
als ungültig zurückweisen. Hierfür wird das Beispiel vor allem
gegeben durch die Abgrenzung der Kommunisten gegen dieSozialrefprmer
und Humanitätsapostel.39) — Sofort muß der nächste
37) Rep. 77, Tit. DV. Nr. 16, Vol. I. Rundschreiben: „Es hilft
nichts, sich mit der allgemeinen Niedergeschlagenheit entschuldigen
zu wollen; es war gerade die Aufgabe des Bundes, durch Lehre und
Beispiel an der Wiedererweckung der revolutionären Stimmung zu
arbeiteu.“
■ ” ) Deutsche Brüsseler Zeitung Nr. 46. Siehe Anm. 11. — Vgl.
dazu auch den Schluß des Kommunistischen Manifestes und Marx,
Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Nachlaß I,
S. 395 f.
) Siehe Anm. 10. — Mehring, Karl Marx, S. 143: „Marx hat
sich ein reichliches Jahrzehnt später über seine damalige Stellung
zum Bunde der Gerechten so ausgelassen: ,Wir veröffentlichen gleichzeitig
eine Reihe teils gedruckter, teils lithographierter Pamphlets,
worin das Gemisch von französisch-englischem Sozialismus oder
Kommunismus und von deutscher Philosophie, das damals die Geheimlehre
des Bundes bildete, einer unbarmherzigen Kritik unter-