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prima! Magazin – Ausgabe Jänner 2024

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INTERVIEW<br />

Galerie der Reisenden Blätter No 317 (c) Andorrer 2023<br />

„Jedes einzelne Blatt ist für mich eine<br />

Art Kniefall vor der Schöpfung“<br />

Ihre Arbeiten beschreibt Angela Andorrer als eine Reise auf Blättern und in fremde Hände. In ihrer<br />

einzigartigen Kunst der „Blattscapes“ und „Handscapes“ werden die von ihr bemalten Hände und<br />

Blätter Gefährten auf einer Expedition durch das Gewebe der Natur, das von Bergen und Tälern,<br />

Pfaden und Abzweigungen erzählt. Am 12. <strong>Jänner</strong> beginnt ihre Ausstellung im OHO mit zwölf Blattwerken,<br />

die sie vor unterschiedlichsten Landschaftskulissen positioniert. Diese Blattscapes durchwandern<br />

im Zuge von Videoaufzeichnungen die Pfade von Wind, Schnee und Sonne. „Sie werden zu<br />

stummen Zeugen einer Welt, in der sich die Menschheit ihrer eigenen Lebensgrundlage beraubt.“<br />

Nicole Mühl<br />

Sie sammeln Blätter, die zum Teil von<br />

Pilzen, Schnecken und Insekten<br />

zerfressen sind, bearbeiten diese und<br />

haben mit den daraus entstehenden<br />

„Blattscapes“ eine ganz eigene<br />

Kunstform geschaffen. Wie darf man<br />

sich diesen Prozess vorstellen?<br />

Angela Andorrer: Der Prozess beginnt<br />

schon beim Wandern in der Natur, beim<br />

Entschleunigen und Beobachten. Ich<br />

nehme Blätter mit, konserviere sie,<br />

presse sie über einen längeren Zeitraum.<br />

Dann behandle ich die Rückseite der<br />

Blätter, damit sie lange haltbar sind und<br />

erst danach fängt der künstlerische-gestalterische<br />

Prozess an. Dabei beschäftige<br />

ich mich mit jedem einzelnen Blatt so<br />

wie in einem Dialog zwischen mir und<br />

einer anderen Person. Es entstehen<br />

immer neue Unterhaltungen. Wenn das<br />

Blatt bricht, nähe ich es wieder zusammen<br />

<strong>–</strong> ähnlich wie bei einem chirurgischen<br />

Eingriff. Es ist für mich eine<br />

Metapher für den Prozess des Heilens<br />

der Natur.<br />

Das ist ein sehr poetischer Zugang.<br />

Welchen Einfluss haben der Klimawandel<br />

und unser Umgang mit der<br />

Natur?<br />

Die Blätter sind die Grundlage allen<br />

Lebens auf der Erde. Sie produzieren<br />

CO2, ohne das wir nicht existieren<br />

könnten. Mir wird immer klarer, warum<br />

ich mich so sehr auf die Blätter konzentriere:<br />

Jedes einzelne Blatt ist für mich<br />

eine Art Kniefall vor der Schöpfung. Ein<br />

Ausdruck der Verehrung und des<br />

Respektes vor der Natur. Das ist auch<br />

der Grund, warum ich oft kleinere<br />

Blätter nehme und sie in Reliquienmonstranzen<br />

ausstelle, in denen sich<br />

normalerweise kleine Überreste von<br />

„Heiligen“ befinden, von denen man<br />

heute kaum mehr etwas weiß. Ich<br />

tausche diese aus und stelle die These<br />

auf, dass es heute mehr Sinn machen<br />

würde und zeitgemäßer wäre, die Natur<br />

zu verehren.<br />

10<br />

JÄNNER <strong>2024</strong> www.<strong>prima</strong>-magazin.at

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