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prima! Magazin – Ausgabe Jänner 2024

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BERICHT<br />

EMDR<br />

EMDR (Eye Movement Desensitization<br />

and Reprocessing, zu<br />

Deutsch: Desensibilisierung<br />

und Neuverarbeitung durch<br />

Augenbewegungen) ist eine<br />

psychotherapeutische Methode,<br />

die durch Stimulation<br />

belastende Erinnerungen neu<br />

verarbeitet, um die emotionale<br />

Reaktion zu mildern.<br />

sei es durch schwierige<br />

familiäre Verhältnisse oder<br />

sozialen Stress, kann eine<br />

unsichtbare Last aufbauen<br />

und schließlich zur generalisierten<br />

Angststörung führen.<br />

Manfred R. denkt zum Beispiel<br />

oft über alle möglichen Dinge<br />

nach, die in der Zukunft<br />

passieren könnten. Manchmal<br />

macht er sich Sorgen darüber,<br />

wie die Dinge sein werden,<br />

auch wenn es noch nicht<br />

sicher ist, dass etwas Schlimmes<br />

passieren wird. Indem er<br />

Kontrolle über sein eigenes<br />

Zuhause hat, fühlt er sich<br />

sicher. Die generalisierte<br />

Angststörung kann wie bei<br />

Manfred aussehen. Sie betrifft<br />

Menschen, die ständig viele<br />

Sorgen und Ängste haben,<br />

auch wenn es keinen offensichtlichen<br />

Grund dafür gibt.<br />

Diese Ängste können sich um<br />

verschiedene Dinge drehen,<br />

wie die Arbeit, Freundschaften,<br />

Familie oder einfach die<br />

Zukunft im Allgemeinen.<br />

Die Macht des Unbewussten<br />

und die<br />

Rolle der Kindheit<br />

Das Unbewusste spielt eine<br />

entscheidende Rolle bei der<br />

Entstehung und Aufrechterhaltung<br />

von Angststörungen.<br />

„Viele Ängste entstehen<br />

bereits in der Kindheit und<br />

setzen sich im Unbewussten<br />

fest. Im Erwachsenenalter<br />

macht sich der ständige Druck<br />

oder das schlechte Umfeld, in<br />

dem man aufwachsen musste,<br />

dann bemerkbar“, so der<br />

Psychotherapeut. Schenk<br />

spricht dabei von Kontrollsystemen,<br />

die Patientinnen und<br />

Patienten mit einer Angststörung<br />

aufgebaut haben: „Man<br />

kann Emotionen nicht kontrollieren.<br />

Verspürt man Angst,<br />

ist sie bereits da und man<br />

kann im ersten Moment nichts<br />

daran ändern.“ Mit den<br />

Kontrollsystemen, wie das<br />

Absuchen und Filmen der<br />

Wohnung im Fall von Manfred<br />

R., glauben Betroffene, die<br />

Angststörung in den Griff<br />

bekommen zu haben. Um aber<br />

wirklich frei von Angst zu<br />

leben, braucht es eine psychotherapeutische<br />

Behandlung.<br />

„Reden allein ist<br />

nicht ausreichend“<br />

Lange Zeit war es Standard,<br />

auf Konfrontation mit den<br />

Ängsten zu gehen. Das ist<br />

heute nicht mehr so: „Die<br />

Konfrontationstherapie kann<br />

das Gegenteil von dem<br />

bewirken, das man erreichen<br />

möchte“, sagt Schenk. Er<br />

ermutigt dazu, die Hintergründe<br />

zu erforschen und zu<br />

lernen, wie man Situationen,<br />

in denen Angst auftritt,<br />

anders gestalten kann: „Es<br />

geht darum, zu verstehen,<br />

warum die Angst da ist, und<br />

Wege zu finden, sie zu<br />

überwinden. Für eine Therapie<br />

ist Reden allein nicht<br />

ausreichend.“ Der Psychotherapeut<br />

spricht dabei die<br />

Programmierung im Unbewussten<br />

an. Mit Methoden wie<br />

dem EMDR (siehe Infokasten)<br />

kann man die Bedeutung von<br />

Ereignissen im Unterbewusstsein<br />

ändern, damit man auf<br />

bestimmte Auslöser nicht<br />

mehr reagiert. Bei Manfred R.<br />

kann diese Therapie so<br />

aussehen, dass das Unterbewusste<br />

so stimuliert wird,<br />

dass er keine Angst mehr<br />

verspürt, wenn er im Urlaub<br />

an seine Wohnung denkt. Eine<br />

EMDR-Sitzung gleicht einer<br />

Reise mit dem Zug: Der Patient<br />

durchquert erneut das<br />

Erlebte, allerdings aus einer<br />

sicheren Entfernung und in<br />

Anwesenheit von Dr. Schenk.<br />

Im Verlauf der Sitzung<br />

verblassen nach und nach die<br />

belastenden Erinnerungen,<br />

und die Symptome des<br />

Traumas lösen sich auf. Damit<br />

erwirbt Manfred R. Fähigkeiten,<br />

um mit den früheren<br />

traumatischen Erinnerungen<br />

und Gedanken umzugehen<br />

und kann so eine neue,<br />

passendere Sichtweise auf das<br />

Geschehene entwickeln. „So<br />

kann die Angststörung nach<br />

mehreren Sitzungen bereits<br />

kein Thema mehr sein“,<br />

erzählt Schenk.<br />

Die Rolle des<br />

sozialen Umfelds<br />

„Bei Angststörungen ist es<br />

wichtig, ein soziales Umfeld zu<br />

haben, das darauf aufmerksam<br />

macht“, so Schenk. Er<br />

betont die Bedeutung von<br />

Gesprächen und professioneller<br />

Hilfe, um den Betroffenen<br />

Sicherheit zu geben. Dabei ist<br />

vor allem die Unterstützung<br />

durch die Familie wichtig.<br />

Manfred R. kann seine<br />

Angststörung unter anderem<br />

dadurch bekämpfen, indem er<br />

sich Familie und Freunden<br />

anvertraut. Der Umgang mit<br />

Angststörungen ist eine<br />

individuelle Reise. Betroffene<br />

können Hoffnung schöpfen,<br />

indem sie sich bewusst<br />

machen, dass die Angst nichts<br />

mit persönlichem Versagen zu<br />

tun hat. „Es handelt sich um<br />

eine Krankheit wie jede<br />

andere. Ratsam ist es, sich<br />

nicht zu verschließen, sondern<br />

das soziale Umfeld einzubeziehen<br />

und professionelle Hilfe in<br />

Anspruch zu nehmen“, sagt<br />

der Experte. Indem man die<br />

Vielfalt der Therapieansätze<br />

Foto: zVg<br />

Dr. Erich C. Schenk ist Psychotherapeut<br />

und Psychologe. Als Geschäftsführer<br />

des Netzwerk Psychotherapie<br />

Steiermark leistet er einen wichtigen<br />

Beitrag, um den Zugang zur kassenfinanzierten<br />

Psychotherapie zu<br />

erleichtern.<br />

erkundet und sich aktiv mit<br />

den Ursachen auseinandersetzt,<br />

können Wege gefunden<br />

werden, die zur Überwindung<br />

der Ängste führen. Auch<br />

Manfred R. befindet sich auf<br />

einem guten Weg, seine<br />

Krankheit zu überwinden.<br />

Angststörungen sind heilbar<br />

und es gibt die Unterstützung<br />

in Form von Therapieplätzen.<br />

„Bei der Psychotherapie als<br />

Sachleistung werden die<br />

gesamten Kosten von den<br />

Krankenkassen übernommen.<br />

Es ist ein Irrtum, dass man<br />

lange auf einen Therapieplatz<br />

wartet und sich dabei in<br />

Unkosten stürzt“, schließt<br />

Schenk.<br />

Das Netzwerk Psychotherapie<br />

Steiermark organisiert die<br />

kassenfinanzierte Psychotherapie<br />

in der Steiermark.<br />

Auf www.psychotherapiesteiermark.net<br />

können<br />

Patientinnen und Patienten<br />

nach Therapeut*innen suchen<br />

und sehen auch direkt freie<br />

Kassenplätze.<br />

Im Burgenland können<br />

Betroffene über die Website<br />

www.psychotherapeuten.at/<br />

burgenland Psychotherapeut*innen<br />

in der Umgebung<br />

suchen.<br />

JÄNNER <strong>2024</strong> 31

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